Veröffentlicht: 17.05.2024
Nach einer ruhigen Nacht (ich könnte weinen vor Freude!) ging es heute mit dem Bus von Seoul nach Sokcho. Es dauerte fast eine ganze Stunde, bis wir aus der Stadt raus und auf der Autobahn waren, aber dann ging es schnurstracks 2,5 h quer durchs Land.
Sokcho (Sock-tscho) ist eine Küstenstadt im Nordosten des Landes und liegt am japanischen Meer. Die Stadt liegt nördlich des 38. Breitengrades und gehörte damit eigentlich zu Nordkorea. Wie kommt es dann, dass ich dorthin reisen kann? Nun, dafür müssen wir einen Blick auf einige traurige Kapitel in der koreanischen Geschichte werfen.
Es kommt jetzt ziemlich viel Text auf euch zu. Haltet durch! Als Ausgleich gibt's auch viele Fotos! 😊
Im Jahr 1910 wurde Korea von Japan annektiert. In dieser Zeit wurde die koreanische Kultur mit allen Mitteln unterdrückt, unter anderem die Sprache verboten, historische Gebäude zerstört, Männer für die Armee zwangsrekrutriert und Frauen als "comfort women" (Euphemismus für Sexsklavinnen) nach Japan verschleppt.
Die japanische Herrschaft endete erst 1945 mit dem 2. Weltkrieg, als Japan besiegt wurde. Doch Korea wurde sogleich unter der Führung von Russland bzw den USA aufgeteilt. Es wurde entschieden, das Land entlang des 38. Breitengrades zu teilen. Nord- und Südkorea entstanden - ähnlich wie in Deutschland, nur das Deutschland in der Geschichte selbst der Aggressor war.
Von 1950-1953 kam es zu einem Krieg zwischen Nord- und Südkorea. Durch das Eingreifen der USA und Chinas wurde daraus ein Stellvertreterkrieg - neben den Kriegen in Vietnam und Afghanistan war dies der größte im Kalten Krieg. Fast 4 Mio. Menschen starben, nahezu die komplette Industrie des Landes war zerstört.
Am Ende des Krieges gab es minimale territoriale Veränderungen, so wie ein Waffenstillstand, der bis heute anhält. Zwischen den beiden Ländern richtete man eine demilitarisierte Zone (DMZ) ein, die man als Tourist im Rahmen einer Führung besuchen kann. Eine Friedensvertrag gibt es bis heute nicht.
Hättet ihr gewusst, dass das deutsche Wirtschaftswunder nach dem Wiederaufbau direkt mit Korea verknüpft ist?
Durch den Korea Krieg stieg in Deutschland die Nachfrage nach rüstungsrelevanten Gütern aus dem Ausland massiv an. Erstmals nach dem Krieg brachte die Außenwirtschaft wieder Wachstum. Die Produktionsbeschränkungen, die von den Alliierten für Eisen und Stahl verhängt worden waren, wurden aufgehoben. Der Export stieg von 1950-52 um 200%. Für Deutschland war der Korea Krieg der Anschwung, der die Wirtschaft wieder zum Laufen gebracht hat. Ich finds irgendwie pervers.
Ihr könnt euch wahrscheinlich denken, dass Sokcho einer der minimalen territorialen Gewinne auf südkoreanischer Seite war. Und so kommt es, dass ich hier sein kann, obwohl es nördlich des 38. Breitengrades liegt.
Der Grund, warum Sokcho auf meiner Reiseliste gelandet ist, ist allerdings sehr viel banaler. Ich habs in einem Drama gesehen (남자친구 "Boyfriend") und fand die Stadt am Meer so schön... 😅
In Sokcho angekommen bin ich erst mal zur Unterkunft gestiefelt, um meine Sachen abzulegen. (Daumen hoch an Vergangenheit-Nina für die Buchung, nur 15 min. zu Fuß bis zum Busbahnhof und ein kleines bisschen Meerblick vom Balkon! 😊)
Danach wollte ich unbedingt an den Strand, das Meer sehen! Auf dem Weg habe ich mir an einem kleinen Laden 찐빵 mitgenommen. (Dschinn-bang = gedämpftes Brot). Die habe ich mir dann an einem schönen Fleckchen an der Strandpromenade einverleibt.
Es gibt einen kurzen Spazierweg an der Küste entlang, der 바다향기로 (Pa-da-hjanng-gi-roh) heißt, was so viel wie Meeres-Geruchs-Weg heißt. Und ja, es riecht nach Salzwasser und Pinien und diesen süßlichen kleinen weißen Blüten von denen ich nie weiß wie die Pflanze heißt. Schön!
Nachdem ich den Weg einmal hin und zurück gelaufen bin (insgesamt ca. 4 km), brauche ich eine Pause. Ich laufe zurück ins Hotel, schnabuliere unterwegs noch ein Eis und leg mich erst mal hin.
Nach einem leckeren Abendessen mache ich einen Verdauungsspaziergang am Strand, dieses Mal in die andere Richtung zum Sokcho Eye (Riesenrad). Hier ist richtig Spektakel, eine Bläser-Band spielt (mit Playback und viel Hall und Verzerrer, Christian wäre begeistert), am Sokcho Eye werden kitschige Herzchen-Beleuchtungen eingeblendet, überall steht Gedöns rum, mit dem man sich fotografieren kann, und dazwischen rennen lauter süße kleine Kinder und Hunde rum.
Noch eine süße Anekdote vom Heimweg: Ich schnicke ganz kurz in einen Souvenirladen rein und kaufe mir einen Sokcho Flaschenöffner (ich wollte sowieso schon ganz lange einen für die Küche haben, ok? 😅).
Die Verkäuferin guckt sehr angestrengt auf die Kasse.
"Schipp-mann Won - 10.000 Won" sagt ihr älterer Kollege.
Und sie zu ihm "Ja ich weiß, aber wie sage ich das denn jetzt auf Englisch?"
Und während ich nicke und sage "Kenn-schana-jo - Ist schon ok" sagt er auch "Die scheint doch Koreanisch zu verstehen, alles gut."
Und dann sah sie sehr erleichtert aus, dass sie jetzt nicht auf Englisch mit mir interagieren muss. Das fand ich irgendwie süß. Manchmal vergesse ich, dass es ja nicht nur für mich als Fremde schwierig oder respekteinflößend sein kann, die Komfortzone zu verlassen. Auch für Einheimische kann das eine Überwindung sein. Umso schöner, wenn es dann irgendwie klappt. 😊