Don Curry on Tour 4
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Don Curry und der unbekannte Vogel

Veröffentlicht: 13.10.2023

Don Curry hält sich auch im kulinarischen Bereich für einen Forscher und Entdecker, der grundsätzlich offen ist für neue Geschmackserlebnisse. Ob frittierte Taranteln in Kambodscha, ob Bibergulasch in Litauen oder Zebrasteak in Namibia - Don Curry öffnet gerne seinen Mund und Magen für regionale Besonderheiten. Und manchmal lässt er sich sogar überreden, etwas zu essen, von dem er überhaupt nicht weiß, was es ist.

Das Frühstück im Vego-Hotel bot allerdings nichts Unerwartetes oder gar Geheimnisvolles, es war mit Würstchen und diversen Wurstscheiben höchstens deutlich fleischlastiger als Don Currys bisherige Frühstücksangebote. Doch mit ausreichend Tee ließ sich vieles hinunterspülen. So gestärkt checkte er aus und machte sich auf einen ausgedehnten Spaziergang durch das Zentrum Gəncəs. Das Hammam und die Moschee vor der Haustür machten auch bei Tageslicht einen sehr guten Eindruck. Jenseits eines kleinen baumbestandenen Parks öffnete sich der zentrale Platz zu einer riesigen Freifläche, an deren Ende eine streng blickende kupferne Statue von Heydar Alijew überlebensgroß aufragte. Die linke Front der Freifläche nahm ein gewaltiges, palastartiges Gebäude ein, das ringsum von Polizeiposten umgeben ist: die Kommunalverwaltung. Als Don Curry eilig die Treppen hochstieg, um auf diese Weise den kürzesten Weg in die Querstraße zu nehmen, blaffte ihn ein Polizist energisch an. Don Curry hatte hier nicht die Freiheit, seinen eigenen Weg zu wählen; er musste die Stufen zurück und den Bogen um die Treppe herum machen. 

Am Ende der Querstraße wartete das berühmte Flaschenhaus auf ihn, das ein längst verstorbener Eigenbrötler im Laufe vieler Jahre gestaltet hatte. Tausende Flaschen verzierten kunstvoll arrangiert die Fassade. Doch allzu beeindruckend wirkte das nicht. Vorbei an der russischen Kirchen spazierte er weiter in den Xan Bağı, den Khan-Garten - ein schöner Park mit mehreren Teestuben, Denkmälern, einem Freilufttheater und den Resten der ehemaligen Stadtbefestigung. Von dort blieben nur noch ein paar Schritte, um zu Kia vor dem Vego-Hotel zurückzukehren.

Zwei weitere Ziele im Randbereich Gəncəs standen noch auf seinem Programm. Zunächst steuerte er den riesigen Heydar-Alijew-Park an, der mit einem mächtigen Triumphbogen à la Paris die Besucher empfängt. Hier hat man die Möglichkeit Fahrräder auszuleihen, um der weiten Fläche des Parks wirklich gerecht werden zu können. Don Curry begnügte sich mit seinen Füßen und erkundete nur den vorderen Teil, in dem gerade dutzende Gärtner und Gärtnerinnen beschäftigt waren, die Blütenpracht zu bewässern und die kunstvoll beschnittenen Buchsbaum-Figuren zu pflegen. Einen besonders großen Strauch hatte man in die Form eines Konzertflügels samt Pianisten und Sängerin gestutzt. Eindrucksvoll fand Don Curry auch einen dutzende Meter langen Tunnel durch ein Buchsbaumdickicht. 

Als letztes Ziel in Gəncə diente ihm das moderne Mausoleum Nizamis, des bedeutendsten iranischen Dichters im Mittelalter. Fast wie eine startbereite Rakete erhob es sich steil in den Himmel, im dezent orientalisch gestalteten Inneren konnte man auf den marmornen Sarkophag des Schriftstellers hinabblicken, umgeben von kostbaren Teppichen. 

Den Rest des Tages war nun Kia am Zug, um Don Curry rund 400 km von Gəncə in der Mitte Aserbaidschans bis ganz in den äußersten Südosten zu bringen, bis fast zur iranischen Grenze. Hier liegen die Hyrkanischen Wälder, eines der wenigen ausgedehnten Waldgebiete des Landes, die sich bis weit in das Nachbarland Iran hinein erstrecken. Da es bereits zu dämmern begann, konnte Don Curry keine Wanderung mehr starten, sondern bewunderte die urwüchsige grüne Landschaft hauptsächlich vom Auto aus; nur an einigen Stellen stieg er kurz aus, um detailliertere Blicke zu erhaschen.

Sein vorgebuchtes Hotel Xan Lankaran steht am Rand der Hafenstadt Lənkəran. Diente eine Karawanserei in früheren Zeiten reisenden Kaufleuten als Unterkunft, so war ein Han Gasthaus für alle übrigen Reisenden. Im Xan Lankaran lebt diese Tradition bis heute fort. Das im Fachwerkstil errichtete Gebäude bietet wunderbar orientalisch eingerichtete Zimmer, die zugleich über alle technischen Annehmlichkeiten der heutigen Zeit verfügen. Auch das angeschlossene Restaurant pflegt die Tradition früherer Gasthäuser. Don Curry wunderte sich, dass es im Innenhof nur einen einzigen Tisch, aber ein halbes Dutzend Kellner gab. Erst allmählich, nachdem er sich den "einzigen" Tisch gesichert hatte, bemerkte er, dass alle übrigen Tische in abgetrennten Zimmern untergebracht waren, in die die Kellner die bestellten Speisen und Getränke brachten. So hatten Familien und Freundeskreise die Möglichkeit, ganz unter sich ungestört zu speisen.

Außerdem, so hatte Don Curry gelesen, ist das Restaurant des Xan Lankaran berühmt für seine Levengi, eine weitere kulinarische Spezialität Aserbaidschans, die vor allem auf der Abşeron-Halbinsel und eben hier im Südosten des Landes beheimatet ist. In der Regel gibt es Levengi als gefüllten Fisch oder gefülltes Huhn, doch der Xan Lankaran kennt noch vier andere Levengi-Arten, darunter gefüllte Ente und gefülltes Blässhuhn. Der Kellner empfahl Don Curry allerdings ein Gərəf-Levengi; das wäre das beste für eine Einzelperson. Auf Don Currys Frage, was ein Gərəf sei, antwortete der Kellner nur: "It's a bird." So stürzte sich Don Curry ins Unbekannte und bestellte außerdem eine Dovga-Suppe, die aus Joghurt, Reis, Kirchererbsen und Kräutern besteht, und einen Linsen-Plov als Beilage zum Levengi. Erstmals wollte sich Don Curry zu diesem speziellen Mahl ein Glas aserbeidschanischen Rotweins gönnen. Schwungvoll goss der Kellner aus der Flasche ein - und siehe da, der Rotwein war ein Weißwein. Peinlich berührt wollte der Kellner den Wein wegschütten. Doch Don Curry bestand darauf, ihn wenigstens probieren zu wollen - ein guter fruchtiger, halbtrockener Weißer. Don Curry ließ sich das Glas ganz füllen und verschob den Rotwein auf später. Dann brachte der Kellner ein großes Tablett mit verschiedenen Vorspeisen und Salaten, aus denen Don Curry auswählen sollte. Er entschied sich für je ein Stück Walnuss-Kükü und Wasserkresse-Kükü (Küküs sind sehr dicke, luftige Omelettes) und ein Auberginen-Levengi. Kaum verspeiste er die kleinen Köstlichkeiten, da wanderte auch schon der Rest auf seinen Tisch. Besonders gespannt war er auf das Gərəf-Levengi. Die Füllung aller Levengis besteht aus Walnüssen, Röstzwiebeln, Datteln, Rosinen und Kirschpflaumen, die zerkleinert und zu einer körnigen Paste verarbeitet werden. Die sauren Kirschpflaumen sorgen leider dafür, dass das Levengi für Don Currys Geschmack etwas zu säuerlich geriet. Und die Füllung füllte nicht nur die Vogelhälften, sondern die ganze Pfanne, so dass der Gərəf eigentlich darin badete. Den Vogel konnte er immer noch nicht identifizieren; für eine Wachtel zu groß, für eine Hühnerart zu klein. Möglicherweise eine Taube? Egal, der Vogel schmeckte, auch wenn die zahlreichen kleinen Knöchelchen intensive, fast schon chirurgische Arbeit bedeuteten. Dankenswerterweise versammelten sich gleich mehrere Katzen um Don Currys Tisch, die sich hingebungsvoll den Knochen des Gərəf widmeten. Ob sie wussten, was das für ein Vogel gewesen war? Ein besonders kleines Kätzchen traute sich sogar auf den Tisch, wurde aber von vorbeieilenden Kellnern schnell verjagt. Längst hatte man Don Curry den aserbeidschanischen Roten kredenzt, der sich ebenfalls schmecken lassen konnte. Am Ende des opulenten Mahles erschien der gar nicht bestellte und dennoch getrunkene Weißwein nicht auf der Rechnung.

Zurück auf seinem schönen Zimmer im Xan Lankaran forschte Don Curry noch einige Zeit im Internet, um die Identität des Gərəf zu ermitteln, leider ohne Erfolg. Wer weiß, was er da zu sich genommen hat....


PS: Weitere Ermittlungen nach der Rückreise ergaben, dass Gərəf eine Krickente ist, eine besonders kleine Entenart.



 

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