Don Curry on Tour 4
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Don Curry und die saubere Stadt

Veröffentlicht: 05.10.2023

Don Curry hat auf seinen Reisen schon viele Städte besucht. Im Zug der Globalisierung glichen sie sich in vielen Aspekten immer mehr einander an.  McDonalds-Filialen und Dolce e Gabbana-Shops finden sich inzwischen allüberall. Und dennoch verfügen Städte genauso wie Menschen über ihre ganz eigene Persönlichkeit, ihren Charakter. Don Curry erinnert sich noch gut an die fast überwältigend lasziv-morbide Ausstrahlung Neapels, die omnipräsent polyglotte Athmosphäre Brüssels oder auch den extrem spröden Charme Jerewans, der erst nach viel wohlmeinender Geduld hinter der Fassade offenkundiger Hässlichkeit zutage trat.

Baku passte in keine dieser Kategorien. Ganz im Gegenteil: Hier gibt es nichts Morbides, Polyglottes (außer Jabir natürlich!) und erst recht nichts Hässliches. Die Hauptstadt Aserbaidschans präsentiert sich als sehr vitales Zentrum, vollgestopft mit Restaurants, Geschäften aller Art und vielfältigen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, darunter auch ziemlich ungewöhnliche. Zwischen dem kapriziösen Bau der Philharmonie, der sehr an eine riesige Barockkirche erinnerte, und der wuchtigen Altstadtmauer steht beispielsweise ein Konzertflügel unter einer großen Lampe - Tag und Nacht können hier Passanten ihre pianistischen Fähigkeiten demonstrieren; und sie tun das tatsächlich. Fast immer, wenn Don Curry den Flügel passierte, erklangen dort kunstvolle Melodien. Ebenso originell empfand Don Curry die große Schachanlage an der Uferpromenade, wo sich Menschentrauben bildeten, um den spannenden Fortgang des Spiels zu verfolgen und gelegentlich sogar die beiden Kontrahenten anzufeuern.

Von einer polyglotten Weltoffenheit ist Baku (noch) weit entfernt. Wenn offenkundige Touristen nicht in Gruppen herumlaufen werden sie meist als Russen klassifiziert und entsprechend angesprochen. Dabei sind Englischkenntnisse durchaus verbreitet. Don Curry konnte den Kauf von Eintrittskarten, den Restaurantbesuch oder das Versorgen mit Getränken fast immer problemlos in Englisch bewältigen. Und wenn eine Verkäuferin oder ein Kellner doch gar nichts verstand, holte man schnell einen Kollegen herbei, der aushelfen konnte. Irritiert zeigte sich Don Curry über das starke Nationalbewusstsein, das ihm immer wieder begegnete. Die Menschen waren stolz, Aserbaidschaner zu sein, und Don Curry wurde bereits in den ersten beiden Tagen mehrfach gefragt, wie ihm Baku bzw. Aserbaidschan gefallen würde. Klar, wenn man jeden Abend die riesigen Flame Towers in den Farben der aserbaidschanischen Flagge bewundern kann, und der Präsident immer wieder eine klar nationalistische Politik propagiert, setzt sich so etwas schnell in den Köpfen und Herzen fest. Doch als gesundes Gegengewicht zu einer völkischen Überbetonung erlebte Don Curry die ehrliche Neugier auf den Gast aus dem Ausland. Denn noch häufiger als die Frage nach seiner Aserbaidschanbeurteilung kam die Frage nach seiner Herkunft. Selbst, als er abends bei einem kleinen Kiosk an der Uferpromenade eine Cola Zero kaufen wollte, entstand sofort ein Gespräch mit dem interessierten jungen Verkäufer, der daraufhin erzählen konnte, dass sein Vater einige Jahre in Berlin gearbeitet hatte.

Das am wenigsten passende Attribut ist allerdings das der Hässlichkeit. Schon bei seiner ersten Fahrt durch die Stadt konnte Don Curry nur staunen. Er kann sich nicht erinnern, von der Architektur einer Stadt dermaßen beeindruckt worden zu sein - und zwar flächendeckend. Baku wirkte auf ihn, als hätte jemand einen genialen Mix aus Dubai, Sankt Petersburg und Istanbul erstellen wollen. An Dubai erinnern natürlich die gewaltigen Hochhäuser in den Außenbezirken der Stadt, echte Glaspaläste, die sich bemühen, jede stupide Kastenform zu vermeiden. Stattdessen überwiegen geschwungene Linien, gedrehte Formen, manchmal die Imitation floraler Konzepte oder ein klarer Ausdruck organischen Heranwachsens. Im Bereich der Innenstadt überwiegen dann Gebäude, die eindeutig aus russisch-sowjetischer Zeit stammen. Doch statt stereotyper Plattenbauten, wie sie in Jerewan zuhauf vorkommen, stellt Baku eine wahre Spielwiese für renommierte und angehende Architekten dar, die sich mit den Stilmitteln stalinistischer Prachtdemonstration, Orientalismus und europäischem Jugendstil so richtig austoben konnten. Der beginnende Ölboom an der Wende zum 20. Jhdt. schuf eine große Anzahl zahlungskräftiger Kunden, die ihren wirtschaftlichen Erfolg gern in Gestalt repräsentativer Gebäude und Paläste zeigen wollten.

Eine ganz eigene Welt für sich stellt die vergleichsweise winzige Altstadt dar, der eigentliche Kern Bakus. Hinter dicken Wehrmauern existierte damals eine durch und durch orientalische Stadt mit Moscheen, Karawansereien und engen gewundenen Gassen. All das durchforschte Don Curry an diesem Tag intensiv - vom Jungfrauenturm bis zum Shirwanshah-Palast, die zusammen mit der gesamten Altstadt zum UNESCO-Welterbe gehören. Don Curry fühlte sich hier eher an die islamische Ausprägung der Altstadt Istanbuls erinnert, nicht an das überbordend orientalische Chaos der Medina von Fes oder von Kairo. Besonders viel Charme gewann die Bakuer Altstadt, wenn abends die dezenten Straßenlaternen den Häusern und Mauern ein goldenes Licht schenkten.

Erstmals nahm sich Don Curry an diesem Tag Zeit für die aserbaidschanische Küche. Eigentlich hatte er sich ein Restaurant direkt beim Jungfrauenturm ausgesucht, und als er diesen gegen 12:00 Uhr nach vollbrachter Besichtigung und ausgiebiger Bewunderung der fantastischen Aussicht von der Dachplattform verließ, auch bereits ausreichend Hungergefühl entwickelt. Doch am Empfang teilte man ihm mit, dass zur Zeit nur Frühstück serviert würde, das Mittagessen beginne erst ab 13:00 Uhr. Auf Frühstück hatte Don Curry um diese Zeit nun wirklich keine Lust. Also zog er weiter, erkundete noch ausführlich den Palast der Shirwanshah-Dynastie, die Baku und Umgebung im Mittelalter regiert hatten, und landete schließlich im herrlich schattigen Garten des Restaurants "Kükü", gar nicht mehr weit von seinem Apartment entfernt. Als Vorspeise wählte er frittierte Gürzä, ohne genau zu wissen, was ihn erwartete. Der Kellner brachte ihm bald eine Schüssel mit 8 Teilen Schmalzgebäck in Form und Größe eines kleinen Fingers. Diese Gürzä sind mit einer würzigen Mischung aus Lammhack und Lammfett gefüllt und wurden mit einem ziemlich süßen Frischkäse serviert. Sehr lecker! An seinem Hauptgericht sollten am Ende die zahlreich vertretenen Restaurantkatzen mehr Freude haben als Don Curry: er bestellte ein Hühner-Saj. Der Saj ist eine wokähnliche Pfanne, die typisch für Aserbaidschan ist. In ihm werden Fleisch und diverse Gemüse scharf angebraten und anschließend mit Fleischbrühe übergossen und mit Lavash-Brot serviert. Leider entdeckte Don Curry die kräftige Brühe am Boden des Saj erst sehr spät, denn ohne sie fehlten Fleisch und Gemüse die notwendige Würze. Außerdem waren Tomaten und Peperoni teils so verbrannt, dass sie einfach nur bitter schmeckten. Das Huhn musste brustlos gewesen sein, denn der Saj enthielt nur knochige Stücke mit mühsam abzunagendem Fleisch daran. Don Curry versuchte sein bestes und überließ den erfreuten Katzen den Rest. Deutlich zufriedenstellender zeigte sich der Salat "Kükü", eine gute Mischung aus kleinen Tomaten- und Gurkenstückchen mit Mais und Blattsalat, veredelt durch ein süß-würziges Dressing. Als Getränke wählte Don Curry ein stilles Wasser und ein Alivaria-Bier, das er für ein Bier aus Aserbaidschan hielt. Erst eine spätere Internetrecherche offenbarte, dass er damit sein erstes Bier aus Weißrussland getrunken hatte. Beim Dessert unterlief ihm ein klarer Fehler: er bestellte ein Sweet Tea Set in der Erwartung, ein großes Glas aserbaidschanischen Tees mit zwei Gebäckstücken zu bekommen. Der Kellner trug eine große Kanne Tee mit zwei riesigen Tortenstücken auf: eine Tiramisu- und eine Honigtorte. Die erstere verspeiste Don Curry, die zweite ließ er sich einpacken. Mehr als gesättigt kehrte er in sein nahes Apartment zurück und überließ sich einer ausgedehnten Siesta.

Eigentlich hatte er am späteren Nachmittag zu den Flame Towers aufsteigen wollen, doch der restlos bedeckte Himmel nahm den gläsernen Türmen viel von ihrem optischen Reiz. Stattdessen bewegte sich Don Curry Richtung Uferpromenade, nutzte die überaus edel gestaltete Fußgängerpassage, um den ausgedehnten Azneft-Kreisel zu unterqueren, den wichtigsten Verkehrsknoten Bakus, und sah gerade noch, wie die riesige Aserbaidschan-Flagge an der Promenade bei einbrechender Dunkelheit eingeholt wurde. Kurz darauf begannen die Flame Towers mit ihrem Lichterspiel, um das Nationalgefühl zu stärken. Bei "Little Venice" standen die Menschen Schlange, um sich auf lautlosen E-Gondeln durch die künstlichen Kanäle transportieren zu lassen.

Don Curry genoss derweil die erwachende Nacht-Skyline Bakus mit ihrem vielfältigen, aber doch noch dezenten Glitzern und Funkeln. Als er die Fußgängerzone der modernen Innenstadt erreicht hatte, fühlte er sich sofort an Städte wie Paris, Brüssel oder auch Riga erinnert. Unzählige Straßenrestaurants hatten sich unter Platanen und anderen Bäumen ausgebreitet und buhlten um Kundschaft. Plötzlich merkte Don Curry, was hier in Baku ganz anders war als in all den bereits erwähnten Städten - es fehlte der Schmutz, der Unrat, der gedankenlos weggeworfene Müll. Je lebendiger und attraktiver eine Stadt, umso mehr Schmuddelecken hat sie auch. Baku hat das nicht. Hier gibt es nirgends Schmuddelecken. Hier gibt es nirgends Schmierereien oder Graffiti. Hier gibt es auch keine sichtbare Armut, keinen Penner vor dem Schaufenster, keine Bettlerin, die die Hand aufhält. Baku ist eine durch und durch saubere Stadt! Das einzige, was Unordnung auf Straßen und Plätzen bildet ist das frisch gefallene Laub der Bäume - aber auch nur für wenige Stunden.

Don Curry hatte bereits gestern beobachten können, wie diese Sauberkeit erreicht wird. Unzählige Reinigungskommandos durchstreifen regelmäßig die ganze Stadt. Fast immer sind sie zu dritt: der Mann schiebt die große Tonne, die beiden Frauen kehren ihm den Unrat zu. Kein Wunder, dass hier Supermärkte großzügig Plastiktüten aufdrängen; die habe keine Chance die Umwelt zu belasten, die Reinigungskommandos sind schneller. Und gegen Graffiti und Bettelei helfen sicherlich die allgegenwärtigen Überwachungskameras. Denen entgeht nichts. Und irgendwo wird es jemanden geben, dem es ungemein wichtig ist, dass alles sauber ist und in extrem geordneten Bahnen verläuft.

Don Curry beschloss derweil, aufgrund des üppigen Mittagsmahls für den Abend eine armenische Lösung anzustreben, genauer gesagt: eine Jerewan-Lösung - ein leckeres Shawarma mit ausreichend Bier gemütlich auf dem Balkon zu genießen. Das Shawarma zum Mitnehmen konnte er in der Innenstadt problemlos bestellen. Schwieriger war es, ein Bier zu kaufen, da eine Alkohollizenz entweder teuer oder selten zu bekommen ist. Endlich fand Don Curry einen Laden, der auch Bier veräußerte. Erstaunlicherweise bestimmten nicht Marke oder Herkunft des Bieres den Preis, sondern ausschließlich die Menge. Ein Liter Bier - egal welcher Sorte - kostete 3,30 Manat (ca. 1,60 €). Don Curry nahm sicherheitshalber gleich 2 Liter aserbaidschanischen Xirdalan-Bieres mit und wurde noch einmal von Baku überrascht. Beim Verlassen des Ladens goss es in Strömen. Auch wenn er nur noch 200 m zum Apartment zurücklegen musste, wurde er auf dieser Strecke bis auf die Haut durchnässt. Einen gemütlichen Jerewan-Abend konnte er jetzt vergessen - der Balkon hat keine Überdachung...

Ob Baku sich bewusst dagegen wehrt, mit anderen Städten verglichen zu werden? Don Curry schwankt noch, wie er diese Stadt wirklich einschätzen soll. Sicherlich, sie ist vital, außerordentlich schön und vor allem extrem sauber - dennoch bleibt ein unangenehmes Gefühl im Hintergrund. Wenn Don Curry von seinem Balkon nicht zum Kaspischen Meer, sondern in die entgegengesetzte Richtung schaut, sieht er den Präsidentenpalast: ein riesiger Klotz, der vor allem Macht und Größe ausstrahlt, unübersehbar sein will. Vielleicht soll die tagtäglich zelebrierte Sauberkeit Bakus die wirklichen Schmuddelecken nur übertünchen...

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