Moonland 2022
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Traurige Abschiede und eine bedeutsame Verbindung

Veröffentlicht: 13.07.2022

Da passiert gerade etwas ganz Wichtiges in meinem Leben. Ich habe einen neuen Lehrer. Doch erst einmal nehme ich schmerzhaft Abschied von meinem alten Guru.

Mein Visum in Nepal läuft ab und so muss ich Abschied nehmen von Sonam Jorphel Rinpoche und den Mönchen im Kloster Rinchen Palri. Und wie immer, wenn ich das Mandala dieser wunderbaren buddhistischen Gemeinschaft verlasse, fließen ein paar Tränen. Besonders, wenn ich daran denke, dass ich vielleicht das letzte Mal in diesem Leben die Gelegenheit habe, diesem einzigartigen Lehrer in die Augen zu blicken und ihn mit einem schiefen Lächeln im Gesicht "Take care" sagen zu hören. 

Falten und neue Löcher

Auch von Rangdröl, meinem Lieblingsmönch hier, muss ich mich erst einmal verabschieden. Er bleibt noch in Nepal,  bis unser Rinpoche zurück nach Vietnam reist. Ich habe also rund zwei Wochen Ladakh ohne Begleitung vor mir. Und bin - zugegeben - etwas angespannt bei der Aussicht. Desalb relaxe ich erst einmal mit Sonam Palmo im Spa und lasse mir noch eine Gesichtsbehandlung verabreichen. Die Anstrengungen der Reise haben doch deutlich ihre Spuren hinterlassen. Dass der Gürtel ein Loch enger geschnallt werden kann, stört mich zwar weniger, aber die Falten im Gesicht braucht ja niemand wirklich. 

Entsprechend relaxt steige ich also in Kathmandu in den Flieger in Richtung Leh. Eine folgenreiche Nacht muss ich allerdings in Delhi verbringen. Folgenreich deshalb, weil am Flughafen eigentlich ein Fahrer warten und mich in das online gebuchte Airport-Hotel bringen soll. Doch Fehlanzeige. Weit und breit kein Fahrer in Sicht. Ein Taxifahrer bietet seine Hilfe an. Klar, der wittert ein gutes Geschäft. Ich stehe allerdings ohne Bargeld da, weil die nepalesischen Rupien in meinem Portemonnaie keinen Menschen in Indien interessieren. Also lasse ich mich von dem Taxi-Wallah zum nächsten ATM geleiten. Und dort nimmt das Unglück dann seinen Lauf. Weil der Fahrer rumdrängelt und ich schon ziemlich müde bin, lasse ich meine Kreditkarte im Automaten stecken und nehme nur die 10000 Rupies mit. 

Abgerissen in Leh

Das merke ich allerdings erst am nächsten Morgen im Flughafen. (Der Hotelfahrer ist dann nach anderthalb Stunden Wartezeit doch noch irgendwie aufgekreuzt). Als ich im Duty-Free Geschenke für meine ladakhische Familie kaufen will, herrscht da plötzlich gähnende Leere im Visa-Karten-Fach. Oh mein Gott, denke ich und wähle natürlich sofort die 116116, um die Karte zu sperren. Funktioniert natürlich nicht. Irgendwie bekomme ich die Sperrung dann aber doch geregelt, obwohl ich mit meiner indischen Sim-Karte nicht nach Deutschland telefonieren kann. Die Aussicht auf 3 Wochen Ladakh ohne Bargeld ist allerdings bescheiden.

Aber ich bin ja "in Familie". Angmo, Rangdröls Nichte, holt mich wie verabredet vom Flughafen ab. Doch dann der nächste Schock: Mein Koffer ist in Delhi geblieben. Schon wieder. Ich stehe also total abgerissen vor Angmo - ohne Cash, ohne Zahnbürste und mit nur den Klamotten, die ich am Leibe trage. Na dann....

1000 Euro und ein Versprechen

Angmo wäre nicht Angmo, hätte sie nicht gleich eine praktische Lösung zur Hand. Sie chauffiert mich in ihr Hotel, wo ich erst einmal gratis nächtigen kann. Und sie bietet mir an, mir einen Haufen Bargeld zu leihen. "Das liegt sonst sowieso nur auf der Bank", sagt sie und grinst. Aber ich wäre nicht ich, wenn es mir nicht total unangehm wäre, eine so große Summe Geld von ihr zu leihen. Das muss doch irgendwie anders gehen, denke ich. Und da fällt mir Lama Samten ein, den ich ohnehin anrufen will, weil er den Kontakt zu dem Statuenmachen fürs Praktikum herstellen will. Lama Samten lebt in Gießen und spricht sehr gut Deutsch - und er hat ein deutsches Bankkonto, auf das ich problemlos online Geld überweisen kann. Puh.

Typisch für die ladakhische Gastfreundschaft ist dann, dass Lama Samten mir 1000 Euro in die Hand drückt, seine Kontonummer aber erst einmal nicht rausrückt. "Das machen wir irgendwann später", grinst er mich liebenswürdig an. Er berichtet mir dann noch von seinen vielen Projekten, die er zurzeit vorantreibt und lässt mich am Ende mehr als beeindruckt und mit dem Versprechen zurück, sich noch am selben Abend um den Statuenmacher zu bemühen.

Eine bedeutende Verbindung

Gesagt, getan: Ich bin gerade mitten in der Meditation, als mein Handy klingelt und Lama Samten die freudige Botschaft überbringt, dass der Statuenmacher mich an diesem Morgen treffen will. Wie ich später erfahre, ist er ebenso aufgeregt wie ich. Denn gerade einen Tag zuvor hat Chhemet Rigzin, so sein Name, mit seinem tschecheslowakischen Freund Honsa besprochen, wie toll es doch wäre, westliche Studentin hier in Ladakh im Statuenmachen zu unterrichten. 

Und dann stehe ich vor der Tür - mit Fotos meiner Tara-Statue, die ich in Deutschland gebastelt habe. Wie sich herausstellt arbeitet Chhemet auch gerade an 3 Tara-Statuen und findet die Paralellität bedeutend. "Wir haben eine spezielle Verbindung", stellt er zufrieden fest und verabredet sich mit mir für den nächsten Tag. Meine Statue hat übrigens bei ihm ein amüsiertes Lächeln ausgelöst. Immerhin meint er, "I can see something". Okay.


Zweimal wird mich Chhemet an diesem Tag noch anrufen, um mir genau zu erklären, was ich mitzubringen habe. Die empfohlene Schürze ist allerdings nicht so ganz einfach aufzutreiben. In meiner Größe ist nichts zu kriegen. Einmal mehr ist es Angmo, die wie immer ganz praktisch veranlagt, die kleine Schürze aus dem Geschäft ihrem Koch aufs Auge drückt, der mir dafür seine größere Version aushändigen muss. Erfreut ist er wahrscheinlich nicht.

Ich schlafe fast gar nicht, weil ich so aufgeregt bin, am nächsten Morgen in Chhemets Werkstatt antreten zu sollen. Ich bin schließlich blutige Anfängerin und habe auch noch nicht wirklich viel mit Ton gearbeitet. Doch werde ich so freundlich empfangen, dass die anfängliche Unsicherheit schnell vergeht. Chhemet weiht mich zunächst in die Maße der Statuenmacher ein. Da gibt es Sor und Nas und Kangspa und alle Maße sind relativ, dienen aber der Einhaltung der Relationen beim Statuenmachen. Nicht ganz einfach. Doch nachdem ich das System erst einmal kapiert habe, geht die Zeichnung des Buddhakopfes doch recht zügig von der Hand. Die Augen sind aber auch mit dem Wissen um die Maße eine echte Herausforderung.

Wie ein Baby, das laufen lernt

Schon wieder schlafe ich schlecht. Es soll am nächsten Tag an den Ton  gehen und ich fühle mich wie ein Baby, das laufen lernt. Für die Statuen mischt der Meister Watte in den Ton. Das macht das Ganze stabiler. Doch diese Wattefäden wollen immer wieder an die Oberfläche, als ich meine ersten zaghaften Versuche am Buddhaohr mache. Chhemet hingegen macht vier/fünf versierte Handgriffe und das Ohr ist perfekt. Gekonnt eben.

Derweil lerne ich in Chhemets Werkstatt auch den 2 Meter großen Honsa besser kennen. Er lädt mich ein, im nächsten Frühjahr nach Prag zu kommen. Denn auch Chhemet will im Frühjahr dort sein. Dann könnte ich weiter lernen. 

So vergehen die Tage im Flug, während ich mit dem Ton, den Werkzeugen, den Maßen und den vielen tibetischen Fachausdrücken für Ornamente und Kleidung kämpfe. Nichtahnend, dass einige Kilometer entfernt ein mir bekannter Mensch ein viel ernsteren Kampf verliert. Lama Serpa, den ich aus Lamayuru kenne, hat mit Lama Rigzin und Lama Gyaltsen einen schweren Autounfall und stirbt in den Fluten des Indus. Bis jetzt, da ich diesen Beitrag schreibe, ist sein Körper nicht gefunden worden. Die anderen beiden Mönche sind jedoch mit dem Leben davongekommen. 

Menschen verschwinden aus dem Leben

Es ist ein bisschen so wie damals, als meine Freundin Britta auf Ibiza bei einem Autounfall ums Leben kam: Man kann die Tragödie kaum fassen, weil dieser Tod so abstrakt ist, man keine Leiche sieht und der Mensch einfach nur nicht mehr da ist.  Meine Gebete sind mit Lama Serpa, der mir nun nichts mehr über die Geschichte des Klosters Atitse berichten werden kann.

Ich bin wie paralysiert. An diesem Tag bekomme ich nichts mehr hin. So lasse ich mich recht früh von Chhemet in meine Homestay-Unterkunft bringen, um mich für eine Weile auszuklinken aus ladakhischen Familienangelegenheiten und tönernen Meisterwerken und mich stattdessen mit meinen Erinnerungen und dem Leiden der Vergänglichkeit auseinanderzusetzen.

Ein tragisches Ende für diesen Beitrag, der eigentlich so euphorisch hätte sein sollen, ich weiß. Nächstes Mal hoffentlich wieder Fröhlicheres... 




 




Antworten (2)

Andreas
Danke für die Verbindung,den Kontakt,das miterleben dürfen.

Anke
So gern ;)

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#ladakh#indien#buddhismus#chhemet#statuenmacher#leh