Don Curry mag es gelegentlich, wenn sein Alltag wohlgeordnet und regelmäßig verläuft. Das bringt Ruhe in sein Dasein und verhindert manch ungewollten Stress. Letztlich dient auch seine ausgefeilte Urlaubsplanung diesem Ziel: sie soll dem Neuen und Unbekannten zumindest etwas ordnende Struktur aufzwingen. Curry weiß schon heute, welches Kloster er übermorgen besichtigen wird; er muss das nicht erst übermorgen überlegen. Damit aber gar nicht der Eindruck drohender Eintönigkeit entsteht, plant Don Curry bewusst Kontraste ein, soweit das bereiste Land es hergibt. Von der beschaulichen Idylle Tuschetiens hinein in das quirlige Großstadtleben Tbilisis. Von der Fülle verschiedenster Grüntöne in der Armenischen
Schweiz hinein in die verdorrte Steppenlandschaft Südarmeniens. Solche Kontraste gefallen Don Curry; und genau so einen hat er für heute geplant.
Mit geschlossener Balkontür schlief es sich deutlich ruhiger. So konnte Don Curry dann auch in aller Ruhe Xerra von ihrem Parkplatz holen und beim Aliance Palace vorfahren. Dem sofort auf ihn zueilenden und verscheuchen wollenden Wachmann konnte er begreiflich machen, dass er nur sein Gepäck von oben holen wolle. Das wurde ihm gestattet. Nach einem letzten Blick vom Balkon aufs Schwarze Meer stürzte sich Don Curry ins Verkehrschaos von Batumi, das vermutlich rund um die Uhr tobt. Zunächst musste er noch einen Programmpunkt des vorgestrigen Tages nachholen. Südlich von Batumi, kurz vor der türkischen Grenze liegt die Festung Gonio, die im Mittelalter auf den Ruinen der antiken Stadt Apsaros errichtet worden war. Don Curry schlenderte kurz durch das Festungsgelände, das im Vergleich mit der Festung Rabati in Achalziche eigentlich nur langweilen konnte. Einzig die laufenden Ausgrabungen brachten etwas Interessantes in die Anlage hinein. Bermerkenswert fand Don Curry allerdings, dass hier das Grab des Apostels Matthias gezeigt wurde – nach alter georgischer Überlieferung. Was die Trierer davon halten, weiß Don Curry nicht. Schließlich liegt dort derselbe Apostel begraben.
Nach diesem Abstecher wies die Grundrichtung des heutigen Tages konsequent nach Norden. An Batumi vorbei und parallel zur Meeresküste fuhr Don Curry zunächst nach Poti. Dort wurden die Wälder von Kolchis zum ersten UNESCO-Naturerbe Georgiens ernannt. Der Nationalpark lässt sich aber nur auf mehrtägigen Fußmärschen oder mit Bootstouren erkunden, wenn genügend Mitfahrende bereitsstehen. Als dritte Möglichkeit muss ein Blick vom Ufer des großen Sees genügen, der Teil des Nationalparks ist. Genau damit begnügte sich Don Curry. Poti hält noch eine weitere Besonderheit bereit: die einzige Kathedrale Georgiens im neobyzantinischen Stil. Ein wenig wirkte sie wie eine verkleinerte Form der Hagia Sophia, konnte jedoch mit deren Pracht und Würde bei weitem nicht mithalten. Beim Betreten erschreckte Don Curry fast eine Putzfrau zu Tode, die sein Hereinkommen gar nicht bemerkt hatte und schreiend zur Seite sprang, als er plötzlich an ihr vorbeigehen wollte. Doch schnell konnte Don Curry die arme Frau beruhigen.
Jenseits von Poti verließ Xerra allmählich das Küstengebiet, da dort bald das Gebiet der nur von
Russland anerkannten Republik Abchasien beginnt, die sich vor 25 Jahren von
Georgien abgespalten hatte. Aus dem Flachland erhoben sich zunehmend Hügel, Xerra konnte endlich wieder Kurvenqualitäten zeigen. In dem kleinen Ort Tsalenjikha wartete eine weitere Kathedrale auf Don Currys Würdigung, aus dem frühen Mittelalter stammend. Doch leider war bereits die Metalltür zum Kirchengelände verschlossen, so dass sich Don Curry der Kirche nicht einmal nähern konnte. Dafür bewunderte er die Eigentümlichkeiten des hiesigen Dorffriedhofs, auf dem sich einige Familiengräber zu überdachten Pavillions entwickelt hatten, damit man gut mit Sonnenschutz trauern konnte.
Nun ging die Hügellandschaft fließend in echte Gebirgsgegend über. Don Curry kehrte in den Hohen Kaukasus zurück. Auf zwar asphaltierter, aber oftmals schlechter und schlaglochgespickter Straße fuhr er nach Oberswanetien, in das Land der Swanen. Ähnlich wie die Tuschen besitzt auch dieses Bergvolk eine eigene Sprache und Kultur. Berühmt sind die Swanen für ihre würzige Küche und für ihre kriegerische Vergangenheit. Noch bis Ende des 20. Jhdts. musste man in Swanetien mit Raubüberfällen rechnen, bis die Swanen erkannten, dass der beginnende Tourismus eine viel elegantere Methode darstellte, um Fremde auszunehmen. Herausragende Zeugen der swanischen Geschichte und Kultur sind die zahlreichen Wehrtürme. In früheren Zeiten gehörte zu jedem Haus auch ein eigener Wehrturm, in den sich die ganze Familie bei Überfällen anderer Völker oder Belagerungen zurückziehen konnte. Bei strahlendem Sonnenschein kam Don Curry in Oberswanetien an. Bald konnte er in allen Richtungen schneebedeckte Gipfel erblicken, darunter auch die berühmte Ushba, die Schrechliche. Und er sah auch seine ersten swanischen Wehrtürme in den Dörfern durch die er fuhr. Unterwegs kam er an einigen mittelalterlichen Kirchen vorbei, die meist klein und hinter einer Wehrmauer auf einem Hügel oberhalb des Dorfes liegen. Leider sind sie fast immer verschlossen. Nachdem Don Curry zwei vergebliche Aufstiege absolviert hatte, gab er auf, und fuhr direkt nach Mestia weiter, der Hauptstadt Oberswanetiens und zugleich Don Currys heutiges Ziel. Seinen ersten Bick auf Mestia konnte er nur als atemberaubend bezeichnen. Im sanften Abendlicht ragten dutzende, von den Sonnenstrahlen angeleuchtete Wehrtürme vor den weiß glitzernden Gipfeln des Hohen Kaukasus auf – ein echtes Traumbild!
Schnell fand Don Curry das Suntower Hotel, das sich gerade im Zwischenstadium zwischen Noch-nicht-ganz-fertig-gebaut (Parkplatz) und Schon-langsam-verfallen (Fassade) befindet. Seinen Bedürfnissen genügte es vollkommen und bot einen schönen Blick über Mestia mit den Wehrtürmen und den umliegenden Bergen, sogar von Don Currys Balkon. Da sein Apartment in Batumi kein Frühstück bereitstellte und für ein Mittagessen keine Zeit geblieben war, knurrte Don Currys Magen inzwischen vernehmlich. Als bestes Restaurant gilt das zentral gelegene „Café Laila“, dort wollte Don Curry gern auf der Terrasse sein Abendessen zu sich nehmen. Auf allen Tischen lagen Reservierungszettel; doch ein Kellner machte Don Curry auf einen Tisch aufmerksam, der erst ab 21:00 Uhr reserviert sei. Bis dahin konnte Don Curry in Ruhe 2 Stunden essen und trinken. Don Curry bestellte sich Badridschani, Hühnchen-BBQ, Pommes frites und rote Tkemali-Sauce, dazu ein Zedazeni-Bier vom Fass. Alles wurde in ausgezeichneter Qualität geliefert und zum Teil sehr dekorativ angerichtet. Nach einem hausgemachten Chacha, der mit einer Zitronenscheibe serviert wurde, kehrte Don Curry überaus zufrieden in sein Hotel zurück. Er bestellte sein Frühstück für 9:30 Uhr und freute sich auf eine Nacht ohne Verkehrslärm. Von seinem Balkon beobachtete er noch, wie der Schäferhund des Bauern von gegenüber die Kühe sortierte, die abends in kleinen Gruppen von den Bergweiden zurückkamen. Die eigenen Kühe durften durch das Tor aufs Gelände des Hofes, die anderen wurden ziemlich rabiat weitergetrieben. Don Curry hat selten so schnelle Bewegungen bei Kühen gesehen.
Was für ein Kontrast: vom lärmigen Batumi ins ruhige Mestia, vom Strand des Schwarzen Meeres ins Hochgebirge auf 1400 m über Meereshöhe, vom Touristenspektakel ins Mekka für Wander- und Naturfreunde, vom infernalischen Hupen der Autos zum Gebimmel der Kuhglocken. Mehr Kontrast geht eigentlich kaum…