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Eintauchen in den heiligsten Ort Indiens: Varanasi

Veröffentlicht: 09.06.2017


Varanasi



Im Nachtzug sind wir von Agra aus nach achtstündiger Fahrt am frühen Morgen in Murghalsarai angekommen. Von dort gings dann weiter nach Varanasi mittels Tuk-Tuk.

Der erste Eindruck war etwas irritierend. Sehr enge, teilweise extrem vermüllte und übelriechende Gassen, in denen sich überall auch noch Kühe und Mopeds mit lautem Gehupe  vorbeischlängeln. Auf der Straße begegnen einem unzählige Arme und Bettler. Die Hitze ist derzeit wirklich extrem bei täglich 45 Grad, was alles noch ziemlich verschärft. An sich sind wir überall gerne viel zu Fuß unterwegs, hier aber wird so jeder längere Spaziergang zur Anstrengung.


Geschäfte und diverse Dienstleistungen werden auch hier gerne direkt auf die Strasse verlegt.



Auf den Märkten herrscht ein dichtes Gedränge, lautstarke Aufforderungen zum Kauf verschiedenster Waren neben Obst und Gemüse, Souvenirs, Hindu-Reliquien, Opfergaben und Seidenwaren.



In einiger Entfernung fiel mir ein völlig abgemagerter, alter Mann in einem Rollwagen zusammengesunken auf, der völlig exsikkiert aussah. Rundherum standen Menschen, die ihn dabei beobachteten, wie er langsam kollabierte. Nachdem wir für ihn Wasser besorgt hatten, trank er mit etwas Hilfe gleich einen Liter aus und erholte sich relativ rasch. Peter meinte nachher, dass ich diesem Mann damit vielleicht seinen Plan hier zu sterben ( vorerst) vermasselt haben könnte. So habe ich das natürlich nicht betrachtet, ist für mich auch schwer auszuhalten, zuzusehen, obwohl die Situation durch eine einfache Maßnahme relativ rasch behebbar ist.


Hierher in die heilige Stadt am Ganges kommen tagtäglich zigtausende gläubige Hindus aus ganz Indien herbei, um an diversen wichtigen religiösen Ritualen teilzunehmen. Nach Hinduglauben könne man sich hier durch ein Bad im Ganges im spirituellen Sinne reinigen. Menschen kommen aber auch von überall hierher, um hier zu sterben, denn das solle den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt durchbrechen.


Wir haben den Ort besucht, an dem rund um die Uhr Leichname nach entsprechenden Zeremonien etwa 3 Stunden verbrannt werden und in der Folge die Asche oder- falls sich die Angehörigen nicht genügend Holz leisten können- die körperlichen Überreste in den Ganges gestreut werden.

Ein Mann als Angehöriger der Unberührbaren, welcher an diesen Prozessen mitwirkt, gewährte uns sehr interessante Einblicke. So erklärte er uns, dass an diesen Verbrennungszeremonien ausschließlich Männer teilnehmen dürften, da Frauen zu emotional seien und die- an sich aus Hindusicht  ja hoffnungsvolle und positiv belegte Handlung- durch Gefühlsausbrüche stören würden.

Witwenverbrennungen kämen nur noch vereinzelt in ländlichen Regionen- zuletzt vergangenes Jahr- vor, er selbst habe vor ca. 20 Jahren h.o. eine erlebt.

Weiters klärte uns der Mann darüber auf, dass nicht ein jeder verbrannt werden dürfe. Ausgeschlossen seien Sadhus (Heilige), Kinder, Schwangere, Leprakranke, Vergiftete wie z.B. von einer Kobra gebissene Menschen und auch Tiere, die würde man direkt dem heiligen Fluss zur Durchbrechung des Zyklus übergeben.

Obwohl von offizieller Seite seit langem von der Behörde verboten, werden hier täglich etwa 200 (!) Verstorbene auf diese Weise " beigesetzt".

Für uns unvorstellbar, dass Sadhus selbst das Wasser des Ganges trinken, aber ich würde nicht mal einen Zeh hineinstrecken wollen. 

Auch an anderen Plätzen am Gangesufer finden diverse feierliche Zeremonien statt, an denen riesige Menschenmassen singend und betend teilnehmen.


Ein Spaziergang am Ufer des Ganges am Morgen ist überaus eindrücklich. Die Hitze ist um diese Zeit noch wesentlich erträglicher und die Atmosphäre noch ruhiger und spiritueller. Vereinzelt sieht man meditierende Sadhus.


Beim Vorübergehen werden wir von einem Einheimischen, der unter einem Sonnenschirm gerade ein kleines Mahl zu sich nimmt, zu einem Frühstück eingeladen. Wir lehnen dankend ab und gehen weiter.


Im Ganges nehmen Einige gerade ein Bad, Kinder plantschen und albern herum, gleich daneben wird Wäsche gewaschen, die danach zum Trocknen auf den Steinen aufgebreitet wird.


Wieder ein Stückchen weiter sitzen ein paar Fischer, die nur mit einem Handzeug ausgestattet ihr Glück versuchen. Einer von ihnen hat einen Biss und zieht einen kleinen Wels ans Ufer.

Unglaublich, dass im Ganges, in den pro Tag Milliarden Litern an Abwässern mit zum Teil hochtoxischen Substanzen hineingeleitet werden, überhaupt noch irgendein Lebewesen existieren kann, inmitten unzähliger Schadstoffe und Krankheitserreger. Diverse Maßnahmen die massive Verunreinigung durch entsprechende Kläranlagen zu beschränken und damit die Wasserqualität zu verbessern, scheiterten leider bislang weitgehend. Millionen Hindus bestatten nach wie vor ihre Toten oder die nach Feuerbestattung zurückgebliebenen Überreste dieser im heiligen Fluss und- obwohl gesetzlich längst verboten- wird diese für Hindus so wichtige Tradition von ihnen auch als Gewohnheitsrecht verstanden. Außerdem sollen verantwortliche Fabriken infolge weit verbreiteter Korruption, weiterhin hochgiftige Abfallprodukte wie etwa Quecksilber ungehindert ableiten.

Am Ufer des Ganges entlang der insgesamt etwa 2500km Gesamtlänge, lebt ein Zwölftel(!) der Weltbevölkerung(!) in mehr als 100 Städten und tausenden Dörfern. Etwa 2 Millionen Kinder (laut unterschiedlichen Literaturquellen) sterben angeblich jährlich direkt als Folge der Verschmutzung des Ganges, hier wird eines von sechs Kindern das 15.Lebensjahr nicht erreichen. Eine unfassbar traurige Realität...


Wir sind mittlerweile an einem weiteren Ghat angekommen, das nun zu fortgeschrittener Tageszeit, schon sehr gut besucht ist. Hier werden neben Erfrischungen, herrlich duftende Blumenkränze, Kerzen und kleine Plastikkanister angeboten. Viele Hindus nehmen auch gerne ein wenig vom heiligen Wasser mit nach Hause.


Mit den Menschenmengen sind nun mittlerweile auch wieder jede Menge aufdringlicher Schlepper am Werk. Diesmal wird Peter sehr geschickt zu einer Ganzkörpermassage vorort „überredet“, und gleich am Ufer von zwei jungen Männern, angeblich Lehrer und Schüler thailändischer Massagetechniken, bearbeitet.


Währenddessen wartete ich im Schatten, doch die Zeit verging mir sehr schnell, da wieder viele- diesmal vor allem Familien- Selfie Wünsche;) mit mir hatten.

Wir wandern dann weiter Richtung Markt.  Am Rande des Treppenaufganges sitzen nebeneinander unzählige bettelnde Menschen aufgereiht, alte Frauen, Frauen mit Babys oder kleinen Kindern und am anderen Ende eine Reihe schwer verstümmelter Leprakranker. Im Moment sind in der Nebensaison wegen großer Hitze kaum Ausländer auf Besuch, so werden die wenigen entsprechend umgarnt. Von allen Seiten werden wir mit flehendem Blick fixiert oder von Kindern gezupft, um ein paar Rupien zu ergattern. Das gestaltet sich für mich zu echtem Stress, denn hier sieht niemand so aus, als würde er keine Unterstützung dringend benötigen.

Nun kommen wir an einer mitten am Markt auf dem Boden sitzenden Mutter vorbei, die gerade laut schimpfend mit geballter Faust auf ihre etwa sechsjährige Tochter einschlägt. Ich mische mich ein und fordere sie auf, sofort damit aufzuhören. In meiner Hilflosigkeit bringe ich ein, dass sie doch damit ihr Karma verschlechtere. Sie wirft mir einen verblüfften Blick zu und hält für einen Moment inne.  Das Mädchen weint ganz leise und schaut mich mit großen, dunklen Augen traurig an. Ich gehe weiter, drehe mich noch mal um und sehe, wie sie neuerlich geschlagen wird….

Wenig später war das Mädchen gemeinsam mit ihren beiden Schwestern plötzlich hinter uns, um uns zu deuten, dass sie hungrig seien. Wir haben ihnen auf ihren Wunsch am Markt Früchte gekauft. Zurück bleibt aber ein bitterer Nachgeschmack, denn sie waren uns Fremden einfach so gefolgt...



Die Ohnmacht macht mir hier besonders zu schaffen. Die Eindrücke hier sind so vielfältig und intensiv. Die Essenz aus dem, wie wir Indien erlebt haben ist für mich eine bunte Gefühlsmischung, vergleichbar mit den unzähligen indischen Gewürzmischungen. Faszinierend, farbenfroh, vielfältig, vielschichtig, wunderschön, aber auch teilweise verstörend und  schockierend ist das, was ich in den letzten Wochen hier erlebt habe.

Da fällt mir auf, dass ich bislangdie köstliche indische Kücheungerechterweise völlig unerwähnt gelassen habe. Auch für Vegetarier ist das Angebot der nord- und südindischen Küche ein besonderer Genuß an Abwechslung.

Wir haben hier einige sehr gute Restaurants entdeckt und uns durchgekostet. Peter hat dabei die Erfahrung machen müssen, dass für ihn nicht alles gut verträglich war. Ich scheine dabei diesbezüglich etwas "robuster" zu sein, mir hat's wahnsinnig gut geschmeckt..

Heute werden wir den Nachtzug weiter nach Gorakhpur nehmen, um danach weiter mit dem Bus nach Sonauli zu gelangen, wo wir dann (hoffentlich;) die Grenze zu Nepal passieren werden.



Antworten (2)

Silvia
Sehr interessant, Marion! Endlich komme ich dazu, deine Beiträge zu lesen! Liebe Grüße auch an Peter

Erich
Das klingt alles so deprimierend. Das Elend und die Not in diesem Land. Bewundere euren Mut das ihr es wagt diesen Teil des landes zu erkunden, obwohl ihr das gesundheitliche Risiko kennt. Habt ihr wirklich eine Leichenverbrennung live erlebt. Hast mit der Magenverstimmung sicherlich noch Glück gehabt, hätte auch viel schlimmer sein können. Passt nur gut auf eure Gesundheit und euer Leben auf. Erich

Indien
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