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Himmelfahrts-Schlüsselerlebnis

Veröffentlicht: 28.12.2023

Das diesjährige lange Himmelfahrtswochenende führt uns in den äußersten deutschen Nordwesten.
Wir lernen, dass das Ziel unserer kleinen Reise das Ammerland ist, in dem es unzählige Moore gibt, in denen noch Torf abgebaut wird. Daraus wird in der Hauptsache Blumenerde gewonnen, ein Grund dafür, dass in der Region rund 350 Baumschulen ihr Auskommen mit der Anzucht von Rhododendron haben. 90% aller in Deutschland gezogenen Büsche dieser Sorte stammen aus der Gegend.

Nun verwundert es auch nicht mehr, dass uns riesige Vertreter der Gattung an jeder Ecke und allerorten mit großen farbenprächtigen Blüten begegnen. Man kommt einfach nicht umhin, die Palette an Fülle, Kolorit und Vielfalt zu bestaunen.

Grund unseres Ausflugs in diese Ecke Niedersachsens ist jedoch - ihr werdet es schon geahnt haben - ein Flohmarkt. Natürlich nicht irgendein Flohmarkt, sondern der als längster Flohmarkt Deutschlands beworbene in Elisabethfehn. An einer gesperrten Anwohnerstrasse am gleichnamigen Kanal entlang werden auf etwa 10km Länge Stände jeglicher Couleur aufgebaut. Da wollen wir in diesem Jahr endlich mal hin!

Flohmarkt in Elisabethfehn

Wir sind auf Grund der immer noch frischen Nachttemperaturen mit dem Wohnwagen unterwegs und finden am späten Abend ein paar Kilometer außerorts einen prima Schlafplatz. Mit dem Fahrrad können wir die Strecke zum Schnäppchenglück am frühen Morgen gut bewältigen.
Die Sonne lacht vom blauen Himmel, man ist gut gelaunt und zur frühen Tageszeit hält sich das Gedränge noch in Grenzen.

Am Kanal

Wir sind bestens vorbereitet. Im kleinen Bollerwagen ist nicht nur Platz für diverse Schätze, auch Brause, Stulle, Picknickdecke und zur Feier des Tages sogar ein Piccolöchen für mich sind darin bequem zu transportieren. So können wir jederzeit eine Pause einlegen, denn zehn Kilometer Fußmarsch wollen schließlich bewältigt werden.

Schätze im Bollerwagen

Gegen Mittag müssen wir jedoch feststellen, dass die bummelnden
Menschenmassen mittlerweile so dicht gedrängt sind, dass ein Durchkommen an die Stände kaum möglich ist. Wir haben inzwischen etwa sechs Kilometer in den Waden und machen uns auf den Rückweg, denn die gleiche Strecke zurück zu den Rädern muss noch einmal gemeistert werden. Die Sonne hat die Luft erwärmt, wir haben Zeit und der Mittagsimbiss schmeckt direkt am Wasser des Kanals noch viel besser.

Elchsammlung

Nach etwa acht Stunden kommen wir geschafft, mit lahmen Füßen, aber gut gelaunt und sehr zufrieden wieder am Château an. Die Räder müssen wieder ins Auto und diverse neue Errungenschaften auch. Zappa kramt nach dem Autoschlüssel, was immer etwas länger dauert, denn der Mann von Welt hat nicht nur eine Hosentasche. Außerdem sind wir am kühlen Morgen mit mehreren Schichten Jacken und Pullis gestartet, die nach und nach im
Wägelchen gelandet sind. Auch hier gibt es nicht nur eine Möglichkeit, einen Schlüssel zu verstauen.
Zappa kramt. Zappa sucht. Zappa wühlt.
Langsam schleicht sich Ratlosigkeit in seinen Blick.
Er fahndet. Er prüft. Er durchforstet.
Vergeblich. Der Autoschlüssel bleibt verschwunden.

Am Windrad

Wir sortieren allen Kram aus dem Bollerwagen und aus den Rücksäcken vor uns auf die grüne Wiese und beginnen noch einmal ganz von vorn, in aller Ruhe und systematisch. Jede Tasche, jede Ecke, jedes Loch, jeder Beutel, jedwede Möglichkeit wird abgetastet, ausgeleert, abgesucht. Nichts!
Es lässt sich nunmehr nicht leugnen: der Schlüssel muss irgendwo
verloren gegangen sein. Glücklicher- und vor allem zufälligerweise habe ich dieses Mal den Caravanschlüssel nicht im Kangoo gelassen, sondern mir in die Rucksacktasche gesteckt und ihn nicht verloren. Das Château kann also geöffnet werden.
Ich erhalte nun die Order, die überall verteilten Sachen zusammenzuraufen, mich auszuruhen und den Helden zur Wiederbeschaffung des Schlüssels ziehen zu lassen.

Also bleibe ich im Wohnwagen und bemühe das Internet auf der Suche nach einer Möglichkeit zur Heimfahrt. Aus dem Nirgendwo ins Irgendwo zu gelangen, entwickelt sich zu einer größeren Herausforderung. Es gibt eine Zugverbindung von Oldenburg nach Börßum, kein Problem. Nur, der Bahnhof in Oldenburg ist etwa 35km von uns entfernt. Eine Busverbindung existert vom nächsten Ort, doch nur zu Schulzeiten. Wir haben einen Brückentag vor uns. Und bei den Preisen kann nur eine/r von uns fahren - aber zuerst mit dem Rad nach Oldenburg.
Außerdem müssten wir vom Börßumer Bahnhof eingesammelt werden, was aber das kleinste Problem darstellen sollte.
In Anbetracht der Tatsache, dass jegliche Stromversorgung für Handy und Co im Kangoo verschlossen ist, mache ich mein Telefon aus und versuche, mich zu entspannen!

Huntloser Moor

Nach scheinbar endlos dahintröpfelnden vielen einsamen Stunden, in denen ich mich in keiner Weise auf meine Literatur konzentrieren kann, sehe ich im einsetzenden Dämmerlicht den Helden auf seinem Fahrrad zurückkehren.
Seine Miene spricht Bände: Ergebnis-, Erfolg-, Mutlosigkeit. Kein Schlüssel aufzutreiben. Er ist die sechs Kilometer ein zweites Mal gelaufen und noch ein Stückchen weiter. Und dann während des Flohmarktabbaus den Weg geradelt, hat Bäume, Sträucher und Zäune nach aufgehängten Schlüsseln abgesucht, Menschen gefragt und Ordner gelöchert - nichts! Es ist nicht zu fassen.

Maikäfer

Doch eine Lösung muss her. Wir wollen nicht bis ans Ende aller Tage unter dem Windrad im Ammerland bleiben, wir haben schließlich noch was vor!
Zappa ruft zunächst bei der Nachbarin an und schickt sie daheim auf die Suche nach dem zweiten Schlüssel. Der ist zum Glück schnell aufgestöbert und an einem sicheren Geheimversteck deponiert.
Mit Rettungsingenieur Thomas hat der Held unterwegs schon telefoniert und der hat letztendlich auch die geniale Idee: er holt am nächsten Morgen die Ware aus dem Hochsicherheitsdepot und schickt sie uns per Express an den nächsten DHL-Shop, der nur einen Katzensprung von uns entfernt ist.
So beruhigt können wir nun einschlafen.

Hünengrab

Wir werden von Treckergerumpel geweckt und nutzen die frühe Morgenstunde, um nach Elisabethfehn zu radeln und die genaue Adresse des kleinen Tante-Emma-Ladens mit Paketshop zu erfragen. Dann nehmen wir ein weiteres Mal die Flohmarktmeile in Angriff, zwei Augenpaare sehen mehr. Doch auch heute ist kein Schlüsselbund zu entdecken. Auch ein Anruf bei der örtlichen Polizei bringt keinen Erfolg.

Ginsterblüte

Also fahren wir zurück zum Caravan. Mein Allerwertester ist mittlerweile dermaßen von dem sportlich-unbequemen Sattel des flotten Bikes in Mitleidenschaft gezogen, dass ich keinen weiteren Meter darauf sitzen bleiben kann.
Wir platzieren uns also im Schatten des Wohnwagens auf weichen Kissen im Gras, denn die Campingstühle sind auch im Kangoo geblieben und lassen den Tag an uns vorüber ziehen. Handybenutzung ist strikt verboten, die Akkus neigen sich dem Leerzustand, Aufladen geht nur im Auto und was ist, wenn doch noch was schiefgeht?

Also guckt Zappa Löcher in die Luft, eine Kunst, die er zur Perfektion gebracht hat.
Ich zähle die Umdrehungen der Windräder. Wird schnell langweilig.
Dann die Krähen auf dem Acker. Geht nicht, die fliegen dauernd durcheinander. Ist wie Fische im Aquarium zählen.
Dann hab ich aber die Lösung: Trecker zählen! Unglaublich, wie viele davon auf dieser Landstraße unterwegs sind.

 
Mindestens jedes dritte Fahrzeug ist ein Trecker! Und in allen Größen, Farben und Formen. Es gibt Fendt, John Deere, New Holland, Deutz, Claas, Lanz und ich glaube, einen Hanomag hab ich auch gesehen. Alle sind rie-sen-groß. Ein eindeutiger Unterschied zu Hessen beispielsweise, wo man oft kleine alte Männer auf ebenso kleinen alten Traktoren sitzen sieht.

 
Hier im hohen Norwesten sind die Fahrer und auch Fahrerinnen sehr jung und haben große kraftstrotzende Dieselfresser unterm Hintern. Ich schätze den Jüngsten auf höchstens 12 Jahre. Scheinbar wird der Nachwuchs frühzeitig an die Landwirtschaft gebunden. Oder die Vielfalt an anderen Vergnügungen lässt zu wünschen übrig.
Auf jeden Fall staune ich. Wie es zu Ottos Witz kam, können wir uns nun auch erklären. Überall wird Trecker gefahrn!

So zieht auch dieser Tag an uns vorbei und am Samstagmorgen radeln wir ein weiteres Mal nach Elisabethfehn. Rettungsthomas versichert uns, dass das Päckchen bis 9:00 Uhr am Morgen bei Tante Emma geliefert sein soll. Also freuen wir uns drauf, bei ihr noch ein Croissant fürs Frühstück kaufen zu können.
Doch als wir um 9:20 Uhr im Lüttje Laden ankommen, hat Tante Emma keine Lieferung für uns: "Nö, da wor nix dabei, vielleicht heute Nachmittach?"

 
Ich versuche, nicht panisch zu werden. Wenn heute Nachmittag nix dabei ist, kommen wir frühestens am Montag hier weg. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich noch zwei weitere Tage meine gute Laune beim Treckerzählen behalte.


Zappa ruft noch mal beim Rettungsingenieur an, der in der Sendungsverfolgung schon gesehen hat, dass die Ware noch nicht eingetroffen ist. Ich beobachte derweil rote, blaue und grüne Riesentrecker, die krachend an uns vorbeidonnern. An dieser Straße erweitern gigantische Güllebomber das Verkehrsaufkommen.

Huntloser Moor

Während die Jungs noch telefonieren entdecke ich eine neue Farbe auf der gut befahrenen Piste. Ich sehe gelb! Hurra - ich sehe ein gelbes Fahrzeug und es handelt sich weder um Traktor, noch um Gülle-LKW, es ist der Postmann! Und das wunderbar gelbe Auto hält vor dem Lüttje Laden. Ein wunderbar gelb gekleideter Mann steigt aus und bringt ein wunderbar kleines Päckchen zu Tante Emma, das unfassbar viel Geld gekostet hat. Aber lange nicht so teuer war, wie die Zugfahrt nach Börßum.


Frau Lüttje bringt uns das kostbare Gut sogar nach draußen auf den Bordstein, denn die Helden telefonieren immer noch und ich kann ihr nebenbei unser kleines Abenteuer erzählen. Aber der junge Mann muss noch seinen Ausweis zeigen, Ordnung muss ja schließlich sein!

Das ist nicht die Visbeker Braut - oder?

Wir radeln zu unserem Mobilhome zurück. Das ganz große Glücksgefühl stellt sich noch nicht ein. Der zweite Autoschlüssel funktioniert nämlich nicht mehr hundertprozentig und die endgültige Weiterreise ist noch nicht gesichert.
Zum Glück enthält der Klicker noch eine Batterie und so kann der Wagen über die Zentralverriegelung schon aufgeschlossen werden und das erste Telefon ans Ladegerät. Nun muss der Schlüssel auch ins Schloß. Das ist jetzt noch mal eine sehr kribblige Situation: geht er rein oder geht er nicht rein? Rappel, wackel, klapper, klicker, schwitz - jetzt! Der Schlüssel ist im Schloß! Herrje!

Am Windrad...

Nun bleibt nur noch ein klitzekleines Problemchen zu lösen: wir müssen tanken. Voller Optimismus haben wir bei der Anreise den leeren Dieselvorrat auf die Rückfahrt vertagt. Der zweite Schlüssel schließt das Tankschloß nicht mehr auf, außerdem steckt der jetzt im Zündschloß und wird da nie-nie-nie mehr rausgezogen. Weil wer weiß, ob er jemals wieder reinpasst?


Aber Zappa hat natürlich eine Lösung: mittels Schraubenzieher knackt er das Tankschloß, ratz-fatz ist der Deckel ab, ohne Wenn und Aber. Jetzt können wir nach Hause fahren.

Geknacktes Tankschloß

Und der Schlüssel? Vielleicht haben wir ja Glück und ein trunkener Vatertagsfeiernder findet ihn Wochen später in seiner Hosentasche und bringt ihn ins Fundbüro...

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