You-Me and Marco Polo
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Vietnam & Kambodscha

Veröffentlicht: 21.10.2018

Unser Flug von Jordanien nach Vietnam führt über Thailand, weshalb wir die Gelegenheit beim Schopf packen und für ein paar Tage Bangkok besuchen. Da die Thai-Massagen dort viel günstiger als erwartet sind (6 Franken pro Stunde), verlassen wir Thailand mit einem Bargeld-Überschuss von umgerechnet 65 Franken. Als wir dieses Restgeld bei der Weiterreise nach Vietnam in die lokale Währung (den vietnamesischen «Dong») eintauschen, staunen wir nicht schlecht: Wir bekommen 1,5 Millionen ausgehändigt :-) Die anfängliche Euphorie verflüchtigt sich aber rasch, als wir in Vietnams Hauptstadt Hanoi ankommen: Eine 60-minütige Massage kostet dort nämlich 300'000 Dong (!) – was zum Glück nur 13 Franken sind. Aber es fühlt sich trotzdem nach viel Geld an, denn die Massage kostet somit doppelt so viel wie in Bangkok.

Woran das liegt, merken wir in Hanoi rasch: Es hat verdammt viele Touristen hier! Aus jeder noch so versteckten Strasse tauchen in regelmässigen Abständen weisse Menschen mit kurzen Hosen und Fotokameras um den Hals auf. Entsprechend besteht die grosse Mehrheit der Geschäfte in Hanois Altstadt aus Hotels, Reisebüros, Restaurants – und Massagesalons. Nicht nur der Tourismus, die gesamte Wirtschaft Vietnams boomt gewaltig (seit dem WTO-Beitritt 2007 jährlich um 6%). Vietnams Wachstumshunger gepaart mit dem Verhandlungsgeschick seiner 95 Millionen Einwohner führt dazu, dass wir uns nicht in erster Linie als Gäste und Entdecker des Landes, sondern als lebende Geldautomaten fühlen.

Um unser kleines Budget im vermeintlich billigen Vietnam dennoch einzuhalten, stellen wir auf Sparmodus um und übernachten in möglichst günstigen AirBnB-Unterkünften. Auch das hat natürlich seinen Preis, denn die Nächte in Hanois Strassen sind kurz und laut. Das liegt in erster Linie daran, dass sich das gesamte Leben der Einwohner auf der Strasse – genauer gesagt: auf dem Trottoir – abspielt. Was auch immer mal die ursprüngliche Idee der Trottoirs war: Sie sind nicht dafür da, um darauf zu gehen, sondern um darauf zu leben: Imbissbuden und Händler benutzen sie als Verkaufsfläche, die Einheimischen versammeln sich dort auf kleinen Plastikstühlen um miteinander zu essen, zu trinken und zu schwatzen – und die Anwohner und Food-Kuriere nutzen alle anderen freien Stellen, um ihre Motorräder zu parken oder abzuholen. Es ist herrlich, dieses Getümmel zu beobachten und sich darin reinzustürzen! Wo immer es lecker riecht oder viele Vietnamesen anstehen, holen wir uns ein Plastikstühlchen, bekommen für wenig Geld viel Essen und haben kein einziges Mal Magenprobleme. Das liegt unter anderem auch daran, dass die meisten Trottoir-Restaurants nur ein einziges Gericht verkaufen und darum selten auf abgestandenen Zutaten sitzen bleiben. Die beschränkte Auswahl hat den angenehmen Nebeneffekt, dass man eigentlich nie bestellen muss: Man setzt sich einfach hin –und hopp! – schon hat man eine Nudelsuppe oder eine grillierte Taube auf dem Teller. Hauptsache frisch!

Eines Abends sind wir eher spät unterwegs auf der Suche nach einem Abendessen. Wir entscheiden uns für ein Lokal, das auf «Bun Cha» spezialisiert ist (grilliertes Schweinefleisch und -fett in süsser Bouillon mit Reisnudeln und Salat). Wir haben Glück und bekommen noch eine Portion, während die Gastwirtin schon mal damit beginnt, die Küche und den Boden neben uns sauber zu machen. Ein paar Minuten später gesellt sich überraschenderweise noch ein weiterer Gast – ein Vietnamese – hinzu und erkundigt sich, ob es auch noch für ihn eine Portion Bun Cha gibt. Die Gastwirtin nickt, kommt zu uns, sagt «Excuse me», greift mit ihrer Hand in unsere Salatschüssel und nimmt uns etwa die Hälfte des Salats weg. Damit das Loch in unserer Schüssel nicht so trostlos aussieht, greift sie ein zweites Mal rein und verteilt mit ihren Fingern die Blätter so, dass zumindest das Auge wieder mitisst. «Hauptsache frisch!» denken wir und sind froh, dass wir nicht mehr ganz so viel Salat auf dem Teller haben.

Der grosse Nachteil der sehr lebhaften Trottoirs ist, dass man als Fussgänger gezwungen wird, auf der Strasse zu gehen, wenn man von A nach B will – was den Strassenverkehr hektisch und unberechenbarer macht. Weil alle Verkehrsteilnehmer einander ständig ausweichen müssen, haben sich auf den Strassen Vietnams nicht Autos, sondern Motorräder durchgesetzt. Was wiederum dazu führt, dass sich die Verkehrsampeln und Polizisten im Land nicht wirklich durchsetzen können, weil sich die Motos überall vorbeischlängeln können. Für die Motofahrer bedeutet eine grüne Ampel «Freie Fahrt», Orange bedeutet «Du darfst immer noch fahren» und Rot bedeutet «Fahr einfach!». Als Fussgänger bleibt einem nichts anderes übrig, als mit gutem Timing nach Lücken zu suchen und zu beten, dass man nicht mit einer der vielen 4-köpfigen Familien auf den Motos kollidiert. Wie die Vietnamesen mit dem Verkehrsstress umgehen, wissen wir nicht genau, aber beten tun sie auf jeden Fall nicht: über 80% der Vietnamesen sind nämlich nicht religiös – ein Vermächtnis der Kommunisten Vietnams, die seit über 40 Jahren an der Macht sind und bis heute keine andere Partei im Land dulden.

Nach ein paar lärmigen und heissen Tagen in der Stadt zieht es uns ins Land zu den berühmten Reis-Terrassen im nördlichen Hochland. «Der Kluge reist im Zuge», denken wir und buchen einen 8-stündigen Nachzug von Hanoi nach Sapa. «So sparen wir Zeit und erst noch eine Übernachtung!». Die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene erweist sich aber schnell als Reinfall: Die Zugfahrt ist dermassen laut und holprig, dass wir kaum ein Auge zudrücken und mehrmals fast von der Schlafbank fallen. So kommen wir frühmorgens total erschöpft in Sapa an, steuern nicht auf die wunderschönen Reis-Terrassen, sondern auf unser Zimmer zu, bezahlen einen Früh-Check-In-Aufpreis und holen erst mal 8 Stunden Schlaf nach.

Danach haben wir unsere Transportmittel besser im Griff, mieten für unsere Ausflüge jeweils ein Motorrad für 5 Franken am Tag und erkunden die Bauerndörfer in der Gegend. Uns fällt auf, dass sich hier auf dem Land alle Mitglieder einer Familie nützlich machen, um das Überleben der Familie zu sichern. Überall sehen wir sehr alte Menschen und sehr junge Kinder, die arbeiten. Während die Grosseltern Esswaren und Souvenirs verkaufen, sammeln die Kinder nach der Schule Feuerholz, unterstützen die Eltern auf dem Bauernhof, agieren als zusätzlicher «Point of Sale» für ihre Grosseltern oder passen einfach mal ein paar Stunden auf das Baby auf. Als wir uns 30 Kilometer ausserhalb von Sapa auf der Suche nach einem Strassen-Restaurant wieder mal verfahren, treffen wir auf eine alte Dame, die uns nett, aber verwundert anschaut. Mit Händen und Füssen erklären wir ihr, dass wir ein Restaurant suchen. Sie gibt uns mit ihren Händen zu verstehen, dass wir ihr folgen sollen und landen ein paar Minuten später zuhause bei ihrer Familie, die gerade das Mittagessen zubereitet und uns einlädt, mit ihnen zusammen zu essen. Es gibt Fisch, Tofu, Gemüse, Reis und Bier – und mit Hilfe der Google-Translate-App entsteht sogar ein Mittagstisch-Gespräch ohne Hände. Wir sind beeindruckt, wie herzlich und bedingungslos wir empfangen werden und können unser schlechtes Gewissen nach dieser Gratis-Verpflegung beruhigen, indem wir der Grossmutter ein selbstgesticktes Handtäschchen von ihrem Souvenir-Sack abkaufen.

Als wir in Sapa unser Motorrad wieder zurückgeben wollen, merkt Marco, dass der Laden schon halb geschlossen und die Ladenbesitzerin nicht anwesend ist. Nur ein etwa 5- oder 6-jähriger Junge sitzt auf der Treppenstufe vor dem Ladeneingang. Als der kleine Knirps sieht, wie Marco mit zwei Helmen in der Hand auf den Laden zugeht, steht der Junge auf, läuft in den Laden hinein und holt aus einer Schublade Marco’s Fahrausweis, den wir als Depot hinterlegt haben. Marco legt völlig verdutzt die beiden Motorradhelme auf den Tisch, bedankt sich und will seinen Fahrausweis entgegennehmen. Da schüttelt der Junge den Kopf, hebt den Finger und sagt «Eh-eh!» – ah logisch, den Moto-Schlüssel braucht er auch noch! Marco holt ihn aus der Hosentasche, übergibt ihn ebenfalls dem Jungen, der das Ganze mit «OK!» quittiert, wieder zurück zum Ladeneingang rennt und sich auf die Treppenstufe setzt. In Vietnam ist wirklich keiner zu klein, ein Businessman zu sein!

Wir reisen weiter nach Halong Bay, wo 3000 Kalkstein-Inseln verteilt auf einer Fläche des Kantons Zürich aus dem Meer ragen. Wir verbringen drei Tage mehrheitlich auf dem Wasser bei eitlem Sonnenschein… im Wissen, dass unmittelbar danach in ganz Vietnam die Regenzeit beginnt. Statt eine Woche durch den Regen in Richtung Süden zu reisen, nehmen wir kurzerhand den Flieger von Hanoi nach Ho-Chi-Minh-Stadt, der grössten Stadt Vietnams. Sie hiess bis 1975 Saigon und stand lange unter französischer Kolonialherrschaft. Nachdem sich erst die Franzosen und danach die USA 1973 im Vietnamkrieg geschlagen gaben und sich aus Südvietnam zurückzogen, benötigten die kommunistischen Nordvietnamesen nur einen Monat, um ganz Südvietnam inkl. Saigon einzunehmen. Zu Ehren des 1969 verstorbenen nordvietnamesischen Staatschefs Ho Chi Minh (kurz: «Onkel Ho») wurde die Stadt umgehend nach ihm benannt, obwohl viele Einheimische sie heute noch Saigon nennen. Ein Vorteil der damaligen Turbo-Invasion war, dass die Stadt kaum beschädigt wurde und viele historische Gebäude aus der Kolonialzeit noch heute im alten Glanz erstrahlen. Es fällt uns sofort auf, dass viele Menschen in Saigon reicher als in Hanoi sind. Und es fällt uns auf, dass wir nach 2 Wochen in Vietnam einiges ärmer als geplant sind. Um zumindest etwas reicher an Erfahrung zu werden, entscheiden wir uns spontan für einen kurzen Abstecher nach Kambodscha, da die weltberühmte Tempelanlage von Angkor Wat praktisch um die Ecke liegt. Die Tempelstadt ist beeindruckend: Vor 1000 Jahren lebten hier etwa 1 Million Menschen (damals hatte London gerade mal 50'000 Einwohner). Noch beeindruckter sind wir aber von den extrem freundlichen und hilfsbereiten Kambodschanern, die noch länger als ihre vietnamesischen Nachbarn (bis in die 90er-Jahre) unter Kriegen und Hungersnöten litten. Eine Folge davon ist, dass heute über 70% der Kambodschaner jünger als Marco sind. «Naja», meint Yumi dazu eher unbeeindruckt, als wir diese Information an einer Gedenkstätte von einem Schild ablesen, «du bist ja auch nicht mehr unbedingt der Jüngste». 

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