Veröffentlicht: 29.10.2021
Don Curry erlebt auf dieser Reise innerhalb weniger Wochen sämtliche Jahreszeiten. Von der Frische des Frühlings um den Van-See, über die Hitze des Sommers in Kas und Adana, die bunten Farben des Herbstes in Phrygien bis hin zum Winter - zum Winter in Kars...
Hätte Don Curry aus seinem Fenster blicken können, so hätte er gleich gewusst, dass ein durchgehend grauer Himmel ihn erwartet - zum ersten Mal während der gesamten Reise. Beim Frühstück im Restaurant des Hotels Cheltikov bekam er eine erste Ahnung von den klimatischen Unzulänglichkeiten, konzentrierte sich aber lieber auf die reiche Käseauswahl und die anderen Angebote des Buffets; neu war hier für ihn, dass es sogar diverse Nougatsorten zum Frühstück gab. Das musste probiert werden...
Heute wurde in der ganzen Türkei der 98. Jahrestag der Ausrufung der Republik gefeiert. Wähend des Frühstückens saß Don Curry dem Fernseher gegenüber, der ganz viel Historisches über Atatürk berichtete und zwischendurch live zeigte, wie der derzeitige Sultan mit griesgrämigen Gesichtsausdruck die Bänder an einem Ehrenkranz zurechtrückte, den zwei stramme Soldaten gerade irgendwo in Ankara abgelegt hatten. Ob Don Curry in wenigen Tagen diesen Kranz wohl finden würde?
Heute beschäftigte ihn etwas anderes, das allerdings damals nahezu zur gleichen Zeit stattfand: das Schicksal der Armenier in Anatolien, ihre Vertreibung, ihre Ermordung. Er wollte Ani besuchen, die mittelalterliche Hauptstadt eines armenischen Königreiches. Nur Ruinen sind von dieser Stadt geblieben, und die liegt auf einem Zipfel türkischen Gebietes, der wie ein Stachel in das armenische Territorium hineinragt. Die Grenze zu Armenien ist immer noch absolut geschlossen. Auch Teile von Ani gelten als unbetretbare Sperrgebiete. Vor diesem tristen historischen Hintergrund erschien Don Curry der dunkelgraue Himmel fast schon passend. Wenn nur die Kälte nicht wäre...
Bei 2° C starte Don Curry seine Fahrt nach Ani. Bettelnde Kinder begrüßten ihn beim Verlassen des Autos; das heutige Dorf Ani vor den Ruinen machte insgesamt einen ungewöhnlich armseligen Eindruck. Nach Lösen der Eintrittskarte und Durchschreiten der gut erhaltenen Stadtmauer sah Don Curry ein weitläufiges Ruinengebiet vor sich, aus dem vereinzelt hier und da ein Gebäude herausragte. Inzwischen setzte auch noch Nieselregen ein. Noch vor 10 Tagen stapfte Don Curry schweißgebadet bei über 30° C über sonnendurchglühte Ruinenfelder, hier fror er trotz Hemd, Pullover und Jacke. Nur die Bewegung tat ihm gut. Zwischen den einzelnen Kirchen und anderen Gebäuden mussten jeweils mehrere hundert Meter zurückgelegt werden; am Ende sollte Don Curry über 8 km in Ani herumgewandert sein.
Immer wieder faszinierte ihn der Blick auf Armenien, obwohl dort nur unbewohntes Gebiet zu sehen war. Die Brücke über den Grenzfluss zeigte sich längst ebenfalls als Ruine: Verbindung abgebrochen... Don Curry hatte gelesen, dass Polizisten auf dem Gebiet patrollieren würden, um allzu neugierige Touristen vom Betreten der verbotenen Zonen abzuhalten. Doch entweder wurden alle in Ankara gebraucht oder der Nieselregen hatte sie in warme Dienstzimmer vertrieben - Don Curry sah keinen. Auch Besucher verteilten sich nur sehr wenige am frühen Vormittag auf dem Gelände.
Don Curry beschloss, zur Festungsruine hinaufzusteigen, obwohl die eigentlich schon zur Sperrzone gehören sollte. Niemand hinderte ihn; und als er die Festung auf der anderen Seite verließ, konnte er sogar die Eckfestung mit einer großen Kirche sehen - auf einem Felsen hoch über dem Fluss, der hier einen spitzen Bogen schlägt. Dorthin führte nun keinerlei Pfad mehr, doch Don Curry konnte zumindest diesen sonst unerreichbaren Zipfel der Türkei fotografieren. Der Regen ebbte wieder ab, und fast sah es so aus, als könnte sich die Sonne doch noch durchsetzen. Die kurze Hoffnung trog, es blieb grau und eisig. Um die Mittagszeit füllte sich das Gebiet der Stadt Ani, mehrere Reisebusse waren gekommen. Eine gute Zeit für Don Curry, um durchgefroren und erschöpft zu gehen. Kaum hatte er mit Insignia den Parkplatz verlassen, setzte strömender Regen ein.
In der Nähe von Ani haben sich in kleinen Dörfern noch andere armenische Kirchen und Klöster erhalten - das ganze Gebiet gehörte jahrhundertelang zum armenischen Kernland. Die besterhaltene wollte sich Don Curry noch ansehen. Er fand sie im Dorf Varavenk, umgeben von mehreren armseligen Höfen. Die Bewohner bemerkten Don Curry sofort, erwiderten seinen Gruß, blieben aber auf Abstand. Die Kirche zeigte tatsächlich einen erstaunlichen Erhaltungszustand, selbst das konische Dach war vollständig intakt Als Don Curry allerdings in den Innenraum schaute, flatterten zahlreiche Tauben erschreckt umher; ein großer Haufen Holz und andere Dinge füllten weite Teile der Fläche. Die Kirche war zum Schuppen verkommen...
Don Curry hatte nun keine Lust mehr, nach dem Schicksal weiterer Kirchen zu schauen. Als er nach Kars zurückfuhr, begann es zu schneien. Auch in der Stadt selbst breitete sich an manchen Stellen eine dünne Schneedecke aus. Don Curry nutzte seinen Fotoapparat für ein paar winterliche Fotos im Schneegestöber, damit er später diese abstruse Episode seiner Reise durch Anatolien beweisen konnte. Statt noch irgendetwas zu besichtigen, ging er mit schneefeuchtem Haar in eine Baklava-Patisserie. Die Tochter des Besitzers sprach sehr gutes Englisch und hatte sogar schon Berlin besucht. Sie erklärte Don Curry die Unterschiede zwischen den zahlreichen Baklava-Sorten und half ihm bei der Auswahl. Am Ende nahm er einen Karton mit 9 verschiedenen Baklavas mit, kochte sich im warmen Hotelzimmer einen Tee und setzte seine Erkundungsreise mit dem Gaumen fort.
Bei einem späten Spaziergang durch das dunkle Kars zeigte sich, dass der Schnee bereits wieder geschmolzen war. Statt der angeleuchteten Burg gab es heute zum Republiktag eine Lasershow, bei der eine riesenhafte Türkei-Flagge umherflatterte. Don Curry blieb nicht zu lange draußen, denn es war immer noch furchtbar kalt, winterkalt...