Moonland 2022
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Träume und Ideale

Veröffentlicht: 24.07.2022

Es geht darum, sich dem Ideal anzunähern. Was im Alltag schon schwer ist, entpuppt sich beim Modellieren von Statuen als ein fast unmögliches Unterfangen. Der Punkt der absoluten Perfektion ist nicht zu erreichen.

In Chhemet Rigzins Werkstatt ist dies eines der ersten Dinge,  die mir klar werden. Allein, sich alle 32 Merkmale eines Buddhas zu merken, ist schon ein Ding. Diese dann auch künstlerisch in Szene zu setzen, ein ganz anderes. Ich lerne nun aber die Methoden, mich dem perfekten Buddhaabbild immerhin soweit anzunähern, wie es meinen begrenzten Fähigkeiten möglich ist. 

Von den relativen Maßen habe ich ja schon berichtet. Nun zeigt mir Chhemet eine Methode, diese Maße zunächst zeichnerisch einzusetzen. Dabei gilt es, so eine Art Raster für die bestimmten Punkte des Buddhagesichtes zu erstellen, was bei der anschließenden Zeichnung sehr hilfreich ist. Und je mehr dieser Gesichter ich zeichne, desto vertrauter werden mir die Formen im Buddhagesicht. 

Backen ist leichter

Immer dabei ist auch Chemets Sohn Stanzin, der ebenfalls bei seinem Vater in die Lehre geht. Das ist sehr hilfreich, hat er doch als Schüler viel mehr Verständnis für meine manchmal doch sehr unbeholfenen Versuche - und hat auch viel öfter als Chhemet mal ein paar lobende Worte für mich übrig. Das ist auch nötig, weil ich mich manchmal doch echt fühle wie der hinterletzte Dilletant. Mein erstes Buddhagesicht aus Ton ist noch weit weg vom symmetrischen Ideal, aber irgendwann ist der Ton so trocken, dass ich meine verzweifelten Verbesserungsversuche schließlich aufgebe.

Mittlerweile bin ich auch umgezogen. Angmos Hotel ist an einigen Tagen restlos ausgebucht, weshalb ich ihr Angebot annehme, mich im Thok Thok Homestay einzuquartieren. Das ist nicht nur direkt neben Angmos Familienhaus gelegen, sondern wird auch von Verwandten von ihr geführt. Diese Familie nimmt mich mehr als freundlich auf und liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Angmo unterdessen fährt mich unermüdlich hin und her, bringt mich jeden Morgen in Chhemets Werkstatt und holt mich später wieder ab.

Neuer Versuch und ein Loch in der Hose

"Noch ein Versuch mit Ton?", fragt mich Chhemet an einem solchen Morgen. Und erntet von mir nur ein entsetztes Ächzen, als er mit einer wesentlichen kleineren Maßvorgabe um die Ecke kommt. Aber - wer hätte es gedacht - entweder kommt mir dieses kleinere Maß mehr entgegen, oder aber das ständige Zeichnen des Buddhagesichtes trägt erste Früchte. Oder beides. Das zweite Gesicht gelingt jedenfalls schon etwas besser.

Und an diesem Tag soll noch etwas anderes gelingen. Ich habe nämlich aus Deutschland ein Rezept für deutsches Brot mitgebracht und Chhemet ist Feuer und Flamme, ein solches in seinem Mini-Ofen zu backen. Also gehen wir mit Stanzin einkaufen. Gar nicht so einfach. Schließlich gibt es hier kein fertiges Brotgewürz zu kaufen. Die Samen von Anis, Fenchel, Koriander und Kümmel haben wir aber am Ende doch mit einigen Übersetzungsschwierigkeiten auftreiben können. Auf diese Weise lerne ich mal die ganzen Ausdrücke für die Brotzutaten auf Englisch und einige sogar auf Ladakhi. Am Ende hat sich die Mühe dann auch gelohnt. Chhemets Familie ist  begeistert von dem Brot und auch meine anderen beiden Familien freuen sich über ihren Anteil.

Allerdings muss ich eine Hose einbüßen, als ich die frisch gebackenen Brotscheiben zu Angmos Haus bringen will. Zum ersten Mal ist nämlich dort niemand zu Hause. Und die Hunde, die das Familienheim bewachen, sind nicht so erfreut mich zu sehen. Kläffend und beißend jagen mich fünf von ihnen über die staubige PIste und hinterlassen glücklicherweise nur ein Loch in meiner Leggins, nicht jedoch in der Haut. Passiert übrigens am hellichten Tage und nicht irgendwie nach Einbruch der Dunkelheit oder so. Für mich eine Lehre. Diesen Weg nehme ich nicht mehr allein.

Würstchenfinger nach Maß

Am nächsten Tag überrascht mich Chhemet mit dem Auftrag, die ersten Buddhahände anzugehen und dem Vorschlag, sein Familienhaus in Tia zu besuchen. Wir verabreden, dass wir am Wochenende die letzten Tage vor meinem Abflug nach Deutschland diesen kleinen Ausflug unternehmen, um dort verschiedene Klöster zu besuchen, für die sowohl Chhemet selbst als auch sein Vater Statuen gebaut haben. Eine davon habe ich auch schon im Bau gesehen, als ich vor einigen Jahren mit Amira Tingmosgang besucht habe. 

Erst einmal aber bekomme ich eine Handzeichnung von Chhemet mit Maßen für die Handfläche und die Finger. Nach diesen Maßen gilt es nun, zunächst einmal die Buddhafinger zu modellieren. Ich lerne zum Beispiel, dass der Daumen bis zum Ende des ersten Zeigefingergliedes reichen muss und dass der Ringfinger bis zur Hälfte des Fingernagels des  Mittelfingers reicht. Umfang und Länge der Finger sind genau festgelegt - natürlich wieder in Relation und in Sor, Nas und Kangspa angegeben. 

Die ersten Hände

Ich werkel also den ganzen Tag lang an den Fingern rum und irgendwie erinnern mich die Dinger nach einer Weile total an kleine Würstchen. Wie aus meinen Würstchen nachher eine Buddhahand werden soll, kann ich mir irgendwie noch gar nicht so recht vorstellen. Erst als Stanzin seine von ihm schon am Vortag fertiggestellten Finger nach Anweisungen seines Vaters in den Ton drückt, sie zurechtrückt und am Ende weiteren Ton für den etwas erhöht sitzenden Daumen aufbringt, ergibt das Ganze für mich Sinn. Die Hände, die so entstehen, sehen echt super aus. Meine allerdings - naja, lassen wir das.

Zwischendurch erzählt mir Chhemet von seinem Traum. "Noch bin ich einigermaßen jung", sagt der 50-Jährige. Doch er weiß, dass die Zeit rennt. Und dass womöglich das kostbare Wissen verloren gehen könnte, das er von seinem Vater Nawang Tsering und der wiederum von einem alten Meister mit dem Namen Tsewang Rigzin übermittelt bekommen hat. Deshalb baut Chhemet gerade ein neues Studio vor seinem Haus, damit mehr Platz ist, das kostbare Wissen ums Statuenbauen weiterzugeben. Sein Traum ist, ein Kunstzentrum zu errichten, in dem auch westliche Studenten die Methoden erlernen können, sich dem Buddhaideal zu nähern.

Der Traum von LHAIZO

Einen Namen für das Kunstzentrum hat er sich auch schon überlegt. Der Titel LHAIZO steht für Ladakh Himalayan Art Internationale Zone, bedeutet aber auch: Lha für Buddha oder Bodhisattva, I für den Genitiv und Zo für Kunst, heißt also auch Buddhas Kunst.  

"Vielleicht können wir sogar große Ausstellungen meiner und der Statuen der Studenten auf die Beine stellen", schwärmt der Meister und hat auch schon genau vor Augen, wie er die zum Teil bemalten, zum Teil unbemalten Kunstwerke präsentieren würde.  Doch ebenso wie meine Fertigkeiten steckt das ganze Projekt noch in den Kinderschuhen. Eine Menge Energie und natürlich auch Finanzen sind nötig, damit das Kind auch laufen lernt. 

Derweil rennt die Zeit auch für mich. Als wir in das Heimatdorf Chhemets aufbrechen, bleiben mir gerade noch einmal drei Tage in meiner zweiten Heimat, was in mir zwiespältige Gefühle hervorruft. Natürlich freue ich mich auf meine Liebsten zu Hause und - zugegeben - auch auf den deutschen Komfort. Aber der andere Teil in mir weint heiße Tränen, dieses wundervolle Land wieder verlassen zu müssen.

Heiße Tränen und innige Wünsche

 Gerade jetzt, da die Aprikosen reif werden und der August als einer der schönsten Monate hier vor der Tür steht, muss ich dem gerade startenden Chakrasamvara-Drubchö in Lamayuru und den für August geplanten Belehrungen des Dalai Lama den Rücken kehren. All das werde ich nun verpassen. Und auch meinen Zufluchtslehrer Lama Jampa werde ich nun doch nicht mehr sehen können.

Deshalb hinterlasse ich in Tia und Tingmosgang in den alten und neuen Gompas innige Wünsche nach einem baldigen Wiedersehen und nach der Möglichkeit, meine gerade begonnene Lehrzeit möglichst schnell fortsetzen zu können. In Tingmosgang gibt es eine sehr alte, spontan entstandenen Chenrezig-Statue. Als ich vor ihr gedanklich meine Wünsche vortrage, habe ich ganz stark den Eindruck, dass das irgendwie klargeht. We will see...

Morgen geht der Flieger heim. Doch das Abenteuer Leben geht weiter. Deshalb wird dies vielleicht auch nicht der letzte Bericht über meine Reise zu neuen Inhalten sein. 

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#ladakh#buddhismus#chhemet#statuenmacher#lhaizo