Ich habe entgegen ursprünglicher Plane beschlossen, einen Tag länger in Paihia zu bleiben und erst nachmittags nach Whangarei weiterzufahren. Denn ich will hier noch etwas unternehmen. Das hat zur Folge, dass mein Aufenthalt im nächsten Ort viel kürzer sein wird, als gedacht. Und da fangen sie an, die Stimmen in meinem Kopf:
Stimme 1:"Dann hast du da nur noch einen halben Tag!"
Stimme 2: 'Aber dafür kannst du hier das machen, was du noch willst!!!"
Stimme 1: "Und wenn ich dort dann was verpasse? Vielleicht ist da noch was Tolleres!"
Stimme 2: "Das weißt du doch gar nicht."
Stimme 1: "Doch ich bin nur einmal hier im Leben. Vielleicht wahrscheinlich möglicherweise. Wann kann ich wieder nach Neuseeland? Ich wollte doch diesen Wanderweg an der Küste..."
Stimme 3: "Ich wollte nur mal einwerfen, dass ich es für eine gute Idee halte, sich einfach mit 200g Schokolade und Chips im Hostel zu verkriechen. Just saying."
Stimme 2: "Dazu brauchst du ein Auto, du Dummkopf, und du hast keins."
Stimme 1: "Ich könnte trampen. Ich könnte jetzt doch den früheren Bus nehmen und trampen."
Stimme 2: "Du weißt ganz genau, dass du NIEMALS da hin trampen wirst!"
Stimme 3: "Spart euch die Mühe. Schokolade, 400g, JETZT! Und Banana Bread. Und diese Karamellkekse..."
Stimme 1: "Ja, aber wenn ich jetzt..."
Und was soll ich sagen. Irgendwie schaffe ich es, die Stimmen Stimmen sein zu lassen.
Ich bleibe in Paihia. Ich esse einen Käsemuffin in diesem kleinen Café, von dem ich gedacht habe, dass ich nicht mehr hinkommen kann und er ist fantastisch. Ich gehe gemeinsam mit Nat zu den Waitangi Treaty Grounds, lerne über die Geschichte Neuseelands und sehe eine Maori-Vorstellung - gemeinsam mit jemandem, mit dem ich die Erfahrung teilen kann, wie ich es mir die letzten Tage öfter gewünscht habe. Ich beobachte, wie dieses kulturhistorische Kanu zu Wasser gelassen wird, das passiert in einer großen Zeremonie genau einmal im Jahr - dieses Jahr ist es in dem Moment, in dem ich dort bin..Ich verfluche zum ersten Mal die Zeitverschiebung so richtig, weil ich mir heute um 15:49 Uhr so wünsche, jemanden anzurufen, weil ich mich allein fühle und es zu Hause mitten in der Nacht ist - erlaube mir aber dadurch einfach mit zuzugestehen, dass ich sehr sehr sehr müde von den letzten Tagen bin und schließe dadurch Frieden mit diesen Gefühlen. Ich probiere zwei Eissorten mit Schokolade, nehme dann doch das mit Zitronen-Käsekuchen-Geschmack und es ist wie der Muffin fantastisch. Ich komme Abends in Whangarei an und habe dadurch kein Problem, meine Tasche zwischenlagern zu müssen - außerdem kann ich so früh ins Bett, das das Aufstehen am nächsten Morgen leichter wird.
Ich bin zu den richtigen Zeitpunkten nicht am richtigen Ort, weil es egal ist, wie viele schöne Wanderwege um mich sind, wenn ich zu erschöpft bin. Weil es egal ist, wie viele Pub Crawls am Abend sind, weil mir eine Sprachnachricht von zu Hause viel wichtiger ist. Es ist egal, ob ich vier Stunden mehr oder weniger Zeit an diesem Ort habe, wenn ich eigentlich gerne wo anders wäre. Ich hab so viel verpasst auf meiner Reise, so viel nicht gemacht, so viel nicht gesehen. So viel. Und ich werde noch viel mehr verpassen. Zum Glück. Denn es geht nicht darum, alles zu haben, zu sehen, zu machen. Sondern zu verstehen, was richtig ist und wichtig in diesem Moment - für sich selbst - und dann dazu zu stehen. Denn das ist genug. Egal, wie sehr dir andere erzählen, dass du unbedingt den Te Whara Track laufen, das Brownie-Eis nehmen oder ein Eigenheim erwerben sollst. Manchmal passt es eben nicht für mich, beim Reisen und im Leben.
Ich will keine Angst mehr haben, "etwas" zu verpassen. Wenn dann ist nur eine Sorge berechtigt und ein Vorsatz wichtig: Ich will mich nicht mehr selbst verpassen. Also mehr Mut. Mehr Mut zum Verpassen! Weil man dadurch so viel mehr hat von sich selbst.