Anna in Paris
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Woche 4: Kino, Stress und Politik

Veröffentlicht: 18.10.2020

Am Montag ist eigentlich mein freier Tag, aber wir hatten von der Académie wieder mit Birgit und Mareike eine Fortbildung. Auf dem Weg dahin konnte ich in der Bahn einen wunderschönen Morgenhimmel sehen, und habe ebenso die lustigen Aufkleber für die Einhaltung der Corona-Regeln fotografiert.

Auch heute konnte ich viele neue Ideen für die Unterrichtsgestaltung mitnehmen, zum Beispiel ein Spiel namens "Zwei Wahrheiten und eine Lüge" oder eine Vorstellung durch zwei Orte auf der Weltkarte, warum diese eine besondere Bedeutung haben. Außerdem mussten wir Namensschilder basteln auf denen wir unsere Sprachen irgendwie darstellen und haben höchst gesund in der Schulkantine gespeist.

Abends war ich zur Abwechslung nochmal im Kino, wieder mit einer Schulklasse, wieder ein deutscher Film, heute war es "Exil". Nach der Vorstellung bin ich mit Julia und ihrer Gesangslehrerin, die uns begleitet hatte, noch in eine schöne Bar gegenüber gegangen und wir haben über den Film, das Schulsystem und über die Notwendigkeit von Regeln diskutiert. Das war sehr interessant! Als ich wieder zu Hause war, musste ich meine Stundenvorbereitung für den Dienstag noch abschließen, aber ich habe ja heute genügend Input bekommen.

Datenschutz wird groß geschrieben


Nach einer kurzen Nacht durfte ich am Dienstag zum ersten Mal in insgesamt drei Klassen kleine Gruppen mit bis zu 12 Schüler*innen unterrichten! In zwei der Lerngruppen haben wir eine relativ freie Kennenlern-Stunde gemacht, in der ich direkt viele Dinge von gestern eingebaut habe, in der dritten Lerngruppe ging es um Bildbearbeitung und Selfies. Weil die Schulen digital sehr gut ausgestattet sind, konnte ich das ganze mit PowerPointPräsentation und Whiteboard einfach mit Bildern und Videos unterstützen, was für beide Stunden sehr passend war. Es hat mir richtig viel Spaß gemacht mit den Schüler*innen zu arbeiten! Im Nachmittag habe ich an einer Stunde der Prépa-Klasse teilgenommen, das Deutschniveau war viel niedriger als erwartet, aber sie hatten an diesem Tag auch ihren Schwerpunkt auf der schriftlichen Arbeit. In der Mittagspause durfte ich den Musiklehrer der Schule kennenlernen, der mich spontan zur letzten Stunde eingeladen hat, da er da mit einer Klasse singt und ich gerne unterstützend dabei sein könne. Musikunterricht an einer Schule in Frankreich ist ein Privileg, denn längst nicht jede Schule kann das anbieten, und es ist auch kein Pflichtfach. Das heißt, dass alle Schüler*innen die in diesem Kurs saßen, den auch aktiv gewählt haben. Wir haben ein paar Gospel geprobt, und dann durften Freiwillige dazu improvisieren, was echt richtig krass war! Da waren einige richtig gute Stimmen dabei. Es hat Spaß gemacht mal wieder in einer Gruppe zu singen. Stephane, der Musiklehrer, hat mir auch angeboten, dass ich mal eine Chorprobe halten dürfte, mal sehen ob ich das Angebot annehme. Chor leiten auf Französisch?
Typsiche Schulprobleme und Technik
Vorfreude vor der ersten Stunde
Improvisation ist alles

Abends war ich - Überraschung - im Kino! Heute lief "Deutschstunde". Danach waren wir nicht nochmal mit den Lehrer*innen weg, denn ich hatte noch eine wichtige Verpflichtung in Deutschland: Ich hatte mich entschieden, an einem Wettbewerb für Arrangements für Mädchenchöre teilzunehmen und musste das Arrangement meines eigenen Songs noch fertig schreiben. Donnerstag ist Einsendeschluss, und heute habe ich dazu noch einige Rückmeldungen bekommen, die ich gerne einbauen möchte. Also habe ich mich zur späten Stunde noch ein bisschen an mein Notenschreibprogramm gesetzt.

Nach einer wiederum kurzen Nacht habe ich am Mittwoch weitere Stunden alleine halten dürfen. Außerdem gibt es ein Podcast-Projekt mit einer Klasse, die das Gedicht "Der Erlkönig" so vertonen sollen, dass es auch ohne Deutschkenntnisse verstanden werden kann. Den restlichen Mittwoch bis in die Nacht habe ich mit der Fertigstellung des Songs verbracht. (Das reimt sich, haha!)

Am Donnerstag habe ich dann alles ausgedruckt und zur Post gebracht und per Einschreiben verschickt. Man musste wählen zwischen einem Express-Versand und einer Sendungsverfolgung, ich habe mich für die Sendungsverfolgung entschieden und hoffe, es war die richtige Entscheidung. Bin mir nämlich nicht ganz sicher ob denn der Poststempel vom 15.10 zählt oder ob es am 15.10 hätte da sein sollen. Daumen drücken! Anschließend konnte ich erst mal aufatmen und den ganzen Stress loslassen. Habe einen langen Spaziergang am Kanal St.Martin entlang gemacht und festgestellt, dass Franzosen wirklich viel Boule spielen. Außerdem konnte ich endlich in die kleine Ausstellung der Künstlerin gehen, die ich von Instagram kenne. Auf dem Weg dorthin kam ich an einem Katzencafé vorbei, in dem ich danach ganz in Ruhe eine Limo getrunken habe und in einem Magazin geblättert habe, während ein paar Katzen auf Stühlen und Klavier geschlafen und um meine Beine gestrichen sind. Das war schön!

Lorraine Sorlet
Lorraine Sorlet
Katzencafé

Am Freitag hatte ich einen unspektakulären Schultag im Collège und habe am Nachmittag die Zeit genutzt, endlich nochmal zu üben. Ich hab mich tatsächlich getraut, in der Wohnung Flöte, Gesang UND Klavier zu üben, obwohl zumindest Victoria da war! Es hat gut getan, nochmal ein bisschen Musik zu machen. Abends hatte ich einen wirklichen klischeehaften Abend, wie man sich ihn in Frankreich vorstellt: meine Kollegin vom Collège, Anne-Lou, die erste 28 ist und gerade im Ref steckt, hat mich zu sich nach Hause eingeladen. In ihrer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung im 7.Stock ohne Aufzug, die keine 10 Gehminuten von mir entfernt ist, saßen wir mit drei Freundinnen von ihr um einen kleinen Tisch rum, haben Baguette, Hummus und Käse gegessen und dabei Rotwein getrunken. Und da irgendwie total viele Franzosen rauchen, wurde natürlich auch mit offenem Fenster geraucht. Und nur weil es klischeehaft war, heißt das nicht, dass das nicht schön war! Im Gegenteil: es war ein richtig lustiger Abend, und ich hoffe, dass es noch oft solche Gelegenheiten geben wird.

In der nächsten Zeit zumindest werden sich diese Gelegenheiten zumindest nicht mehr abends abspielen, da es ab morgen eine Ausgangssperre gibt, die von 21-6 Uhr gilt. Zu dieser Zeit muss also jede*r zu Hause sein, man darf sich nur mit Sondererlaubnis auf der Straße aufhalten. Richtig krass! Ich bin gespannt, wie ich diese Zeit erleben und füllen kann, und ich bin gespannt wie ganz Paris damit umgeht. Vielleicht kann durch diese Maßnahme der Anstieg der Fallzahlen etwas abgeflacht werden, und die Ausgangssperre schon nach 4 Wochen wieder aufgehoben werden, wir werden sehen.

Ankündigung der Ausgangssperre

Am Freitagabend, als ich in meinem Zimmer angekommen bin, habe ich eine weitere, schockierende Nachricht erfahren. Nördlich von Paris, circa 45 Minuten von mir entfernt, wurde ein Geschichts- und Geographielehrer auf dem Heimweg von einem 18-Jährigen enthauptet. Der Lehrer hatte zuvor im Unterricht mit Karikaturen über den Propheten Mohammed aus der Zeitschrift "Charlie Hebdo" das Thema Meinungsfreiheit behandelt. Er hatte danach bereits einige Drohungen erhalten. Nach dem Lesen der Nachricht hatte ich einige Minuten lang Gänsehaut. Unfassbar, dass jemand so etwas tut. Ein Akt, der nicht nur den Lehrer selbst, Samuel Paty, sondern alle Lehrer*innen und deren Meinungsfreiheit angreift. Wenn man sich schon darum sorgt, welche Inhalte man im Unterricht behandelt, weil man Angst um sein Leben haben muss, dann stimmt irgendetwas nicht. Ich bin einfach nur erschüttert.

Am Samstag hab ich einen entspannten Tag in Paris gemacht, wollte in Louvre, aber es war voll. Es gab ein paar Demonstrationen von einigen Gilets Jaunes, ich glaube war gegen die Coronamaßnahmen. Es stand zumindest ein als Jesus verkleideter Mann ohne Maske dabei und hat irgendwelche Sachen gerufen, die ich nicht verstanden habe. Außerdem hat mich eine Frau, ebenfalls ohne Maske, angequatscht und mich gefragt ob ich daran glaube, dass gerade eine Epidemie herrscht, und sie, als Chemikerin, mir raten würde aufzuwachen und mir die Zahlen anzugucken. Puuuh, mit Corona-Leugnern auf deutsch diskutieren ist ja schon anstrengend, aber auf französisch ist das nochmal eine andere Sache. Abends war ich mit Luca, der Sprachassistent in Paris ist, libanesisch essen. Um kurz nach 8 mussten wir uns dann mit dem Bezahlen beeilen, weil ich noch meine Bahn nehmen musste um pünktlich um 9 Uhr zu Hause zu sein! Verrückte Angelegenheit.

Blick auf den Eingang des Louvre
Lesen am Palais Royal
Corona-Leugner "Jesus"
Libanenisch

Heute war am Place de la Republique eine große Demonstration für Meinungsfreiheit und zum Gedenken an Samuel Paty. Ich war mit Bernadette, ebenfalls einer Fremdsprachenassistentin, da. Tausende Menschen waren trotz Corona dort, haben minutenlang applaudiert, die französische Nationalhymne gesungen und Reden gehalten. Es war sehr emotional, und viele haben Schilder gebastelt. Jetzt sind erst mal zwei Wochen Ferien, aber das Thema wird bestimmt danach auch in vielen Schulen noch weiter behandelt werden - wichtig!

Place de la République
"Meinungsfreiheit ist, sich mit Tinte ausdrücken zu dürfen, nicht mit Blut!


Außerdem habe ich mir vielleicht heute meinen kleinen Zeh gebrochen, es stand einfach ein Schrank im Weg! (Nachtrag: ich glaube doch nicht, dass er gebrochen ist. Tut trotzdem noch weh.) Den Abend habe ich dann bei einem wunderschönen Livekonzert des LandesJugendChor genossen. So lässt sich die Ausgangssperre aushalten.

Aua
LJC und Eclaire


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