Anna in Paris
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Woche 3: Schulstart und neue Leute kennenlernen

Veröffentlicht: 11.10.2020

Am Dienstag war mein zweiter Tag am Lycee. Ich habe neue Lehrkräfte und Schüler*innen kennengelernt, meinen Stundenplan bekommen und musste viel Organisatorisches im Sekreteriat erledigen: Ausweiskopie, internationale Geburtsurkunde und Bankenausweis einreichen für die Versicherung, Erstattungsbescheinigung für das Bahnticket ausfüllen, Foto machen für die Schulwebsite und den Zugang zu den Schul-PCs sowie zur "Klassenbuch-App" einrichten. Die beiden Lehrpersonen mit denen ich unterwegs war sind sehr unterschiedlich: Julia ist Muttersprachlerin und mit ihr bin ich Abi-Bac-Klassen, also den Klassen die den Deutschschwerpunkt gewählt haben und dementsprechend super fit sind! Romain ist Franzose und hat es mit den "normalen" Deutschklassen etwas schwerer. Insgesamt arbeite ich mit 6 verschiedenen Lehrkräften (an beiden Schulen) zusammen. Dabei gibt es viele verschiedene Vorstellungen, inwiefern ich eingesetzt werden kann: bei zwei Lehrer*innen übernehme ich die Hälfte der Klasse und bin dafür zuständig, die Schüler*innen möglichst viel sprechen zu lassen, weil dieser Teil des Fremdsprachenunterrichts vor allem in großen Klassen meistens zu kurz kommt. Hier bin ich in der Unterrichtsgestaltung vollkommen frei, es soll eine Ergänzung zum "Haupt"unterricht sein. Momentan behandeln die Klassen das Thema "Entartete Kunst" oder "Datenschutz in Sozialen Medien". Bei einer anderen Lehrerin ist es noch nicht klar, ob ich überhaupt mit einer Gruppe den Raum verlasse, oder ob ich immer im Unterricht als Unterstützung anwesend bin und beispielsweise bei Stillarbeits- und Gruppenaufgaben die Schüler*innen im Unterricht aktiv unterstütze. Bei zwei weiteren Lehrkräften ist es so geplant, dass ich immer eine Gruppe von Schüler*innen in meinem eigenen Raum habe, aber den von ihr vorbereiteten gleichen Unterricht durchführe. Das hat den Vorteil, dass automatisch jede*r Schüler*in einen größeren Sprechanteil bekommt, weil die Klassengröße einfach verringert wird. Bei der letzten Lehrerin haben wir uns noch nicht komplett entschieden wie wir vorgehen werden, da ich dort nicht regelmäßig teilnehme sondern beispielsweise nur alle 2 Wochen. Die Klassen sind sogenannte "Prépa"-Klassen, die schon ihr Abitur hinter sich haben und sich auf ihr Studium vorbereiten (préparer). Die Klassen sind extrem klein (4 & 8 Schüler*innen) und sind vor allem an der literarischen Behandlung von Themen und Debatten interessiert. Das klingt sehr aufregend und ich bin gespannt, wenn ich diese Klassen nächste Woche Dienstag kennenlerne.

Am Abend hab ich mich mit Noémie, meiner Austauschschülerin von vor 10 (!) Jahren getroffen! Vor exakt 10 Jahren (selbst der Zeitraum stimmt) war ich für zwei Wochen in Auxerre bei Noémie und ihrer Familie, im November 2010 hat sie dann zwei Wochen bei mir in Idenheim gewohnt. Es war mein erstes Treffen mit einer französischen Gesprächspartnerin, und ich bin mir unsicher ob unsere Gesprächspausen dadurch entstanden sind, dass es für mich eine Fremdsprache ist, oder ob wir auch auf Deutsch manchmal nicht gewusst hätten, worüber wir sprechen sollen. Es war trotzdem ein entspannter Abend, und wir haben vor, uns nochmal wiederzutreffen.

Seit heute gelten in Paris strengere Corona-Regeln, und offiziell haben alle Bars und Café geschlossen, nur die Restaurants bleiben geöffnet. Deshalb bieten jetzt einfach alle Bars etwas zu essen an, zählen somit als Restaurant und es ändert sich prinzipiell: nichts! Außer dass man sich seit heute wie in Deutschland mit Namen und Handynummer  in Listen im Restaurant eintragen muss. Dazu liegt einfach ein großes Buch im Eingang, in das sich alle eintragen können. Datenschutz läuft wohl hier!

Am Abend habe ich am Automaten Geld abgehoben, und damit ich nicht so viele Gebühren zahlen muss, wollte ich etwas mehr auf einmal mitnehmen. Aber leider hat der Automat mir gesagt:

Am Mittwoch hatten wir von der Académie Créteil einen Vorbereitungstag in Créteil für alle deutschen Fremdsprachenassistenzkräfte. Mit Lea, die ich ja schon vorher kannte, sind wir insgesamt 7 Leute, eine total sympathische Gruppe! Vormittags gab es viele Infos zur Organisation. Ich habe unsere Dozentin darauf angesprochen, dass ich bisher keine einzige Mail der Académie erhalten habe, und wir haben mal ein paar Test-Mails geschickt. Es hat sich herausgestellt, dass mein Mailprogramm einfach KEINE Mail der Académie annimmt, weder im Spam, noch im normalen Posteingang. Das ist höchst ungewöhnlich, und ich hab keine Ahnung woran das liegen kann. Den Arrêté de Nomination haben sie mir nämlich eigentlich schon Mitte Juli geschickt, und nicht erst vor 2 Wochen! Wir haben jetzte meine Hochschulmailadresse in den Verteiler eingepflegt, weil es zumindest damit funktioniert hat. Ein Hoch auf die Technik! Am Nachmittag wurde es etwas praktischer: Mareike und Birgit, beides deutsche Muttersprachlerinnen die hier in Frankreich Deutschlehrinnen sind, haben mit uns ein paar Spiele für den Unterricht ausprobiert und konkrete Fragen zum Ablauf im französischen Schulsystem geklärt. Vor allem die "Laicité" spielt hier in Frankreich eine große Rolle, also die Trennung von Staat und Religion. In der Schule gibt es natürlich keinen Religionsunterricht, es dürfen keine religiösen Symbole getragen werden, und man soll sogar von Engeln auf Bildern im Unterricht absehen. Außerdem wird bei allen Schüler*innen beim Betreten des Schulgeländes die Kleidung überprüft: wer sich zu knapp oder unangemessen (zerissene Hose o.ä.) anzieht, muss nach Hause gehen und sich wieder umziehen. Da alle Schulen auch komplett umzäunt sind, bleibt den Schüler*innen dann auch nichts anderes übrig.

Außerdem hab ich heute Wäsche gewaschen, und weil wir keinen Wäscheständer besitzen, werden alle Klamotten einfach auf Bügeln im Zimmer oder in der ganzen Wohnung getrocknet:

Donnerstags ist eigentlich mein freier Tag, aber die Lehrerinnen des Lycée haben mich gefragt, ob ich sie und einige Schulklassen mit ins Kino begleiten möchte, da momentan die Woche des deutschen Kinos ist. Da war ich natürlich gerne dabei, und wir haben uns um 12:30 Uhr am Kino "L'arlequin" getroffen, um den Film "Zwischen uns die Mauer" zu sehen. Vor der Vorstellung habe ich noch einige andere Lehrer*innen des Lycée kennenlernen können, das war cool!

Prinzipiell wird von der Académie empfohlen bzw. vorgegeben, ein französisches Bankkonto zu eröffnen. Da es aber wohl zu Schwierigkeiten kommen kann, da wir nur für 6 Monate hier sind und man verschiedene Dokumente dazu braucht (wie z.B. eine Wohnungsbestätigung, die ich nicht habe), habe ich mich dazu entschieden alles über mein deutsches Konto laufen zu lassen und mir einfach von dort ein Kreditkarte zu holen. Ebenso habe ich mich dazu entschieden, meine deutsche Nummer zu behalten, da ich wegen der EU-Roaming-Regelungen hier keinerlei Mehrkosten als in Deutschland habe.

Am Freitag hatte ich einen stressigen Tag. Bis 17:15 Uhr war ich in der Schule, habe bei den vier Klassen eine eher passive Rolle gespielt, bei Stillarbeit assistiert und den Unterricht von einer Lehrerin mal wieder bewundert. Ich hoffe, dass ich hier weiter zuschauen darf, denn ich glaube, dass ich hier viel lernen kann. Um 18:15 Uhr war ich zu Hause, habe kurz meine Sachen abgestellt und mich um 18:20 Uhr auch schon wieder auf den Weg gemacht, denn ich wollte zu einem Konzert von einer tollen Künstlerin: Suzane! Da ich noch keine Kreditkarte habe, konnte ich mir im Vorfeld kein Ticket online kaufen, eine Reservierung per Telefon war nicht möglich und mir wurde gesagt, ich müsse einfach früh genug da sein um ein Ticket an der Abendkasse zu kaufen. Das Konzert war allerdings in Champigny-sur-Marne, und ich bin mit Bus und Bahn circa 1h dorthin gefahren. Als ich endlich um 19:30 Uhr das Theater gefunden hatte, war ich tatsächlich die erste Person, die ein Ticket an der Abendkasse kaufen durfte, und auch die erste Person, die den Saal betreten durfte. Mir wurde deshalb ein Platz in der ersten Reihe in der Mitte zugeteilt! Das Konzert war in einem Theater, und zwischen jeder Gruppe von zusammengehörigen Menschen musste ein Platz freigelassen werden. Hier ein Foto vom Saal, vom Ticket für Frau Mikolay und ein Foto, auf dem ihr meine Begeisterung förmlich spüren könnt!

Meine Begeisterung steht mir ins Gesicht geschrieben

Links neben mir war also ein Platz frei, und daneben saß wiederum ein Mann um die 50, mit bunten Leggins, Vokuhila, Schal um den Hals und einigen Kameras vor sich, Künstler und Konzertfotograf also vermutlich. Genau dieser Mann hat mich dann angesprochen und gefragt ob ich von hier sei. Ich habe verneint, und erzählt dass ich in Paris wohne und auch noch genauer nachschauen müsse, wie ich denn heimkomme, da am späteren Abend andere Verbindungen fahren als normalerweise. Da er auch aus Paris kommt, haben wir uns kurzerhand zusammengeschlossen und festgelegt, auf jeden Fall zu zweit wieder zurückzufahren. Schon bei seinem ersten Satz hatte ich ein bisschen das Gefühl, einen leichten Akzent zu hören, war davon aber nicht vollkommen überzeugt. Nach ein bisschen Smalltalk habe ich ihn gefragt wie er heißt, und seine Antwort war: "Thomas." Und die Betonung war auf dem "o", nicht auf dem "a"! Dann hab ich gelacht und gefragt ob er kein Franzose sei, und tadaaa, natürlich war Thomas Deutscher! Was ist das bitte für ein Zufall? Also haben wir dann gemütlich auf deutsch weitergequatscht, er arbeitet hauptsächlich in der Genbiologie, ist aber hobbymäßig als Konzertfotograf tätig und lebt schon seit 20 Jahren in Paris. Als nach ein paar Minuten ein anderer Mann vorbeiging, den er auch kannte und die beiden sich kurz unterhalten haben, war klar, dass er uns mit dem Auto wieder mit nach Paris nehmen kann! Echt, verrückte Zufälle.

Dann ging das Konzert los, zuerst war als Vorband die Sängerin Pauline mit zwei Männern an Beat und Bass da, sie nennen sich P.R2B. Das war schon richtig beeindruckend! Mega Stimme und tolle Ausstrahlung mit sehr wenig Show. Und danach kam Suzane auf die Bühne, alleine, mit Mikro und Beatstation, stand sie auf einem Bühnenteil das wie ein T geformt war und im Hintergrund eine Leinwand hatte. Mehr hat sie auch nicht gebraucht, denn sie hat richtig krass abgeliefert! Die ganze Halle hat gefeiert und getanzt (jede*r natürlich an seinem*ihrem Platz), genau wie Suzane selbst auch. In den instrumentalen Teilen hat sie getanzt, was mit dem Video auf der Leinwand abgestimmt war, oder Stimmung in die Halle gebracht. Aber es gab auch ruhige Momente, in denen alles schwarz war und nur sie mit einer Melodika (nicht zu verwechseln mit einem Sousaphon, gell Sarah?) im Lichtkegel stand und gesungen hat. Ich kannte die Künstlerin nur, weil wir mit Vocal Journey vielleicht einen ihrer Songs singen werden, "SLT", der die sexuelle Belästigung von Frauen thematisiert. Schräg hinter mir stand auf jeden Fall der größte Fan des Abends, ein Mädchen um die 15, die JEDEN Text kannte und schon immer nach 2 Sekunden des Intros die Instrumentalmelodie mitgebrüllt hat, sehr zum Amüsement von Suzane. Ich fands lustig, meine Nachbarn rechts von mir eher nicht so. Ich war wirklich sehr glücklich nochmal ein Popkonzert (oder eher HipHop? Rap? bin schlecht in Genrebestimmungen. Wikipedia sagt Singer-Songwriterin?! und "Chanson à texte", ok) besucht zu haben. Den Bass unter den Füßen zu spüren, laut mitzusingen ohne dass es jemanden stört (natürlich mit Maske) und einfach irgendwie zu tanzen. Richtig richtig schöner Abend. Dafür hat sich der Stress im Vorfeld gelohnt.

Am Samstag gab es schon wieder ein Fortbildung, diesmal vom Goethe-Institut, und sie war für alle deutschen Fremdsprachenassistenzkräfte aus den Akademien Créteil, Paris und Versailles. So habe ich noch mehr coole Leute kennengelernt, aber leider immer nur Deutsche! Heutiges Thema war Musik und Theater im DaF-Unterricht (Deutsch als Fremdsprache). Es war super interessant und ich konnte einige Impulse mitnehmen. Abends war ich mit meiner Mitbewohnerin Gloria im Kino! Ich hab mich mega gefreut, dass es dazu kam, weil ich mir von Anfang an gewünscht habe, etwas mehr WG-Leben in der Bude zu haben, und dann man auch mal gemeinsame Aktivitäten hat. Wir haben den Film "Un pays qui se tient sage" gesehen, also "Ein Land, das sich für klug hält", der das Thema Polizeigewalt während der Demonstrationen der Gilets Jaunes behandelt. Da waren ziemlich krasse Aufnahmen dabei und ich war teilweise sehr schockiert, weil ich zwar generell über die Demonstrationen informiert war, mir aber keine expliziten Videos dazu angeguckt habe. Auf dem Rückweg haben wir noch ein bisschen darüber geredet, wie sie die Demonstrationen auch erlebt hat. Ihrer Meinung nach war der Film ein wenig zu einseitig, also es wurden sehr viele negative Meinungen zur Polizei gezeigt, aber das lag auch daran dass die Macher*innen der Doku nicht ausreichend Interviewpartner*innen aus den Reihen der Polizei und deren Vorgesetzten finden konnten. Sie sagt zwar, dass sie die Institution Polizei sehr wichtig und notwendig findet, aber 80% der Polizisten in Frankreich oft einfach nur Prügeln wollen und Grenzen überschreiten. Nach dem Film hatte ich einen ähnlichen Eindruck, aber nur durch eine einzige Dokumentation kann man dazu keine ausreichend begründete Meinung haben.

Sonntag war endlich schönes Wetter! Das macht direkt gute Laune! Noch dazu, wenn man mit Lea verabredet ist, damit sie nicht alleine zu Wohnungsbesichtigungen gehen muss. Um 13 Uhr und um 15 Uhr waren die mehr oder weniger verbindlich per Mail vereinbarten Termine angesetzt. Aber vorher hab ich natürlich, wie jeden Sonntag, mit meinen Eltern und meiner Oma bei Baguette, Ei, Croissant und Käse gefacetimed!

Um 13 Uhr waren Lea und ich an der ersten Wohnung, und konnten direkt von einem netten Hausbewohner in den Innenhof gelassen werden, wo wir Klingelschilder und Briefkastenschilder studierten. Aber auf keinem war der gesuchte Name, und eine Handynummer gab es nicht. Also haben wir eine Mail geschrieben, gewartet, und waren Kakao trinken. Leider haben wir keine Rückmeldung mehr bekommen und sind dann zur zweiten Wohnung gefahren. Dort kamen wir auch sehr leicht in den Innenhof und konnten ebenso auf den Briefkästen und Namenlisten nach der richtigen Wohnung zum Klingeln suchen. Aber auch hier wurden wir nicht fündig, und es gab keine Handynummer! Wir wussten aber, dass die Wohnung im ersten Stock liegt und eine junge Frau namens Antoinette darin wohnt. Vom Innenhof aus gab es 5 verschiedene Eingänge, also sind wir einfach in alle 5 Häuser gegangen und haben in allen ersten Stöcken an allen Türen geklopft und mit den Menschen gesprochen. Das war zwar vielleicht gut für unsere Sprachroutine, aber gefunden haben wir diese Wohnung leider auch nicht. Deshalb waren wir dann einfach leckeren Crêpes essen.


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