Adventure is waiting
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Einfach anders

Veröffentlicht: 27.12.2016

In meinem letzten Bericht erwähnte ich den Gedanken, Dinge einfach mal simpel zu halten. Es stellt sich immer mehr heraus, dass das auch in Kolumbien nicht so einfach ist. Wenn man versucht herauszufinden was wirklich wichtig ist im Leben, dann fallen Dinge wie lackierte Nägel, hochhackige Schuhe und glitzernde Kleidchen ziemlich schnell aus dem Raster. In Kolumbien auf sowas zu verzichten, schwierig. Ich weiß auch nicht wie es geschah, aber in meinem Kleiderschrank befinden sich 5 (!!!) neue Kleider und ein paar hochhackige, güldene (!!!!) Schuhe. Wir verschieben das mit der Schlichtheit dann auf die nächste Etappe der Reise. Immerhin bin ich noch die einzige mit unmanikürtien Fingern und Füßen. Ein stiller Protest. Es wird schon sehr viel Wert auf Kleidung und Schmuck gelegt, wobei es da weniger auf die Qualität als auf die Kostengünstigkeit ankommt. Dass das 3 Euro Kleid nach zweimal waschen zerfällt, naja gut hat man wenigstens nicht allzuviel verloren.
Die erste authentische Erfahrung gleich nach unserer Ankunft in Cartagena ein "Quinceañero". Der 15. Geburtstag einer Cousine xx. Grades von Camilo. Was ein Event. Die meisten von uns würden ihre eigene Hochzeit nicht in so einem Rahmen feiern. Es gab eine PowerPoint Präsentation, die die letzten 15 Jahre des Geburtstagskindes bildlich darstellten, den Schuhtausch von Ballerinas zu 15 cm Highheels (und den Rücktausch nach den Fotos und den ersten drei Liedern), den Eröffnungstanz mit dem Vater und allen männlichen Verwandten, inklusive Showeinlage, dann Party und Buffet. Das Schöne ist, dass die Kolumbianer wirklich viel Wert auf die Familie legen. Da treffen sich 3-4 Generationen, essen und tanzen zusammen und keiner ist genervt von der buckligen Verwandschaft, bei ca. 100 Personen findet sich schon jemand mit dem man es aushalten kann. Und die Herzlichkeit und Selbstverständlichkeit mit der ich aufgenommen werde macht es mir ziemlich einfach mich wohl zu fühlen. Wenn die nur mal aufhören würden mit "und...wann heiratet ihr?" und "Kinder, wann?" Alles zu seiner Zeit.

Die nächste authentische Erfahrung: Weihnachten. Den Vormittag haben wir erstmal im Pool und mit Fernseher schauen verbracht. Abends dann ein wenig schick gemacht für die Familienfeier. Ab 19 Uhr war bei Camis Tante geladen. Wir kamen um 21 Uhr. Als erste. Selbst die Gastgeber waren noch nicht zurecht gemacht, was aber keinen stört. Das Fest fand auf der Straße mit zwei weiteren Nachbarfamilien statt, von mindestens 2-3 verschiedenen Häusern schallte aus überdimensionierten Musikanlagen Latinoweihnachtsmusik. Gegen 22 Uhr waren alle da und der Abend wurde mit Sekt für die Damen und Whisky on ice für die Männer eingeleitet, Akoholfreies musste explizit erfragt werden. Wir waren etwa 30 Leute, kleiner Kreis also und das Weihnachtsbuffet bestand aus zwei verschiedenen Sorten Reis, Schwein in Soße und Putenbraten und zum Nachtisch Kuchen. Um 24 Uhr drängte uns die Oma an die Krippe und drückte mir ein Gebetsbüchlein in die Hand und mir wurde die Ehre zuteil vor versammelter Mannschaft Maria und Josef für die Opfer zu danken, die sie erbrachten und Gott um eben diese Tugenden zu bitten. Zwischendrin wurde das Jesuskindlein in seine Krippe gelegt und am Schluss applaudiert. Das war wirklich sehr rührend. Der weitere Abend gestaltete sich weitgehend ruhig, mehr oder weniger gesprächig und mit ein wenig Tanz.

Das Familienleben ist weitaus zwangloser, flexibler und entspannter als bei den meisten Familien in Deutschland. Wenn ich erzähle, dass große Familienzusammenkünfte in Deutschland quasi nicht existent sind erhalte ich ein wenig mitleidige Blicke und die Kolumbianer fühlen sich in ihrem Wissen bestätigt, dass die Deutschen doch ein wenig "frio" sind. Ich muss viel darüber nachdenken, warum wir generell in der Welt als kühl angesehen werden. Immerhin haben wir ein starkes soziales Netz, Arbeitslosengeld, Elternzeit, Krankenversicherung, Rente, Mindestlohn, kostenlose Schulen und Unis, der Staat versucht zumindest sich um alle zu kümmern. Natürlich gibt es großen Verbesserungsbedarf, aber im Großen und Ganzen und vor allem im Vergleich zu anderen Ländern versuchen wir das schon einigermaßen gerecht zu gestalten. Vielleicht sind wir Deutschen einfach weniger flexibel, wir haben die Sachen gerne so wie sie uns gefallen, wir passen uns nicht so gerne jemand anderem an. Wir bewegen uns lieber im kleinen Kreise, vielleicht mit den nahen Verwandten und selbst erwählten, guten Freunden. Um diese kümmern wir uns dann besonders gut. Oder vielleicht sind wir auch einfach nicht mehr so sehr aufeinander angewiesen. Wer weiß, und was besser oder schlechter ist vermag ich auch nicht zu sagen. Letztendlich ist es einfach anders. Nicht mehr und nicht weniger.

Antworten (2)

CarlosBerlin
Espero verte en Berlin en AguaeLulos con uno de tus vestidos nuevos 😉

camilo
Richtig gesagt amor, es ist einfach anderes...man kann nicht sagen, besser oder schlechter. Was man sagen kann (und wie du geschrieben hast), einer ist flexibler und der andere mehr geregelt. Besos