Veröffentlicht: 08.03.2019
06. bis 07.03:
Buenos Aires mit knapp 3 mio einwohnern, ist eine stadt, die mir auf anhieb gefällt - am besten gefällt von den großstädten, die ich in südamerika gesehen habe. das paris der südhalbkugel!
natürlich hat lima mit mira flores beeindruckt und auch sao paulo oder santiago mit ihren szenevierteln - auch jetzt wohne ich nur 2 km westlich von dem tangoviertel san telmo entfernt.
die favela-szenerie, als ich lima richtung norden verlassen habe, war beängstigend. holzbaracken an rutschigen abhängen gebaut.
auch hier in buenos aires gibt es nur einen steinwurf neben der stadtautobahn entfernt häuser, in denen die fast ärmesten der stadt wohnen. aber es sind steinhäuser, die auf ihren balkonen sogar grünpflanzen stehen haben. die wäsche trocknet im wind und wird wohl nie sauber.
aber vielleicht schreibe ich nach zwei wochen etwas anderes.
es gibt sie hier auch - wie in concordia - die großen und gemütlichen restaurants, in denen der euro-besitzer gut und für wenig geld essen kann.
zum nächsten geschäftstermin oder vater und tochter nach büroschluss - aus der froschperspektive eines im souterain gelegenen eat-green-restaurants
die ersten worte, die ich gestern an einer ampel wechselte, waren an einen vespafahrer gerichtet. er fuhr ein älteres modell aus den 70igern - einen sogenannten blechroller - , der in der hierarchie mit am höchsten angesiedelt ist. viele worte konnten wir zwar nicht wechseln, weil ihm der sprit ausgegangen ist und er sich schnell und schiebenderweise von der ampelkreuzung wegbewegen musste. aber so viel zeit blieb doch, dass er noch ein anerkennendes nicken für die vepse übrig hatte.
ich bin ausgehungert nach kultur und habe mir heute für kommenden dienstag eine opernkarte gegönnt. ich sitze irgendwo in den oberen rängen des 2.500 personen fassenden theaters und werde verdis rigoletto hören. das hat zwar wenig mit mit der hiesigen kultur zu tun, aber ich werde mich so langsam vorarbeiten.
im wurzelwerk des gummibaums freiwillig gefangen
und weil hier so viele vespen fahren liegt der gedanke nahe, dass es auch eine gut sortierte vespawerkstatt gibt, die mir für weniger geld, als in deutschland einen neuen auspuff verkaufen und montieren kann.
aber weit gefehlt. die internetadresse, die sich recht vielversprechend darstellt, reduziert sich in der realität auf einen japanischen automarkenverkäufer, der auch zwei drei vespen im verkaufsraum stehen hat. der verkäufer weiss aber die adresse einer werkstatt recht weit von der avenida de libertador und ich fahre hin. ich hätte sie auch anrufen können, aber ich will auch etwas von buenos aires sehen. ich komme in ein ganz anderes viertel, das weniger restaurants hat, aber ruhige und baumbewachsene straßen, plazas und zwei bis dreistöckige häuser. ich hätte es mir denken können. ein lager hat er nicht und so werde ich den auspuff in deutschland auswechseln.
und: es gibt eine premiere zu feiern!
auf der av. libertador bin ich von einer polizeikontrolle angehalten worden. das ist mir zwar in calama in chile auch schon passiert, aber dort wollten sie nicht meine papiere sehen.
einer meiner drei kontrolleure kam sich vor wie bolle. einen kugelschreiber im rechten mundwinkel und breitbeinig stand er da, wenn er nicht gerade mal wieder die vepse umkreist hat. ein youngster mit milchgesicht um die 20.
als ich meinen pass und die zulassungspapiere sicher in meinem brustbeutel verstaut habe kam ich nicht umhin, ihnen zu ihrer premiere zu gratulieren. der ältre polizist fragte etwas irritiert zurück: auch nicht in brasilien?
von bausünden eingezwängt
08.03.:
in meinem zimmer, das seine fenster zum innenhof hat und somit abgeschottet ist vom lärm der av. montevideo, ist es jetzt zu dämmrig, um mich dort meinem blog widmen zu wollen.
so stecke ich - heute am 10.03. - labtop und zubehör in meinen rucksack und mache mich auf, ein cafe zu finden, das wifi und auch eine steckdose unterhalb des tisches zu bieten hat.
die südamerikaner sind da recht unkompliziert. ich bestelle einen organgensaft und ein wasser - der bauch ist noch gut gefüllt mit zwei media lunas und zwei cappuchinos - so dass ich hier nicht viel umsatz generieren kann.
dem kellner ist das egal. er sieht meinen labtop und das kabel unter dem tisch verschwinden, verzieht keine miene, bringt mir das gewünschte und tippt für mich den wificode in mein smartie.
da hat sich also gegenüber meinem ersten aufenthalt in buenos aires nichts geändert. es sind nur wenige tische besetzt. kein tv-gedudel, der verkehr auf der av. corrientes ist sonntäglich ruhig.
und wieder mache ich gute erfahrungen mit den "freewalkers". die gibt es in jeder größeren stadt. sie bieten recht individuell gestaltete stadtführungen an.
meist von studenten oder wie in meinem fall von studierten historikern, denen es sichtlich spaß macht, ihre stadt zu zeigen und stories zu erzählen. drei stunden sind wir unterwegs. am schluss kann jeder so viel bezahlen wie er will. zweimal täglich sind sie auf plätzen anzutreffen, die auf ihrer website veröffentlicht sind. zu erkennen an ihren roten t-shirts.
wir treffen uns auf dem platz vor den teatro colon (columbus theater). es sind bestimmt 20 bis 30 touristen, die sich dort versammelt haben. die freewalkerin heisst dominique und ist mit einem headset und einem kleinen lautsprecher ausgestattet. sie spricht ein sehr gutes und verständliches englisch und will uns den stadtteil recoleta zeigen.
zuerst führt sie uns zur synagoge. rund 250 tsd menschen jüdischen glaubens leben in buenos aires und um ihren einfluss zu verdeutlichen, wirbt dominique für mac donalds, der tatsächlich koschere burgers im programm habe.
es ist nicht das hebräische segenszeichen, das die freewalkerin uns erklärt, sondern sie stellt uns die frage, an was uns dieses zeichen erinnere. nahezu unisono wird mr spock mit seinem vulkanischen gruß aus der serie star trek genannt.
es hat schon etwas von blasphemie....
wir gehen weiter zum palacio san martin, der zu beginn des 20. jahrhunderts für die vermögende Mercedes Castellanos de Anchorena gebaut wurde. obwohl sie so vermögend war soll sie von der upper clas dieser stadt nicht akzeptiert worden sein. sie verfügte über keine adelstitel. "neues" geld wurde von den reichen der stadt nur abfällig kommentiert. da half es ihr auch nicht, diesen beeindruckenden palast von einem französischen architekten bauen zu lassen. jeder baustein wurde von europa hierher verschifft.
so, erzählt uns dominique weiter, konnte nur noch die kirche helfen, um endlich das ansehen zu bekommen, das sich mercedes so sehr gewünscht hat. sie ließ kirchen bauen. an all den plätzen, die sie auf ihren reisen besucht hat, und schleßlich soll es ihr sogar gelungen sein, den papst auf sich aufmerksam zu machen und den titel gräfin pontificia zu erhalten.
ein zweiflügeliger palast, der zur zeit der gräfin 150 bedienstete erforderte. 1936 ging er in den besitz der regierung über und beherbergte teile des aussenministeriums. heute dient er der regierung für festliche anlässe.
aber mercedes hat schon an ihren tod und an eine standesgemäßes grab gedacht. zu diesem zweck ließ sie eine basilika errichten, die sie von ihrem palast aus sehen konnte. doch wie es das schicksal wollte, hat sie sich mit ihrer auch recht vermögenden schwiegertochter zerstritten, die nicht besseres zu tun hatte, einen hässlichen wolkenkratzer errichten zu lassen. und dies nur mit der absicht, ihr den blick von ihrem palast auf ihre basilika zu verbauen!
nur von dieser stelle aus sei die basilika in ihrer vollen schönheit zu sehen.
die passage, die zur basilika führt, ist ebenso hässlich, wie das gebäude und wird nach der erbauerin benannt: pasaje corina kavanagh
general san martin, der chile, peru und argentinien 1816 von den spaniern befreit hat, wird auch von dominique hoch verehrt. nach der unabhängigkeit sollte san martin für eine zusammenlegung aller provinzen kämpfen. er habe für die unabhängigkeit der argentinier, chilenen und peruaner gekämpft und wolle sich nicht zum werkzeug eines bürgerkrieges machen lassen. so blieb ihm nichts als der weg ins französische exil. erst jahre später und nach einem kompromiss mit der kirche wurde sein leichnam zu der hiesigen katheradrale zurückgeführt und nur im seitenschiff bestattet.
las islas malvinas son argentinas hat mich schon direkt nach dem überschreiten der grenze von brasilien nach argentinien begrüßt.
dominique erzählt uns, dass der während der argintinischen militärdiktatur herrschende generalLeopoldo Galtieri im stark alkoholisierten zustand die besetzung der malvinas (falkland-inseln) angeordnet habe. er habe 649 junge soldaten mit schlechter ausbildung und veraltetem material in den tod getrieben und damit englands positions gefestigt. mit diesem schachzug erhoffte er sich eine stabilisierung seiner regierung. das gegenteil war der fall.
trotzdem würden die islas malvinas in allen offiziellen dokumenten (schulbücher etc) weiterhin islas malvinas bezeichnet.
die namen von 649 soldaten sind hier genannt. Ihnen hat das land das ende der militärdiktatur (1983) zu verdanken. nicht der Eisernen Lady.
am nachmittag treffen wir vicotria, die uns den berühmten friedhof la recoleta zeigen möchte. aus pietätsgründen verzichtet sie auf ihr headset. das ist bestimmt gut gemeint.
mit der grabesruhe ist es hier aber nicht weit her. la recoleta ist einer der hauptanziehungspunkte für touristen aus aller welt.
wir gewöhnen uns daran.
sie liebt diese stadt der toten, diese morbidität, diese offenkundige endlichkeit und die lebensgeschichten der hier versammelten.
knapp 200 jahre geschichte sind hier in kleinen palästen, kapellchen, hinter stuck verzierten fassaden und engeln jeder preisklasse eingemauert. la recoleta ist voll. es gibt keinen platz mehr. die reichen, schönen und klugen müssen sich andere plätze suchen. es sei denn, sie haben glück, weil eine familie ihre "grabstelle" nicht mehr halten kann oder will und sie veräußert. 70 tsd dollar oder mehr müssen dafür bewegt werden.
wie alle friedhöfe hat auch dieser ort etwas geheimnisvolles - sogar etwas makabres. da kommt es schon häufiger vor, dass mausoleen vernachlässigt sind, weil das geld für die instandhaltung fehlt.da ist der blick freigegeben auf vor sich hin gammelnde särge, vor sich hin rostende gegenstände, die dem familienmitglied für seine letzte reise noch mitgegeben wurden. ob durch geisterhand, durch vierbeinige und langschwänzige nager oder größeres gietier: der eine oder andere sargdeckel liegt nicht mehr in seiner führung, die seitenwände geben den blick frei in etwas modriges und dunkles.
der geruch, der hier ausströmt hat aber auch etwas beruhigendes. es riecht hier nicht anders als in den kellern zuhause.
der prozess der verwesung ist glücklicherweise schon lange abgeschlossen.
dem tod entronnen?
hinter den fassadenfrau von katze liegt ihnen zu füßenhier liegen generäle und admirale, politiker und künstler, großgrundbesitzer und kleriker. jede familie gibt das beste - soll doch der dahingeschiedene im besten licht der nachwelt erhalten bleiben.
doch eine ausnahme gibt es:
da hören wir die geschichte der vermögenden und einflussreichen eheleute salvador maría del carril (1798-1883) und tiburcia domínguez (1812-1898), die so lang erzählt und bestimmt immer weiter ausgeschmückt wird, bis - man möge es ihnen fast wünschen - ihr mausoleum bald möglichst abgerissen und platz für glücklichere lebensgeschichten schafft.
hier sei nur die sichtbare spitze dieses ehelebens erzählt. tiburcia dominguez fühlt sich von ihrem mann vernachlässigt und ohne aufgabe.
ihre zahlreichen kinder haben das haus verlassen. nichts bleibt...
die finanziellen verhältnisse ihres mannes - großgrundbesitzer, wirtschaftsminister und später erster vizepräsident - erlauben es, dass seine ehegattin ihre konsumsucht nicht mehr kontrollieren kann und in den teuersten geschäften dieser stadt eine lange spur hoher und unbezahlter rechnungen hinterläßt.
der eklat läßt nicht lange auf sich warten: der erzürnte salvador maria de carril veröffentlicht in allen zeitungen buenos aires eine großformatige anzeige, mit der er die gläubiger seiner frau darüber informiert, dass er die rechnungen seiner frau gemahlin nicht mehr zu bezahlen bereit sei.
dieser skandal wird das eheleben der beiden noch 20 (!) jahre verfolgen. 20 jahre leben sie nebeneinander her und sprechen kein wort mehr miteinander.
das soll, so verfügt die später verstorbene in ihrem testament - auch nach ihrem tod so bleiben.
jeder besucher la recoletos und ihres mausoleums sieht den großen minister und politiker in einem bequemen lehnstuhl in die ferne blicken. die büste seiner frau befindet sich im rücken ihres gemahls mit einem zufriedenen blick in die entgegengesetzte richtung.
da gibt es die ergreifende geschichte der liliana crociati de szaszak, einer 26 jahre jungen frau, frisch verheiratet, am beginn ihres lebens, sorgenfrei und kerngesund, die 1970 einem lawinenunglück in innsbruck erliegt. la recoleta zeigt sie in ihrem brautkleid. ihr treuer gefährte stirbt nur kurze zeit nach dem heimgang seiner herrin und darf sie nun für immer begleiten. viele hände haben ihm die nase gestreichelt oder vielleicht geküsst?
wir haben glück: wir können nahezu ungestört noch einen blick auf evita peron erhaschen, diesem idol, das auch heute noch die herzen der argentinier schneller schlagen lässt.
zurück in die gegenwart: von rolf bekomme ich eine positionsmeldung der grande san paolo, meines ro-ro-frachters, der auf dem weg entlang der afrikanischen westküste richtung montevideo ist.
der regierungssitz casa rosada. wenn eine kleine flagge unter der argentinischen bandera weht, befindet sich der präsident im palast.
als ich 2013 vor der casa rosada (regierungspalast) stand demonstrierten noch die mütter und erinnerten an ihre während der militärdiktatur verschwundenen söhne. ein auf einer mauer sich befindliches graffity erinnerte die touristen daran, dass die malvinas zu argentinien gehören. nichts von beidem finde ich hier wieder.
ich erlebe die calle florida - die einkaufsstraße von buenos aires - auch eher zahm, werfe einen blick in die galeria pacifica, einem einkaufstempel, der nur wegen seiner architektur einen blick in sein inneres erlaubt...
nur wenige meter von hier leben die armen dieser stadt mit kind und kegelauf schaumstoffmatratzen.
teure geschäfte in der galeria pacifica
(c) wikipedia
alles ist wunderschön, aber ich merke, dass ich mich nicht fangen lasse. es ist eher ein ablaufen, der sehenswürdigkeiten, die man gesehen haben muss...
straßenkinder gibt es hier viele und noch mehr, die als säugling in den armen ihrer mütter liegen. von kindesbeinen inhalieren sie die gesetze der straße. nur wenige sehe ich, die ihre dienste anbieten - sei es als schuhputzer wie in peru oder süsigkeitenverkäuferwie in brasilien. auf meinem weg auf der av 9 julio komme ich an einer parkanlage vorbei, deren gehweg von matetee- und biertrinkenden männern, von matratzenlagern und kindern mit ihren müttern so bevölkert ist, dass es schwierig für mich ist, meinen weg zu bahnen.
ein "kleiner" junge - so um die 10 jahre - spielt mit einem alten pappkarton, der an einer strippe befestigt ist und den er langsam von der einen auf die andere seite des weges zieht. alles sieht harmlos aus, keiner interessiert sich für mich. als ich auf höhe des spielenden jungen bin und meine füße über seine strippe hebe, ernte ich einen so hasserfüllten blick, der mir die gänsehaut über den rücken laufen läßt. seine schwarzen augen blitzen mich an. sein kindergesicht verät nur noch aggressivität.
was hätte er gemacht, wenn ich über das band gestolpert wäre?
unsichtbarmachen und weg von hier ist mein einziger gedanke.
später will ich mir auf der plaza vor dem teatro colon ein plätzchen in der sonne (!) suchen, als ich eine unregelmäßigkeit nur wenige meter vom gerichtsgebäude entfernt wahrnehme. ein streifenwagen mit blaulicht steht mit den vorderrädern auf dem bürgersteig, drei wütende argentinier, die auch auf der straße leben, kommen mir gestikulierend entgegen. ich erkenne noch, dass dort jemand zusammengekrümmt auf dem bürgersteig liegt. vielleicht ohnmächtig geworden? und dann geht das sirenengeheule los. dolby surround. durch die schmalen straßen kommen von allen seiten polizisten auf ihren motorrädern angejagt, die mit quietschenden bremsen stoppen, lässig abspringen, ihre helme über die außenspiegel klemmen und schnellen schrittes zum tatort hechten.
dann passiert nichts mehr.
sie bleiben stehen, schnacken mit den anderen kollegen, die immer mehr werden und reihen sich ein in die menge der schaulustigen. ein krankenwagen erscheint nicht.
aus sicherer entfernung beobachte ich dieses schauspiel. und selbst nach 10 minuten hört das sirenengeheul nicht auf.
es gibt wenig zu tun in buenos aires, geht mir dabei durch den kopf.
endlich mal raus aus der wachstube!
schräg gegenüber von meinem hotel gibt es ein gutes restaurant, das vorwiegend italienische küche und argentinische steaks anbietet. hier sitze ich an einem zweiertisch mit freiem blick auf die av montevideo, beobachte mein umfeld und vertiefe mich später in uwe timms buch die entstehung der currywurst. nicht so trivial, wie der buchtitel vermuten lässt. es passt zwar nicht in die hiesige kultur, aber ich will es zuende lesen.
10.03.:
dieser tag gehört ausschließlich dem blogschreiben.
ein wasser, einen frisch gepressten orangensaft, steckdose und wifi.
11.03.:
es regnet und ist recht duster. es könnte ein novembertag sein. ich genieße eine ausgiebige frühstückszeit im cafe martinez nicht weit vom kongresspalast und lasse es mir gut gehen. die süssen media lunas sehen so aus wie unsere croissants, die salzigen hingegen sind enger gerollt und viel kleiner. es gibt einen leckeren milchshake mit heidelbeeren. es sind nur wenige frühstücker da. auch hier kein tv-gedudel. diskrete musik im hintergrund, und wenn die kaffeetasse leer ist, kommt keiner und will eine erneute bestellung aufnehmen. es macht auch nichts, wenn der tisch dann über eine stunde oder länger besetzt ist. das ist südamerikanische gelassenheit und gemütlichkeit.
12.03.:
noch gestern abend habe ich schräg gegenüber meines hotels einen gemüse- und obstladen entdeckt.
damit steht das frühstück für heute morgen fest. der obstverkäufer, dem ich schon von weitem ansehe, dass er ein schlitzohr ist, fragt mich auch schon beim eintüten meiner einkäufe, woher ich denn käme...
ich tue beschäftigt und antworte nicht. er versucht es vor dem bezahlen nochmals, doch ich warte bis er mir die summe nennt. erst dann erhält er die ersehnte antwort. die schuhputzer-szene in cusco werde ich nicht vergessen...
ich könnte stammkunde werden bei ihm.
heute habe ich post vom ersten vorsitzenden der teutonen. er schickt mir eine notiz, die der ruderverein im argentinischen tageblatt - eine zeitung für deutsche in argentinien - über meinen besuch am vorvergangenen sonntag bei den teutonen veröffentlicht hat.
der ruderverein teutonia hat anlässlich meines besuches eine notiz darüber in dem "argentinischen tageblatt" veröffentlicht.
für den heutigen abend - rigoletto im teatro colon - muss ich meine garderobe halbwegs anpassen. ein poloshirt wird es wohl auch tun. die turnschuhe sieht zum glück keiner. alles andere ist ok.
am liebsten wäre mir ein kaufhaus, aber das finde ich erst in der calle florida. heute ist da mehr los. es regnet und nieselt. aber trotzdem hallt es von allen ecken cambiar, reals, dolares!
dem argentinischen peso gehts schlecht. 40% inflation wusste unsere freewalkerin, als sie uns den aktuellen pesokurs nannte. die kurve auf meiner währungsapp schickt den euro auf einen höhenflug. täglich kann ich mehr pesos für einen euro bekommen. also halten sich die argentinier an den dollar oder euro und "verscherbeln" ihre pesos. viele speisekarten habe ich entdeckt, deren preise schon mehrmals überklebt wurden.
endlich werde ich im kaufhaus falabella fündig. vielleicht zu vergleichen mit peek & cloppenburg. ich finde ein hemd und andere lebensnotwendige dinge und möchte mit kreditkarte bezahlen. meistens reicht es, wenn die passnummer auf den beleg geschrieben wird. in diesem fall möchte die kassiererin meinen reisepass sehen. der liegt sicher in meinem zimmer - wer weiss. ich habe ihn abfotografiert, zücke mein smartphone und zeige ihn mit meinem bild und der passnummer. sie schüttelt mit dem kopf. ich bin sauer, weil sie nur ihren job macht und ich meine wut nicht los werden kann.
so marschiere ich weiter und finde nach einem leichten mittagessen einen britischen herrenausstatter. der kann mir ein poloshirt verkaufen - den rest finde ich dann in einem wrangler-laden.
zu einer siesta reicht es noch.
eine stunde früher bin ich im teatro. die preislage meiner karte erlaubt mir nicht die benutzung des pompösen vordereingangs. ich werde zum seiteneingang gebeten, von dem der besucher die unterschiedlichen ränge erreicht. vor dem fahrstuhl steht eine meterlange schlange. meine kondition ist überraschend gut, zwei stufen aufeinmal nehmend komme ich oben an. nur etwas ausser atem. die platzanweiserin schickt mich von der 6 uhr position - von der ich einen rundumblick auf das geschehen hätte, auf die 15 uhr position, von der sich die bühne im rechten winkel zu mir befindet. ich sehe aber genug. ich hätte ja gerne noch im foyer ein glas wein getrunken und mir die menschen angeschaut - so mache ich das aus der vogelperspektive.
15 uhr position
6 ränge sind schon viel und ganz schön hoch! wer vom leben genug hat, hat nicht mit überzeugenden sicherheitsvorkehrungen zu kämpfen und kann sich problemlos der schwerkraft anvertrauen.
um 20:00 uhr sind die ränge besetzt, das parkett nahezu, es wird fotografiert, es werden noch schnell die letzten nachrichten verschickt - fast wie auf dem flughafen - dann erschallt die freundliche bitte, während der vorstellung nicht zu fotografieren und die cellulares jetzt auszuschalten.
das abschalten bedeutet doch für eine ansehnliche menge von menschen ein mühevolles loslassen. ich kann von oben gut erkennen, wann endlich das verräterische licht erloschen ist.
die vorstellung beginnt. sie reisst mich nicht vom hocker, aber ich genieße es, mal wieder klassische musik zu hören und in diesem theater zu sein. die inzenierung ist klassisch, der tenor nicht überzeugend, die sopranistin schon. während eines duetts im zweiten akt - an einer besonders ruhigen stelle - höre ich einen kurzen ärgerlichen dialog, dem ein handyklingeln vorrausgegangen ist. der angerufene hielt es für erforderlich den anruf entgegenzunehmen und auf die beschwerde seines sitznachbarn mit südamerikanischem temperament zu reagieren. nach einem scht scht von mehren seiten darf wieder dem duett gelauscht werden.
die liebes-und umarmungsszenen wirken aus meiner perspektive etwas plum und unbeholfen.
aber das publikum ist begeistert. bravo-rufe hallen durch das haus, es springt von seinen sesseln und applaudiert kräftig. auch unter den sängern auf der bühne herrscht hochstimmung. küsschen hier und küsschen da. blumen werden von pagen überreicht, die sonst dafür zu sorgen hatten, dass der rote samtvorhang ordnungsgemäß schließt.
ein beeindruckendes erlebnis, das seinen schlussakord in leckeren gemüseraviolis findet.
13.03. bis 16.03.:
es scheint sich bei mir einzubürgern, dass sich zwischen meinen stadtrundgängen immer ein tag des "nichts tuns" schiebt. es war erst heute morgen nach dem theatergang gestern abend und dem späten abendessen, als ich das licht ausmachte.
entsprechend spät ist es heute morgen oder vormittag. die wirkung des cafe con leche und die zahlreichen eindrücke tragen ihr übriges dazu bei, dass ich erst spät in den schlaf finde. so verschiebt sich der tagesrhtmus. die toleranz in den argentischen cafes trägt noch dazu bei. ich genieße die ausgiebige "frühstückszeit", das mäßig geschäftige teiben um mich herum und vertiefe mich in meine lektüre.
heute, am 14.03., steht die dritte freewalkertour an. sie wird uns vom congreso nacional die av. mayo bis zur casa rosada führen. treffpunkt ist vor dem kongress. erst bin ich zuversichtlich, weil sich nur wenige personen um den freewalker gruppieren, doch er schickt seine schäfchen nach kurzer begrüßung fünfzig meter weiter, wo sie auf ihn warten sollen. eine vernünftige überlegung, denn sonst hätte es nach einer unangemeldeten demonstration ausgesehen, wenn wir alle vor den toren des nationalkongresses gewartet hätten.
meiner schätzung sind wir ca. 50 bis 80 teilnehmer. das wissen die freewalker-organisatoren nicht vorher. zwar wird schnell eine teilung zwischen den spanisch- und englischsprechenden touristen vorgenommen, aber die englische seite überwiegt um ein vielfaches. vielleicht wäre es doch besser gewesen, mich der sehr kleinen spanisch-gruppe anzuschließen. ich hätte genausoviel davon gehabt.
fernandez spricht auch ein sehr schnelles mit südamerikanischem akzent versehenes englisch und ist auch aufgrund seiner "übertragungstechnik" nur mäßig zu verstehen. wir sind einfach zu viel menschen, damit ihn jeder gut hören kann.
die wirtschaftliche lage seines landes sei desolat. sie litten unter einer inflationsrate von knapp 50 %, einer verteuerung um 30% und einer lohnanpassung von 20%. die tarife für strom und gas würden um 40% und das wasser um 17% angehoben. die beschäftigung sinkt, staatliche und private unternehmen entlassen. eine ende sei nicht absehbar.
der unternehmer macri, der noch bis oktober 2019 amtierende präsident, wird als neoliberaler eingeordnet, der mit blick auf eine ansteigende beschäftigung die unternehmen fördert. wenn es so weiter ginge, müsste mit dem nächsten staatsbankrot - der letzte war erst 2001 - zu rechnen sein.
gerüchte kursieren, dass christina fernandez de kirchner wieder zur wahl antritt. befürchtungen auf der anderen seite werden laut, dass es ihr wie dem brasilianischen präsidentschaftskandidaten lula da silva ergehen könne und sie von der straße weg verhaftet würde.
jede fassade unterscheidet sich von der anderen
die eingangstüren werden immer nur kurz geöffnet. sofort sammelt sich eine traube schaulustiger und zückt ihre smartphones
sie begingen 2017 das 40 jährige jubiläum. mein eindruck: es ist ruhig geworden auf der plaza de mayo. ihr markenzeichen ist das weisse kopftuch, das sie alle getragen haben.
während die regierung immer "nur" von 10 tsd verschwundenen gesprochen hat, darf nun auch offiziell von 30 tsd verschwundenen söhnen und enkeln gesprochen werden. die damalige militärregierung hat stehende versammlungen auf der plaza de mayo verboten. noch heute, so sagt unser freewalker, würden sich donnerstags die madres de plaza de mayo treffen und zur erinnerung langsam im kreis laufen.
die mai-revolution 1816 gab letztlich den startschuss für ein unabhängiges und freies argentinien. es gab so gut wie keine gewalt. der begriff revolution stünde hier für erneuerung.
das idol der argentinier evita peron mit mikrophon hoch über der 16 spurigen av. 9 julio - der breitesten straße der welt! (o-ton unseres freewalkers)
hier ruhen die gebeine des capitan und general d jose de san martin und des unbekannten soldaten für die unabhängigkeit. denkt an sie
früher noch an exponierter stellte rechts von der freitreppe zur kathedrale. heute hinter einem zaun versteckt. der eingang zur kathedrale kann nur von der seite erfolgen, da platz für den zunehmenden verkehr gemacht werden musste.
die tour hat mich wieder in einen guten rhytmus gebracht. eine stunde vor mitternacht ist das licht aus.
um so fitter bin ich heute morgen (15.03.). und drei dinge gelingen auf anhieb: ich finde eine wäscherei, ich finde ganz in der nähe eine tienda für banderas. so erspare ich mir die suche in montevideo, werde die uruguayanische flagge aber erst auf das windschild kleben, wenn die vepse die ersten kilometer in uruguay gefahren ist.
und die western union bank macht bei der geldverschickung keine zicken. dafür muss ich später bei der abholung schlange stehen. das ist hier nichts ungewöhnliches...
ich habe zeit
ich frühstücke drei media lunas in "meinem" cafe. mich empfängt wieder ein freundiches und wieder erkennendes kopfnicken.
eigentlich hatte ich gestern genug bewegung, aber mich treibt es zu den alten hafenbecken und zum puerto madero. der blog muss bis morgen warten.
die bewohner von buenos aires nennen sich portenos.
mein blick fällt auf einen verschwiegenden patio mit verkaufsständen und einer galerie. zwar habe ich keinen hunger, aber lust auf einen gekühlten chardonnay. der wird hier zusammen mit einem media luna angeboten wird.
eine bussladung touristen ergießt sich kurzzeitg im innenhof, dann ist wieder ruhe. ich habe blick in ein großes antiquitätengeschäft, das wohl von den beiden eigentümern geführt wird. ein ehepaar, das diesem geschäft bestimmt schon jahrzehnte nachgeht. sie kann nicht mehr so gut laufen und sitzt vorwiegend auf einem antiken stuhl, während er - groß gewachsen und fit - das geschehen auf der straße und im laden beobachtet.
der irischen tradition verhaftet
obwohl das wetter draussen sehr verlockend ist, suche ich wieder mein cafe la paz, bestelle ein wasser und ein orangensaft - frisch gepresst - und tauche ab in den gestrigen tag. zwar unterbricht mich ein halbstündiger stromausfall - der erste in argentinien - doch dann darf ich ohne unterbrechung weiterarbeiten.
soll es doch beim neoliberalismus bleiben?
diejenigen, die spekulieren werden nicht in die geschichte eingehen, sondern die, die am meisten spielen
auch heute werden mir die unterschiedlichsten dinge auf den tisch gelegt: socken, süßigkeiten, aufkleber, taschenlampen und milkaschokolade. da hätte ich gerne das angebot angenommen, kann aber den gut portionierten jungen nicht verstehen. erst später kommt mir der gedanke nach dem haltbarkeitsdatum.
heute, am 19.03. ist herbstwetter! 17 bis 18 grad und ein recht frischer wind. die wolken hängen tief, regen kündigt sich an.
heute packe ich, finde den vergessen geglaubten anorak in einer der seitenkoffer wieder und fahre dann zum hafen. dorthin, wo morgen meine fähre nach colonia del sacramento ablegt.
von hier aus ist es nicht weit, und als ich dort ankomme suche ich vergebens die einfahrtspuren für busse, trucks und pkw. ich sehe das große abfertigungsgebäude und vermute, dass sich die einfädelspuren zur fähre unterhalb des gebäudes befinden.
hier herrscht ziemliches chaos. eine baustelle und verengte fahrbahnführung, megatrucks, die versuchen, ohne flurschaden an den baustellenbegrenzungen vorbeizukommen und ich mit der verpse irgendwo dazwischen.
aber ich befinde mich nicht in lima, sondern im gemäßigten argentinien. ich schlängele mich an den mannshohen rädern der trucks auf meine spur, mogele mich vor das abfertigungsgebäude, parke die vepse und orientiere mich erst einmal.
ein einweiser sagt mir schließlich, wie ich zu den fähren komme. gleich hinter dem gebäude führt eine nicht ganz ernstzunehmende spur zu den schiffen. auch hier suche ich vergebens die beschilderung für colonia del sacramento.
das wahrzeichen buenos aires: der obelisk bei nacht
mehr muss ich heute nicht wissen. ich werde morgen früh statt zwei stunden schon drei stunden vor abfahrt da sein und dann noch genügend zeit zum improvisieren haben.
eigentlich will ich noch nach la boca. ich verschiebe es auf einen anderen buenos aires besuch. es ist sehr windig, viel verkehr, kalt, und es fängt an zu regnen. außerdem regt sich der hunger.
mein frühstücksrestaurant bietet auch mittagessen an. ich lasse mich mit milanesa neapolitana und einer großen schüssel salat verwöhnen. zum nachtisch zwei riesenkugeln eis.
damit ist mein tagwerk vollbracht. siesta, lesen und etwas schreiben.