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Bolivien: Jesuitenmissionen (San Jose de Chiquitos, San Miguel, San Rafael, Santa Ana, San Ignacio)

Veröffentlicht: 29.11.2018

Von Santa Cruz aus wollten wir einige der in der Nähe liegenden Jesuitenmissionen besuchen, eine eher weniger frequentierte Sehenswürdigkeit Boliviens. Allerdings stellte sich dies als eher mühseliges Unterfangen heraus.


Zuerst hatten wir geplant mit dem Bus nach Concepcion und San Javier zu fahren. Leider ging dieser Plan „in die Hose“, da es offenbar einen Streik gab, und deswegen keine Busse fuhren. Offenbar verlangten die Einwohner von der Regierung, dass die Strassen saniert werden, und um dies zu erreichen, sperrten sie diese. Der öffentliche Verkehr sei daher aus Solidarität ausgesetzt. Komischerweise wurde uns allerdings versichert, dass die Strassen mit Privatautos befahrbar seien. Ausserdem sei es möglich mit dem Bus die Missionen auf der anderen Seite des Circuits zu besuchen. Irgendwie ist das ja auch ein wenig seltsam. Die „reicheren“ Leute mit eigenem Auto konnten also problemlos von A nach B gelangen, während die ärmeren ohne eigenes Auto, die auf den Bus angewiesen sind, darunter leiden mussten. Und inwiefern soll dies den Staat dazu verleiten, diese Strassen zu renovieren? Die Region ist so abgelegen vom Rest der Welt (ca. 7H Fahrt von Santa Cruz), dass sie sich mehr selber straften, als den Staat. Und uns natürlich, die Touristen, aber wie gesagt, es handelt sich nicht gerade um eine häufig bereiste Gegend.
Wie dem auch sei, wir entschieden uns schlussendlich mit dem Zug nach San Jose de Chiquitos zu fahren, und von dort aus mit dem Bus zu weiteren Dörfern zu gelangen. Tatsächlich gibt es eine funktionierende Eisenbahn von Santa Cruz nach Corumba an der Bolivianisch/Brasilianischen Grenze. Es gibt zwei Typen von Zügen, die abwechselnd alle zwei Tage verkehren: den günstigeren und langsameren Expreso Oriental und den teureren, dafür schnelleren und einiges komfortableren Ferrobus, für welchen wir Tickets besorgten. Die Fahrt nach San Jose dauerte damit ungefähr 6h. Der Zug war tatsächlich ziemlich komfortabel, war eigentlich identisch mit einem der „Cama-Busse“, dh. Es gab verstellbare, ziemlich breite Sitze mit viel Beinfreiheit. Genaugenommen ist der Zug sogar einiges komfortabler als die erste Klasse in der Schweiz, wenn man man vom Gerumpel einmal absieht. Dieses nämlich, das ständige Holper und Polter, bei dem es einen regelrecht aus dem Sitz hebt, macht den ganzen schönen Komfort nämlich ziemlich zunichte. Als wir um Mitternacht endlich in San Jose ankamen, stellten wir fest: es gibt keine Taxis. Juhu. Zwar machte es hier nicht gerade einen gefährlichen Eindruck, aber dennoch hatten wir keine besondere Lust, mit all unserem Gepäck und Hab und Gut 2km in absoluter Dunkelheit um Mitternacht durch einen fremden Ort zu irren. Einer der Mitarbeiter der Gepäckverladerei im Bahnhof war so freundlich, uns einen seiner Kumpanen aufzubieten, der tatsächlich kam, um uns abzuholen und zum Hotel zu bringen. Leider hatten wir in der ganzen Aufregung nicht daran gedacht, vorher nach dem Preis zu fragen, so dass der gute Herr für seine Dienste natürlich kräftig zulangte. Aber nun ja, wenigstens waren wir endlich im Hotel und konnten uns endlich ausruhen. Da es im Ort vor Hotels auch nicht gerade wimmelt und wir wie gesagt mitten in der Nacht angekommen waren, blieb uns nichts anderes übrig, als tiefer in den Geldbeutel zu greifen, und uns in einer der besten Adressen am Platz einzuquartieren. Dafür hatten wir zur Abwechslung mal wieder ein wirklich hübsches Zimmer mit bequemem Bett, Dusche mit warmem und kräftigem Wasserstrahl, Klimaanlage und allen Schikanen. Das haben wir wirklich sehr genossen.


Am nächsten Tag schliefen wir erstmal aus und taten uns am Frühstücksbüffet gütlich. Anschliessend wanderten wir ein wenig im Ort herum, erledigten ein paar Dinge (Geld holen. Etc) und marschierten nochmals zurück zum Bahnhof, um uns Tickets für die Weiterfahrt zu kaufen. Da der „gute“ Zug nur alle zwei Tage fährt, und Samstags gar nicht, kauften wir Tickets für in 4 Tagen. Während dieser Zeit wollten wir ja die weiteren Dörfer mit Jesuitenmissionen besuchen. Am späteren Nachmittag öffnete dann die Jesuitenkirche von San Jose und das angrenzende Museum, welchem wir dann einen Besuch abstatteten.


Die Jesuitenreduktionen waren Siedlungen, die von jesuitischen Priestern gegründet worden waren, und der Zusammenführung der indigenen Bevölkerung Südamerikas dienten. Das Ziel war in erster Linie, die Missionierung und Ausbildung der einheimischen Bevölkerung. Da die Glaubensbekehrung in diesem Fall nicht mit Gewalt einherging, sondern vielmehr mit Schutz vor Versklavung und anderen üblen Einflüssen der kolonialen Gesellschaft war die Missionierungstätigkeit hier sehr erfolgreich. Gleichzeitig wurden lokale Bräuche und Gepflogenheiten akzeptiert, es gab keinen Zwang, die spanische Sprache zu lernen und nur jene Aspekte der lokalen Kultur wurden verändert, die in krassem Gegensatz zur katholischen Lehre standen (zb. Polygamie und Kannibalismus). Die Einheimischen konnten sich unter der Führung der jesuitischen Priester weitgehend selbst verwalten. Immer mehr Indigene zogen hinzu und konnten in mehrfacher Hinsicht unmittelbaren Nutzen daraus ziehen, zb. In Bezug auf Sicherheit und Nahrung. Die Bevölkerung wuchs rasch, insgesamt gab es letztendlich etwa 100 solcher Reduktionen, wovon es in Bolivien 10 solcher Siedlungen gab, weitere existierten in Brasilien, Paraguay und Argentinien. Ungefähr 6000 Menschen lebten in einer Siedlung. Die Jesuitenreduktionen waren auch wirtschaftlich sehr erfolgreich. Jede Reduktion suchte nach einem eigenen Weg zum wirtschaftlichen Erfolg und konzentrierte sich auf bestimmte Erzeugnisse. Da der Import von Gütern aus Übersee schwierig und teuer war und sich eine große Nachfrage nach notwendigen Gütern bildete, begannen die Reduktionen auch mit der Ausbildung von Fachleuten für gesuchte Gewerbezweige.
Der Alltag in den Missionen war streng geregelt. In der Regel leiteten 2 Jesuiten eine Mission und organisierten den ganzen Betrieb. Das Land (Felder für die Einheimischen und die Gemeinschaft), die Gebäude, die Viehherden und alle Einrichtungen der Reduktionen waren grundsätzlich Eigentum der ganzen Dorfgemeinschaft. Die mit eigenen Anstrengungen erzielten Felderträge waren unbeschränktes Eigentum dieser Familien, das sie auch für den internen Tauschhandel verwenden konnten. Die landwirtschaftlichen Gerätschaften und das Weidevieh wurden vom Gemeinschaftsbestand ausgeliehen. Gemeinschaftlich erzeugte Güter (Textilien, Fleisch) wurden gerecht geteilt.

Das Grundsätzliche Bestreben der Jesuiten war die Bekehrung der Einheimischen zum Christentum, wobei versucht wurde, die Unterdrückung der Einheimischen zu vermeiden. Der Geist der Reduktionen war so letztlich nicht kompatibel mit den Zielen der Kolonialmächte und durch den Erfolg der Jesuiten entstand sozusagen ein Imperium im Imperium, was Feindseligkeit und Neid der Kolonialisten provozierte. Ab 1750 wurden die Jesuiten per königlichem Erlass vom spanischen Besitz in Amerika verbannt und vertrieben. Aus diesen Ereignissen resultierte ein fortschreitender wirtschaftlicher Niedergang. Manche Reduktionen wurden in der Folge zerstört, viele Bewohner wurden als Sklaven verkauft. Die Führung anderer Reduktionen wurde zivilen Verwaltern anvertraut, die geistliche Verwaltung der Reduktionen den Franziskanern und anderen Geistlichen übertragen. Aber die Einheimischen fügten sich diesen neuen Strukturen nicht, sondern verliessen nach und nach die Reduktionen, so dass die meisten irgendwann komplett verlassen wurden.


Im Mittelpunkt jeder Reduktion stand die beeindruckende, dreischiffige und kunstvoll ausgestattete Kirche mit Glockenturm. Diese war flankiert vom Wohnhaus der Patres, Vorratsspeichern, Werkstätten und dem Friedhof. Um den imposanten Kirchenplatz gliederten die sich reihenweise aufgestellten, einstöckigen, solide erbauten Wohnhäuser der Einheimischen. Pro Haus gab es 4-6 Wohnräume für Familien mit 4 -6 Personen. Typisches architektonisches Merkmal waren die Arkaden/Säulengänge vor und hinter jedem Wohnhaus.

Weiter entfernt lagen handwerkliche Betriebe, Landwirtschaftshöfe, sowie die landwirtschaftlich genutzten Felder.


Die allermeisten der Jesuitenreduktionen sind heute nur noch Ruinen. Nur noch die Missionen in Bolivien sind intakt bzw. vollständig restauriert und noch immer „in Betrieb“. Die wunderschönen Kirchen werden nach wie vor für die Gottesdienste genutzt. Die grossen zentralen Plätze sind begrünt und belebt, und die reihenweise angelegten Häuser sind bewohnt. Auch die Säulengänge sind immer noch überall vorhanden, und werden auch heute noch mit aufwändig geschnitzten Säulen aufgewertet.


In San Jose befindet sich eine von aussen sehr hübsche Steinkirche, die abends sogar beleuchtet ist. Das Innere ist allerdings nicht gerade umwerfend. Auf dem Gelände der Kirche ist auch das Museum untergebracht, welches einige Informationen zur Geschichte der Jesuiten, deren Architektur und Kunst aufbereitet. In den Räumen, wo das Museum untergebracht ist, sind auch noch einige originale Wandmalereien zu sehen, die während verschiedenen Ausbauetappen entstanden sind.


Am nächsten Tag machten wir uns auf Richtung Busterminal, um einen Bus nach San Ignacio de Velasco zu nehmen, und von dort weitere Jesuitendörfer zu besuchen. Wir staunten nicht schlecht, als uns am Terminal gesagt wurde, dass sich die hiesigen Busunternehmen mittlerweile auch im Streik befänden und nicht in die Dörfer raus fahren würden. Na toll. Was sollten wir denn jetzt tun? Schliesslich hatten wir ja bereits den Zug gebucht, und zwar in 4 Tagen! Also suchten wir uns kurzerhand ein Taxi, und vereinbarten einen Preis für eine 2-tägige Rundfahrt zu den Jesuitenmissionen. Das war natürlich sehr viel teurer als die Fahrt mit dem Bus, aber schliesslich waren wir extra deswegen hierhergekommen und einfach unverrichteter Dinge weiterzufahren kam daher kaum in Frage, geschweige denn, einfach 4 Tage in San Jose herumzuhängen. Ein weiterer Vorteil des privaten Fahrers war natürlich, dass wir zum einen in unserem eigenen Zeitplan umherfahren konnten und nicht abhängig waren von unzuverlässigen Buslinien, die nur einmal pro Tag verkehrten. Zum anderen konnten wir auf diese Weise noch eine Mission mehr sehen, als wir ursprünglich geplant hatten.


Am nächsten Morgen holte uns also unser Chauffeur (leider Name vergessen) ab. Er war überhaupt nicht gesprächig, so dass wir den grössten Teil der Fahrzeit damit verbrachten, aus dem Fenster zu schauen und die Weite und die hübsche Landschaft zu geniessen.


Zunächst einmal fuhren wir nach San Rafael de Velasco. Grundsätzlich einmal muss man sagen, dass die Kirchen schon alle ziemlich ähnlich aussehen, zumindest von aussen. Trotzdem haben einige ihre Besonderheiten. In San Rafael war die Besonderheit definitiv das Innere der Kirche. Hinsichtlich Innenausbau handelte es sich hier definitiv um die allerschönste der Kirchen, die wir besucht hatten.
In San Rafael assen wir auch noch etwas zu Mittag. Alle diese Dörfer, die wir unterwegs besuchten, waren wirlich winzig kleine Käffer mitten im Nirgendwo und entsprechend fielen wir natürlich überall auf wie die bunten Hunde.


Als nächstes fuhren wir nach Santa Ana. Inzwischen hatte es begonnen, in Strömen zu regnen. Als wäre das nicht schon schlimm genug, stellten wir bei Ankunft fest, dass die Kirche geschlossen war. Natürlich, es war etwa ein Uhr nachmittags...Siesta! Wir trafen auf einen jungen Mann und fragten ihn, ob es möglich sei, die Kirche zu besichtigen, woraufhin er einen Anruf machte, und meinte, der Kirchenwächter käme ca um 14:30 wieder von der Mittagspause. Inzwischen führte uns der Junge, es stellte sich später heraus, dass er der Sohn des Kirchenwächters war, durch das kleine Museum, wo man neben einigen verstaubten Kunstwerken aus der Kirche, Teilen der ursprünglichen Dekorationen, alten Werkzeugen und Landwirtschaftsbedarf auch eine Tasche aus Stierhoden anschauen konnte.
Anschliessend warteten wir im Park, bis pünktlich um 15 Uhr der Kirchenwächter auftauchte, ein alter Mann, der definitiv keine Eile hatte. Er hielt eine kurze Führung und gab einige Erklärungen und Erläuterungen zu den Renovationsarbeiten ab. Nebst Infos zu den Restaurationsarbeiten hatte er auch einige Anekdoten parat und alte Geschichten aus der Zeit des Chaco-Krieges. Leider war sein gebrummtes Spanisch derart schwer zu verstehen, dass wir leider nicht allzu viele Details mitbekamen. Aber er war sehr herzlich und es war deutlich zu spüren, dass er sich schon sein ganzes Leben mit dieser Kirche beschäftigt, sie sehr liebt und sehr stolz ist auf sein Amt und sich über jeden Besuch freut. Immerhin war das auch die einzige Führung, die wir in allen Missionen erhalten haben.

Das Highlight hier war definitiv die Orgel, die aus dem Jahr 1754 stammt. Allerdings war nur noch das Äussere des Instruments vorhanden, die Pfeifen hatten gefehlt. Im Jahr 2000 kam eine Gruppe Franzosen her, die die Orgel renovierten, die Pfeifen ersetzten und ein elektrisches Luftgebläse einbauten, so dass man heute wieder darauf spielen kann. Und darf! Wir waren sehr überrascht, als uns der Wächter einlud, ein wenig auf der Orgel herumzuklimpern. Und das bei offenem Fenster, so dass ganz Santa Ana in voller Lautstärke mithören konnte, wie ich auf der Kirchenorgel aus dem Jahre 1754 „alli mini Äntli“ zum besten gab! Der Wächter selber konnte auch einige Stücke auf dem Instrument spielen, die ihm seine Kinder und Neffen beigebracht hätten. Und so sassen wir eine Weile da, hörten ihm zu und klimperten selber ein wenig mit. Der Besuch in Santa Ana hat uns wirklich sehr Spass gemacht, und obwohl wir kaum ein Wort der Erzählungen des sympatischen Kirchenwächters verstanden hatten, hatten wir ihn sofort ins Herz geschlossen und liessen für die herzliche Führung und die musikalische Unterhaltung natürlich auch ein Trinkgeld springen. Die Aufgabe des Kirchenwächters hat übrigens eine lange Tradition in Santa Ana und wird vom Vater auf den Sohn weitergegeben.


Anschliessend fuhren wir weiter nach San Ignacio, wo wir die Nacht verbrachten. Zunächst einmal suchten wir uns ein Hotel und verabredeten mit unserem Taxista, dass er uns am nächsten Tag um die Mittagszeit im Hotel abholte. Abends streiften wir noch ein wenig im Ort herum, und besuchten die örtliche Jesuitenkirche. Interessanterweise wurde die ursprüngliche Kirche abgerissen, und durch eine moderne ersetzt. Erst später wurde den Verantwortlichen klar, was sie angerichtet hatten, und so wurde die neue Kirche wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt. Da es sich allerdings um einen modernen Bau handelt, gehört die Kirche im Gegensatz zu den anderen nicht zum UNESCO-Kulturerbe. Die Kirche war zwar hübsch, aber hatte im Vergleich zu den übrigen nichts Aussergewöhnliches zu bieten. Und als dann der Abendgottesdienst begann, machten wir uns sowieso aus dem Staub. Eigentlich hatten wir vorgehabt, uns am nächsten Morgen noch ein wenig im Ort umzusehen und vielleicht zum kleinen See in der Nähe hinauszufahren. Leider fing aber bereits in der Nacht schlimme Magenverstimmungen an uns zu plagen. Das Mittagessen vom Vortag in der schäbigen Kneipe von San Rafael war wohl keine besonders gute Idee gewesen. Ich verschone euch mit Details, gesagt sei nur, dass es uns nach einer Nacht abwechselnd auf dem Klo eigentlich nicht mehr so sehr nach Sightseeing war. Als der Fahrer uns abholte, fuhr er netterweise noch kurz beim See vorbei, so dass wir wenigstens kurz einen Blick auf die Landschaft werfen konnten, die im übrigen auch nicht unbedingt weltbewegend war. Er bot uns auch an, noch die dortigen Höhlen zu besichtigen, aber darauf verzichteten wir angesichts unseres Zustands gerne.


Anschliessend fuhren wir weiter nach San Miguel. Wieder kamen wir zur absolut ungünstigsten Zeit an, so dass die Kirche wieder geschlossen war. Also setzten wir uns in den Park und warteten bis die Siesta vorbei war. Jetzt hatten wir schon die ganze Mühe auf uns genommen, um hierher zu kommen, jetzt würden wir sicher nicht wieder hier weggehen, ohne die Kirche besichtigt zu haben! Offensichtlich war es unserem Chauffeur aber zu dumm, erneut stundenlang herumzusitzen und zu warten, so dass er kurzerhand selber irgendwie jemanden auftrieb, der die Kirche kurz für uns öffnete. Auch diese Kirche war zwar hübsch, hatte aber ebenfalls nichts besonders Bemerkenswertes zu bieten.
Nach diesem letzten Besuch ging es zurück nach San Jose de Chiquitos. Man muss noch erwähnen, dass es sich bei den Strassen in dieser Gegend allesamt um „off-road“ handelt, Asphalt sucht man hier vergebens. Abends hat man dann dafür ein nettes Schütteltrauma im Nacken und der Hintern tut einem gehörig weh.


Am nächsten Tag würde dann unser Zug zur bolivianischen Grenze fahren, allerdings erst abends um 23:30 Uhr. Da wir also einen weiteren Tag vor uns hatten, während dem wir in San Jose herumhängen würden, entschieden wir uns, eine Wanderung zu den Umliegenden „Sehenswürdigkeiten“ zu unternehmen. Tatsächlich handelt es sich dabei, um die Ruinen der Stadt Santa Cruz Viejo, an ihrer ursprünglichen Lage. Ausser ein paar Mäuerchen, die aus dem Boden ragen, gibt es allerdings nicht viel zu sehen. Anschliessend ging es ein Stück bergauf zu einem Aussichtspunkt wo man einen hübschen Ausblick auf die Wälder und das Städtchen San Jose hatte. Die letzte Station war beim Valle de la Luna, wo die Umgebung ein wenig einer Mondlandschaft glich. Dort gab es eine kleine Kapelle und einige Figuren von heiligen thronten auf ein paar Felsen. Alles in allem nicht gerade umwerfend, also deswegen muss man sicher nicht nach San Jose kommen.


Der beste Teil der Geschichte kommt ja erst noch. Abends fanden wir uns also (viel zu früh) am Bahnhof ein und warteten auf unseren Zug. Wir gaben unser Gepäck in der Verladerei ab und wiesen explizit darauf hin „NACH QUIJARRO!“. In der Zwischenzeit füllte sich der Bahnhof mit unzähligen Leuten. Irgendwann kam ein Zug eingefahren, der verblüffende Ähnlichkeit mit dem luxuriösen Ferrobus-Zug hatte, mit dem wir hergekommen waren. Da der Zug auf den ersten Blick leer war, und niemand Anstalten machte, einzusteigen, fragten wir den Schaffner, ob das der Zug nach Quijarro sei? Nein nein, meinte er, ein anderer Zug, der käme noch. Ok, dachten wir uns, der Zug fuhr ab, und wir warteten. Kurz darauf fuhr eine unglaubliche Schrottkiste von Zug ein, und alle Einheimischen machten sich eilig daran einzusteigen. Irgendwas konnte hier nicht stimmen. Wir gingen nochmals zum Schaffner und es stellte sich heraus, dass dies der Zweite-Klasse-Zug nach Santa Cruz war, offensichtlich mit einigen Stunden Verspätung. Als ihm langsam dämmerte, dass wir tatsächlich in den ersten Zug hätten steigen müssen, riss er die Augen auf, liess sich nochmals unsere Tickets zeigen, riss die Augen noch weiter auf, befahl uns zu warten, und machte sich eiligst davon zum Kontrollraum. Gerade im richtigen Moment konnten wir noch die Gepäckverlader aufhalten, bevor sie unser Gepäck in den SantaCruz-Zug luden. Das war doch alles nicht zu glauben!!! Ich sah uns vor meinem inneren Auge schon entweder weitere 2 Tage in San Jose herumzuhängen, oder aber mit der Schrottkiste von Zug die weiteren 8-9h zur Grenze zu fahren. Blieb nur zu hoffen, dass es einen Bus auf dieser Strecke gab, der nicht im Streik war. Tatsächlich geschah aber etwas, womit wir wirklich absolut nicht gerechnet hatten: die holten tatsächlich den verdammten Zug zurück! Schnell wurden wir mitsamt unserem Gepäck in ein Auto gestopft, welches uns zum nächsten Bahnübergang nach dem Bahnhof fuhr. Dort warteten wir auf den zurückkehrenden Zug, der uns eilig aufsammelte, um sich erneut auf den Weg nach Quijarro zu machen. Man stelle sich vor, man würde im Bahnhof Aarau zum Schaffner gehen und verlangen, dass man den verpassten Schnellzug nach Zürich zurückholt. Das Gesicht würde ich gern sehen.

Und nach weiteren 9h ruckeln und rumpeln gelangten wir frühmorgens an die bolivianisch/brasilianische Grenze und reisten nach knapp 7 Wochen aus bzw. Weiter nach Brasilien.


Das war sie also, unsere Zeit in Bolivien und ich muss sagen, ich mochte das Land. Ich kann nicht einmal genau sagen weshalb, aber es war mir hier sympathisch und ich habe mich sehr wohl gefühlt. Eine Bekannte von mir, die das Land vor einigen Jahren bereist hatte, hatte erzählt, sie hätte die Leute oft als ein wenig rassistisch empfunden, die nicht so gerne Ausländer hätten. Dies hat sich für mich überhaupt nicht bewahrheitet. Die Leute sind zwar eher zurückhaltend und kommen nicht so sehr auf einen zu, aber ich habe mich überall stets willkommen gefühlt und es hat doch einige sehr interessante Begegnungen und Gespräche mit Einheimischen gegeben.

Es gibt im Land ausserdem einiges zu sehen, so dass es einem definitiv nicht langweilig wird. Ich war erstaunt wie touristisch das Land ist, das war vor einigen Jahren sicher noch anders. Heutzutage gibt es bereits einen ziemlich ausgetretenen Gringo-Trail, zumindest zwischen den grossen Touristenmagneten Sucre-Potosi-Uyuni-La Paz-Titicacasee. Entsprechend einfach ist es auch, zwischen diesen Punkten herumzukommen, die Busse sind anständig und es gibt gute Verbindungen. Überall gibt es Touranbieter, wo man einfach und kurzfristig Ausflüge buchen kann und die Hotels sind sehr preiswert. Spanischkenntnisse sind sicher von grossem Vorteil, wenn man das Land bereisen möchte. Die wenigsten Leute sprechen Englisch, und eine Tour mit englischsprachigem Guide in Uyuni beispielsweise kostet sofort das Doppelte.

Etwas schwieriger wird es allerdings, sobald man diesen Gringo-Trail verlässt. Dann wird es entweder mühsam, oder teuer, oder beides. Das haben wir gesehen in Torotoro, in Vallegrande und bei den Jesuitenmissionen. Insbesondere hinsichtlich Transport, entweder man fährt in absoluten Rumpelkisten von Bussen, die keinerlei Komfort bieten und nimmt lange Fahrzeiten mit unzähligen Stopps in Kauf oder man heuert einen Privattransport an, wofür man aufgrund der teilweise sehr schlechten Strassenverhältnisse allerdings tief in die Tasche greifen muss. Guides und Touren werden, sofern überhaupt vorhanden, ebenfalls teurer, dasselbe gilt für Hotels. Dafür kann man hübsche Orte besuchen, die (noch) nicht völlig überlaufen sind und sich mal wieder fühlen, als ob man unter den Einheimischen zuhause wäre. Und so eine stundenlange, stickige Busfahrt ab und zu neben einem Sack voller gackernder Hühner, während der man einem inbrünstigen Verkäufer zweifelhafter Medikamente lauscht und den ständigen Strom alle paar Meter ein- oder aussteigender Einheimischer beobachtet, lässt eben richtiges Lateinamerika-Feeling aufkommen.

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