Don Curry on Tour 4
Don Curry on Tour 4
vakantio.de/don-curry-on-tour-4

Don Curry als Schildkrötenretter

Veröffentlicht: 08.10.2023

Don Curry muss manchmal lange überlegen, um den passenden Tagestitel zu finden. Er soll entweder den ganzen Tag pointiert zusammenfassen oder zumindest das Highlight hervorheben, er soll neugierig machen und er darf bisher noch nicht verwendet worden sein. Beim heutigen Tag lag das Problem nicht darin, mühsam einen Titel zu finden, sondern unter drei äußerst passenden Titel zu entscheiden. Denn der Tag hätte auch die Überschrift verdient "Don Curry zurück im Hohen Kaukasus" oder "Don Curry beim Familienessen". Da Don Curry aber erkannt hat, dass Tagestitel mit Tieren stets besonders viele Lesende anziehen, hat er sich für die Schildkrötenüberschrift entschieden. Doch keine Sorge, das andere kommt im Bericht auch vor.

Wie jeden Tag zuvor verschlechterte sich das Wetter in Baku weiter. Dicke graue Wolken ließen heute gar keine Sonne durchkommen, die Nacht schien es wieder durchgeregnet zu haben. Gegen 10:00 Uhr klopfte ein Mitarbeiter Jabirs an die Tür, um kurz das Apartment zu inspizieren und sehr zufrieden den Schlüssel in Empfang zu nehmen. Eigentlich wäre Don Curry gern noch etwas in dieser optimal gelegenen Wohnung geblieben, aber er wollte auch den Rest Aserbaidschans entdecken, und dazu musste er sich bewegen.

Der heutige Tag widmete sich fast ausschließlich Naturwundern des Landes, umso ärgerlicher empfand Don Curry das miserable Wetter. Doch je  weiter er nach Norden vordrang, umso mehr setzte sich die Sonne durch. Bereits sein erstes Ziel, die Candycane Mountains, boten sich im prallen Sonnenlicht dar. Ähnliches war ihm bereits im Westen der USA und ansatzweise auch in Georgien begegnet, doch die durch bunte Gesteinsschichten faszinierend leuchtenden Berge im nördlichen Aserbaidschan konnten nur als außergewöhnlich bezeichnet werden. Teilweise bildeten die Schichten echte Kringel, die tatsächlich an die Muster von Zuckerstangen erinnerten. Ausgiebig stapfte Don Curry durch diese surrealistische Landschaft, die Künstler von Van Gogh bis Dali hemmungslos begeistert und inspiriert hätte.

Bei der Weiterfahrt bremste Don Curry abrupt, als er eine ziemlich große Schildkröte sah, die sich gerade anschickte, die Straße überqueren zu wollen. Vorsichtig näherte er sich dem Tier von hinten, um es zu mehr Eile zu motivieren. Doch "Schildkröte" und "Eile" sind zwei Begriffe aus sehr verschiedenen Welten. Und näherte sich Don Curry zu sehr, zog sich das Reptil in den Panzer zurück und regte sich gar nicht mehr. Endlich war die Straßenmitte erreicht, als von fern ein Auto auf der Spur heransauste, die das Tier noch vor sich hatte. Kurzentschlosen schnappte sich Don Curry das verduzte Wesen, das kurz danach empört zischte und seinen kostenlosen Freiflug so gar nicht goutierte. Er etzte es jenseits der Straße wieder ab. Eifrig kroch die Kröte davon, ohne ihre Rettung bemerkt zu haben. Don Curry dagegen fuhr mit sehr gutem Gefühl weiter.

Das nächste Zier erblickte er schon von weitem. Aus einer Bergkette zur Linken der Autobahn erhob sich  deutlich eine markante Felsformation, die nicht nur wie eine Burg aussah, sondern auch als solche künstlich erweitert und genutzt wurde: Beshbarmaq. Auf abenteuerlicher Schotterpiste hinauf wandelte Kia gewissermaßen auf Xerras Spuren, ohne natürlich die Kraft und Souveränität eines Allradfahrzeugs ausspielen zu können. Zumindest kam Don Curry wohlbehalten am Fuß der Felsen an, wo Reste einer massiven Burgmauer noch gut erkennbar waren. Ab hier führten zahlreiche Treppenstufen nach oben,  an manchen Stellen musste Don Curry sich durch enge Felspassagen zwängen. Fast direkt beim Gipfel des höchsten Felsens stand eine gemauerte Hütte, in der ein Parkranger gemütlich auf einem improvisierten Diwan lag und pausenlos telefonierte. Don Curry suchte sich einen anderen Ort, um in Ruhe die gewaltige Aussicht über die Küstenebene und das Kaspische Meer zu genießen. Nach ebenso steilem Abstieg zu Fuß und per Kia folgte Don Curry weiterhin der gut ausgebauten Straße nach Norden bis Quba. Dort zweigte eine Nebenstraße in die Berge zu seinem eigentlichen Ziel ab. 

Bisher war Kia völlig mit der Tankfüllung des Vermieters ausgekommen. Die Tankanzeige meldete, dass der Sprit noch 145 km reichen würde. Das Navi zeigte 45 km bis zum Zielort an, daher ging Don Curry davon aus, dass er erst morgen nach der Rückkehr sus den Bergen irgendwann in Ruhe tanken könnte. Leider sind Tankanzeigen manchmal tückisch. Don Curry sollte es bald selbst erfahren.

Zunächst erfolgte die Weiterfahrt durch einen lichten Wald voller Laubbäume. Hier hatten sich eine Reihe Qutab-Restaurants angesiedelt, die jeweils zahlreiche Pavillons und Sitzbänke im Wald aufgebaut hatten, damit die Gäste in Gruppen ungestört ihre Qutabs verzehren konnten. Don Curry verfügte zwar durchaus über Appetit, doch war es ihm wichtiger, noch im Tageslicht am Ziel anzukommen. Auch ein junger Reiter, der Don Curry riesige Walnüsse anbot, konnte kein erfolgreiches Geschäft machen. Nach dem Qutab-Wald verengte sich die Straße zusehends und gewann stetig an Höhe. Erschrocken stellte Don Curry fest, dass nach 5 km Fahrt die Tankanzeige nur noch für 115 km Reststrecke garantierte. Wenn das so blieb, reichte es gerade noch so für eine sichere Rückkehr aus den Bergen. Doch es blieb nicht so...

Während die umgebende Landschaft immer eindrucksvoller wurde, sank Kias Restlaufzeit rapide. Einem rauschenden Fluss folgte die Straße durch einen mächtigen Canyon, um später an einer seiner Wände hinaufzuführen. Prägte bisher noch herbstlicher Wald die Gegend, so ließ Don Curry bald die Baumgrenze unter sich. Vereinzelt lagen Teestuben und kleine Restaurants am Straßenrand, doch auf den letzten 30 km passierte Don Curry nur noch ein winziges Bergdorf, dafür aber mehrere Tierherden, die aus einem bunten Mix von Schafen, Ziegen, Kühen, Pferden und Eseln bestanden. Manchmal musste er mitten durch die Herde hindurchfahren, und Kia wurde mehrmals von grobmotorischen Kühen angerempelt. 

Hinter dem bereits erwähnten Bergdorf erreichte Don Curry schließlich einen Pass mit Adlerdenkmal, der ihn endgültig in eine Hochgebirgslandschaft führte. Er kehrte zurück in den Hohen Kaukasus! Schnell kamen angesichts der schneebedeckten Berggipfel Erinnerungen an Tuschetien, Swanetien und Chewsuretien auf. Viele Kilometer folgte die Straße einem mäandrierenden Flusslauf, bis ein letzter intensiver Anstieg auf 2100 Höhenmeter erfolgte. Und da lag das Ziel vor ihm: das Dorf Xinaliq zu Füßen  des Bergs Xinaliq, bewohnt vom Volk der Xinaliq, die als einzige in der Welt die Sprache Xinaliq sprechen. Kurz: eine ganz eigene Welt!

Die Tankanzeige genehmigte Kia inzwischen nur noch 20 km Restfahrzeit. Don Curry würde also hier bleiben müssen, wenn er dieses Problem nicht gelöst bekam. Zunächst stand aber ein anderes Problem an: Wo lag seine gebuchte Unterkunft,  das Ecomama Guest House. Don Curry wusste aus den Rezensionen des Guest Houses genau, dass es keinesfalls an der Stelle lag, wo es in Google Maps eingezeichnet ist. Aber wo dann? Vorsichtig fuhr er auf den immer schlechter werdenden Pisten bis zum höchsten erreichbaren Punkt des Dorfes. Hier stieg er aus und ging zu einem Teehaus. Eine ältere Frau in Volkstracht, die dort saß, konnte ihn nicht verstehen, rief aber - vermutlich - ihren Sohn herbei, der etwas Englisch verstand. Beim Stichwort "Ecomama" wusste er gleich bescheid und zeigte in den unteren Teil des Dorfes und auf sein Handy. Er telefonierte und meinte dann zufrieden: "Ecomama coming!"

Kurze Zeit später rumpelte ein weißer Kleinwagen die Piste herauf, dem ein herzlicher grauhaariger Mann entstieg, sich als Rahman vorstellte und Don Curry aufforderte, ihm einfach mit dem Auto zu folgen. So ging es zunächst bergab, dann aber auf anderer Piste ein kleines Stück wieder bergauf. Dort konnte Kia bleiben, und Don Curry wurde in das Haus geführt, an dessen Eingang er zunächste die Schuhe ausziehen musste. Hinter dem Vorraum erwartete ihn das Ess- und Wohnzimmer, das im Wesentlichen aus einem langen Tisch mit rund 20 Stühlen bestand. Dahinter lag Don Currys Zimmer mit einem plüschigen Doppelbett, einem Tisch und 4 Stühlen. Direkt daneben lag das Schlafzimmer der Vermieter und ein weiteres Gästezimmer, das aber erst morgen 3 Niederländerinnen aufnehmen würde. Was es in ganz Xinaliq in den Wohnhäusern nicht gibt, sind Küchen und Toiletten. Beides befindet dich in einfachen Schuppen außerhalb des Hauses, wobei die Toilette aus einem 40 cm langen und 10 cm breiten Loch im Boden besteht, das bei den hier zu vollziehenden Verrichtungen gezielt getroffen werden sollte. Eimer mit Wasser stellen die Vermieter bereit, Licht gibt es nur, wenn man tagsüber die Tür auflässt oder - die bessere Lösung - Taschenlampe bzw. Smartphone dabei hat. 

Rahman erzählte Don Curry, dass Deutsche oder Briten sich auf diese einfachen Umstände problemlos einlassen können, während Chinesen, Iraner und Araber sich über den mangelnden Komfort beschweren. Er lud Don Curry sofort zu einem gemeinsamen Tee aus dem Samowar ein und begann zu philosophieren über gute und schlechte Menschen überall auf der Welt, über die zunehmende Kommerzialisierung in allen Bereichen, und er träumte von einer Zukunft, in der Christen und Muslime sich gegenseitig in ihren Gebetshäusern besuchen und miteinander Gott preisen und loben. Danach zeigte er Don Curry das Video der letzten UNESCO-Konferenz Mitte September,  in der Xinaliq offiziell in das Welterbe aufgenommen wurde. Ein weiteres Video zeigte Rahman selbst, wie er in einer Sendung des iranischen Fernsehens einer Reporterin Xinaliq und Umgebung zeigt. Inzwischen wurde das Teeglas bereits zum dritten Mal gefüllt, als ein kleines, etwas dreijähriges Mädchen aus dem Schlafzimmer der Vermieter kam, aber schnell zurückliief, als es Don Curry erblickte. Nun erzählte Rahman von seiner Familie, von seiner vor 5 Jahren verstorbenen Tochter und seinen zwei anderen Kindern. "Und Ihrer Enkeltochter", fügte Don Curry hinzu und traf voll in den Fettnapf. "Oh, das ist meine jüngste Tochter", stellte Rahman klar. "Sie heißt Nubar."

Als die Zeit zum Abendessen kam, nahmen nicht nur Don Curry und Rahman Platz an der langen Tafel. Auch Nubar kam dazu, schaute sich Don Curry noch einmal genau an und wählte dann fröhlich lachend den Stuhl direkt neben ihm. Ihre Mutter trug inzwischen auf: es gab Köfte, selbstgemachte Pommes, frische Gurkenscheiben und Fladenbrot für alle, für Nubar und Don Curry zusätzlich eine Linsensuppe mit ordentlich Sumach; dazu natürlich weiterhin Tee aus dem Samowar. Endlich konnte sich auch die Mutter zu Nubar setzen und es ergab sich ein entspanntes Familienessen. Rahman sprach mit Don Curry Englisch, mit seiner Frau Xinaliq oder Aserbaidschanisch, und Nubar sprach von allem ein bisschen.

Bald zog sich Don Curry auf sein Zimmer zurück, um noch echte Familienzeit zu ermöglichen. Obwohl er sich ein Bier mitgebracht hatte, verzichtete er auf jede weitere Flüssigkeitszufuhr. Er wollte keinesfalls des Nachts nach draußen zu dem Loch müssen. Außerdem zeigte die Wetterapp eine nächtliche Tiefsttemperatur von -1°C für Xinaliq an. Gut, dass sein Bett über ausreichend Daunenkissen verfügte und er zusätzlich einen Pullover über dem Schlafanzug trug. Noch immer freute er sich über die gerettete Schildkröte. Er konnte noch nicht ahnen, dass morgen eine viel größere Rettungstat auf ihn zukam...


Antworten

Aserbaidschan
Reiseberichte Aserbaidschan