Wir reisen, also sind wir
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Kolumbien: Medellin

Veröffentlicht: 24.08.2017

Von Bogota sind wir mit dem Bus 10h nach Medellin gefahren. Wir haben einen erste Klasse Bus gebucht, was nur wenig mehr gekostet hat als ein normaler Bus (ca. 5 Fr. pro Person), und es war für eine Busreise auch wirklich ziemlich komfortabel. Wir waren im unteren Stock eines zweistöckigen Buses und hatten ein breites und bequemes Halb-Bett mit ziemlich viel Beinfreiheit, die 10h liessen sich also wirklich gut aushalten. Künftig werden wir uns sicher regelmässig nach solchen Doppelstöckigen Bussen umsehen.

Damals in Viñales in Kuba hatten wir ein Grüppchen Kolumbianer aus Medellin getroffen und sie gleich um einige Tipps für Kolumbien gebeten. Sie haben uns auch gleich ihre Kontaktdaten angegeben und gesagt wir sollen uns melden, wenn wir nach Medellin kommen. Das taten wir dann auch, und sie boten sofort an, mit uns zu Abend zu essen und für den nächsten Tag einen Ausflug zu machen.
Zuerst besuchten wir allerdings den Parque Botero, wo viele lustige Skulpuren unseres neuen Lieblingskünstlers ausgestellt sind.
Anschliessend fuhren wir mit dem Taxi zum Cerro Nutibarra wo es einen schönen Aussichtspunkt gab mit einer umwerfenden Sicht auf Medellin. Medellin ist wirklich eine spektakuläre Stadt. Sie liegt in einem Tal, aber grosse Teile der Stadt (vor allem die ärmeren Viertel) winden sich an den Berghängen empor.
Es gab dort auch noch eine Ausstellung, welche sich mit der Feria de Flores (Blumenfestival) befasste, das zu dieser Zeit in Medellin gerade stattfand. Wir wussten zwar von unseren Bekannten aus Kuba, dass dieses Fest war, sind ja auch extra deshalb zu dieser Zeit hergekommen, haben uns aber nicht so genau mit Details befasst. Blöd. Denn in dieser Ausstellung lasen wir, dass der Höhepunkt des Fests am letzten Tag ist, wenn das Desfile de Silleteros stattfindet, eine Parade, bei welcher riesige, wunderschöne sogenannte Silleteros (Blumengestecke, die von Familien angefertigt werden) durch die Stadt getragen werden. Leider würden wir an diesem Tag bereits nicht mehr in Medellin sein. Wir haben zwar tatsächlich auch nochmals versucht, alle unsere Pläne deswegen umzukrempeln, aber leider wollte es einfach nicht klappen, da unsere Tour in die Ciudad Perdida just für den nächsten Tag bereits gebucht war. Leider kann man halt nicht immer alles haben, das gilt auch beim Reisen.
Eigentlich wollten wir auf dem Hügel auch noch das Museo de la Ciudad besuchen, aber da klingelte schon das Telefon und unsere Bekannten aus Kuba meinten, sie seien in 10 Minuten auf dem Hügel und würden uns jetzt schon abholen. Ok, warum nicht.

So trafen wir also Rubiel und seine Frau Beatrice wieder und wir waren von ihrer Gastfreundschaft überwältigt. Zuerst fuhren sie mit uns ins Stadtzentrum in ein Restaurant, wo wir ein riesiges traditionelles kolumbianisches Menü genossen (Bandeja Paisa). Es besteht aus Bohnen, verschiedenem Fleisch, Reis, Spiegelei und Avocado. Anschliessend fuhren sie mit uns kreuz und quer durch die Stadt, wo wir bei verschiedenen Plätzen, Parks und Sehenswürdigkeiten Halt machten. (Es gibt allerdings nicht so wahnsinnig viel interessantes zu sehen in Medellin.)
Abends fuhren sie mit uns wieder in die City zu einem Festplatz, wo wir Konzerte schauten und Aguardiente tranken, das beliebte Nationalgesöff Kolumbiens. Es wird als kleine oder grosse Flasche gekauft und dann pur aus Shotglästern getrunken, es gibt lediglich einen Krug Wasser dazu. Wir haben schon früher in Bogota davon gehört, und es ist gar nicht schlecht, ist nicht sehr stark, sondern eher mild im Geschmack und hat einen (gottseidank nur sehr leichten) Anis-Geschmack. An jenem Abend haben Jörg und ich auch noch das 5-Jährige Jubiläum unseres Kennenlernens gefeiert. Es war ein sehr gelungener Abend.

Am nächsten Tag holten uns Rubiel und Beatrice morgens bei unserem Hotel wieder ab. Es sollte erstmal zum Parque Arvi gehen. Da Rubiel aufgrund eines Leidens nicht gut zu Fuss ist, setzte er uns Drei bei einer Metro-Station ab und würde uns später wieder treffen. Also fuhren wir mit Beatrice mit der Metro zu der Seilbahnstation, die uns zum Park bringen würde. In Medellin gibt es 4 Seilbahnen, wie die Schweizer Gondelbahnen, die dazu dienen, die ärmeren Viertel an den Berghängen mit dem Stadtzentrum zu verbinden. Die Gondelbahn ist hier also ein alltägliches Verkehrsmittel und in das Metronetz eingebunden. Es war sehr eindrücklich so über die Stadt zu schweben, wenn auch die zunehmende Armut mit zunehmender Höhe deutlich sichtbar wurde.
Spannend in Kolumbien ist, dass wildfremde Leute überall und jederzeit anfangen miteinander zu reden. In der Metro, im Bus, so auch in der Gondelbahn. In der Schweiz ist man sich das ja nicht so gewohnt, dort bleiben die Leute im ÖV eher für sich. So kam Beatrice mit den mitfahrenden Leuten in der Gondel schnell ins Gespräch. Eine Frau, die in den Quartieren dort oben lebt, sagte, dass es dort super peligroso (super gefährlich) sei. Beatrice fragte uns noch, ob wir aussteigen und uns ein wenig umschauen wollten, aber wir waren dann doch nicht so scharf darauf. Oben im Parque Arvi angekommen, haben wir die Aussicht genossen, uns ein wenig umgeschaut und Früchte mit Caramelsauce zum Znüni genossen. Die Kolumbianer lieben Caramel (Arequipe), es gibt es überall und in jeglicher Form zu kaufen, als Bonbon, im Becher, als Sauce, etc. Anschliessend sind wir vom Hügel runter spaziert, wo uns Rubiel unterwegs mit dem Auto wieder aufgelesen hat.

Wir sind weitergefahren zu einem Ort, wo die Silleteros, die Blumengestecke hergestellt werden. Wir konnten zuschauen, wie sie gemacht werden, allerdings nur die einfacheren, die für zahlende Firmen hergestellt werden. Diejenigen für die Parade hält jede Familie geheim bis zum grossen Tag, da es bei der Parade auch eine Prämierung gibt, wo man Geld gewinnen kann. Jörg konnte sich sogar selbst als Silletero-Träger versuchen. Die runden Blumengestecke werden auf Holzkonstruktionen befestigt, welche anschliessend entweder als Rucksack oder mit einem Band auf der Stirn getragen werden. Ganz schön anstrengend, die Silleteros sind teilweise wirklich riesig und schwer. So wurden wir wenigstens etwas dafür entschädigt, dass wir bei der Parade nicht dabei sein konnten, und das verdanken wir unseren freundlichen Gastgebern, ohne sie wären wir wohl nicht zu diesem Ort gekommen.

Nach einem herzhaften Mittagessen ging es dann wieder zurück Richtung Stadtzentrum. Interessanterweise sind in den grossen Städten Kolumbiens die Zeiten reglementiert, zu welchen man mit seinem Auto fahren darf. Die privaten Autos haben ein gelbes Nummernschild, und je nach Nummernkreis erhält man eine Art Sperrzeit, während welcher man nicht fahren darf, um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren. Rubiel durfte mit seinem Auto morgens und nachmittags je 2 Stunden nicht fahren. Daher mussten wir uns etwas beeilen. Es gibt offenbar Kameras, die Aufnahmen machen, um das zu kontrollieren. Man stelle sich sowas vor in Europa (zb. Im Autoland Deutschland), es gäbe wohl eine Revolution. Das ganze wird allerdings von reichen Kolumbianern hintergangen, indem sie sich einfach 2 Autos anschaffen. Taxis und offizielle Fahrzeuge haben weisse Nummernschilder, sie dürfen rund um die Uhr fahren.

Da wir erwähnt haben, dass wir uns für die Geschichte Medellins interessieren, fuhr uns Rubiel anschliessend zum Casa de Memoria. Wir wussten nicht mal, dass dieses Museum existiert, im Reiseführer war es nicht verzeichnet. Dort haben wir uns dann auch von unseren freundlichen Gastgebern verabschiedet. Es war wirklich eine schöne Zeit, die wir mit Rubiel und Beatrice verbracht haben und wir waren sehr dankbar dafür. Sie waren auch wirklich sehr grosszügig, haben uns trotz Protest zu vielem eingeladen. Hoffentlich kommen sie mal in der Schweiz vorbei, damit wir uns revanchieren können.

Das Casa de Memoria befasst sich mit der sehr aufwühlenden Geschichte der Stadt. In den 90er Jahren galt Medellin als gefährlichste Stadt der Welt. Zum einen beherrschten Guerilla-Kämpfer grosse Teile Kolumbiens, zum anderen war Medellin die Hochburg von Pablo Escobar und seinen Mafia-Gesellen und war Schauplatz des Drogenkrieges. Es waren tragische Geschichten, die zu lesen waren, und schreckliche Bilder anzusehen. Tausende Menschen sind den Konflikten zum Opfer gefallen, es gab Bilder von Kindern, die auf dem Schulweg an Leichen vorbei gehen mussten. Ich habe zuvor Beatrice in einem ruhigen Moment mal gefragt, ob sie während dieser schlimmen Zeit ebenfalls in Medellin gelebt hätten. Sie lebe schon ihr ganzes Leben hier, sie habe 1991 ihr Studium abgeschlossen. Es gab nur eine ganz kleine Feier, möglichst unauffällig, um keine Anschläge fürchten zu müssen. Mehr hat sie nicht dazu gesagt und man möchte auch nicht weiter fragen, es ist wohl kaum vorstellbar, was die Leute durchgemacht haben hier in dieser Zeit. Es gibt aber auch andere Ansichten, an anderen Orten.

Um sich vor Augen zu führen, welche Macht Pablo Escobar gehabt hat, diese Geschichte, die man in einem alten Zeitungsartikel aus der damaligen Zeit im Museum lesen konnte: Pablo wurde zusammen mit einigen anderen Mafiosi mal verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Zu jener Zeit waren die Gefängniszellen mit einfachen Stockbetten aus Metall eingerichtet. Nur kurze Zeit später befanden sich die metallenen Stockbetten in den Zimmern der Gefängniswärter. In den Zellen gab es nun riesige Doppelbetten, Sauna, Wirlpool und alle Annehmlichkeiten eines Edel-Hotels. Unglaublich. Pablo ist dann aber ohnehin irgendwann aus dem Gefängnis geflohen. 1993 wurde er dann gefasst und umgebracht.
Das absolut Absurdeste fanden wir, dass man vielerorts in Kolumbien T-Shirts mit dem Bild Escobars kaufen kann. El Patrón wird er genannt. Ein Terrorist, Drogenschmuggler, Mafiosi, verantwortlich für tausende Tote und so viel Leid. Wer käme denn beispielsweise auf die Idee, in Berlin T-Shirts mit dem Bild von Adolf Hitler zu verkaufen?!
There’s not only one truth......es gibt nicht nur eine Wahrheit....mit diesem Satz hatte die Ausstellung im Museum begonnen. Wir werden später nochmals auf dieses Thema zurückkommen.

Dies war unsere Zeit in Medellin. Weiter geht’s in Cartagena.

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