Veröffentlicht: 13.12.2019
Der Aufstieg auf den Acatenango Vulkan stellte bei seinen 3976 Metern Höhe ein wortwörtlich großes Abenteuer und darüber hinaus ein absolutes Highlight unserer Reise dar.
Doch dafür mussten wir erstmal hoch hinaus. Für den ersten Tag war der Aufstieg zum Basecamp und dortiger Übernachtung auf 3600 Metern geplant. Im Morgengrauen des nächsten Tages sollten die fehlenden 400 Meter folgen, um den Sonnenaufgang von der Spitze des Acatenangos zu bestaunen. Gefolgt von dem Abstieg ins Tal. Nach mehreren Wochen ohne nennenswerte sportliche Aktivität machten wir uns darauf gefasst, an unsere Grenzen zu wandern.
Die letzten Vorbereitungen standen an: Winterkleidung wurde ausgeliehen, Sprunggelenke getapt und Wanderstöcke zurechtgestutzt. Nach einer kurzen Motivationsansprache des leitenden Guides machte sich unsere internationale Truppe an den Aufstieg.
Doch der harte Aufstieg wurde vorerst nicht belohnt; oben angekommen war die ganze Umgebung in dichte Wolken gehüllt, welche immer wieder Regen mit sich brachten. Hin und wieder schafften es die winzigen Lichter der uns zu Füßen liegenden Dörfer durch die Dunstschicht. Eine Perspektive, die wir sonst nur aus dem Flugzeug kannten.
Die Sicht war trüb und doch war die Präsenz des Fuegos klar zu spüren. Die sich aufstauende Spannung in der Luft war greifbar, dann wieder dieses explosionsartige Grollen, welches die Erde unter unseren Füßen zittern ließ. In der Ferne setzten sich Gewitterwolken um die umliegenden Vulkane fest, Mutter Natur schien alle Register zu ziehen.
Obwohl es erst halb vier war, schien die Dämmerung bereits einzusetzen.Spätestens jetzt galt es, sich in alle irgendwie verfügbare Kleidung einzumummeln. Wer nicht direkt erschöpft im Zelt verschwand, suchte Nähe zur kleinen Feuerstelle. Bis in die Nacht kühlte es in Richtung des Gefrierpunktes ab. Doch das Naturspektakel schien gerade erst richtig zu beginnen.
Noch immer wurden uns die umliegenden Kolosse verschleiert. Jedoch bekamen wir ungelogen hunderte von Blitzen zu sehen, die die Umrisse der Vulkane für Sekundenbruchteile in den Dunst projizieren. Ein lautes Grollen, gefolgt von einem uns unbekannten, rauschenden Geräusch - die Wolken erleuchten für einen kurzen Moment im gleißend grellen Licht der Lava. Aus der Ferne waren die dumpfen Aufschläge der Gesteinsbrocken zu vernehmen, gefolgt von dem bröckelnden Geräusch der feurig roten Lawinen. Wie klein man sich im Zusammenspiel geballter Naturkräfte doch fühlt!
In dieser Nacht wurden wir Zeugen eines unvergleichlichen Naturspektakels, auch wenn wir es noch nicht mit allen Sinnen klar wahrnehmen konnten. Die Hoffnung, dass der Himmel doch noch aufklären könnte hielt uns lange wach, bis wir die Letzten an der kleinen Feuerstelle waren - doch vergeblich. Angesichts der Tatsache, dass wir vor Sonnenaufgang wieder auf den müden Beinen sein würden, suchten auch wir den längst überfälligen Schlaf.
Unser kleines, leicht abschüssig stehendes Zelt war mit zwei dicken Schlafsäcken und Isomatten ausgestattet. Inzwischen waren wir so durchfroren, dass wir uns in gesamter Montur, sprich Winterjacke, Mütze, Schal und Handschuhen in den Schlafsack einmummelten. Doch nicht nur wegen der Kälte sollte es eine unvergesslich schlechte Nacht werden. Durch den wenigen Sauerstoff und die lange Zeit am offenen Feuer brummten unsere Schädel gewaltig. Immer wieder rissen die lauten Explosionen und das anhaltende Grollen einen aus dem Halbschlaf. Der Vulkan gönnte sich und uns keine Pause.
Als wir dann gegen halb vier die Köpfe aus dem Zelt streckten, wurde das Landschaftsbild immer noch von den zahlreichen Himmelslaternen gezeichnet, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Wir hatten klare Sicht!
Keine Minute später wurde es wieder laut, der Boden schien zu beben, die feurige Lava schoss in alle Richtungen und rollte einen roten Teppich über eine Flanke des Vulkans aus. „Hast du das gesehen?!“ – mit einem Mal waren Müdigkeit und alle Strapazen vergessen. Soeben hatten wir, am Morgen des dritten Jahrestags unserer Beziehung, zum ersten Mal eine Vulkaneruption aus nächster Nähe gesehen!
Nach und nach hörten wir die Reißverschlüsse der anderen Zelte, gefolgt von euphorischen Ausrufen in verschiedenen Sprachen.
Die Morgendämmerung setzte ein und wir machten uns auf den Weg das letzte Stück bei leichten Minusgraden im Taschenlampenschein zu erklimmen. In der kalten Luft machte sich nun fast jeder Höhenmeter auf der Lunge bemerkbar, das Atmen wurde anstrengend. Nach 200 Höhenmetern überstiegen wir die Höhe des eruptierenden Fuegos, weitere 200 fehlten noch bis zur Spitze des Acatenangos. Noch immer zeichneten sich zahlreiche Blitze im Hintergrund der Vulkane ab.
Erste Orangetöne machten sich bereits am Horizont bemerkbar, als wir den kraterartigen Gipfel erreichten – wir hatten es geschafft!
Eine viel zu kurze Stunde verbrachten wir auf dem dritthöchsten Gipfel Zentralamerikas. Der Weg zurück zum Basecamp wurde dann sogar richtig spaßig. Statt des offiziellen Wanderwegs wählten unsere Guides eine Furche, welche ein Lavastrom einst bergabwärts gezogen hatte. Auf den erstarrten Lavaklümpchen konnten wir die 400 Höhenmeter binnen weniger Minuten durch wiederholte Sprünge kontrolliert hinabtreiben.
Die ganze Landschaft, welche am Vorabend in dichte Gewitterwolken gehüllt war, erstrahlte nun im morgendlichen Sonnenschein. Nach dem Frühstück machten wir uns dann um acht Uhr an den Abstieg ins Tal - erschöpft und doch voller seliger Zufriedenheit. Die intensiven Eindrücke aus den letzten Stunden werden wohl ein Leben lang bleiben.
Saludos!
D&J