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Diary of a journey to myself / Die vierte Erkenntnis

Veröffentlicht: 15.05.2020

29.12., 18:00 Uhr, Zimmer 303

Wo soll ich anfangen? Zwei Tage hier in Hanoi und mein Kopf ist so voller Eindrücke, dass ich sie kaum sortieren kann. Gestern, 28.12., Halong Bucht. Dreieinhalb Stunden hin und vier zurück in einem Kleinbus mit viel zu schrägen Sitzen, die total ungemütlich waren und ich dauernd nach vorne gerutscht bin. Mit uns so ungefähr 20 andere Touristen aus Spanien, Italien, USA und Australien, sowie ein deutsches Pärchen, das wir morgens schon im Eingangs- bzw. Essbereich unseres Guesthouses gesehen hatten und seit dem jeglichen Blickkontakt mied. Beide so Mitte 20, schwarze Hornbrille, schwarze Outdoor-Hosen mit x Reißverschlüssen, schwarze Kapuzensweatshirts und schwarze Trekking-Boots. Sie, grinsend vor sich hin auf den Boden starrend (sehr merkwürdig), er mit wippendem Schritt, als wenn er Flummis unter den Schuhen hätte. Der Begriff Outdoor-Existenzialisten kam mir in Sinn, während ich gleichzeitig an den Artikel in der Neon über „Die Deutschen“ denken muss, den ich letztes Jahr in Honduras gelesen hatte. „Die Deutschen“ versuchen alles, um im Urlaub bloß nicht als Deutsche erkannt zu werden und gehen Landesgenossen eher aus dem Weg, als sich mit großem Hallo zusammen zu tun. Schade eigentlich. Outfitmäßig hätten wir jedenfalls schon mal prima zusammen gepasst, nur dass wir, statt Horn-, Sonnenbrillen und statt Trecking-Boots, schwarze Turnschuhe bzw. Stiefel tragen.

Nachdem wir am Hafen, in dem unzählige Touristenboote auf ihre Passagiere warteten und wir dann in das für uns reservierte Boot eingestiegen waren, kam es, wie es wohl kommen musste und wir saßen natürlich mit den beiden und einem sehr freundlich wirkenden amerikanischen Pärchen zusammen an einem Sechsertisch unter Deck. Es war inzwischen Mittag, sonnig, aber ganz schön kühl und es wehte ein ziemlich heftiger Wind. Gleich sollte das Mittagessen serviert werden. Nach der Vor-Nudelsuppe und einem gemischten Salat wurde uns dann der Fisch in seiner ganzen Pracht (also eben komplett, mit Kopf, wie das Meerschweinchen in Cusco) aufgetischt. Dieser Umstand bewog den Deutschen dann dazu, Luc, der ihm dummerweise gegenüber saß, direkt und ziemlich überheblich anzusprechen: “Das ist ja wohl Sache des Ältesten hier am Tisch“. Zum Glück überhörte er Fabians Konter: „ Oder der Ältesten“ , wofür ich ihn am liebsten in den Arm gebissen hätte, den er allerdings noch zum Sezieren des Fisches brauchte, während der Deutsche in seiner arroganten Art weiter grinste und wieder jeden Blickkontakt mied.

Als wir dann später ein Stück raus aus dem Hafen waren, durften wir an Deck und der Blick auf die Felsen war wirklich der gleiche, wie im Intro von „Indochine“. Das Einzige, was fehlte, waren die Drachenboote, dafür jede Menge anderer Touristenboote, die dem Gesamteindruck dennoch wenig anhaben konnten. 

Sicherlich, im Morgengrauen, vielleicht bei Nebel, und schön malerisch mit ein oder zwei Drachenbooten im Hintergrund, wäre der Anblick perfekt gewesen und so mystisch, wie ich mir das eigentlich vorgestellt hatte, aber dann hätten wir vielleicht vor 50 Jahren hier gewesen sein müssen, ebenso wie in der beeindruckenden Drachenhöhle, in der einst der Drache gehaust haben soll, der, der Legende nach, die Vietnamesen beschützt hat, nachdem er die Diamanten ins Meer gespuckt hat, aus denen die Felsen in der Halong Bay entstanden sein sollen.

Den grausamen Krieg, den die Vietnamesen später erleiden mussten, hatte der Drache allerdings nicht verhindern können. Aber zur Zeit des Vietnamkrieges war er ja dann auch schon lange tot.

Diese Legende vom Drachen hatte uns der Tourguide während der Besichtigung der Sung Sot Cave (Höhle der Überraschungen) erzählt, die ihren Namen den erstaunten französischen Forschern verdankt, die sie erst 1901 entdeckten und in der wir zusammen mit Horden von anderen Touristen beeindruckende und bunt beleuchtete Stalaktiten und Stalagmiten bewundern konnten.

Laut Wikipedia entstand die Bucht, die insgesamt fast 2000 Inseln auf einer Fläche von mehr als 1500 km2 umfasst, allerdings nach einer ganz anderen Legende. Der Name Vinh Ha Long bedeutet nämlich „Bucht des untertauchenden Drachen“, der nahe am Meer in den Bergen gelebt haben soll. Als er eines Tages zur Küste lief, zog er mit seinem Schwanz so tiefe Furchen in das Land, das alsdann vom Meer überflutet wurde, nachdem der Drache abgetaucht war. Einer, der vielen älteren Namen Hanois lautete zu Zeiten der Ly-Dynastie um 1010 übrigens Thang Long, was so viel wie aufsteigender Drache bedeutet.

Sehr bemerkenswert fand ich die Geschichte über einige andere der vielen Inseln, auf denen sich Höhlen befinden, die sowohl während des Indochina- als auch Vietnamkriegs als Auffanglager für Flüchtlinge und Kranke dienten. In einer Höhle auf der größten Insel Cát Bà existierte sogar ein Krankenhaus, in dem sich zeitweilig bis zu 300 Personen aufhielten.

Beim Thema Auffanglager fällt mir sofort wieder unsere aktuelle Flüchtlingspolitik und die Situation der vielen Flüchtenden auf der ganzen Welt ein. Ob Höhlen jetzt allerdings besser sind, als die furchtbaren Auffanglager innerhalb und außerhalb der EU, in denen ganze Familien mit Kleinkindern oft unter menschenunwürdigen Bedingungen eingepfercht werden, wage ich zu bezweifeln.

Todmüde liegt Fabian gerade neben mir, während ich immer noch total aufgekratzt über das gestern und heute Erlebte nachdenke.

Ein weiteres „must see“, das er auf keinen Fall gedachte ausfallen zu lassen, hatte für heute auf der To-Do-Liste gestanden. Das berühmte Hoa Lo Gefängnis, das von den Franzosen während deren Kolonialherrschaft über Vietnam 

im im French Quarter der Stadt erbaut wurde und insbesondere der Inhaftierung politischer vietnamesischer Gefangener dienen sollte. Während des Vietnamkrieges wurde es dann von Nordvietnam für US-Kriegsgefangene genutzt, die hier gefangen, verhört und gefoltert wurden, obwohl Nordvietnam 1949 die Dritte Genver Konvention von 1949 unterschrieben hatte.

Gleich im ersten Abschnitt des Teil III der Konvention, der sich ausführlich in mehreren Abschnitten mit allen Detailfragen zur Behandlung der Inhaftierten befasst, heißt es: „Keine körperliche oder seelische Folter oder irgendeine andere Form von Zwang“.

Wie man vor Ort durchaus schonungslos anhand verschiedener Folterwerkzeuge und etlichen Fotographien sehen konnte, hielt man sich hier ebenso wenig daran, wie mit Sicherheit auch heute noch in vielen Gefängnissen rund um die Welt und unabhängig davon, ob man die Konvention nun unterzeichnet hat oder nicht.

In Anlehnung an die bekannte Hotelkette verlieh einer der ersten US-Häftlinge dem Gefängnis sarkastisch den Spitznamen „Hanoi Hilton“, unter dem es bis heute bekannt ist. Im Verlaufe des Jahres 1979 wurde dann ein weiterer Bereich des Gefängnisses für ankommende amerikanische Kriegsgefangene eröffnet, den man „Little Vegas“ nannte, weil viele der Piloten auf der Nellis Air Force Base in der Nähe von Las Vegas ausgebildet worden waren.

Nachdem wir uns die vielen Texte zu den verschiedenen Folterwerkzeugen, Fotographien und anderen Exponaten, wie Uniformen, privaten Gegenständen der Insassen und vieles mehr, was sehr akribisch zusammengestellt war und anschaulich einen Einblick in die Geschichte des Gefängnisses vermittelte, ausführlich angesehen hatten, waren wir ziemlich erschlagen und hatten uns deshalb erst mal schlängelnd auf den Weg Richtung Hotel gemacht, um ein bisschen auszuruhen, bevor wir gleich dann nochmal los ziehen wollen.

Die Gesichtsbehandlung heute Vormittag nach unserem ersten Slalom durch die lauten und bunten Straßen von Hanoi hat echt gut getan und so eine Ganzkörpermassage, wie sie sich Fabian direkt neben mir auf der Liege des kleinen Massagesalons gegönnt hat, werde ich demnächst auch über mich ergehen lassen. Aber vorher brauche ich unbedingt Haarspray. Auf den Bildern in der windigen Halong Bucht sind meine Haare dermaßen platt, dass ich da unbedingt was gegen machen muss, wenn ich nicht auf allen Bildern so doof aussehen will.

Bei dem Stichwort doof aussehen muss ich wieder an die Outdoor-Existenzialisten denken. Das mit uns Deutschen ist schon eine merkwürdige Sache. Untereinander verhalten wir uns auf Reisen tatsächlich unnahbar und vermeiden möglichst jegliche Kontaktaufnahme zu Landsleuten. Vielleicht komme ich ja noch dahinter, was es damit auf sich hat. Ähnlich stereotyp, wie wir Deutschen untereinander, verhalten sich auch die Einheimischen und ganz besonders Grenzbeamte, egal welchen Landes, uns gegenüber, wenn sie mit uns konfrontiert werden. So herzlich wie wir heute meist überall auf der Welt, zumindest den Teil, den wir bisher bereist haben, willkommen geheißen werden, war das in meiner Erinnerung nicht immer gewesen. Ich kann mich jedenfalls noch gut an Zeiten erinnern, als es noch die Deutsch-Französische Grenze gab und mein Geburtsort für gönnerhaft milde Blicke seitens der französischen Grenzbeamten sorgte. Mit der Eintragung Paris war ich wenigstens halbwegs eine von ihnen und somit schon eher willkommen als Fabian, der nicht ein Wort Französisch konnte. Aber er gab sich immer große Mühe, so wie in jedem Land, so auch damals in der Filiale der Banque de France am Place de La Concorde, die er mit einem lauten und fröhlichen „Aurevoir“ betreten hatte, was dort allerdings zu schallendem, aber auch wohlwollendem Gelächter der Schalterbeamten geführt hatte.

Ich schaue mich so im Zimmer um, während Fabian anfängt zu schnarchen. Bewundernswert, wie er immer sofort einschlafen kann, wenn sich die Gelegenheit bietet. Ob im Flieger, Bus, Zug oder vor allem bei den sonntäglichen Besuchen bei meiner Mutter. Er macht einfach die Augen zu und kurze Zeit später liegt er im Koma. Eigentlich wäre es gut, wenn auch ich mal ein bisschen schlafen könnte, bevor wir gleich nochmal losziehen, aber auf Kommando funktioniert das bei mir einfach nicht. Hätten wir hier einen Balkon, dann könnte ich wenigstens eine rauchen gehen, aber unser Zimmer hat eigentlich noch nicht mal ein Fenster, jedenfalls nicht zum Aufmachen und Rausgucken.

Die Rollladen sind runter gezogen, weil sich der Ausblick sowieso nicht lohnt. Die gegenüberliegende graue Wand ist keine 2 Meter entfernt und lässt weder die Sicht auf ein winziges Stück Himmel noch auf den Innenhof zu, der sich 5 Stockwerke unter uns befindet. Aber das Bett ist riesig und gemütlich und das Bad hat sogar eine Ablage für diverse Badezimmer-Utensilien, was bei den low- oder midrange-budget-Unterkünften, die wir bisher immer aus dem L. P. rausgesucht hatten, eine echte Seltenheit ist. Warum das so ist, habe ich bisher auch noch nicht verstanden.

Jeder Mensch hat doch zumindest eine Zahnbürste und eine Tuba Zahnpasta mit auf Reisen. Klar, habe ich ein paar Sachen mehr dabei (Fabian würde jetzt die Augen rollen), die ich morgens meistens aufs Bett lege und dann immer von A nach B laufe, also erst den Kajal, dann Eyeliner, Wimperntusche und zuletzt den Lippenstift hole, aber ist denn eine kleine Ablage unter dem Badezimmerspiegel eine derart luxuriöse Investition?

Ich verstehe es nicht und finde es deshalb immer wieder spannend, wenn wir ein neues Zimmer beziehen, als erstes zu überprüfen, ob es eine Ablage oder im totalen Luxusfall sogar eine Kommode im Bad gibt. Auch mit den Steckdosen ist das merkwürdig. Manchmal gibt es eine neben dem Badezimmerspiegel, manchmal, oder ziemlich oft sogar, eben nicht, sondern irgendwo mitten im Raum, sehr häufig dann hinter dem riesigen Fernseher, der meistens sowieso nicht geht, oder neben dem Nachttisch. Dann muss ich mein Pony „blind“ föhnen und noch häufiger von A nach B rennen, was ganz schön nervend sein kann. Was die Rennerei angeht, werde ich hier verschont. Es gibt sowohl eine Ablage im Bad als auch eine Steckdose, die auch noch funktioniert.  

Der Fernseher dafür nicht, aber das ist mir auch völlig schnuppe, obwohl die Fernsehwerbung in anderen Ländern ganz schön witzig und so völlig anders, als bei uns sein kann, wie z. B. die Werbung für Kamelrennen im Oman. Wenn ich daran denke, muss ich anfangen zu lachen. Ich fand‘ das so lustig, dass ich damals den Bildschirm abfotografierte und das Bild auf fb postete. Meine „Freunde“ fanden das aber wohl nicht so lustig. Ich glaube, ich hab‘ keinen einzigen Like dafür bekommen. Aber für die Fotos von der Halong-Bay haben wir schon ganz viele Likes, wie ich gerade sehe.

Ich muss sagen, ich bin auch nach wie vor fasziniert über die Erfindung von Smartphones, Facebook und WhatsApp. Da sitzt man hier tausende Kilometer weit weg von zu Hause, verschickt Nachrichten und Fotos bequem vom Bett aus nach Hause und erhält manchmal sogar Sekunden später schon Antworten. 

So wahnsinnig lange ist das doch noch gar nicht her - und wieder fällt mir da der Thailand-Urlaub ein - dass wir stundenlang in Internetcafés gehangen haben und mühselig die Fotos von der Kamera mit einem Cardreader auf den Rechner geladen, dann umständlich sortiert und dann als E-Mail-Anhang verschickt haben, was eine gefühlte Ewigkeit gedauert hatte. Kommt mir so vor, wie in einer anderen Zeit, ganz zu schweigen von den Zeiten, wo ich auf Klassenfahrt in Frankreich noch Schlange vor irgendeiner Telefonzellen gestanden habe, um meinen Eltern Bescheid zu sagen, dass ich gut angekommen bin. Ich bin auch nicht sicher, ob sich wichtige Nachrichten aus der Heimat ohne Internet so schnell auf anderen Kontinenten verbreiteten hatten wie heute. Manche Dinge will ich im Urlaub auch gar nicht wissen, aber andere wiederum unbedingt, egal wo auf der Welt ich bin und ich genieße es, mich jederzeit vernetzen und informieren zu können, wenn ich das will. 

Auch die Tatsache, dass wir checken können, wie morgen das Wetter in Laos sein wird. Angeblich sollen es in Luang Prabang an die 30 Grad sein. Hoffentlich. Auch wenn es heute sonnig und an die 20 Grad waren, sind mir die morgendlichen 14-15 Grad definitiv zu kalt und dafür habe ich auch gar keine Klamotten mit. Ich weiß auch überhaupt nicht, was ich gleich anziehen soll. Die Lederjacke mit Innenfell konnte ich in Addis Abeba super gebrauchen, obwohl Fabian es fast geschafft hätte, mir damals auszureden, die dicke Jacke mit nach Äthiopien nehmen. Ich hatte mir aber vorher die Reisedokumentation angesehen, die meine Schwiegermutter für uns aufgenommen und auf CD gebrannt hatte und mir eingeprägt, dass die Leute abends immer dicke Jacken anhatten, egal zu welcher Jahreszeit. In der Dokumentation über Vietnam hatten dagegen alle immer nur leichte Klamotten und Flip Flops an. Zum Glück habe ich mir die Flip Flops nicht so eingeprägt und bin da eher bei meinen Stiefeln geblieben, die ich zu jeder Jahreszeit anziehe und die einfach immer mit müssen, wenn ich sie nicht sowieso schon im Flieger anhabe. Ist mir egal, wie die anderen gucken. Auf Kuba wollten x Frauen mir die sogar abkaufen. Hätte ich in Havanna einen Stiefelladen aufgemacht, was zu Zeit Castros und des Embargos ja noch nicht ging, ich wäre heute wahrscheinlich Besitzerin einer Schuhladenkette und super erfolgreich. 

Naja, aber so toll wäre der Job für mich auch nicht. Ich genieße es, mit der Liebe meines Lebens so viel reisen zu können und alles, was man heute eher als Jugendliche macht, eben jetzt nachzuholen, auch wenn wir dadurch den Altersdurchschnitt in diversen Hostels oder auf Exkursionen schon erheblich anheben.

Erkenntnis Nr. 4:

Wenn ich mir die Zeit nehme, über die Dinge intensiv nachzudenken, die mir besonders auffallen, bemerke ich, dass alles irgendwie miteinander zusammenhängt. Alles entwickelt sich weiter, verändert sich und doch wiederholen sich Begebenheiten. Aus den Wiederholungen lassen sich wichtige Erkenntnisse ableiten, die für die Vorhersehbarkeit zukünftiger Entwicklungen von großem Nutzen sein können. 


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