Wir reisen, also sind wir
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Bolivien: Vallegrande & La Higuera

Veröffentlicht: 29.11.2018

Es ist schon witzig, wie sich auf einer solchen Reise kleine „Mini-Projekte“ entwickeln, die man zu Anfang gar nicht im Sinn gehabt hatte.

Nach Vallegrande kamen wir, um auf den Spuren eines alten Bekannten zu wandeln, nämlich dem Comandante Che Guevara. Zum ersten Mal sind wir ihm in Kuba begegnet und haben uns dort intensiv mit ihm und der Geschichte der Kubanischen Revolution beschäftigt. Auch während unserer Reise durch Lateinamerika hat er immer wieder Mal unseren Weg gekreuzt. Sei es in Museen, als Statue in einem Park, als Wandbild in der Strasse oder als Aufkleber auf einem Taxi. Der Kult um ihn im gesamten Lateinamerika ist wirklich extrem. Und nun waren wir hier, in Vallegrande, das mittlerweile unter Che-Fanatikern als Pilgerstätte gilt. Wir waren nicht hier als Pilger, wir sind auch keine Che-Fanatiker, sondern wir waren hier als interessierte Reisende, die eben ein kleines Projekt zu vervollständigen haben. Unweit von hier, in La Higuera, wurde El Che nämlich hingerichtet.


Aber der Reihe nach:

Zunächst einmal fing das Abenteuer an mit einer wenig vergnüglichen 7h-Busfahrt in einer alten Klapperkiste in der brütenden Hitze (natürlich ohne Klimaanlage), eingeklemmt auf der hintersten Sitzbank zwischen Bolivianern mit Säcken voller gackernder Hühner. Während der Fahrt hatten wir noch etwa eine Stunde lang das Vergnügen, einem übermotivierten Verkäufer zu lauschen, der mit dramatischer Gestik einen inbrünstigen Monolog über die modernen Bedrohungen für die Gesundheit hielt, mit dem Ziel, uns ein in Wasser lösliches Allheilmittel-Pulver anzudrehen.

Endlich angekommen, buchten wir im örtlichen Tourismusbüro einen Guide, sowie einen Chauffeur für den Ausflug nach La Higuera.


Auf dem Weg zwischen La Higuera, welches etwa 2h von Vallegrande entfernt liegt, fand unser erster Stopp statt. Wir hielten an der Strasse an und wanderten von dort hinunter in ein Tal zur Quebrada del Churo. An diesem Ort wurde El Comandante am 8. Oktober 1967 festgenommen. Zuvor strich er mit einer kleinen Gruppe Guerilleros durch die Wälder Boliviens, mit dem Ziel von hier aus willige Revolutionäre auszubilden und Revolutionen in verschiedenen Ländern Südamerikas und insbesondere Boliviens anzuzetteln. Anders als in Kuba misslang dieses Vorhaben, vor allem weil sich ihm hier, in Gegensatz zu Kuba, die Landbevölkerung nicht anschliessen wollte. Das Militär war der Guerillagruppe seit Monaten auf den Fersen, es hatte bereits einige Kämpfe gegeben, bei denen auch einige der Guerilleros ums Leben gekommen waren, ausserdem war die Gruppe in mehrere kleine Grüppchen aufgespalten worden. Nachdem die Soldaten Ches Gruppe endgültig in der Quebrada del Churo eingekreist hatten, gab es kein Entrinnen mehr. Che wurde zunächst angeschossen, dann gefangen genommen und anschliessend nach La Higuera geführt.

Bei der Quebrada gibt es zwar nicht allzu viel zu sehen, aber es war ganz interessant, wie unsere Führerin die Geschehnisse von damals aus der Sicht verschiedener Zeitzeugen erzählt hat. Auf dem Weg treffen wir eine ältere Frau, die uns erzählt, dass sie ihn damals gesehen hat, als er von den bewaffneten Soldaten zum Dorf geführt wurde. Sie sei noch ein Kind gewesen. Er sei ganz dünn gewesen, habe einen langen Bart und eingefallene Wangen gehabt.


Nach der kurzen Wanderung ging es weiter nach La Higuera. Es handelt sich um einen winzig kleinen Ort irgendwo im nirgendwo, wo es nicht mal Busse gibt. Heutzutage leben hier noch etwa 60 Menschen. Viele sind in den letzten Jahren weggezogen, unter anderem deshalb, weil man den Bewohnern von Higuera eine Mitschuld gab, dass Che gefangen und getötet worden war. Nur noch 8 Schüler besuchen örtliche Schule, bald werden wohl auch sie von hier wegziehen. Der kleine Dorfkern ist übersäht mit Wandbildern von Che. Auch mehrere Statuen gibt es von ihm.
Nach seiner Gefangennahme wurde El Che im kleinen Schulhaus von Higuera eingesperrt. Bereits kurz nach seiner Verhaftung wurde im Radio verkündet, dass Che Guevara im Kampf gefallen sei. Den Bewohnern von La Higuera war dadurch also bewusst, dass man den Comandante hinrichten würde. Die Frauen des Dorfes kochten Sopa de Mani (Erdnusssuppe) für die Gefangenen und die Soldaten. Aber die Soldaten verweigerten den Gefangenen die Mahlzeit. Daraufhin stellten ihnen die Frauen das Ultimatum, das entweder alle Suppe bekamen oder gar niemand. Diese Suppe war also Ches Henkermahlzeit. Che und sein Kumpane Willi verbrachten die Nacht in der Schule, jeder in einem separaten Raum. Ein Stuhl steht noch dort, auf dem Che die ganze Nacht über gesessen haben soll. Am nächsten Tag betraten Soldaten die Schule, Schüsse waren zu hören. Sowohl Che als auch Willi waren hingerichtet worden. Bis heute weiss man nicht genau, wer die tödlichen Schüsse auf Guevara abgegeben hat, verschiedene Versionen sind im Umlauf.
Heutzutage ist die alte Schule ein Museum. Die Frau, die uns die Tür geöffnet hatte, erzählte uns, dass die Soldaten nicht einmal sauber machten. Der Erdboden der Schule musste ausgehoben werden, um das Blut der Getöteten zu entfernen.
Im Museum gibt es nicht sehr viel zu sehen, ein paar alte Stuhlbänke stehen dort, und eben der Stuhl, auf dem Che gesessen hat. Nebst ein paar Schautafeln, die die Ereignisse chronologisch auflisten, sind die Wände überfüllt mit Botschaften von Touristen und Pilgern, die hierhergekommen waren. Fotos, Poster, Spruchbänder, und allerlei Krimskrams, die die Leute mitgebracht hatten, sind überall verteilt. Natürlich liessen wir es uns nicht nehmen, uns ebenfalls mit den typischen Worten „Hasta la Victoria Siempre“, unseren Namen und Datum hier zu verewigen. Es ist schon sehr bedrückend, sich vorzustellen, wie es für ihn gewesen sein muss, die Nacht in diesem kleinen Raum zu verbringen, wohl wissend, dass er bald getötet werden wird. Andererseits hatte er selber wohl sehr ähnliche Schicksale vieler anderer Menschen auf dem Gewissen.


Ches Leichnahm wurde anschliessend mit einem Helikopter nach Vallegrande ins Krankenhaus gebracht. Dies war die nächste Station auf unserer Tour. In der Wäscherei des Spitals wurde der Commandante aufgebahrt, um ihn der Öffentlichkeit zu präsentieren. Hier entstand das berühmte Foto von seinem Leichnahm. Für die Menschen in Vallegrande und La Higuera wird Che bis heute als Heiliger verehrt, weil viele sagen, dass er während der Aufbahrung ausgesehen habe wie Jesus, seine Augen waren geöffnet und man hatte das Gefühl, sie würden einem folgen.

Hier flog auch die Lüge auf, dass Che am Vortag im Kampf gestorben sei. Viele Leute hatten seine Leiche berührt und festgestellt, dass sie immer noch warm war, und so wurde die Tatsache seiner Hinrichtung bekannt.

Wir haben das Foto seiner Aufbahrung schon viele Male gesehen, und es war ein ergreifender Moment, nun genau hier zu stehen. Auch die Wände der Wäscherei sind über und über bedeckt mit Botschaften und Loyalitätsbekundungen von seinen Anhängern.

Nach der Aufbahrung wurde die Leiche in die Leichenhalle gebracht, wo ihr die Hände entfernt wurden, um sie nach La Paz zu schicken, um dort den Präsidenten restlos davon zu überzeugen das Ernesto Che Guevara nicht mehr am Leben war.


Beinahe alle Guerillakämpfer, die im Trupp mit Che unterwegs waren, haben bei verschiedenen Gefechten ihr Leben verloren. Sie alle wurden in anonymen Massengräbern rund um Vallegrande verschart. Über 30 Jahre lang hatte niemand je ein Wort darüber verloren, wo sich das Grab des Comandante befand, bis ein ehemaliger Soldat 1997 das Schweigen brach. Er sagte, das Grab liege zwischen dem Friedhof und der Landebahn des Flughafens. Dummerweise war allerdings der Friedhof inzwischen stark gewachsen, und die Landebahn verlegt worden. Riesige Flächen wurden umgegraben, bevor man schliesslich auf die menschlichen Überreste ohne Hände stiess. Auch die Gräber seiner Mitkämpfer wurden gefunden und ausgehoben. Die Überreste fast aller Guerilleros wurden nach Santa Clara in Kuba überführt, wo sie nun in dem wunderschönen Mausoleum ihre letzte Ruhe gefunden haben.

Heute befindet sich an der Stelle, wo man das Grab Ches und einiger seiner Mitkämpfer gefunden hatte, eine Gedenkstätte. Das Loch ist immer noch vorhanden, man kann sogar hinabsteigen. Zum Denkmal gehört auch ein kleines Museum, wo Schautafeln mit den Ereignissen, sowie viele Fotos aus dem Leben des Ernesto „Che“ Guevara ausgestellt sind.
Auch an den Orten, wo man die Überreste der übrigen Guerilleros gefunden hat, befinden sich kleine Gedenkstätten.


Die ganze Tour war wirklich sehr interessant und auch wenn man kein Che-Fan ist und kein Befürworter seiner Ideen und Einstellungen, so ist es doch sehr eindrücklich und bewegend, die letzten Momente im Leben einer so schillernden Kultfigur auf diese Weise „mitzuerleben“. Vor allem unsere Führerin hat die ganze Sache sehr lebendig gemacht, da sie wirklich wahnsinnig viele Details über die damaligen Geschehnisse zu berichten wusste.


Das Dörfchen Vallegrande selber ist ein kleines, ruhiges und ganz nettes Nest wo es ansonsten nicht sehr viel zu sehen gibt. Auffällig ist, dass hier sämtliche Autos ohne Nummernschild fahren. Wir sprachen unseren Fahrer darauf an, worauf dieser uns irgendeine komische Geschichte erzählte, von wegen das seien Fahrzeuge aus Chile, die aus irgendwelchen Gründen keine Papiere hätten und deshalb nicht eingelöst werden können. Aber deshalb seien sie eben wahnsinnig günstig zu kaufen, kosten nur etwa einen Drittel des normalen Preises. Erst später überlegten wir uns so richtig, was das wohl genau zu bedeuten hatte. Hä? Fahrzeuge aus Chile? Ohne Papiere? Günstig? Etwa geklaut?!?! Nebst der Tatsache, dass wirklich fast alle Autos hier ohne Nummernschild unterwegs waren, muss man an dieser Stelle vielleicht auch noch festhalten, dass auch das Polizeiauto keins hatte.....


Tags darauf machten wir uns auf den Weg zurück nach Vallegrande. Und als ob es nicht gereicht hätte, dass wir dieselbe holprige, heisse 7h-Busfahrt noch einmal durchstehen mussten (diesmal wenigstens ohne Hühner), sagte Jörg plötzlich: du sag mal, ist das nicht der Verkäufer, der grade eingestiegen ist? Das konnte doch einfach nicht wahr sein!!! Tatsächlich blieb es uns nicht erspart, auch noch dieselbe, gefühlt Ewigkeiten dauernde, Verkaufsveranstaltung für Allzweck-Heilpülverchen im Bus noch einmal über uns ergehen zu lassen.






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