Veröffentlicht: 14.01.2022
Auf der ersten Hälfte der Etappe bekam ich es mit eisigem Wind zu tun. Bei Sturmböen bis 70 km/h und Temperaturen um dem Gefrierpunkt ging es von Biga Richtung Nordwesten an die Küste. Aufgrund des ausgiebigen Frühstücks im Hotel war bis Lapseki keine Pause notwendig. In Lapseki hatte ich mir dann ein unscheinbares Café gesucht, um eine Kleinigkeit zu essen und Tee zu trinken. Zwei Männer forderten mich auf, mich zu ihnen zu setzen. Sie konnten zwar kein Wort Englisch, aber ein Übersetzer war schnell gefunden. Aus einer Tasse Tee wurden drei, und ohne es zu merken, wurde ich schon wieder eingeladen. Wirklich wohl war mir dabei nicht, da die Bevölkerung sowieso schon unter der Wirtschaftskrise leidet... Westlich von Lapseki fiel mir eine lange, noch im Bau befindliche Brücke auf. Erst nach späterer Recherche wurde klar, dass die "Canakkale-1915-Brücke" die längste Hängebrücke der Welt sein wird. Sie soll im März eröffnet werden, der Name soll an die berühmte Schlacht bei Gallipoli 1915 erinnern, bei der geschätzt insgesamt 500.000 Soldaten fielen.
An schneebedeckten Feldern entlang ging es mittlerweile mit Rückenwind Richtung Canakkale. Durch die unerwartete Unterstützung kam ich bereits gegen 16 Uhr am Hotel in Canakkale an. Es stellte sich heraus, dass der Besitzer mal eine Weile in Zürich gelebt hatte. Als er erfuhr, dass ich meine Kette wechseln lassen möchte, fragte er spontan in der Gegend herum, ob jemand einen Mechaniker empfehlen könnte. Er ist dann sogar mit mir zum nächsten Fahrradladen gelaufen, um zu übersetzen, was genau ich brauche. Eine Stunde später konnte ich mein Rad mit neuer Kette zu einem guten Preis wieder abholen! Wieder mal ein Beispiel für die türkische Hilfsbereitschaft. Das Rad kam im hoteleigenen Innenhof unter.
Am nächsten Tag stand natürlich eine Stadtbesichtigung auf dem. Plan. Wie in jeder größeren türkischen Stadt gibt es auch in Canakkale einen Uhrturm. Am Hafen steht ein Modell des trojanischen Pferdes, das antike Troja wird 25 Kilometer südwestlich von hier vermutet. Mir fiel auf, dass Canakkale sehr sauber ist, es gibt auch viele Parks und Gärten. Nicht umsonst wird die ganze Region auch als die "grüne Lunge der Türkei" bezeichnet. Auch das Wasser direkt am Hafen war sehr klar. Da es ansonsten nicht viel in der Stadt zu sehen gab (viele Modemarken sind hier auch vertreten), sollte ich spontan auf die Halbinsel Gallipoli fahren.
Nach dem Übertritt mit der Fähre (für umgerechnet 30 cent!) war ich für einen Nachmittag wieder in Europa. Nicht nur gefühlt war ich der einzige Besucher der Festung Kilitbahir, die sich aber schon allein wegen des Ausblicks lohnte. Beim Bau ihrer Festungen haben die Osmanen im Allgemeinen viel Wert auf Symmetrie und Geometrie gelegt. Auf der gesamten Halbinsel finden sich zahlreiche Denkmäler und Friedhöfe, die an die Schlacht an den Dardanellen erinnern. Diese ist ein entscheidender Teil des türkischen Nationalstolzes. Auch Mustafa Kemal, der erste Präsident der Republik Türkei und später als "Vater der Türken" (Atatürk) bezeichnet, machte sich durch diese Schlacht einen Namen.
Abends gab es noch etwas zu essen (wieder auf der asiatischen Seite), bevor am nächsten Tag die Weiterfahrt Richtung Süden anstand.