Veröffentlicht: 03.01.2023
Mit dem deutschen Winteranfang hat hier der Sommer den Frühling abgelöst und tatsächlich auch die Sonne den Regen. So hat sich mein Bewegungsradius mit anhaltendem Sonnenschein um einiges erweitert.
Es war teilweise gar nicht so einfach sich frei zu fühlen, da die Menschen hier alles einzäunen was einzuzäunen geht. Eigentlich sollte ich ja als geborener Ostdeutscher Grenzen, Zäune, Stacheldraht und Mauern nur zu gut kennen und es sollte ein Gefühl von Heimat hervorrufen, aber irgendwie habe ich mich selten so begrenzt gefühlt wie hier. Doch als Ostdeutscher liegt es wohl auch in meinen Genen hinter abgegrenztes Gebiet zu blicken und den Grund und Boden weniger dem Privaten als dem Gemeinschaftlichen anzusehen. Eigentlich hatte ich mir zwar nach der letzten unangenehmen Begegnung mit dem Schäfer vorgenommen immer anständig um Durchgangserlaubnis zu bitten, aber wenn plötzlich mitten im Wald ein Zaun steht und weit und breit kein Schäfer und andere sichtbare Eigentümer, beugte sich mein Gelübde meiner Neugier.
Einmal wurde es gruselig, nach dem ich einen Zaun überwand, auf dem unteranderen geschrieben stand, dass der Eigentümer sogar bei unbefugten betreten auf Hunde schießen möchte. Zum Glück war ich keiner. Nach circa einem Kilometer standen plötzlich 5 verlassene alte Campervans noch mit Equipment bestückt am Wegesrand mitten im Nirgendwo. War ich auf die Spur eines Serienmörders geraten, welcher was gegen Backpacker hat? Ich malte mir bunteste Bilder im Kopf aus, schüttelte mich aber einmal kräftig und lief weiter. Und nochmal circa einen Kilometer weiter hörte ich seltsame Geräusche. Ich näherte mich, doch zum Glück gab es eine Weggabelung, wodurch ich nicht direkt zu dem Haus, aus welchem die Geräusche entsprangen, sondern daran vorbeilaufen konnte. Zunächst dachte ich, dass jemand laute Diskomusik hört. Mit verringerter Distanz zu dem Haus wurden die Töne klarer und es war eher ein eintöniges Trommeln und erinnerte mich an eine Zeremonie. Kurz kam mir der Gedanke mal nach dem Rechten zu schauen. Diesen verwarf ich schnell aufgrund von mangelndem Mut, zu geringen Beistand, meiner daheimgebliebenen und akribisch gesammelten Detektivausrüstung von Mickymausheften aus vergangenen Zeiten und zu wenigen Sherlock Holmes-Filmen die ich geschaut habe. Auf dem Rückweg lief ich dann aufgrund meiner ostdeutschen Gene mit erhöhter Vorsicht vor Selbstschussanlagen leicht staksend und immer wieder im Zick Zack um möglichen Scharfschützen kein einfaches Ziel zu sein. Im Zentrum angekommen, erzählte ich es gleich den dort Lebenden. Keiner kannte das Waldgebiet und Tony belächelte meine Gedanken. Auch Susi nahm mich da weniger ernst, weshalb ich es auch versuchte zu vergessen und meine misstrauischen Kognitionen in menschenfreundlichere zu transformieren, in dem ich mir einredete, dass es sich wohl einfach um einen Autohändler mit wenig wirtschaftlichen Geschick handelte… wobei es mir beim Schreiben nun doch wieder etwas unter den Fingernägeln juckt.
An einem anderen Tag traf ich in einem anderen Wald an einer Kreuzung ein Ehepaar. Geradeaus ging es zu einem Strand und rechts auf einen Berg. Mich ziehen Berge an, weswegen ich mich für rechts entschied. Sie fragten mich dann, wo ich hinwolle und ich erklärte ihnen, dass ich einfach etwas die Gegend erkunden will. Sie meinten, dass rechts eine Sackgasse sei und man nur auf den Berg kommt. Ich meinte: Perfekt, sowas suche ich. Dann erläuterten sie mir, dass es privat sei und ich doch geradeaus laufen soll. Ich willigte ein und kam dann paar Tage später nochmal zurück und lief auf den durch KEINEN Zaun abgesperrten Berg nach oben und hatte eine wunderbare Aussicht… unteranderem auf einen bezaubernden Strand, den ich auf keiner Karte bisher gesehen habe. Irgendwie zeigt google nämlich hier viele Gebiete nur schattiert an, wo man nichts richtig erkennt. Mir wurde erklärt, dass das wohl Privateigentum sei und google dafür die Rechte fehlen diese Gebiete detailliert anzuzeigen. Naja, so wusste ich dann auch, wo ich das nächste Mal hinlaufen werde. Dafür musste ich dann wieder eine Absperrung überwinden, was sich aber mächtig gelohnt hatte. Ich kam an einen wirklich paradiesischen Strand mit türkisklarem Wasser und Schäfchen, die direkt am Strand grasten… Ich wünschte mir kurzzeitig Schaf zu sein. Ich ging baden, machte es mir gemütlich und genoss meinen neuen Lieblingsplatz. Als ich dann wieder gehen wollte, kam plötzlich ein Mann auf einem Quad auf mich zugefahren. Es war der Strandsheriff und war wenig begeistert von meinem Besuch. Er meinte - wie unerwartet - er sei privat. Ich entschuldigte mich und fragte, wen ich um Erlaubnis fragen könnte. Dieses riesige Grundstück gehört wohl einem wohlhabenden Mann aus Auckland, welcher mit den Helicopter immer mal zum Urlaubmachen rüber fliegt. Am Ende zeigte er sich versöhnlich und wir verabschiedeten uns freundlich. Dooferweise hatte ich in der Aufregung vergessen nach der Nummer des wohlhabenden Mannes zu fragen. Ich erzählte die Geschichte mit dem Strand dem hier ansässigen Koch, welcher hier während der Retreats für die Gäste kocht. Er sagte zu mir, dass er diesen Strand nicht kenne und nicht wüsste wen ich um Erlaubnis fragen könnte. Circa 10 Tage später erzählte ich ihm, dass ich nun einfach nochmal hingehe, den Zaun überquere und vor Ort jemanden Suche um für Erlaubnis zu bitten. Plötzlich bot er mir Hilfe an und besorgte die Nummer des Inhabers. Zudem erzählte er mir, dass die nett seien und er schon häufig dort gewesen sei… er hatte unser Gespräch vor 10 Tagen vergessen. Ich schrieb dem Besitzer und er lehnte ab. Ich fügte mich meinem Schicksal, aber irgendwie war das für mich alles ziemlich suspekt.
Was ich jetzt auf jeden Fall wieder mehr zu schätzen weiß, ist dass man beispielsweise in Österreich oder in der Schweiz auch Wege benutzen darf, die mitten in einer abgezäunten Koppel liegen oder dass es in Deutschland keine Wege gibt, wo kein Durchgang gewährt wird. Schon verrückt der Mensch, wie er einfach mal nen riesiges Stück Land auf unserer Mutter Erde aufgrund seines ökonomischen Status für sein Eigen erklären kann. Ich habe auch mal nen Vortrag von einem Wissenschaftler gehört, der erforschen wollte seit wann es Kriege und Gewalt gibt zwischen den Menschen. Sein Ergebnis war, dass sich die Gewalt und Aggression unter den Menschen entwickelte, nachdem sie sesshaft geworden sind und begannen Land zu besetzen und zu beschlagnahmen. Ich kann dieses Ergebnis nun mehr nachvollziehen als je zuvor =).
Aber da gerade Wut und Aggression im Buddhismus eines der Gründe für ein negatives Karma als auch für gesundheitliche Beschwerden sind, holte ich dreimal tief Luft und blies die Wut und den Ärger aus meinem rechten Nasenloch, während ich Mitgefühl und liebende Güte durchs linke Nasenloch inhalierte. Vielleicht schnaufte ich auch fünfmal durch, bis sich mein Gemüt wieder beruhigte.
Wobei ich da auch schon zu meiner nächsten ungläubigen Erfahrung komme. Über die Feiertage waren hier immer mal wieder Puja’s mit Opfergaben. Bei den Opfergaben handelt es sich um unterschiedliches Essen, welches von Mitgliedern gespendet/geopfert und am Ende der Puja unter den Teilnehmenden aufgeteilt wird. Und diese Opfergaben waren stückweise mein einziger Lichtblick und Motivator bei so einer Puja, bei denen ich teils 2h ganz gehorsam den tibetischen Gesängen und den englischen highspeed Lesungen folgte. Dabei erklärte sich jeweils eine Dame dafür bereit, die Opfergaben zum Ende hin der Puja in kleine Tüten für die Teilnehmer aufzuteilen. Man durfte dann sogar schon am Ende immer mal kosten, was mir sehr gefiel. Beim Aufräumen des Raumes am Ende, konnte ich dann auch tiefere Einblicke in die Tüten der anderen Teilnehmer erhaschen. Und so entdeckte ich in der Tüte der gnädigen Dame leckere Lindorkugeln von Lindt, Nussriegel und andere Leckerein, während ich mich hauptsächlich mit trockenen Keksen und Obst zufriedengeben musste. War nicht Gier eine der Totsünden? Und Gerechtigkeit wurde mir im Christentum auch anders geschult. So hat sich dann plötzlich mein ganzes zuletzt erlesenes buddhistisches Weltbild wieder etwas relativiert und mich daran erinnert, dass Theorie von der Praxis abweichen kann. Zudem musste ich an ein Zitat von meinem Ausbildungsleiter aus Würzburg denken. Dieser hatte bei der Empfangsrede der neuen Auszubildenden für die Psychotherapie damals mit der doch sehr menschenverachtenden Aussage: „Der Mensch ist ein Ratz“ eine gute Kollegin und Freundin und mich immer wieder an seiner Professionalität und Menschlichkeit zweifeln lassen. Ist der Mensch ein Ratz? Ich schnaufte dann 3mal tief durch, blies die negativen Gedanken raus, atmete Mitgefühl ein und transformierte abermals mein Mindset: So hat sie wohl nur im Sinne der anderen gehandelt, sich aufgeopfert, da sie davon ausging, dass die Lindorkugeln keiner mag und dazu noch ungesund sind.
Wohl sehr schön in Erinnerung hingegen wird ein Ausflug mit dem Fahrrad von Kara bleiben, welches sie mir geliehen hat. Ich hatte ein Tag frei und habe die Spitze von Coromandel umradelt. Und vor Schönheit der Landschaft ist mir mehrfach der Atem weggeblieben und mein Herzchen hat Purzelbäume geschlagen. Jede Anstrengung nach einem Berg wurde direkt mit einer bezaubernden Aussicht belohnt. So bin ich zunächst über einen Hügel zur Westseite gefahren und dort über Port Charlson, vorbei an der Sandybay und der Stonybay zum Fletschers Beach, wo ich mir erstmal ne Abkühlung gegönnt habe. Dann ging es weiter nach Port Jackson, was ebenfalls ein wunderschöner Strand ist, an dem gerade viele Urlauber zur Weihnachtszeit ihre Ruhe suchten. Zurück ging es dann auf einem Schotterweg direkt an der Küste, welcher zwischen den Koppeln mit Kühen und Schaffen und dem glasklaren und türkisfarbenen Meer entlangführte.
In solchen Momenten bereue ich es immer mal wieder meine Kamera nicht mitgenommen zu haben, da ich mit dem Handy dann doch nicht die Bilder so gut einfangen kann. Ein anderer Moment, wo ich es auch bereue, ist in der Nacht. Mittlerweile springe ich, ohne den Drang auf Toilette zu müssen in der Nacht auf, um den wahnsinnig klaren und schönen Sternhimmel zu bestaunen… den ich nun wohl ohne Kamera irgendwie versuchen muss so in meinem Hinterstübchen abzuspeichern.
Weihnachten hat Susi Sanne und mich mit zu ihrer alten Community genommen, welche direkt an der Sandy Bay liegt. Es war nett, aber unspektakulär. Sie machten Potluck, bei dem jeder etwas Essen vorbereitet und dann als Buffet alles angeboten wurden. Die Koch- und Backkünste der Anwesenden sind nicht der Rede wert, aber es machte satt und ich war dankbar für die Gastfreundlichkeit. Highlight waren für mich die gerade vor 4 Tagen geschlüpften Kücken, welche enorm zutraulich und lieb waren und sogar in meiner Hand einschliefen. Susi erzählte uns dann noch viel über die gesamten Communities, welche hier an der Spitze von Coromandel existieren. So gibt es eine Musikercommunity in Coville, das buddhistische Zentrum, welches auch eine Art Community ist, eine Künstlercommunity an der Ostseite, eine Community, welche als Regel hat, dass es keine gibt. Diese soll wohl eher die Hippie- und Drogencommunity sein und dann eben die, bei denen wir Weihnachten verbrachten, welche ohne sonderliche Spezifikationen ist. An Weihnachten erinnerte mich hier ansonsten nichts. Ich versuchte es noch durch Plätzchen etwas weihnachtlicher zu gestalten. So habe ich ein Teil meines Kilos Erdnussbutter zu Keksen verbacken. Meine Idee war dabei es einerseits weihnachtlicher zu gestalten (das sind nämlich meine Lieblingsweihnachtsplätzchen meiner Mutsch) und anderseits eine Stimuluskontrolle für meine Affinität zu dieser Köstlichkeit zu betreiben. Beides hat nur so halb funktioniert. Die Plätzchen waren noch vor Weihnachten vergriffen und Susi kam 3 Tage später mit 4 neuen 1Kilogläsern Erdnussbutter an (Hab jetzt ne Skillliste 😉).
Die Silvesternacht habe ich hier im Tiefschlaf verbracht, wie die anderen hier auch.
Und so neigt sich langsam die Zeit hier dem Ende zu und ab dem 7.1. habe ich dann eine neue Bleibe in Gisborne, circa 500km weiter südlich auf der Ostseite direkt am Strand. Dort werde ich wieder etwas Gartenarbeit für Logie und Speisen verrichten und wollte mich in meiner Freizeit etwas dem Surfen widmen. Zudem ist in dieser Region die Maori-Kultur stärker vertreten als in anderen teilen des Landes und hoffe, dass ich mit dieser auch noch mehr in Kontakt komme und vertrauter werde.
Irgendwie nun ein komisches Gefühl nach so langer Zeit sich wieder loszureißen und sich auf den Weg in eine gewisse Ungewissheit zu machen. Meine Komfortzone sagt mir, bleib hier, dir geht’s gut. Du hast alles und kannst dich doch entspannen. Aber der Bereich hinter der Komfortzone, auch Lernzone genannt, saugt mich ebenfalls an und ich bin gespannt, was mich dann so erwartet… alles eine Frage der Stimmung und des Gedankenkarussells, welches ich versuche zu zähmen und zu bändigen.
Ich wünsche Euch ein frohes und Gesundes neues Jahr mit ganz vielen Momenten der Glückseligkeit.