Veröffentlicht: 18.12.2022
Das buddhistische Zentrum ist von der Lage her das absolute Träumchen. Eingebettet zwischen geschwungenen Hügeln, saftigen Wiesen, rauschenden Bächen, unweit vom Meer, neben grasenden Kühen und mähenden Schafen, fröhlich zwitschernden Vögeln, bunt blühenden Blümchen und zuletzt grölenden Motorsägen erstreckt sich das Anwesen der buddhistischen Glaubensgemeinde. Ich lebe hier mit dem Mönch Tony, Managerin Susi, Gärtnerin Kara, Volontärin Sanne, Katze Bohdi und einer Nonne in Vorruhestand, deren Name ich mir nicht merken kann zusammen. Zudem kommen immer mal noch andere Angestellte und freiwillige Helfer vorbei, die hier hin und wieder mal aushelfen und mitarbeiten.
Tony ist gebürtiger Australier, gelernter Psychiatriekrankenpfleger, der in seiner Jugend mit Alkohol und Drogen über die Strenge schlug, immer wieder Probleme in Beziehungen hatte und somit zerfressen von Zweifeln war. Dann machte er eine Reise nach Nepal und Indien, wo er jeweils in buddhistischen Klöstern lebte, eine bessere Balance mit sich selbst fand und fortan sich dafür entschied Mönch zu werden. Susi, wie auch ihre Vorgängern Helen, welche sich vor 4 Tagen nach über 5 Jahren im Zentrum verabschiedet, ist gelernte Lehrerin und war unzufrieden mit dem System und dem Druck in der Schule und suchte dann hier eine neue Herausforderung. Kara ist Tätowieren und kommt ebenfalls aus Australien, Bohdi eine 22 Jahre alte Katze, die noch immer nen ganz vitalen Eindruck macht und Sanne eine junge Niederländerin, welche nach ihrem Psychologiestudium nicht so richtig weiter weiß, meine tägliche Kollegin, welche mit ihrem perfekten amerikanischen englisch und ihrem freundlichen Wesen mir eine wunderbare Lehrerin ist und ne unglaubliche Quasselstrippe, die wenn sie nicht mir oder Bohdi die Ohren leicht blutig quasselt, sich auch gut und gern mit sich selbst unterhält.
Ich stehe hier morgens meist mit dem ersten Tageslicht auf, mache gemütlich Frühstück, lese etwas und nehme 8:30Uhr an der geführten Meditation in der Gompa, dem Meditations- und Andachtsraum, teil. Circa 9 beginnt dann die Arbeit, 12:30Uhr essen wir alle gemeinsam zu Mittag und gegen halb 3 ist dann Feierabend. Je nach Wetterlage exploriere ich hier etwas die Umgebung oder widme mich den Büchern der Bibliothek, wo mich vor allem die Kinderbücher mit buddhistischen Märchen und Geschichten in ihren Bann gezogen haben=). Abends gibt es dann noch etwas zu essen, bevor ich meine Augen mit den letzten Sonnenstrahlen gegen um 9 schließe.
Das Center ist ansonsten eine Art Herberge für Touristen und Veranstaltungsort für Retreats, welche alle 2-3 Wochen stattfinden und zu denen Menschen aus ganz Neuseeland kommen. So kam ich direkt nach 3 Tagen in den Genuss ein Retreat mitzuerleben, bei dem das Thema „loving kindness“ – liebende Güte – war. Es ging drei Tage und hatte 13Teilnehmer, welche hier auf dem Grundstück in unterschiedlichen Hütten und Wohnungen untergebracht wurden. Aufgabe für mich war es bei den Mahlzeiten etwas zu helfen und immer mal wieder für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. Und das coole war, dass es so wenig zu tun gab, dass ich an fast allen Veranstaltungen teilnehmen konnte. So wurde da viel meditiert, im Sitzen als auch gehend und die Teilnehmer sollten versuchen zu schweigen oder wie Ronnek es kurz und präzise zu sagen pflegt: einfach mal die Schnauze halten. Bei den Meditationen ging es darum sein Herz zu öffnen, Gefühle zuzulassen und Mitgefühl und Güte gegenüber sich, seiner Familie, Freunden, anderen Menschen und auch weniger wohlgesonneneren Menschen zu kultivieren. Zudem hat sie Qi-Gong Übungen gemacht. Bisher war das für mich ne kleine Blackbox, jedoch war ich positiv überrascht von den Übungen. Man versucht durch klopfen in der Brustgegend das Herz zu öffnen und somit die Energie mehr in den Fluss zu bekommen. Folgend macht man dann schwungvolle und leicht rhythmische Bewegungen mit dem Oberkörper, bei dem man mit seinen Händen die Energie aus der Umgebung einfängt und zum Herzen führt. Anfangs etwas befremdlich und bizarr, aber wenn man sich dann mal drauf einlassen konnte, irgendwie spannend. Wohl eine Praxis, welche durch Kraft der Gedanken ihre Wirkung entfaltet. So erzählte sie Geschichten von Menschen, die im Krankenhaus, als sie am Bett gefesselt und medizinisch austherapiert waren, die Übung imaginativ durchführten und dadurch Heilung erlangen konnten. Am Ende wurde dann das Schweigen wieder gebrochen und Freiwillige durften von ihren Erfahrungen sprechen. Am berührendsten waren die Worte einer älteren Dame. Sie brach schon bei den ersten Worten in Tränen aus und zeigte sich sehr dankbar, da die seit Monaten plagenden Schmerzen im Herzbereich, die nach dem Tod ihres Mannes auftraten, an dem Wochenende plötzlich verschwanden. Sie berichtete davon, dass sie so viel weinen musste wie lang nicht mehr. Vielleicht wurden durch die unterschiedlichen Interventionen Blockaden gelöst, die eben festsitzende Gefühle, also die Energie, freisetzte. Das Feedback der anderen Teilnehmer war ebenfalls durchweg positiv.
Nach dem Retreat bestand dann die Hauptaufgabe für Sanne und mich wieder für Ordnung zu sorgen: die Zimmer zu putzen, Wäsche zu waschen und bestimmt Teile zu bügeln. Aber alles in einem sehr entspannten und erträglichen Tempo.
Ansonsten waren die Tage wenig von Sonnenschein geprägt und die Einheimischen sprechen hier von dem regenreichsten Frühling seit langem. So verbrachte ich hier vor allem wieder viel Zeit mit Lesen. Und falls es dann doch mal schöner wurde, habe ich mir direkt meine Laufschuhe geschnürt um die Gegend zu erkunden. Die App Komoot ist für mich ein absoluter Segen um Strecken herauszusuchen und äußerst essentiell mich auf diesen zu navigieren. Aber hier in Neuseeland sind die meisten Wege privatisiert. Es sind Wege von Bauern, die ihr gesamtes Areal einzäunen und riesige Herden von Kühen und Schafe dort weiden lassen. Wenn man diese wohl im Voraus kontaktiert, ist es gewöhnlich kein Problem deren Wege zu passieren.
An einem freien Tag lief ich über die Berge in Richtung Ostküste. Da ich direkt zu Beginn niemand fand, den ich um Durchlass bitten konnte, nahm ich mir die Freiheit und kletterte ohne zu fragen über ein Gatter. Wenig später am Fuße des Berges angelangt, hörte ich in der Ferne viele Schafe mähen und Hunde bellen. Mir wurde es schon etwas mulmig, ließ mich aber zunächst nicht irritieren und lief weiter. Doch kurze Zeit später sah ich, dass es sich um einen großen Bergabtrieb handelte. Schafe liefen aufgescheucht links und rechts an mir vorbei und weiter oben sah ich eine größere Herde auf dem Weg, von einem Auto begleitet, welches die Tiere bergab trieb. Nun stand ich vor der Entscheidung (Nr. 1) wieder umzukehren, (Nr. 2) auf dem Weg zu bleiben und das Risiko einzugehen, die Schafe zu verschrecken, dadurch das Treiben zu stören und den Bauern zu verärgern, der mich dann möglicherweise mit den Schafen bergabwärts jagt oder (Nr. 3) mich abseits des Weges etwas zu verstecken, um alles an mir vorübergehen zu lassen. Durch die geschwungene Hügellandschaft war das Gebiet für mich nicht so richtig einsehbar, was meine Entscheidungsfindung nicht einfacher machte. Ich entschied mich jedoch für letztere, welche nur das Risiko in sich barg, dass mich Hunde sehen und verraten. Als dann das Fahrzeug immer näher kam, beobachtete ich vom Rand des Zaunes, durch das Gras hinweg, das Geschehen und justierte meine Körperhöhe je nach Sichtfeld. Während ich den Blick mit voller Konzentration nach links auf den Bauer und sein seltsames Fahrzeug richtete, mich subtil schon in Sicherheit wog und mir für die richtige Entscheidung innerlich auf die Schulter klopfte, hörte ich plötzlich ein hupen und lautes Bellen. Ich wandte mein Kopf circa 90Grad nach rechts und sah einen weiteren Bauern auf einem Quad direkt vor mir über einen Hügel fahren, begleitet von 2 Hunden, welcher direkt auf mich zuvor und mir zuwinkte. Ich richtete mich maximal peinlich berührt auf und wusste, dass ich diesmal wohl weniger Entscheidungsfreiheiten habe. Aber die Hunde als auch der Bauer waren gnädig. Ich erzählte ihn mein Reiseziel und das ich nicht stören wollte und daher etwas den Weg verließ und er gab mir nochmal den Tipp, dass ich doch das nächste Mal bitte vorher fragen sollte, bevor ich auf privatem Gelände wandern gehe. So durfte ich dankbar meine Wanderung über Berge mit schönen Aussichten und dichten Wäldern fortsetzen.
Am Meer angelangt, wartete dann die nächste große Herausforderung auf mich. Ein kleiner Fluss trennte den Strand und meinen weiteren Weg von mir. Entscheidungsmöglichkeiten: Schuhe ausziehen und durchwaten oder Sprung. Mein Bauchgefühl sagte mir, es könnte knapp werden. Doch ich hatte eine kurze Anlaufmöglichkeit und erinnerte mich an meine Schulzeit zurück, in der ich aufgrund meiner Leistungen im Weitsprung an den Jungendkreiswettkämpfen teilnehmen durfte und dort wider meines Erwartens ganz gut abschnitt. Also nahm ich Anlauf und sprang mit Zuversicht und viel Schwung zu neuen Ufern. Am Ende hätte ich auf mein Bauchgefühl hören oder einfach mal nach den ersten 5 Wochen in Neuseeland nen Blick nach unten auf meinen Bauch werfen sollen. Der ist nämlich bereits durch wesentlich weniger Bewegung und hohen Verzehr an Erdnussbutter, welche es hier in Kilogläsern zu kaufen gibt und mir jeder Löffel bisher unglaubliche Glücksgefühle bescherte, leicht angeschwollen. Naja, am Ende waren es dann wohl ein Konglomerat an Faktoren (unterschätztes Alter, Erdnussbutter, Gravitation), die meine Landung im Wasser verschuldeten. Aber ich hatte mir nichts gebrochen oder gezerrt und war am anderen Ufer, was mich dann auch schnell wieder tröstete.
Auf den Rückweg hatte ich dann noch ne aufregende Begegnung mit 4 Kühen. Die waren von der Weide ausgebüchst und nun, so wie ich, auf dem Weg gefangen, da links und rechts Zaun war, welcher die eigentlichen Weiden umzäunte. Die einzige Möglichkeit mich mit ihnen zu arrangieren wäre gewesen, wenn sie rechts stehen bleiben und ich links vorbeilaufe. Oder umgekehrt. Da die Tiere hier aber sehr scheu sind, liefen sie die ganze Zeit vor mir weg, hatten wenig Lust mit mir zu kooperieren und eskortierten mich direkt zu einem Bauernhof, dessen Grundstück ich wohl wieder passieren musste. Ich wollte aber unbedingt vermeiden, dass ich hier als Ausländer Unruhe stifte oder Ärger mache. Wieder schöpfte ich aus den Erfahrungen vergangener Tage während der Grundschulzeit, als ich mit einem Freund, dessen Vater Kuhhirte war, häufig ihn auf der Weide assistierte. So lief ich ihn immer eingeschüchtert von den riesigen Wesen hinterher, während er stetig mit leicht erhobenen Armen und wiederholten Wortlauten versuchte die Kühe zu besänftigen. An dieser Stelle kam dann auch wieder mein Sprachproblem zu Tage, da ich nicht wusste, wie ich diese Phrasen ins englische übersetzen sollte. So entschied ich mich für deutsch. Und tatsächlich, die letzte Kuh blieb stehen und starrte mich an. Die anderen 3 und ich stoppten auch. Mit leichter Gestikulation und sanften Worten versuchte ich ihnen mein Vorhaben zu erläutern und setzte anschließend zögerlich ein Fuß nach den anderen an der ersten Kuh vorbei. Doch dann liefen die anderen plötzlich weiter und so manövrierte ich mich in eine noch unangenehmere Situation, in der ich nun eine Kuh hinter mir hatte und die anderen vor mir, quasi eine Zwickmühle. Glücklicherweise folgte die Kuh ihrer Herde aber nicht, sondern setzte sich ab. Noch ein paar Meter weiter überlegten es sich die verbliebenen 3 Kühe nochmal es ihrer nun fehlenden Kuh gleich zu machen und hielten ebenfalls im rechten Graben an. Ich wand wieder meine Kuhbesänftigungszeremonie an und bewegte mich langsam an ihnen vorbei, als plötzlich eine Kuh aufschreckte, die anderen daraufhin ebenfalls und ich extrem beindruckt und von der Größe, der Kraft und Energie der Kühe eher vor Angst erstarrte. Am Ende ging alles gut und ich machte mir im Nachhinein Gedanken, was ich wohl gemacht hätte, wenn sie wild auf mich zugelaufen wären. Ich spielte verschiedene Szenarien im Kopf durch, um mich für die nächste Begegnung zu wappnen. Ich denke ich werde mich in der Manier eines Cowboys auf eine Kuh schwingen, versuchen sie zu zähmen und dabei vielleicht ihr besänftigende Worte ins Ohr flüstern=).
Also allgemein sind die Erlebnisse eher gering, aber es ist schön so viel Zeit zu haben, in der man gefühlt einfach mal n bisschen mehr Zeit hat um Dinge im Kopf kommen und gehen zu lassen.
Und hier noch eine schöne Übung aus dem Retreat, die ich nun auch mehr oder weniger (so wie ich in den Moment daran denke) versuche zu praktizieren: Beim Essen sich jedem Lebensmittel bewusst werden, wer alles daran beteiligt war, dass es nun auf dem Teller liegt und diesen Menschen oder Lebewesen dafür danken, dass man es nun genießen darf.
Ich wünsche euch allen einen besinnlichen 4. Advent