Veröffentlicht: 19.07.2017
Unsere Kubareise begann schon typisch kubanisch, mit Verspätung. Die Cubana-Airline ließ uns zwei volle Tage in San José, der Hauptstadt von Costa Rica warten, da das Flugzeug angeblich wegen des schlechten Wetters nicht von Havanna starten konnte. Wenigstens wurden wir kaiserlich im Hilton Hotel untergebracht und mit Essensgutscheinen versorgt, was uns im überdurchschnittlich teuren Costa Rica sehr entgegen kam. Die Touristen wurden dann am dritten Tag bei Copa-Airlines über Panama eingebucht, die Kubaner durften einen Tag früher fliegen. Nach 8 Stunden Aufenthalt in Panama-City ging das Chaos aber erst richtig los, denn eine Horde shoppingwütiger Kubaner, bepackt mit allem, was es auf Kuba nicht gibt, wie Barbypuppen, Wasserspritzpistolen, Parfüms, Haushaltsutensilien und gefälschten Markenklamotten, erwartete uns am Gate. Als dieses dann endlich geöffnet wurde, versuchten alle gleichzeitig mit Sack und Pack das Flugzeug zu stürmen, die Flugbegleiter waren machtlos. Erst nach einigen lauten Durchsagen kam etwas Ordnung in das Getümmel, sämtliches Übergepäck musste separat abgegeben werden. Doch wo ein Kubaner ist, ist auch ein Weg, so beobachtete ich einen rüstigen 80-Jährigen, wir er kurzerhand seine zenterschwere Tasche in der Gangway wieder vom Gepäckwagen klaute und mit sich ins Flugzeug schleppte. Wir wunderten uns schon, warum wir 2 Stunden vor Abflug beim Gate sein mussten, doch es dauerte wirklich so lange, bis jeder mit oder ohne Hab und Gut auf seinem Platz saß.
Als wir dann endlich mitten in der Nacht völlig erledigt auf der Insel ankamen, begann für uns die größte Zitterpartie, sollte der kubanische Zoll doch sehr korinthenkackerisch sein. Wir waren mit sämtlichen Papieren und den benötigten Touristenkarten gewappnet, jedoch wollten die Beamten vermutlich auch nur noch Feierabend machen und endlich ins Bett, wir wurden ohne Probleme durchgewunken. Doch dann stand uns noch der Endgegner, das Gepäckband, bevor. Da jeder Kubaner in Panama zusätzlich zu den 5 Handgepäcksstücken auch noch zahlreiche Pakete aufgegeben hatte, musste er diese ja auch in Havanna wieder abholen … und wir durften uns gleich schonmal in einer der größten kubanischen Tugenden üben – dem Warten. Plastikpaket für Plastikpaket schlich auf dem Band an uns vorbei, das vermutlich hinter den Kulissen von Guantanamo-Häftlingen auf Fahrrädern betrieben wird, so langsam wie es das Gepäck voranschob. Da jeder Passagier natürlich Anspruch auf das Päckchen erhob, und nur die wenigsten mit Namen versehen waren und wirklich alle gleich aussahen, zog sich das Ganze extrem in die Länge. Wir 6 Touristen, die schon zusammen im Hilton untergebracht waren, schmolzen also in der 35 Grad heißen Flughafenhalle vor uns hin und konnten somit schon den ersten Kulturschock verdauen – auf Kuba laufen die Uhren anders! 1,5 Stunden später tuckerten dann unsere Rucksäcke übers Band und kurze Zeit später saßen wir auch endlich im Taxi, das uns zu unserer Casa in Havannas Altstadt, genannt Habana Vieja, brachte.
Am nächsten Tag stand Geld besorgen auf unserer To-Do-Liste und so quälten wir uns nach einer extrem kurzen Nacht aus dem Bett, bekamen ein fantastisches Frühstück von unserer Gastgeberin Tere und ihrer Tochter serviert und stürzten uns auf Havannas Straßen. Gleich auf den ersten Metern, die uns über die Prachtstraße El Prado führten, kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Natürlich hat jeder das typische Bild mit klapprigen Oldtimern vor Augen, der an Kuba und speziell an Havanna denkt. Doch die Realität übertraf unsere Erwartungen und Vorstellungen um Längen. Links und rechts säumen Villen die Straße, mal in besserem, mal in bemitleidenswertem Zustand, dazwischen rollen überlange Amischlitten aus den 50/60ern über den vor Hitze flimmernden Asphalt, gefolgt von alten Fiat und russischen Ladas, kugelrunden Cocotaxen und Pferdegespannen. Wenn die Ampeln von Rot auf Grün springen, bekommt man als Fußgänger kurzzeitig keine Luft mehr denn diese färbt sich schwarz vor Ruß, den die alten Kisten ausstoßen, wenn der Motor aufröhrt und die Schlitten sich knatternd in Bewegung setzen.
Gleich die ersten Automaten spuckten brav Pesos Convertibles aus, eine der zwei Währungen auf Kuba. Die eigens für Touristen und Auslandsgeschäfte eingeführten Pesos Convertibles, CUC, sind als Devisenwährung heiß begehrt und vom Wert her an den Dollar gekoppelt. Die Einheimischen benutzen jedoch die Moneda Nacional, CUP, mit der man eben das kaufen kann, was die Kubaner für ihr tägliches Leben benötigen. Touristen kommen normalerweise nicht an CUP, außer sie werden beim Herausgeben des Rückgeldes übers Ohr gehauen oder tauschen wie wir ein bisschen was um, um günstige Pesopizza oder Fruchtsäfte auf der Straße kaufen zu können. Wir hätten nicht gedacht, dass das Geldabheben so problemlos verläuft und hatten somit den ganzen Tag Zeit, um Habana Vieja zu erkunden.
Wir ließen uns durch die Straßen und über Plätze treiben und wurden ab und an in ein Pläuschchen mit den sehr redseligen und neugierigen Habaneros verwickelt. Dabei wollten uns unsere Gesprächspartner manchmal Zigarren oder Stadtrundfahrten verkaufen oder einfach nur wissen, woher wir kommen, warum wir Spanisch sprechen und uns auf ihrer schönen Insel willkommen heißen. Wir fühlten uns zwischen den alten Häusern und allgegenwärtigen Oldtimern wie Zeiteisende und Tömmi beflügelte das besondere Flair der Stadt zu tiefgründigen philosophischen Gedankenspielen über den Kapitalismus, Sozialismus und das bei uns derzeit viel diskutierte bedingungslose Grundeinkommen. Während Tömmi lautstark vor sich hin philosophierte, weckten die hinter jeder Ecke wartenden Fotomotive mein Interesse und wir fühlten trotz der Hitze und dem wenigen Schlaf keine Ermüdungserscheinungen. Durst bekamen wir trotzdem irgendwann und der wurde zu meiner Freude mit einer antikapitalistischen Tú-Cola gelöscht. Die großen Marken, die die Welt regieren und eigentlich in jeden Winkel der Erde Einzug gefunden haben, wie Coca-Cola, Nestlé, Unilever und Co., gibt es hier auf Kuba nach wie vor nicht, bzw. kaum! Jedoch scheint der Zugang zu Lebensmitteln und Alltagsgegenständen inzwischen sehr viel einfacher zu sein, als man es vielleicht vermutet oder es vor allem in der Spezialphase der 90er Jahr noch war, allerdings nur, wenn man Devisenwährung besitzt. In unseren Casas particulares, von Privatpersonen betriebene Pensionen für Touristen, gab es von der Klimaanlage bis über den Reiskocher und Fernseher alles, eben nur nicht von den uns bekannten Marken und wahrscheinlich noch aus UdSSR-Zeiten. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR begann die harte Zeit der Entbehrungen auf Kuba, die heute die Spezialphase genannt wird. Da es damals fast nichts mehr zu kaufen gab, wurden die Kubaner Weltmeister im Dinge reparieren, umfunktionieren und improvisieren. Wer in der Stadt lebte und keinen eigenen Grund und Boden zum Anbau von Lebensmitteln zur Verfügung hatte, züchtete Hühner auf dem Balkon oder funktionierte den kleinen Innenhof in ein Gemüsebeet um. Auch heute noch kann man diese Mini-Stadtgärten entdecken, wenn man aufmerksam durch Havannas Straßen schlendert. Obwohl die Spezialphase inzwischen überstanden ist, fehlt es den meisten Kubanern, die keine Devisenwährung besitzen weil sie beruflich eben keinen Kontakt zu Touristen haben, oft an Dingen, die bei uns alltäglich sind. Vor Tiendas mit Waschmittel und Seife reihen sich lange Schlangen, ebenso vor den Carnicerías, Metzgereien, denn Fleisch ist nach wie vor ein Luxusgut, das nicht subventioniert wird wie beispielweise Reis und Zucker, die man mit Lebensmittelkärtchen bezieht. Immer wieder werden wir nach Kugelschreibern oder Feuerzeugen gefragt und als wir eine Internetkarte kaufen möchten, werden wir erst im dritten Anlauf für einen total überteuerten Preis fündig. Internet ist ein absoluter Luxus auf der gesamten Insel, private Internetanschlüsse gibt es nur sehr selten und das an einigen öffentlichen Plätzen zu findende Wifi, in das man sich mit den gekauften Karten einwählen kann, ist meistens hoffnungslos überlastet. Jedoch wird das abendliche Surfen im Internet hier auch wieder zum sozialen Event, da man sich gemeinsam im Park einfindet und Neuigkeiten auf dem Handy abruft. Die Kinder sind auch immer dabei und vergnügen sich beim Beisbol oder Fußballspielen, während die Erwachsenen sich lauthals ihre neuen Whatsapp-Nachrichten zurufen oder schreiend Videotelefonie betreiben.
Schon nach kurzer Zeit auf Kuba wird uns klar, dass es wirklich nur eine Sache gibt, die alle Kubaner im Überfluss haben: Zeit! Das tägliche Warten und Schlangestehen wird hier zum sozialen Miteinander bei dem man Kontakte pflegt, Neuigkeiten austauscht und die verschiedensten Tauschgeschäfte vollzieht. Gearbeitet wird oft nur jeden zweiten Tag, da sich aufgrund von Auftragsmangel in den staatlichen Betrieben oft zwei Menschen einen Job teilen und die meisten Hausfrauen sind auch den ganzen Tag beschäftigt, bis sie die entsprechenden Lebensmittel für das Abendessen zusammen haben. Keiner wurschtelt hier allein vor sich hin, eine Hand wäscht die andere und da es fast allein gleich ergeht, wird sich gegenseitig unterstützt und geholfen. Dieser Gemeinschaftssinn ist vielleicht das beste Erbe, dass die Revolutionäre hinterlassen haben, neben dem herausragenden Gesundheits- und Bildungssystem. Schon Schulkinder lernen bei stundenlangen Arbeitseinsätzen auf den Feldern für das Kollektiv und nicht fürs Individuum zu arbeiten. Der Volksheld Che Guevara, dessen Konterfei und kommunistische Parolen jedes zweite Haus oder Tshirt schmücken, träumte von einer besseren Version der Spezies Mensch, eine Version die individuelle Bedürfnisse vollkommen zum Wohle der Gemeinschaft vergisst. Diese Utopie konnte er auf Kuba zwar nicht verwirklichen, jedoch haben wir das Gefühl, dass Habgier und Neid nicht weit verbreitet sind, was auch die sehr geringe Kriminalitätsrate vor allem gegenüber Touristen bezeugt.
Habana hatte uns nach nur einem Tag schon gefesselt, doch aufgrund unserer Flugverspätung mussten wir am folgenden Tag schon weiter nach Viñales, der Haupstadt des Tabakanbaus in Kubas Westen. Wir hatten unsere Bustickets mit Viazul schon in Nicaragua reserviert, da die Plätze schnell ausverkauft sind und wir nicht abschätzen konnten, wie das öffentliche Nahverkehrssystem funktioniert. Also ab im auf 16 Grad runterklimatisierten Touristenbus nach Viñales, wo wir mit Namensschild von unserer Gastmama Yamedis sehr herzlich empfangen wurden. Die Casa bot eine wunderschöne Dachterasse mit Blick auf die für die Region typischen Kalksteinhügel, die Mogotes. Uns interessierte natürlich vor allem das wunderschöne sattgrüne Tal, waren wir doch im stickigen Havan nicht gerade mit Frischluft verwöhnt worden. Die Menschen in Viñales sind sehr stolz auf ihr wunderschönes Tal, ihre gute Luft und ihre Gelassenheit und werden nicht müde zu betonen, dass sie niemals im hektischen und stickigen Havana leben könnten. Yamedis schlug uns vor, das Tal auf einem Pferderücken zu erkunden und da wir in Uruguay ja das Reiterdiplom mehr (Tömmi) oder weniger (ich) erhalten hatten, nahmen wir das Angebot dankend an und handelten mit unserem Guide eine Sonnenaufgangstour aus. Und wir wurden mal wieder mit so einem ganz speziellen Moment belohnt, der sich einem auf Ewig ins innere Auge einbrennt: Ganz schlaftrunken liegen die mit Königspalmen bewachsenen Mogotes im dichten Morgennebel, durch den sich langsam die ersten orangeroten Sonnenstrahlen kämpfen. Das Tal erwacht zum Leben und auch wir werden, von unseren Pferden Palomo und Mojito getragen, von den Sonnenstrahlen wachgekitzelt. Unser Guide Alejandro klärt uns nebenher über die üppige Pflanzenwelt auf und weiß, wo wir die besten Fotos schießen können, die das Naturschauspiel leider niemals einzufangen vermögen. Immer weiter reiten wir in das Herz des Tales, in dem viele staatlich angestellte Campesions die Felder bestellen, sei es Tabak, Zuckerrohr, Mais oder Kaffee. Die Felder gehörten früher den Bauern selbst, nach der Revolution wurden diese aber, den Grundsätzen des Kommunismus entsprechend, enteignet. Heute darf niemand mehr im Tal wohnen, die Campesinos kommen nur zum Arbeiten und neben ihrem geringen staatlichen Lohn dürfen sie 10% der Ernte selbst behalten und zum Beispiel an uns Touristen verkaufen. Zuerst besuchten wir eine kleine Granja, die einen fatastischen Guavenrum herstellt und vom 90-jährigen Opa mit der Hand über Feuer geröstete Kaffeebohnen verkauft. Während Tömmi fleißig Mitbringsel für die Daheimgebliebenen shoppte, schlürfte ich eine “Crazy Coconut” mit einem ordentlichen Schuss Rum. Zum Glück gibt es keine Promillegrenze für Reiter ;-) Anschließend besuchten wir eine Tabakfarm, bei der ich typisch kubanisch-praktisch zum Dolmetscher auserkoren wurde. Eigentlich hätte Tömmi als Fidel Castro Duoble das Übersetzen übernehmen sollen, trat die Aufgabe aber schnell an mich ab. Die kurz vor uns auf der Farm eingetroffenen Engländer und Holländer hatten es nicht so mit der spanischen Sprache und der sehr gesprächige Tabakfarmer konnte wahrscheinlich aufgrund der dicken Zigarre im Mund nur spanisch dahernuscheln. Als die Theorie dann einigermaßen verstanden war, ging es über zur Praxis. Ich kann es rückblickend nur auf die Crazy Coconut schieben, die mir schon vor dem Zigarrenrauch die Sinne benebelte und auf die sehr überzeugend wirkenden Worte unserer Tabakfarmers, der uns erklärte, dass es sich hier um Light-Zigarren mit nur ganz wenige Nikotion handelt, da die Blattader der Tabakblätter entfernt wurde. Vielleicht lag es aber auch an der authentischen Stimmung in dem Tabaktrockenschuppen und dem um das Mundstück geschmierten Honig, die mich schließlich dazu brachten, selbst so eine “Puro” genannte Zigarre zu schmökern. Und ich muss sagen, gar nicht mal so schlecht. Kein Hauch von “vollgeschissene Hose” oder “Aschenbecher”, ich würde sogar behaupten, dass diese Zigarre ganz gut geschmeckt hat. Total verrückt: Ich reite, trinke Kaffee und rauche eine Zigarre - zuhause undenkbar, auf Kuba möglich - das Motto gilt hier wohl in mehreren Lebensaspekten! Tömmi war inzwischen zur leibhaftigen Inkarnation des Commandante Fidel mutiert, mit Rauschebart, Mütze und Zigarre im Mundwinkel.
Auf dem Heimritt fragte ich Alejandro, wie es denn nächstes Jahr weitergehen wird mit Kuba, Raul Castro möchte ja 2018 den Präsidentenposten abtreten. So ganz sicher sei das wohl noch nicht, da sich derzeit schon mehere in Frage kommenden Personen streiten. Raul habe auch noch nichts unterzeichnet, also bleibe es abzuwarten. Auf alle Fälle wird es ein Kandiat sein, der in der Revolution gekämpft hat, alle anderen haben keinen Anspruch darauf, das Erbe der Revolution zu verwalten. Dass diese Revolutionskämpfer auch immer älter werden und irgendwann aussterben, scheint momentan noch keiner zu bedenken.
Viele Kubaner wünschen sich für die Zukunft wohl eine bessere Beziehung zu den USA, was unter dem orangefarbenen Trottel wohl nicht passieren wird. “Zum Glück”, denken wir, doch die Kubaner sehen in den USA wohl immernoch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, zumindest zeigt jedes Tshirt, das nicht mit Fidel oder Che bedruckt ist, die amerikanische Flagge und die allermeisten dicken kubanischen Frauenpops sind in Leggins mit Amerikaflaggenaufdruck gequetscht. “Sehr widersprüchlich”, denken wir, doch auf Kuba erscheint uns so einiges sehr divergent, wieso also nicht dem Ursprung allen kubanischen Leidens und Übels entgegenträumen. Wir wünschen uns für Kubas Zukunft, dass der nächste Staatschef ähnlich in Richtung “moderner Sozialismus” schreitet, wie es Raul die letzten Jahre getan hat. Vor allem das Selbstständigkeitsgesetzt ermöglicht vielen Kubanern inzwischen ein besseres Leben. Sei es den Bauern, die ihre Waren nun selbständig verkaufen dürfen oder den Besitzern von Casas particulares, die Touristen beherbergen und bekochen. Jedoch sind diese für die Selbstständigkeit notwendigen Lizenzen nicht so leicht erhältlich und an allerlei Regeln gebunden, wie uns Luíz erklärte, mit dem wir eine Wanderung auf einen Mogote-Kegel unternahmen. Wer so eine Lizenz will, muss hohe Steuern bezahlen, egal wie viel er verdient. Wenn man also bei sich zuhause Touristen behergegen möchte, muss man auch zusehen, dass die Zimmer immer voll sind, sonst zahlt man am Ende mehr Lizenzgebühr, als man Miete einnimmt. Und wer seine Gäste bekochen möchte, braucht eine Extralizenz und es ist nicht unüblich, dass ein Staatsdiener zum Probeessen vorbeikommt. Luíz wollte zum Beispiel Mountainbike-Touren im Viñalestal anbieten, da unter den 201 zugelassenen selbstständigen Berufen aber nur Pferde- und Wanderführer, nicht aber Fahrradguide gelistet ist, wird es vorerst keine Mountainbikes in Viñales geben.
Vermutlich ist es das vermeintlich hohe Maß an Selbstbestimmung, das die Kubaner am american-way-of-life so bewundern. “Vom Tellerwäscher zum Millionär”, auf Kuba undenkbar, da der Staat bestimmt, was möglich ist und was nicht und das Anhäufen von privaten Reichtümern, das Aufrufen bestimmter Internetseiten, politische Mitbestimmung, Gewaltenteilung, eine Opposition, etc. zählen zu den Dingen, die nicht möglich sind. Uns fällt auch auf, dass viele Kubaner auch geografisch überhaupt keine Ahnung haben, obwohl es seit 2013 offziell keine Einschränkung der Reisefreiheit mehr gibt. In der Praxis ist Kuabnern das Reisen aber kaum möglich, wie uns Yamedis traurig erzählt, da Kubaner fast nirgendwo ein Visum bekommen, vor allem Reisen in die Schengen-Staaten seien fast unmöglich.
Und so sitzen wir bei von Yamedis eigens für uns zubereitetem deliziösem 3-Gänge-Menü auf der schönen Dachterasse, den weltschönsten Sonnenuntergang vor Augen und trotzdem etwas wehmütig, weil uns die positiven Grundideen eines Sozialismus einerseits und die kubanischen Probleme und Ungerechtigkeiten andererseits sehr ins Grübeln bringen. Vor allem die Ausmaße der von Amerika verhängten Embargos machen uns immer wieder wütend, da diese in unseren Augen einfach völker- und menschenrechtswidrig sind und trotzdem von so vielen anderen Staaten gebillligt werden.
Jedoch bekommen wir auch die Vorzüge des kubanischen Systems zu spüren, denn Tömmi erwacht am Morgen nach unserem Pferdeausritt mit total verkrusteten und entzündeten Augen. “Infektion” diagnostiziert Yamedis beim Frükstück und schickt uns ins Krankenhaus. Das darf doch nicht wahr sein, dass wir kurz vor Ende unseres Reisejahres, das bisher so glimpflich verlaufen ist, doch noch ins Krankenhaus müssen. Also führe ich Tömmi wie einen Blinden zum Krankenhaus, wo wir direkt in ein Zimmer bugsiert werden, auf dem “Extranjeros”, Ausländer, steht. Der Arzt hat leider keine Lust, mit uns Englisch zu sprechen, obwohl er es mit Sicherheit kann, und so stottern wir herum und erläutern eher pantomimisch als mit Worten das Problem. Er versteht uns aber und schlussfolgert, dass eine Allergie der Übeltäter sei. Wir glauben zwar nicht, dass diese Dignose die Richtige war, denn wenn sich einer mit Allergien auskennt, dann Tömmi, aber wir wollten dem guten Mann auch nicht wiedersprechen. Die kubanische Version einer Schwester Rabiata, mit viel zu kurzem weißem Kittelchen über den weißen Netzstrumpfhosen und Häubchen auf dem Kopf, fackelte auch nicht lange und rammte dem verdutzen Tömmi eine fette Spritze in seinen weißen Touristenpopo :-) Was das für eine Spritze war, konnten wir leider nicht herausfinden, wurden aber mit einer Packung Pillen und einem Augentropfenrezept wieder zu Yamedis geschickt, die die Tropfen dann in der Apotheke besorgen konnte. Wir als Ausländer hätten die Tropfen nicht bekommen bzw. das Zehnfache bezahlt. Zusammen mit eiskalten Wattebäuschchen auf den Augen taten die Medis dann auch schnell ihre Wirkung und zwei Tage später war Tömmi wieder unter den Sehenden.
Alle Kubaner haben seit der Revolution komplett staatlich subventionierten Zugang zu medizinischer Versorgung, sogar sehr komplizierte Operationen werden kostenfrei geleistet und in jeder Stadt gibt es gut ausgestattete Krankenhäuser. Kubanische Ärzte haben weltweit einen sehr guten Ruf, vor allem bei internationalen Einsätzen nach Umweltkatastrophen oder in Krisengebieten sind sie die ersten die kommen und die letzten die, häufig erst nach jahrelangen Einsätzen, wieder gehen! Das wird bei der oftmals einseitigen Berichterstattung leider vergessen, dass Kuba, gemessen am Standard anderer “dritte-Welt-Länder” im Bereich des Gesundheits- und Bildungswesens durchaus mit dem Niveau westlicher Industriestaaten gleichzieht, bzw. es sogar übertrifft. Und das komplett ohne ausländische Hilfe und für alle Kuabner kostenfrei!! Diese Stützpfeiler der kubanischen Gesellschaft, soziale Gerechtigkeit und nationale Unagbhängigkeit, sind bisher auch zum Glück noch nicht ins Wanken geraten! Obwohl der kubanische Witz “Was sind die 3 größten Errungenschaften der Revolution? Gesundheit, Bildung und Sport. Und was sind ihre drei größten Mängel? Das Frühstück, das Mittag- und Abendessen.” die Sache ganz gut auf den Punkt bringt.
Nach Viñales stand nochmals Havanna auf dem Programm und so zogen wir wieder mitten in die Altstadt zu Tere. Wir informierten uns ausführlich über die Revolution im größten Revolutionsmuseums der Insel und kamen zu dem Schluss, dass diese handvoll bärtiger Typen, die auf den Fotos überdurchschnittlich charismatisch und sympathisch erschienen, komplett irre gewesen sein mussten, diese Revolution aus dem tiefsten Dschungel der Sierra Maestra heraus zu starten. Eigentlich hatte ja keiner von ihnen einen wirklichen Plan geschweigedenn Ahnung von dem, was sie da trieben. Ein Rechtsanwalt, Fidel, dessen Bruder, Raul, ein argentinischer Arzt, Che, und ein ungebildeter Bauernjunge, Camillo, schafften es, aus dem Nichts heraus den von den USA eingesetzten Marionettendiktator Batista zu stürzen und die Amerikaner von der Insel zu jagen, ein für alle mal. Ganz großes Kino, wie wir finden, und auf jeden Fall verständlich, dass auch heute noch an fast jeder Straßenecke daran erinnert wird, sei es mit der berühmten Che-schen Parole “Hasta la victoria, siempre!”, “Bis zum ewigen Sieg”, oder eben ganz einfach “Viva la revolución!”. Nach der Machtübernahme der Guerillos ging es dann auch schnell los in Richtung Sozialismus: Umverteilungen, Soziaprogramme, Alphabetisierungskampagnen, Agrarreformen, etc. wurden in die Wege geleitet und man gelangt zu der Überzeugung, dass die Revoluzer doch wussten, was sie da taten. Eine Anekdote brachte uns trotzdem sehr zum Schmunzeln, so soll Fidel im Kreise seiner neu zu bildenden Regierung mit dicker Zigarre im Mund gefragt haben, wer denn hier “economista”, Ökonom, sei, sich also mit Wirtschaft auskenne. Che Guevara schnellte wohl als einziger in die Höhe und schrie “Yo soy comunista!”, “Ich bin Kommunist!”, weil er anstatt “economista” “comunista” verstanden hatte. Obs an Fidels Zigarre oder Rauschebart gelegen hat, weiß man nicht, auf jeden Fall wurde Guevara nach dieser Aktion zum Wirtschafts- und Finanzminister erkoren :-)
Sehr kurios wird im Museum auch über die unzähligen Attentate, Anschlagsversuche und Boykotts seitens der Amerikaner berichtet. Castro habe Haie abrichten und auf der Jagd nach Amis nach Miami schwimmen lassen, war nur eine der Schlagzeilen. Doch weder eine explodierende Zigarre noch von Flugzeugen aus versprühtes Gift aus der CIA-Trickkiste brachten den gewünschten Tod des Comandante. Schon interessant zu sehen, wie gerade die Nation, die sich den Kampf gegen den Terrorismus so dick auf die Fahnen schreibt, alle Ideale vergisst, wenn es um Kuba geht.
Spannend war auch noch der Besuch der alten spanischen Festungen gegenüber Havannas Altstadt. Dort stehen nämlich noch einige, inzwischen unscharfe, Relikte aus der Zeit der Kuba-Krise, unter anderem kann man sich dort die atomaren Mittelstreckenraketen ansehen, die in den 60ern die Welt um ein Haar in einen Atomkrieg gestürzt hätten.
Nachdem wir genug in der Vergangenheit geschwelgt hatten, kehrten wir wieder ins heutige Havanna zurück, spazierten über die Uferpromenade in den hippen Stadtteil Vedado, besuchten dort ein richtig cooles Jazzkonzert in einem angesagten Schuppen, ließen uns von 2 Schlepperinnen, Jineteras genannt, in einer Straße der afro-kubanischen Santería-Religion mit 20$-Mojitos abzocken und genossen leckere moderne kubanische Küche in angesagten Devisenrestaurants.
Von der Hauptstadt an der Nordküste ging es dann weiter nach Cienfuegos, einem von Franzosen in neoklassizistischem Stil gegründeten Städtchen an der Südküste. In Cienfuegos bezogen wir eine schicke Casa mit Pool, schlenderten am Malecón entlang, bewunderten die protzigen Villen und wurden von der gleißenden Sonne gebraten und von sinntflutartigem Regen fast ins Meer gespült. Senora Esperanza organisierte uns einen Privatfahrer für einen Ausflug in Cienfuegos Hinterland, zu einer Flamingolagune, zu einem eiskalten Wasserfallspektakel und in einen botanischen Garten.
Mit einem 59er-Chevrolet wurden wir dann zu unserem nächsten Stopp nach Trinidad kutschiert, wo wir von Yolanka mitten in einem autofreien Altstadtgässchen empfangen wurden. Trinidad, eine Kolonialperle die inselweit ihr Gleiches sucht und aus Angst vor Piratenüberfällen nicht direkt ans Meer geplant wurde, und die vorgelagerten Strände gefielen uns so gut, dass wir etwas länger als geplant blieben. Nachdem wir am ersten Tag nur von Schatten zu Cocktail und wieder zurück in unsere Casa vor der unerbittlichen Sonne geflüchtet waren, standen die nächsten Tage ganz im Zeichen der wohltuenden Abkühlung im Meer. Ein Sightseeingbus pendelt zwischen Altstadt und Meer und am größten Strand Ancón buchte ich für den kommendem Tag gleich einen Tauchgang. Das Tauchequipment war typisch kubanisch-improvisiert, das Riff aber sehr schön mit zwei Tunneln und vielen Karibikfischen. Wir wollten dann aber doch noch die Umgebung erkunden und mit einem Zug ins Zuckermühlental fahren, um dem Geheimnis des weißen Goldes etwas auf die Spuren zu gehen. Am Bahnhof wurden wir von Taxifahrern abgefangen, die behaupteten, der Zug sei heute kaputt und es bliebe uns nichts anderes übrig, als die Tour mit dem Taxi zu machen. “Ja klar”, dachten wir und fragten in der Bahnhofsbruchbude nach, wo uns aber die selbe Auskunft erteilt wurde. Nachdem wir in Havanna ja schon von zwei Jineteras verarscht wurden, glaubten wir den Kubanern kein Wort und warteten mit einigen anderen Touristen auf den Zug, der aber einfach nicht losfahren wollte. Als uns dann aber auch die Schaffner, die auf dem Zug herumturnten, versicherten, dass der Zug kaputt sei, traten wir enttäuscht den Weg zur Ausflugsagentur an, um unsere Tickets ausbezahlen zu lassen. Eine Taxitour sprach uns nicht an, wir hatten uns eigentlich nur aufs Zugfahren gefreut. Das Geld wurde problemlos zurückerstattet und so fuhren wir dann doch wieder an den Strand, diesmal aber an den Lieblingsstrand der Einheimischen. “Ein Kubaner kommt selten allein” war auch am Strand die Devise, denn Horden von Einheimischen dümpelten mit Sonnenschirm in der einen und Rumflasche in der anderen Hand im Wasser. Wir hatten großen Spaß dabei, dem kuabnischen Machogehabe, zu dem es gehört sich mit möglichst viel Rum vollaufen zu lassen und lauthals jedem vorbeilaufenden Frauenpopo hinterherzurufen, zuzuschauen und wunderten uns einmal mehr über die für uns sehr andersartige Form der Familienzusammengehörigkeit. Kubaner heiraten nur sehr selten, denn ein lebenslanger, treuer, Partner erscheint ihnen total langweilig und nicht erstrebenswert. Vielmehr ist es gesellschaftlich total akzeptiert und auch modern, je nach Lust und Laune die Partner zu wechseln. Die diesen Liäsons entspingenden Kinder bleiben dann stets bei der Mutter, der aktuelle Partner ist dann eben immer für die Zeit des Techtelmechtels der Papa. Wir haben uns hier schon häufig darüber amüsiert, dass sich in kubanischen “Familien” niemand ähnlich sieht. Die Kinder sind von blond bis afroschwarz gemischt und für uns unmöglich als Geschwister zu identifizieren. Da es deshalb auch nicht die “typisch kubanischen” Gesichtszüge gibt und wir ebenso naturblonde Kubaner wie typisch kartoffelnasig-europäische mit sehr dunklem Hautton kennengelernt haben, ist es für uns sehr rätselhaft, wie Kuabner sich gegenseitig als Einheimische erkennen. Was uns jedoch jedes mal erfreut ist die Tatsache, dass wir auf der Insel noch kein einiziges Mal als Deutsche erkannt wurden und oftmals direkt auf italienisch angeplappert werden, das viele Kubaner fließend sprechen. Danach wird immer auf Spanier getippt, was mich noch mehr freut, haben sich die 11 Monate Quälerei mit der Fremdsprache nun doch endlich ausgezahlt. Es ist zwar etwas gemein und oberflächlich, aber die meisten deutschen Touristen hier erkennt man mit ihren dämlichen Strohhüten auf sonnenverbrannten Gesichtern, Thirts mit noch dämlicheren Aufdrucken und vor sich hergetragenen Reiseführern auf den ersten Blick.
Wenn wir durch die Straßen schlendern, müssen wir auch immer wieder darüber schmunzeln, wie die Einheimischen hier auf Tömmis Ähnlichkeit zu ihrem Commandante reagieren - Straßenmusiker hören auf zu spielen, verbeugen sich und beginnen, einen Revolutionssong zu klimpern; Straßenkünstler fertigen kostenlose Zeichnungen von Tömmi an, in denen sie die beiden Gesichter verschmelzen lassen und viele Männer raunen im Vorbeilaufen ein ehrwürdiges “El barba”, der Bart, einer der Spitznamen Castros. Der Comandante ist hier immer noch allgegenwärtig, es vergehen keine fünf Minuten, ohne an einem Banner, Plakat oder überlebensgroßen Fotografie vorbeizukommen. Leider wissen wir noch zu wenig über “den Bärtigen”, als das wir uns ein faires Bild von ihm machen können. Die vielen kritischen Stimmen zu seiner Person wurden ja häufig zensiert und die Infos über ihn, die an die Öffentlichkeit gelangten, erscheinen uns allesamt sehr manipuliert. Eine Fidel-Biographie steht jetzt jedoch ganz oben auf meiner Bücherliste.
Die restliche Zeit verbrachten wir in Trinidad mit Souvenirshopping, leckeren Abendessen mit fantastsichen Livebands und einer kleinen Stadtführung.
Da Tömmi sich für das Ende unseres Sabbathjahres nochmals ausgiebiges Nichtstun in einem all-inclusive-Hotel gewünscht hatte und ich auf jeden Fall nochmal tauchen gehen wollte, buchten wir für unsere letzten Tage auf Kuba schon in Nicaragua ein schickes Hotel auf der Cayo Coco, einer Trauminsel vor Kubas Nordküste mit zweitlängstem Riff der Welt, die über einen befahrbaren Damm mit dem Festland verbunden wurde. Da die verbleibenden vier Tage vor dem Hotelaufenthalt nicht mehr gereicht hätten, um Ostkuba zu erkunden, vertrödelten wir die Zeit in den komplett untouristischen Städtchen Sanctí Spiritus und Morón. Dort gehts sehr gemütlich zu und man kann in aller Ruhe die wunderschönen Kolonialbauten, Kopfsteinpflastergässchen und Plätze bewundern, ohne auf jedem Meter eine Taxifahrt, Zigarre oder Kunsthandwerk angepriesen zu bekommen. Der bekannte botanische Garten hatte aufgrund der Nebensaison leider geschlossen und so blieb außer einige Drinks zu schlürfen, Spazierengehen und Fotos zu schießen wirklich nicht viel für uns zu tun.
Auf der Cayo Coco schlüpften wir dann in die Rolle von Pauschalurlaubern und fanden auch recht schnell Gefallen daran. Wobei es schon ziemlich schräg war, sich abends am Pool Wasserballett zu Klängen von Celine Dion reinzuziehen :-) aber dank des lila Plastibändchens konnten wir es uns mit Cubata-Cola-Rum erträglich trinken! Unser Hotel versorgte uns rund um die Uhr mit Cocktails am Liegestuhl und das Wasser war wie versprochen karibikklar und pipiwarm. Ich war nochmals tauchen und am letzten Tag sind wir mit einem HobieCat zum Schnorcheln gesegelt, mehr Action ließ Tömmi nicht zu. Das Highlight war allerdings der wilde Flamingo, der das Hotel seiner Lagune vorzieht und genüßlich Poolwasser schlürft.
Zurück in Havana ließen wir uns es nicht nehmen, noch eine Stadtrundfahrt in einem knallrosanen ´52er Chevi zu machen, bevor wir widerwillig ins Flugzeug stiegen, das uns nach 11 Monaten in Südamerika nun zurück in die Heimat brachte.
Aber eines steht fest, hasta algún día liebes Kuba, nos vemos!