Veröffentlicht: 10.09.2023




















































Am 16.6. besuchte uns Lynn, sie hatte eine Mitfahrgelegenheit von Methven aus gefunden, wo sie bereits ihre Arbeit in einem Skihüttenimbiss begonnen hatte. Nachdem wir einen Parkplatz in Innenstadtnähe ergattert hatten, besuchten wir erstmal eine belebte Brauerei mit netter Livemusik. Wir tauschten uns über die Erlebnisse der letzten Monate aus und gingen schließlich in ein schickes vegetarisches Restaurant. Das Ambiente erinnerte an einen Hindutempel, Getränke gab es nur in alkhoholfrei und das Essen schmeckte ausgezeichnet, hätte aber etwas großzügiger portioniert sein können. Eigentlich hätte man ja auch mal wieder feiern gehen können, eine uns allen zusagende Veranstaltung zu finden stellte sich jedoch nicht als einfach heraus und besonders viel Elan verspürte Keiner von uns. Wir setzten uns lieber in einen bunt beleuchteten Biergarten neben einen Wärmestrahler und quatschten, zurück zuhause versuchten Lynn und ich uns an einer Runde Billard am überdimensionalen Tisch. Lynn schlief dann in der Einfahrt in unserem Van, vielleicht hätte Isabella auch eins der Schlafzimmer angeboten, ihre Mutter war jedoch dieses Wochenende zu Besuch und so war kein Platzt im Haus mehr. Am nächsten Morgen fuhren wir nach Brighton, ein ehemals hipper Stadtteil am Nordstrand Christchurchs, der mittlerweile ziemlich in Verfall geraten war. Wir spielten eine Runde Minigolf, welches im „Alice im Wunderland“ Stil dekoriert war. Die zweite Hälfte des Parcours befand sich in einem abgetrennten Bereich und war schwarzlichtbeleuchtet, an den Wänden erstrahlten farbenfrohe Kunstwerke, selbst unsere Golfbälle leuchteten. Wir gingen eine Runde am Strand spazieren, das Wetter zeigte sich leider nicht von seiner freundlichen Seite, aber es war schön, eine neue Ecke in Christchurch besser kennenzulernen. Lynn hatte eigentlich einen Autobesichtigungstermin organisiert gehabt, leider wurde der dann kurz vorher abgesagt. Wir stöberten in verschiedenen Secondhändläden und fuhren Lynn dann am frühen Abend durch einen minütlich dichter werdenden Nebel nach Methven zurück und verabschiedeten uns. Wir parkten den Van am Sportplatz und guckten uns noch die kleine Stadt an, bevor wir uns, dick in Decken eingepackt zum Schlafen niederlegten. Am nächsten Morgen sahen wir Eiskristalle auf der Wiese neben uns. Die Sonne machte nicht das Anschein, als würde sie sich lange blicken lassen, trotzdem wagten wir eine Wanderung durch den Rakaia Gorge, wo unser Gerutsche durch den Matsch mit grandiosen Ausblicken auf den Mount Hutt und einen unglaublich blauen Gletscherwasserfluss belohnt wurden. Als dann die Sonne doch ein paar Minuten länger blieb und sich die Luft gefühlt um 10 bis 15 Grad aufwärmte, fragte ich mich, warum um Himmels Willen ich meine dicke orange Flusenjacke angezogen hatte. Dieses Ungetüm von Jacke balancierte ich nun halb über meinem Kopf, um die nicht aus Versehen in den Matsch zu ditschen. Als wir dann allerdings wieder am Parkplatz ankamen, hatte ein ekelhaft kalter Nieselregen eingesetzt und wir begaben uns spontan in die gemütliche Brauerei mit dem Namen „The Laboratory“. Die komplette Inneneinrichtung war nach den Erdbeben 2011 aus allen möglichen beschädigten Gabäuden zusammengetragen und repariert worden. Das rote Backseinmauerwerk sah aus wie aus dem 19. Jahrhundert, war aber auch aus recyceltem Schutter errichtet. Tolles Ambiente mit klasse Bieren und organisiertem Antiquitätenladencharakter. Matze setzte mich dann bei meiner Probearbeit in einer Spielebar ab. Wie schon beim Gespräch wenige Tage zuvor war der Manager ein wenig eigenartig, der mich einweisende Mitarbeiter und die Köche machten einen netten Eindruck. Als ich nach dem Ende der zwei gesetzlich festgelegten Stunden das Angebot eines Rindfleischburgers ablehnte, wurde ich vom Manager ziemlich blöd angeguckt. Einen Tag später las ich zufällig einen veganerfeindlichen Kommentar zu einer Infoveranstaltung in der Gastroszene zu alternativen Ernährungsweisen. Super, ein klassischer „Tastaturkämpfer in sozialen Netzwerken“, so Jemanden wollte ich echt nicht als Vorgsetzten haben. Ich war ehrlich gesagt froh, dass ich keine Rückmeldung zu meiner Probeschicht bekam und auch nicht sonderlich überrascht. Wir verbrachten zunehmend mehr Zeit mit unserer französischen Mitwooferin Lea, die etwa zur selben Zeit wie wir in Neuseeland angefangen hatte, im Norden allerdings nicht so viel Glück mit dem Wetter gehabt hatte wie wir in Queenstown. Sie hatte ein Auto in den Flutkatastropfen eingebüßt, sie hatte es nur wenige Wochen gehabt. Zum Glück zahlte die Versicherung, Stress hatte sie trotzdem jede Menge und einige Tage saß sie ohne Strom und Internet fest. Wir gingen zusammen ins Kino, spielten, kochten und machten sogar einen Abend Glühwein. Nur wenige Tage später, als wir unser letzter Tag im Hause Britton angebrochen war, erhielt ich einen Anruf vom Manager des „The Thirsty Peacock“ Restaurants, dem ich weniger als eine Stunde zuvor eine Bewerbung geschickt hatte. Sonst hatte ich bisher so gut wie keine Antworten auf meine Bewerbungen erhalten, die Joblage war aufgrund der Jahreszeit nicht besonders vielversprechend. Lea hatte mich auf die Stellenausschreibung aufmerksam gemacht, sie war auch schon beim Jobinterview gewesen, es war jedoch recht offensichtlich gewesen, dass der Manager eine Kellnerin mit Erfahrung suchte und Niemanden in der Küche einstellen wollte, was eher Leas Interessengebiet war. In Frankreich hatte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, kochen gehörte aber zu ihren größten Leidenschaften. Während Matze ein Interview bei der „Two Thumb“ Brauerei hatte, stellte ich mich als im „The Thirsty Peacock“ vor, welches sich im selben Komplex wie die Kunstgallerie befand. Der Manager, Rahmneet, war offensichtlich Inder- wie auch alle anderen Kollegen, die ich zu Gesicht bekam-und trug einen Turban. Das folgende Jobinterview verdient definitv einen Platz in der Top 3 der komischsten und unkomfortabelsten seiner Art. Nach einem kurzen Mustern und Händedruck schweifte sein Blick immer wieder in Richtung der Überwachungskameras, die überall in Restaurant, Küche und Cafe verteilt waren, sodass ich mich fragte, ob er jede Sekunde einen Raubüberfall oder Terroranschlag erwartete. Angesichts der Fragen, die er mir stellte, war ich mir ziemlich sicher, dass er meine recht kurz und informativ gehaltene Bewerbung nicht gerade aufmerksam gelesen hatte. Die Art und Weise, wie er Fragen stellte, wirkte steif und einstudiert, als hätte er sie zuhause vorm Spiegel geübt. Ich versuchte mir meinen Irritiertheit nicht anmerken zu lassen und beantwortete alle Fragen geraderaus und ohne längeres Nachdenken. Nach 5 Minuten wurde ich verabschiedet und hatte absolut keine Idee, was ich von dieser Begegnung halten sollte. Als ich kurze Zeit darauf nach meinem Interesse an einem Probearbeiten gefragt wurde, hielt sich mein Enthusiasmus in Grenzen, ich beschloss jedoch, mir den Schuppen und die Kollegen erstmal anzusehen. Allein schon deshalb, weil ich bisher keine sinnvollen Alternativen gefunden hatten und wir inzwischen in einem nicht gerade günstigen Hostel wohnten. Es hatte durchaus eine Art morbiden Charme, da es sich bei dem Gebäude um ein ehemaliges Gefängnis handelte. Unsere beengte Zelle hatte nur ein recht kleines und hohes vergittertes Fenster, dagegen fühlte man sich im Treppenhaus des zweistöckigen Komplexes schon fast verloren, jedes Gespräch schallte von den Wänden wider. Gleich am nächsten Nachmittag hatte ich 17 Uhr Probearbeit, im Thirsty Peacock war gut Betrieb, eine Tagungsgruppe hatte ein Bankett gebucht. Ich sollte eigentlich erstmal nur Essen und Getränke verteilen, Ramneet merkte aber, dass ich die Abläufe schnell durchschaute und Erfahrung hatte. Ich half Navi, dem Besitzer, hinter der Bar beim Gläaser polieren und schenkte auch Getränke aus, das bisschen Nervosität das ich am Beginn noch verspürt hatte, war verflogen. Nach zwei Stunden fragte mich Navi, ob ich bleiben wollte, ich hätte den Job wenn ich ihn wöllte. Mit so einer schnellen Entscheidung hatte ich nicht gerechnet, aber ich nahm an, gleich diese Woche noch etwas das Konto aufstocken zu können versetzte mich in Hochstimmung. Als ich nach vier Stunden Arbeit dann gebeten wurde, in die Pause zu gehen, hatten mir die zwei netten indischen Köche unangekündigt eine großzügige Portion Essen hingestellt, in der Mitte des Tellers ein Steak... So mit der Tür ins Haus zu fallen hatte ich nicht geplant, aber irgendwann musste ich es ja eh sagen, alle Beilagen zu essen und das Schnitzel unauffällig zu entsorgen kam für mich ethisch nicht infrage. Ich lehnte das Angebot, etwas anderes gekocht zu bekommen ab, ich sah wie beschäftigt die Köche waren. Als ich kurz vor Mitternacht wieder im Hostel ankam, war ich ziemlich kaputt aber auch sehr zufrieden. Wir suchten nun intensiv nach einem neuen Heim, Matze auch nach einem Hauptjob, für die Brauerei suchten sie nur eine Wochenendunterstützung. Unser Van befand sich in der Werkstatt zur Antriebswellenreparatur und so brauchten wir Optionen, die man mit dem Fahrrad oder Bus erreichen konnte. Schließlich erhielt ich eine Nachricht von Adam, mit dem ich über eine Couchsurfing Facebookgruppe in Kontakt gekommen war. Er sei nun bald für ein paar Tage wieder in seinem Haus in Christchurch und konnte sich vorstellen, uns länger da wohnen zu lassen. Nicht gratis oder gegen Arbeit am Haus (da gab es nicht so wirklich was zu machen), aber gegen eine vergünstigte Miete. Er holte uns zwei Tage später netterweise am Hostel ab. Sein Haus befand sich etwas den Berg hoch Richtung Süden und bot eine tolle Aussicht auf die Stadt und die dahinter thronenden schneebedeckten Berge. Adams Hündin Sunny begrüßte uns mit großem Enthusiasmus und wir fühlten uns ziemlich wohl in dem schlichten aber gemütlichem Wohnbereich. Es gab eine Wärmepumpe und sogar einen Beamer mit Leinwand für gemütliche Filmeabende. Wir zogen bereits am nächsten Nachmittag ein, ich hatte gleich eine volle Arbeitswoche. Matze hatte sein erster Probearbeiten in der Brauerei einige Tage später und hatte auch bereits vor dem Wochenende eine Agentur für Arbeit auf dem Bau kontaktiert, die ihm in weniger als einem Tag einen Job organisiert hatte. Das plötzlich alles so glatt lief, motivierte uns ungemein, auch wenn wir leider nun zu sehr verschiedenen Zeiten arbeiteten. Am Sonntag wanderten wir entlang der schicken Villen am Hang und dichten Wald bis hoch zum „Sign of the Kiwi“, um unsere Französin Lea zu überraschen, die dort Samstags und Sonntags in der Küche arbeitete. Das nette Cafe aus lokalen Steinen thronte auf der Hügelkette, die zwischen unserem und Leas Woofingheim lag. Man hatte gradiose Ausblicke auf die Meeresbucht in die eine und Christchurch und die Berge auf der anderen Seite. Abends, wenn ich von der Arbeit kam, mein Fahrrad unten am Hang stehen und lief den steilen Kilometer bis zu unserem Zuhause. Der Bus fuhr da leider nach 20 Uhr nicht mehr hoch. Adam war nach nur 3 Tagen in Christchurch wieder weggefahren, er verbrachte seine Zeit gern mit campen, nach Gold suchen (anscheinend tatsächlich lohnenswert wenn man Erfahrung und Geduld mitbringt) und fischen. Er hatte eine Zweitwohnung in Nelson, in der er wohnte wenn er Zeit mit dem Sohn aus seiner vorherigen Beziehung verbrachte und viele Freunde, die dort lebten. Matze und ich hatten natürlich gar nichts dagegen, die Wohnung ganz für uns allein zu haben. Dafür 200 Dollar die Woche inklusive Strom und Wasser, das fand man als Paar in Christchurch eigentlich nicht. In unserem Zimmer gab es ein Doppelstockbett und ein Einzelbett, wir hatten ewig nicht getrennt geschlafen und fanden es beide zwar etwas schade, angesichts Matzes früher Aufstehzeiten passte es aber ganz gut. Am 29.6. sammelte Lea uns auf und wir fuhren nach Sumner Beach, von wo aus wir an der Promenande entlang und über einen Hügel in die nächste Bucht liefen. Überall blühten Büsche und Bäume und die Sonne strahlte. Wir tranken gemeinsam ein Bier und fuhren dann zu uns, wo wir den Abend mit leckerem Essen und Spielen ausklingen ließen. Die kommende Wochen arbeitete Matze viele Stunden auf dem Bau, im Schnitt um die 60, auch Samstags arbeitete er einige Stunden dort bevor er zu seiner Schicht in die Brauerei antrat. Nach zwei Wochen am Stück hatte er deshalb einige miese Verspannungen und bekam einen vergünstigten Termin (da er nun wieder Arbeitnehmer war) beim Osteopathen. Ich hatte Montags frei, was bedeutete dass ich Matze da auch erst ab dem frühen Abend sehen konnte, dafür konnte ich Zeit mit Lea verbringen. Wir machten gemeinsam mit Romane, einer spanischen Backpackerin, einen gemeinsamen Ausflug in die szenische Gegend um Castle Hill. Ich genoss es sehr, mal wieder Zeit mit gleichgeschlechtlichen Mitmenschen zu verbringen, die Mädels waren angenehm albern und ebenso detailverliebt und enthusiastisch wie ich. Es stellte für Adam kein Problem dar, wenn Lea mal mit bei uns im Zimmer übernachtete, was super für unsere gemeinsamen Spieleabende war. Bei mir auf Arbeit lief hatte es zwischendurch eine... nennen wir es „Meinungsverschiedenheit“ gegeben. Der Inhaber Navi hatte mich nach meiner vierten Schicht beiseite genommen und meinte, es sei bemerkenswert, wie schnell und effizient ich arbeitete und mich einbrachte. Aber ich sollte doch auch etwas mehr Augenmerk auf mein Äußeres legen... „ordentlich“ Make Up auflegen, also auch Eyeliner und „Sachen, die Frauen eben auflegen“. In der Situation hatten mir regelrecht die Worte gefehlt, ich hatte genickt und hatte weitergemacht, aber als ich am Tag danach frei hatte und mir diese Ansage durch den Kopf gehen ließ, ekelte sie mich gleichermaßen an, wie sie mich schockierte. Ich bin Jemand, der durchaus Wert auf sein Äußeres legt und fiese Pickel für Arbeit schon immer abgedeckt hat, meist aus Selbstzweifeln. Mir vorzuschreiben, soviel Make Up zu tragen wie ich sonst vermutlich nur zum Feiern gehen auf mein Gesicht kleistern würde, das ging mir zu weit. Also kam ich am folgenden Tag mit Beinen wie aus Wackelpudding auf Arbeit an, verrückt wie sehr mich das Ganze verunsicherte. Wenn ich deswegen gefeuert werden würde, dann war es eben so, ich musste mich als Mensch auf Arbeit gewertschätzt fühlen für meine Leistung, nicht mein Aussehen. Ich suchte das Gespräch mit Ramneet, Navi sah ich nirgends und darüber war ich ehrlich gesagt recht froh. Mir rollte während des Gesprächs eine Träne übers gesicht, die ich wütend wegwischte. Ich erklärte meinen Standpunkt, hielt Blickkontakt und machte deutlich, dass ich nicht bereit war mich dieser Forderung zu beugen und es für mich das Aus bedeutete wenn dies nicht akzeptiert wurde. Ramneet unterbrach mich nicht und schien ernsthaft zu versuchen, sich in meine Lage zu versetzen. Er wollte mich als Mitarbeiterein nicht wegen dieser Sache verlieren, ich solle mir keine Sorgen wegen Navi machen. Interessanterweise habe ich seitdem mit ihm einen stetig offeneren und direkteren Umgang entwickelt, ich hatte immer übermäßigen Respekt, teilweise sogar Angst, vor meinem Chef. Meist waren diese tatsächlich auch eher unangenehme Menschen (die Serviceleiterin, die mich während meiner Ausbildung im Radisson ständig auf dem Kieker hatte, ist da das Beste Beispiel) oder schlichtweg nie da und unnahbar. Mit Ramneet arbeitete ich jedoch direkt zusammen, unter der Woche waren wir meist die einzigen Servicemitarbeiter in der Spätschicht. Matze kam auf Arbeit auch mit Allen gut klar, besonders machten ihm natürlich die Samstagsschichten in der Brauerei Spaß. Nach einigen Wochen wechselte er die Baustelle wegen Planungsproblemen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er zum Glück bereits ein kleines und verlässliches Stadtauto organisiert, einen 1995er (dafür noch unter 200.000km) Nissan Pulsar. Hübsch sah es weiß Gott nicht aus aber wir hatten Hoffnung, es zum gleichen Preis Ende September wieder zu verkaufen. Die Antriebswelle für Transit hatten die Spezialisten nach knapp vier Wochen (man hatte uns ursprünglich zwei angegeben) endlich fertig, nach nur 2 Tagen herumfahren musste Matze sich und mir jedoch eingestehen, dass das Differenzial im Tee war. Also wieder ab in die Werkstatt, der Autoalbtraum schien nie zu enden. Nun konnte Matze mich zumindest mit dem Nissan nach Arbeit abholen, was mir ein steiles Stück Hang ersparte. Schon zum zweiten Mal hatte ich mich nun Samstags vor der Arbeit mit einer netten Truppe Menschen zum Brettspiele spielen getroffen. Wir hatten uns beide Male „Roots“ gewidmet, das echt Spaß machte und ich hatte leider wegen Arbeit noch nie bis zum Ende mitmachen können. Wir quatschten aber auch alle einfach zu gern, da zogen 2-3 Stunden wie im Flug vorbei. An einem Dienstag, an dem das Wetter grandios war aber niemand Zeit hatte, stieß ichzufällig auf ein kleines Communityzentrum mit Garten und kleinen Hütten, die einen Secondhandladen, ein Cafe und auch eine wöchentliche Brettspielveranstaltung beherbergte. Uns lief etwas die Zeit davon, 14 Uhr machte das Zentrum bereits dicht, aber ich lernte trotzdem in einer Stunde ein neues Spiel und verstand mich sehr gut mit Russell, einem gutmütigen Freiwilligenarbeiter in den 60ern, der das Ganze organisierte. Danach kam ich jede Woche zusammen mit Lea, es zählte definitiv zu den Highlights meiner Woche. Das Wetter war eigenwillig, an einem Tag saßen wir mittags bei strahlendem Sonnenschein im T Shirt auf der Terasse, am nächsten wehte ein sibirisch kalter Wind und ich musste mir meinen Schal umbinden. Wenige Tage später erwischte mich dann leider eine fette Erkältung, von der Matze zum Glück verschont blieb. Donnerstags hatten schon während der Arbeit Glieder- und Kopfschmerzen eingesetzt, am nächsten Tag blieb ich dann tatsächlich zuhause, so mies fühlte ich mich. Samstags hatte sich mein Zustand kein bisschen geändert, aber Ramneet fragte mich nach Hilfe, eine größere Gruppe hatte sich angekündigt. Obwohl es dämlich war, mit so einer Rotznase auf Arbeit zu kommen, warf ich mir einiges an Medikamenten ein und schleppte mich durch den Abend. Einige Male musste ich regelrecht vom Tisch flüchten, um Niemanden anzuniesen oder auf die Tischdecke zu tropfen. Für Sonntag hatte man erfolgreich eine Vertretung für mich organisiert, ich ruhte mich ausgiebig morgens an Matze gekuschelt aus. Gegen Mittag war mein Schnupfen fast vollständig erloschen und ich verspürte ungewohnte Motivationsschübe. Mit etwas schlechtem Gewissen (da hätte ich ja doch arbeiten gehen können?!), fuhr ich mit Matze raus in die Natur, wir liefen einen Weg entlang verschiedener Buchten entlang und genossen das unerwartet warme Wetter. Schließlich gönnten wir uns ein Kaltgetränk in einer Brauerei, es gab Livemusik und die Brauereikatze ließ sich nur zu gern von mir streicheln. Ab dem kommenden Dienstag kam Lea nun auch mit zur dienstäglichen Spieleveranstaltung mit Russell im Communityzentrum. Wir lernten neue Spiele und setzten uns anschließend in ein gemütliches veganes Cafe, wo ich mich auch ursprünglich beworben hatte... leider hatten sie zu dem Zeitpunkt keinen Bedarf für zusätzliches Personal. Lea hatte seit Kurzem einen „Freund mit Vorzügen“, einen koreanischen Kollegen in dem Burgerimbiss, in dem sie nun meist an 3-4 Tagen die Woche arbeitete. Matze und ich lernten ihn bei einem gemeinsamen Spiele- und Kochabend bei Lea kennen. Er wirkte sehr nett, die sprachliche Verständigung stellte allerdings ein echtes Hindernis dar. Zum ersten Mal bekamen wir auch Leas Gastgeberin Denise zu Gesicht, ein etwas kauzige aber sehr liebeswerte Frau. Es gab seit ein paar Tagen auch einen neuen Backpackerhelfer, Dax, der eine Geschlechtsumwandlung vollzogen hatte. Bei unserem ersten Kennenlernen in der großen Gruppe, wo wir auch Leas speziellen bot sich kein wirklich passender Moment für Fragen und tiefgründige Gespräche. Als wir eine Woche später jedoch einen Abend nur zu viert ohne Leas Kollegen verbrachten, redeten wir ausgiebig und wir bekamen interessante Einblicke. Matze war inzwischen wieder auf gleich mehreren anderen Kleinbaustellen beschäftigt, im Gegensatz zu seinem ersten Job im Stadium musste er deutlich weniger körperlich zermürbende Arbeit ausüben und stand manchmal auch einfach rum, um auf anderen Leute oder neue Ladungen Material zu warten. Im Thirsty Peacock gab es mal längere Tage, oft hatte ich aber schon gegen 21 Uhr Schluss, was nicht gut fürs Geschäft war aber gut für mich, da sah ich etwas mehr von Matze. An einem Samstag, als ich erst 15 Uhr anfing zu arbeiten, trafen wir uns mit den Leuten von meinen letzten beiden Brettspieltreffen, diesmal bei Jemandem zuhause. Wir unterhielten uns so viel, dass wir dann gar nicht so viel spielten, aber die Gruppe hatte eine gute Dynamik und es freute mich, dass Matze an dem Morgen frei hatte und mit dabei sein konnte. Es tat gut, offen mit Leuten zu reden, die hier auch schon länger waren und einige unser Kritikpunkte über die Mentalität und Abläufe hier in Neuseeland reden konnte, ohne dass sich Jemand persönlich angegriffen fühlte, keiner der Anwesenden kam ursprünglich von hier. Ich spielte seit langem auch mal wieder "Werwolf" und schockierte alle mit meinem Pokerface. Nüchtern kam ich an diesem Nachmittag nicht auf Arbeit an aber die Schicht verlief ohne besondere Vorkomnisse oder Fehler. An einem anderen Wochenendvormittag machten wir eine Rundwanderung bei „Godleys Head“, die Sonne strahlte und das Meer strahlte in Türkistönen. Überall in den Parks platzten Knospen auf, erst an den Osterflocken, Magnolien und Rhododendren, nun, gegen Mitte August, konnte man dann aber sogar erste Kirschblüten bewundern. In der letzten Augustwoche stand dann plötzlich schon mein Geburtstag vor der Tür, ich machte gleich am Montag eine kleine Tour mit Lea. Matze war mit dem Van auf Arbeit gefahren, also holte ich Lea mit unserem Nissan ab, sie fuhr mich ja sonst immer rum und hatte auch bereits häufig Extrastrecken in Kauf genommen um mich einzusammeln. Die Tanklampe hatte laut Matze am Vortag zu Leuchten begonnen, rechnerisch hatten wir aber noch locker 40 Kilometer Spielraum. Das ganze Bergauf- und Bergabgefahre Richtung Süden hatte wohl aber doch wesentlich mehr geschluckt denn nach unserem ersten Stop an einem Aussichtspunkt blieb das Auto dann tatsächlich liegen. Wir befanden uns zu dem Zeitpunkt an einer Montag mittags nur spärlich frequentierten Straße, wir hatten aber großes Glück dass bereits der zweite Mensch der uns am Straßenrand winken sah anhielt und einen Benzinkannister von der Ladefläche holte. Wir wollten natürlich nicht seinen Kannister aufbrauchen, also mussten wir dann erstmal noch an der nächsten Tankstelle halten. Das Auto hatte anscheinend seit dem Trockenlaufen eine Meise, immer wieder verlor es Geschwindigkeit ohne dass ich meinen Druck aufs Gaspedal verringerte. Ich dachte, das müsste wohl an der Pumpe liegen, der das Leerlaufen nicht so gut gefallen hatte, oder einfach an Luft im Tank. Wir machten in Little River eine kleine Wanderung entlang eines Hügelgrates und genossen ein Picknick in den warmen Strahlen der Nachmittagssonne. Um uns herum hörten wir nur Vogelgezwitscher, die Hauptstraße befand sich ein ganzes Stück den Berg runter. Als wir dann jedoch abfahrbereit waren, gab es ein böses Erwachen: Der Motor zündete nicht. Ich verfluchte mich, dass ich nicht auf mein etwas mulmiges Bauchgefühl gehört hatte und die Ausflugspläne vertagt hatte. Wie sollten wir hier denn nur wegkommen?? Ich versuchte, Matze zu erreichen, erfolglos. Ich hatte die Idee, dass wir das Auto vielleicht auch ohne Zündung vorsichtig den Berg herabrollen lassen konnten, dafür mussen wir aber erstmal wenden und das ging gerade/leicht bergauf. Wir allein schafften es nicht das Auto zu schieben und gleichzeitig einzulenken. Zu unserem großen Glück kam dann ein Mann mit einem Moped den Berg hoch, er rief seine Frau an, die mit einem Benzinkannister kam. Wir schafften es durch das Eingießen von Benzin direkt in den Verbrenner eine Zündung zu bekommen, nach wenigen Sekunden starb der Motor dann aber jedes Mal. Wir schafften es dann, durch gemeinsames Schieben, das Auto den Berg hinunter zu bugsieren, die letzten paar hundert Meter zum Haus unserer Retter wurden wir gezogen. Matze kam dann schließlich im Ford an und guckte sich das Auto an, nachdem er einige Verbindungen gelöst und gereinigt hatte, sprang der Motor dann auch irgendwie an, einer der Zylinder lief jedoch nicht. Wir schafften es bis kurz nach Leas Haus, dann mussten wir unseren bis dahin so zuverlässigen Zweitwagen am Straßenrand zurücklassen. Wir verbrachten dann doch noch einen schönen Abend mit Lea bei uns, sie übernachtete auch gleich, am nächsten Vormittag stand ja wieder der Spieletreff im Tiny Shops Village mit Russell an. Wir lernten wieder mal ein neues Spiel und nach einer Stunde kam Matze dann auch dazu, er hatte den Tag keine Arbeit, die Baustelle brauchte ihn erstmal nicht. Dafür hatte er die Gelegenheit gehabt, beim Barbierinstitut vorbeizuschauen und sich einen kostenlosen Haarschnitt geben zu lassen, das war ja sonst mit seinen Arbeitszeiten schwer vereinbar. Was finanziell eine kleine Einbuße darstellte, ermöglichte uns einen ungeplanten schönen Tag mit Sonnenschein und lieben Menschen zusammen. Am Ende der Woche stand dann mein Geburtstag schon vor der Tür, ich hatte den Tag frei und genoss einem entspannten Morgen allein mit meinem neuesten Buch aus der Bibliothek. Mittags sammelte mich Lea ein und wir fuhren zu einem Park mit großer Seenlandschaft und Buschland, wo wir spazieren gingen und zahlreiche Vögel beobachten konnten. Wir machten ein schönes Picknick mit leckerem Foccachia und Schokolandencriossants
