2017 VespamerikasuR 2019
2017 VespamerikasuR 2019
vakantio.de/vespaamerikasur

ab 06.03.: Buenos Aires Ciudad

Veröffentlicht: 08.03.2019

06. bis 07.03:

Buenos Aires mit knapp 3 mio einwohnern, ist eine stadt, die mir auf anhieb gefällt - am besten gefällt von den großstädten, die ich in südamerika gesehen habe. das paris der südhalbkugel!

natürlich hat lima mit mira flores beeindruckt und auch sao paulo oder santiago mit ihren szenevierteln - auch jetzt wohne ich nur 2 km westlich von dem tangoviertel san telmo entfernt.

das teatro colon. dienstagabend: rigoletto...

das wahrzeichen der stadt - der 67 m hohe obelisk - auf der avenida 9 de julio im hintergrund. 1936 erbaut anlässlich des 400 jährigen stadtgründungsjubiläums

der justizpalast  -respekt einflößend mit san martin, dem befreier von den spaniern.
noch so lange ist die militärdiktatur unter general Jorge Rafael Videla nicht vorbei

die bäckereien strotzen nur so von leckeren kuchen und teilchen. sie liegen auf großen tabletts mit puderzucker bestreut auf der theke oder in einem regal an der wand. jeder darf sich bedienen und geht dann damit zur kasse.

die favela-szenerie, als ich lima richtung norden verlassen habe, war beängstigend. holzbaracken an rutschigen abhängen gebaut.

auch hier in buenos aires gibt es nur einen steinwurf neben der stadtautobahn entfernt häuser, in denen die fast ärmesten der stadt wohnen. aber es sind steinhäuser, die auf ihren balkonen sogar grünpflanzen stehen haben. die wäsche trocknet im wind und wird wohl nie sauber.

aber vielleicht schreibe ich nach zwei wochen etwas anderes.

es gibt sie hier auch - wie in concordia - die großen und gemütlichen restaurants, in denen der euro-besitzer gut und für wenig geld essen kann.

zum nächsten geschäftstermin oder vater und tochter nach büroschluss - aus der froschperspektive eines im souterain gelegenen eat-green-restaurants

die ersten worte, die ich gestern an einer ampel wechselte, waren an einen vespafahrer gerichtet. er fuhr ein älteres modell aus den 70igern -  einen sogenannten blechroller - , der in der hierarchie mit am höchsten angesiedelt ist. viele worte konnten wir zwar nicht wechseln, weil ihm der sprit ausgegangen ist und er sich schnell und schiebenderweise von der ampelkreuzung wegbewegen musste. aber so viel zeit blieb doch, dass er noch ein anerkennendes nicken für die vepse übrig hatte.

ich bin ausgehungert nach kultur und habe mir heute für kommenden dienstag eine opernkarte gegönnt. ich sitze irgendwo in den oberen rängen des 2.500 personen fassenden theaters und werde verdis rigoletto hören. das hat zwar wenig mit mit der hiesigen kultur zu tun, aber ich werde mich so langsam vorarbeiten.

im wurzelwerk des gummibaums freiwillig gefangen

und weil hier so viele vespen fahren liegt der gedanke nahe, dass es auch eine gut sortierte vespawerkstatt gibt, die mir für weniger geld, als in deutschland einen neuen auspuff verkaufen und montieren kann.

aber weit gefehlt. die internetadresse, die sich recht vielversprechend darstellt, reduziert sich in der realität auf einen japanischen automarkenverkäufer, der auch zwei drei vespen im verkaufsraum stehen hat. der verkäufer weiss aber die adresse einer werkstatt recht weit von der avenida de libertador und ich fahre hin. ich hätte sie auch anrufen können, aber ich will auch etwas von buenos aires sehen. ich komme in ein ganz anderes viertel, das weniger restaurants hat, aber ruhige und baumbewachsene straßen, plazas und zwei bis dreistöckige häuser. ich hätte es mir denken können. ein lager hat er nicht und so werde ich den auspuff in deutschland auswechseln.

und: es gibt eine premiere zu feiern!

auf der av. libertador bin ich von einer polizeikontrolle angehalten worden. das ist mir zwar in calama in chile auch schon passiert, aber dort wollten sie nicht meine papiere sehen.

einer meiner drei kontrolleure kam sich vor wie bolle. einen kugelschreiber im rechten mundwinkel und breitbeinig stand er da, wenn er nicht gerade mal wieder die vepse umkreist hat. ein youngster mit milchgesicht um die 20.
als ich meinen pass und die zulassungspapiere sicher in meinem brustbeutel verstaut habe kam ich nicht umhin, ihnen zu ihrer premiere zu gratulieren. der ältre polizist fragte etwas irritiert zurück: auch nicht in brasilien?

von bausünden eingezwängt

08.03.:

in meinem zimmer, das seine fenster zum innenhof hat und somit abgeschottet ist vom lärm der av. montevideo, ist es jetzt zu dämmrig, um mich dort meinem blog widmen zu wollen.
so stecke ich  - heute am 10.03. - labtop und zubehör in meinen rucksack und mache mich auf, ein cafe zu finden, das wifi und auch eine steckdose unterhalb des tisches zu bieten hat.

die südamerikaner sind da recht unkompliziert. ich bestelle einen organgensaft und ein wasser - der bauch ist noch gut gefüllt mit zwei media lunas und zwei cappuchinos - so dass ich hier nicht viel umsatz generieren kann.
dem kellner ist das egal. er sieht meinen labtop und das kabel unter dem tisch verschwinden, verzieht keine miene, bringt mir das gewünschte und tippt für mich den wificode in mein smartie.
da hat sich also gegenüber meinem ersten aufenthalt in buenos aires nichts geändert. es sind nur wenige tische besetzt. kein tv-gedudel, der verkehr auf der av. corrientes ist sonntäglich ruhig.

und wieder mache ich gute erfahrungen mit den "freewalkers". die gibt es in jeder größeren stadt. sie bieten recht individuell gestaltete stadtführungen an.

meist von studenten oder wie in meinem fall von studierten historikern, denen es sichtlich spaß macht, ihre stadt zu zeigen und stories zu erzählen. drei stunden sind wir unterwegs. am schluss kann jeder so viel bezahlen wie er will. zweimal täglich sind sie auf plätzen anzutreffen, die auf ihrer website veröffentlicht sind. zu erkennen an ihren roten t-shirts.

wir treffen uns auf dem platz vor den teatro colon (columbus theater). es sind bestimmt 20 bis 30 touristen, die sich dort versammelt haben. die freewalkerin heisst dominique und ist mit einem headset und einem kleinen lautsprecher ausgestattet. sie spricht ein sehr gutes und verständliches englisch und will uns den stadtteil recoleta zeigen.

zuerst führt sie uns zur synagoge. rund 250 tsd menschen jüdischen glaubens leben in buenos aires und um ihren einfluss zu verdeutlichen, wirbt dominique für mac donalds, der tatsächlich koschere burgers im programm habe.

es ist nicht das hebräische segenszeichen, das die freewalkerin uns erklärt, sondern sie stellt uns die frage, an was uns dieses zeichen erinnere. nahezu unisono wird mr spock mit seinem vulkanischen gruß aus der serie star trek genannt.
es hat schon etwas von blasphemie...
.

wir gehen weiter zum palacio san martin, der zu beginn des 20. jahrhunderts für die vermögende Mercedes Castellanos de Anchorena gebaut wurde. obwohl sie so vermögend war soll sie von der upper clas dieser stadt nicht akzeptiert worden sein. sie verfügte über keine adelstitel.  "neues" geld wurde von den reichen der stadt nur abfällig kommentiert. da half es ihr auch nicht, diesen beeindruckenden palast von einem französischen architekten bauen zu lassen. jeder baustein wurde von europa hierher verschifft.
so, erzählt uns dominique weiter, konnte nur noch die kirche helfen, um endlich das ansehen zu bekommen, das sich mercedes so sehr gewünscht hat. sie ließ kirchen bauen. an all den plätzen, die sie auf ihren reisen besucht hat, und schleßlich soll es ihr sogar gelungen sein, den papst auf sich aufmerksam zu machen und den titel gräfin pontificia zu erhalten.

ein zweiflügeliger palast, der zur zeit der gräfin 150 bedienstete erforderte. 1936 ging er in den besitz der regierung über und beherbergte teile des aussenministeriums. heute dient er der regierung für festliche anlässe.

aber mercedes hat schon an ihren tod und an eine standesgemäßes grab gedacht. zu diesem zweck ließ sie eine basilika errichten, die sie von ihrem palast aus sehen konnte. doch wie es das schicksal wollte, hat sie sich mit ihrer auch recht vermögenden schwiegertochter zerstritten, die nicht besseres zu tun hatte, einen hässlichen wolkenkratzer errichten zu lassen. und dies nur mit der absicht, ihr den blick von ihrem palast auf ihre basilika zu verbauen!

nur von dieser stelle aus sei die basilika in ihrer vollen schönheit zu sehen.

die passage, die zur basilika führt,  ist ebenso hässlich, wie das gebäude und wird nach der erbauerin benannt: pasaje corina kavanagh

general san martin, der chile, peru und argentinien 1816 von den spaniern befreit hat, wird auch von dominique hoch verehrt. nach der unabhängigkeit sollte san martin für eine zusammenlegung aller provinzen kämpfen. er habe für die unabhängigkeit der argentinier, chilenen und peruaner gekämpft und wolle sich nicht zum werkzeug eines bürgerkrieges machen lassen. so blieb ihm nichts als der weg ins französische exil. erst jahre später und nach einem kompromiss mit der kirche wurde sein leichnam zu der hiesigen katheradrale zurückgeführt und nur im seitenschiff bestattet.

las islas malvinas son argentinas hat mich schon direkt nach dem überschreiten der grenze von brasilien nach argentinien begrüßt.

dominique erzählt uns, dass der während der argintinischen militärdiktatur herrschende generalLeopoldo Galtieri im stark alkoholisierten zustand die besetzung der malvinas (falkland-inseln) angeordnet habe. er habe 649 junge soldaten mit schlechter ausbildung und veraltetem material in den tod getrieben und damit englands positions gefestigt. mit diesem schachzug erhoffte er sich eine stabilisierung seiner regierung. das gegenteil war der fall.
trotzdem würden die islas malvinas in allen offiziellen dokumenten (schulbücher etc) weiterhin islas malvinas bezeichnet.

die namen von 649 soldaten sind hier genannt. Ihnen hat das land das ende der militärdiktatur (1983) zu verdanken. nicht der Eisernen Lady.

am nachmittag treffen wir vicotria, die uns den berühmten friedhof la recoleta zeigen möchte. aus pietätsgründen verzichtet sie auf ihr headset. das ist bestimmt gut gemeint.
mit der grabesruhe ist es hier aber nicht weit her. la recoleta ist einer der hauptanziehungspunkte für touristen aus aller welt.

victorias englisch ist brilliant, ihr sprechtempo rasant.

wir gewöhnen uns daran.

sie liebt diese stadt der toten, diese morbidität, diese offenkundige endlichkeit und die lebensgeschichten der hier versammelten.

knapp 200 jahre geschichte sind hier in kleinen palästen, kapellchen, hinter stuck verzierten fassaden und engeln jeder preisklasse eingemauert. la recoleta ist voll. es gibt keinen platz mehr. die reichen, schönen und klugen müssen sich andere plätze suchen. es sei denn, sie haben glück, weil eine familie ihre "grabstelle" nicht mehr halten kann oder will und sie veräußert. 70 tsd dollar oder mehr müssen dafür bewegt werden.

wie alle friedhöfe hat auch dieser ort etwas geheimnisvolles - sogar etwas makabres. da kommt es schon häufiger vor, dass mausoleen vernachlässigt sind, weil das geld für die instandhaltung fehlt.


da ist der blick freigegeben auf vor sich hin gammelnde särge, vor sich hin rostende gegenstände, die dem familienmitglied für seine letzte reise noch mitgegeben wurden. ob durch geisterhand, durch vierbeinige und langschwänzige nager oder größeres gietier: der eine oder andere sargdeckel liegt nicht mehr in seiner führung, die seitenwände geben den blick frei in etwas modriges und dunkles.
der geruch, der hier ausströmt hat aber auch etwas beruhigendes. es riecht hier nicht anders als in den kellern zuhause.
der prozess der verwesung ist glücklicherweise schon lange abgeschlossen.

dem tod entronnen?

hinter den fassaden

frau von katze liegt ihnen zu füßen

hier liegen generäle und admirale, politiker und künstler, großgrundbesitzer und kleriker. jede familie gibt das beste - soll doch der dahingeschiedene im besten licht der nachwelt erhalten bleiben.

doch eine ausnahme gibt es:

da hören wir die geschichte der vermögenden und einflussreichen eheleute salvador maría del carril (1798-1883) und tiburcia domínguez (1812-1898), die so lang erzählt und bestimmt immer weiter ausgeschmückt wird, bis - man möge es ihnen fast wünschen - ihr mausoleum bald möglichst abgerissen und platz für glücklichere lebensgeschichten schafft.

hier sei nur die sichtbare spitze dieses ehelebens erzählt. tiburcia dominguez fühlt sich von ihrem mann vernachlässigt und ohne aufgabe.
ihre zahlreichen kinder haben das haus verlassen. nichts bleibt...
die finanziellen verhältnisse ihres mannes - großgrundbesitzer, wirtschaftsminister und später erster vizepräsident - erlauben es, dass seine ehegattin ihre konsumsucht nicht mehr kontrollieren kann und in den teuersten geschäften dieser stadt eine lange spur hoher und unbezahlter rechnungen hinterläßt.
der eklat läßt nicht lange auf sich warten: der erzürnte salvador maria de carril veröffentlicht in allen zeitungen buenos aires eine großformatige anzeige, mit der er die gläubiger seiner frau darüber informiert, dass er die rechnungen seiner frau gemahlin nicht mehr zu bezahlen bereit sei.
dieser skandal wird das eheleben der beiden noch 20 (!) jahre verfolgen. 20 jahre leben sie nebeneinander her und sprechen kein wort mehr miteinander.

das soll, so verfügt die später verstorbene in ihrem testament - auch nach ihrem tod so bleiben.

jeder besucher la recoletos und ihres mausoleums sieht den großen minister und politiker in einem bequemen lehnstuhl in die ferne blicken. die büste seiner frau  befindet sich im rücken ihres gemahls mit einem zufriedenen blick in die entgegengesetzte  richtung.

da gibt es die ergreifende geschichte der liliana crociati de szaszak, einer 26 jahre jungen frau, frisch verheiratet, am beginn ihres lebens, sorgenfrei und kerngesund, die 1970 einem lawinenunglück in innsbruck erliegt. la recoleta zeigt sie in ihrem brautkleid. ihr treuer gefährte stirbt nur kurze zeit nach dem heimgang seiner herrin und darf sie nun für immer begleiten. viele hände haben ihm die nase gestreichelt oder vielleicht geküsst?

wir haben glück: wir können nahezu ungestört noch einen blick auf evita peron erhaschen, diesem idol, das auch heute  noch die herzen der argentinier schneller schlagen lässt.

als radiomoderatorin hat sie sich für die wahl juan perons als präsident stark gemacht und 1947 das frauenwahlrecht durchgesetzt. vor allem an muttertag pilgern viele anhänger zu ihrem grab. aus angst vor einer erneuten entführung ihres sarges wurde er 6 meter tief in der familiengruft beigesetzt und mit einer metallplatte geschützt

zurück in die gegenwart: von rolf bekomme ich eine positionsmeldung der grande san paolo, meines ro-ro-frachters, der auf dem weg entlang der afrikanischen westküste richtung montevideo ist.

ca.(!) am 30.03. geht es den gleichen weg mit der vepse und mir zurück


09.03.:

die gestrigen eindrücke von der freewalkertour sind noch so nachhaltig, dass ich es heute langsam angehen lasse. das frühstück habe ich nicht mitgebucht, so dass ich schon an meinem zweiten morgen auf diesen missstand hingewiesen und zur kasse gebeten werde. beim bezahlen versuche ich noch, mit der rezeptionistin zu handen. ich hätte doch für 14 tage gebucht. da gäbe es bestimmt eine möglichkeit, das frühstück nicht noch zusätzlich zu berechnen... sie könne das nicht entscheiden. doch am nächsten morgen, als ich nachfrage und siegesgewiss bin, schüttelt sie mit dem kopf. es sei nicht ihre entscheidung.

das argentinische hotelfrühstück. der lecker aussehende toast wird schon morgens gegen 07:00 uhr getoastet, so dass er sehr schnell zu zwieback wird.

es ist samstag und die straßen sind sonntäglich ruhig. ich komme in die siesta-zeit, was dieser sonst sehr lebhaften stadt etwas unwirkliches verleiht. die temperaturen sind für hiesige verhältnisse schon herbstlich und verleiten mich tatsächlich dazu, aus dem schatten der häuser auf die andere straßenseite zu wechseln.

immer wieder gibt es bausünden zu bewundern. kolonialstilhäuser ohne rücksicht auf verluste eingewängt zwischen mehrstöckigen zweckbauten und wolkenkratzern.

der tsunamiewelle der moderne noch eben standgehalten. wie lang noch?

nur eine viertelstunde von meinem quartier befindet sich der argentinische nationalkongress.

congreso nacional: laut demokratieindex  belegt argentinien den platz 49 von 167 ländern                                                                                  

der regierungssitz casa rosada. wenn eine kleine flagge unter der argentinischen bandera weht, befindet sich der präsident im palast.

als ich 2013 vor der casa rosada (regierungspalast) stand demonstrierten noch die mütter und erinnerten an ihre während der militärdiktatur verschwundenen söhne. ein auf einer mauer sich befindliches graffity erinnerte die touristen daran, dass die malvinas zu argentinien gehören. nichts von beidem finde ich hier wieder.

ich erlebe die calle florida - die einkaufsstraße von buenos aires - auch eher zahm, werfe einen blick in die galeria pacifica, einem einkaufstempel, der nur wegen seiner architektur einen blick in sein inneres erlaubt...
nur wenige meter von hier leben die armen dieser stadt mit kind und kegelauf schaumstoffmatratzen.

teure geschäfte in der galeria pacifica                                     
                                                                                                      (c) wikipedia

alles ist wunderschön, aber ich merke, dass ich mich nicht fangen lasse. es ist eher ein ablaufen, der sehenswürdigkeiten, die man gesehen haben muss...

straßenkinder gibt es hier viele und noch mehr, die als säugling in den armen ihrer mütter liegen. von kindesbeinen inhalieren sie die gesetze der straße. nur wenige sehe ich, die ihre dienste anbieten - sei es als schuhputzer wie in peru oder süsigkeitenverkäuferwie  in brasilien. auf meinem weg auf der av 9 julio komme ich an einer parkanlage vorbei, deren gehweg von matetee- und biertrinkenden  männern, von matratzenlagern und kindern mit ihren müttern so bevölkert ist, dass es schwierig für mich ist, meinen weg zu bahnen.
ein "kleiner" junge - so um die 10 jahre - spielt mit einem alten pappkarton, der an einer strippe befestigt ist und den er langsam von der einen auf die andere seite des weges zieht. alles sieht harmlos aus, keiner interessiert sich für mich. als ich auf höhe des spielenden jungen bin und meine füße über seine strippe hebe, ernte ich einen so hasserfüllten blick, der mir die gänsehaut über den rücken laufen läßt. seine schwarzen augen blitzen mich an. sein kindergesicht verät nur noch aggressivität. 

was hätte er gemacht, wenn ich über das band gestolpert wäre?

unsichtbarmachen und weg von hier ist mein einziger gedanke.

später will ich mir auf der plaza vor dem teatro colon ein plätzchen in der sonne (!) suchen, als ich eine unregelmäßigkeit nur wenige meter vom gerichtsgebäude entfernt wahrnehme. ein streifenwagen mit blaulicht steht mit den vorderrädern auf dem bürgersteig, drei wütende argentinier, die auch auf der straße leben, kommen mir gestikulierend entgegen. ich erkenne noch, dass dort jemand zusammengekrümmt auf dem bürgersteig liegt. vielleicht ohnmächtig geworden? und dann geht das sirenengeheule los. dolby surround. durch die schmalen straßen kommen von allen seiten polizisten auf ihren motorrädern angejagt, die mit quietschenden bremsen stoppen, lässig abspringen, ihre helme über die außenspiegel klemmen und schnellen schrittes zum tatort hechten.

dann passiert nichts mehr.

sie bleiben stehen, schnacken mit den anderen kollegen, die immer mehr werden und reihen sich ein in die menge der schaulustigen. ein krankenwagen erscheint nicht.
aus sicherer entfernung beobachte ich dieses schauspiel. und selbst nach 10 minuten hört das sirenengeheul nicht auf.
es gibt wenig zu tun in buenos aires
, geht mir dabei durch den kopf.

endlich mal raus aus der wachstube!

schräg gegenüber von meinem hotel gibt es ein gutes restaurant, das vorwiegend italienische küche und argentinische steaks anbietet. hier sitze ich an einem zweiertisch mit freiem blick auf die av montevideo, beobachte mein umfeld und vertiefe mich später in uwe timms buch die entstehung der currywurst. nicht so trivial, wie der buchtitel vermuten lässt. es passt zwar nicht in die hiesige kultur, aber ich will es zuende lesen.

10.03.:

dieser tag gehört ausschließlich dem blogschreiben.

ein wasser, einen frisch gepressten orangensaft, steckdose und wifi.

11.03.:

es regnet und ist recht duster. es könnte ein novembertag sein. ich genieße eine ausgiebige frühstückszeit im cafe martinez nicht weit vom kongresspalast und lasse es mir gut gehen. die süssen media lunas sehen so aus wie unsere croissants, die salzigen hingegen sind enger gerollt und viel kleiner. es gibt einen leckeren milchshake mit heidelbeeren. es sind nur wenige frühstücker da. auch hier kein tv-gedudel. diskrete musik im hintergrund, und wenn die kaffeetasse leer ist, kommt keiner und will eine erneute bestellung aufnehmen. es macht auch nichts, wenn der tisch dann über eine stunde oder länger besetzt ist. das ist südamerikanische gelassenheit und gemütlichkeit.

12.03.:

noch gestern abend habe ich schräg gegenüber meines hotels einen gemüse-  und obstladen entdeckt.

damit steht das frühstück für heute morgen fest. der obstverkäufer, dem ich schon von weitem ansehe, dass er ein schlitzohr ist, fragt mich auch schon beim eintüten meiner einkäufe, woher ich denn käme...
ich tue beschäftigt und antworte nicht. er versucht es vor dem bezahlen nochmals, doch ich warte bis er mir die summe nennt. erst dann erhält er die ersehnte antwort. die schuhputzer-szene in cusco werde ich nicht vergessen...

ich könnte stammkunde werden bei ihm.

heute habe ich post vom ersten vorsitzenden der teutonen. er schickt mir eine notiz, die der ruderverein im argentinischen tageblatt - eine zeitung für deutsche in argentinien - über meinen besuch am vorvergangenen sonntag bei den teutonen veröffentlicht hat.

der ruderverein teutonia hat anlässlich meines besuches eine notiz darüber in dem "argentinischen tageblatt" veröffentlicht.

für den heutigen abend  - rigoletto im teatro colon - muss ich meine garderobe halbwegs anpassen. ein poloshirt wird es wohl auch tun. die turnschuhe sieht zum glück keiner. alles andere ist ok.

am liebsten wäre mir ein kaufhaus, aber das finde ich erst in der calle florida. heute ist da mehr los. es regnet und nieselt. aber trotzdem hallt es von allen ecken cambiar, reals, dolares!
dem argentinischen peso gehts schlecht. 40% inflation wusste unsere freewalkerin, als sie uns den aktuellen pesokurs nannte. die kurve auf meiner währungsapp schickt den euro auf einen höhenflug. täglich kann ich mehr pesos für einen euro bekommen. also halten sich die argentinier an den dollar oder euro und "verscherbeln" ihre pesos. viele speisekarten habe ich entdeckt, deren preise schon mehrmals überklebt wurden.

endlich werde ich im kaufhaus falabella fündig. vielleicht zu vergleichen mit peek & cloppenburg. ich finde ein hemd und andere lebensnotwendige dinge und möchte mit kreditkarte bezahlen. meistens reicht es, wenn die passnummer auf den beleg geschrieben wird. in diesem fall möchte die kassiererin meinen reisepass sehen. der liegt sicher in meinem zimmer - wer weiss. ich habe ihn abfotografiert, zücke mein smartphone und zeige ihn mit meinem bild und der passnummer. sie schüttelt mit dem kopf. ich bin sauer, weil sie nur ihren job macht und ich meine wut nicht los werden kann.

so marschiere ich weiter und finde nach einem leichten mittagessen einen britischen herrenausstatter. der kann mir ein poloshirt verkaufen - den rest finde ich dann in einem wrangler-laden.

zu einer siesta reicht es noch.

eine stunde früher bin ich im teatro. die preislage meiner karte erlaubt mir nicht die benutzung des pompösen vordereingangs. ich werde zum seiteneingang gebeten, von dem der besucher die unterschiedlichen ränge erreicht. vor dem fahrstuhl steht eine meterlange schlange. meine kondition ist überraschend gut, zwei stufen aufeinmal nehmend komme ich oben an. nur etwas ausser atem. die platzanweiserin schickt mich von der 6 uhr position - von der ich einen rundumblick auf das geschehen hätte, auf die 15 uhr position, von der sich die bühne im rechten winkel zu mir befindet. ich sehe aber genug. ich hätte ja gerne noch im foyer ein glas wein getrunken und mir die menschen angeschaut - so mache ich das aus der vogelperspektive.

15 uhr position

6 ränge sind schon viel und ganz schön hoch! wer vom leben genug hat, hat nicht mit überzeugenden sicherheitsvorkehrungen zu kämpfen und kann sich problemlos der schwerkraft anvertrauen.

um 20:00 uhr sind die ränge besetzt, das parkett nahezu, es wird fotografiert, es werden noch schnell die letzten nachrichten verschickt - fast wie auf dem flughafen - dann erschallt die freundliche bitte, während der vorstellung nicht zu fotografieren und die cellulares jetzt auszuschalten.

das abschalten bedeutet doch für eine ansehnliche menge von menschen ein mühevolles loslassen. ich kann von oben gut erkennen, wann endlich das verräterische licht erloschen ist.

die vorstellung beginnt. sie reisst mich nicht vom hocker, aber ich genieße es, mal wieder klassische musik zu hören und in diesem theater zu sein. die inzenierung ist klassisch, der tenor nicht überzeugend, die sopranistin schon. während eines duetts im zweiten akt - an einer besonders ruhigen stelle - höre ich einen kurzen ärgerlichen dialog, dem ein handyklingeln vorrausgegangen ist. der angerufene hielt es für erforderlich den anruf entgegenzunehmen und auf die beschwerde seines sitznachbarn mit südamerikanischem temperament zu reagieren. nach einem scht scht von mehren seiten darf wieder dem duett gelauscht werden.

die liebes-und umarmungsszenen wirken aus meiner perspektive etwas plum und unbeholfen.

aber das publikum ist begeistert. bravo-rufe hallen durch das haus, es springt von seinen sesseln und applaudiert kräftig. auch unter den sängern auf der bühne herrscht hochstimmung. küsschen hier und küsschen da. blumen werden von pagen überreicht, die sonst dafür zu sorgen hatten, dass der rote samtvorhang ordnungsgemäß schließt.

ein beeindruckendes erlebnis, das seinen schlussakord in leckeren gemüseraviolis findet.

13.03. bis 16.03.:

es scheint sich bei mir einzubürgern, dass sich zwischen meinen stadtrundgängen immer ein tag des "nichts tuns" schiebt. es war erst heute morgen nach dem theatergang gestern abend und dem späten abendessen, als ich das licht ausmachte.

entsprechend spät ist es heute morgen oder vormittag. die wirkung des cafe con leche und die zahlreichen eindrücke tragen ihr übriges dazu bei, dass ich erst spät in den schlaf finde. so verschiebt sich der tagesrhtmus. die toleranz in den argentischen cafes trägt noch dazu bei. ich genieße die ausgiebige "frühstückszeit", das mäßig geschäftige teiben um mich herum und vertiefe mich in meine lektüre.

heute, am 14.03., steht die dritte freewalkertour an. sie wird uns vom congreso nacional die av. mayo bis zur casa rosada führen. treffpunkt ist vor dem kongress. erst bin ich zuversichtlich, weil sich nur wenige personen um den freewalker gruppieren, doch er schickt seine schäfchen nach kurzer begrüßung  fünfzig meter weiter, wo sie auf ihn warten sollen. eine vernünftige überlegung, denn sonst hätte es nach einer unangemeldeten demonstration ausgesehen, wenn wir alle vor den toren des nationalkongresses gewartet hätten.

meiner schätzung sind wir ca. 50 bis 80 teilnehmer. das wissen die freewalker-organisatoren nicht vorher. zwar wird schnell eine teilung zwischen den spanisch- und englischsprechenden touristen vorgenommen, aber die englische seite überwiegt um ein vielfaches. vielleicht wäre es doch besser gewesen, mich der sehr kleinen spanisch-gruppe anzuschließen. ich hätte genausoviel davon gehabt.

fernandez spricht auch ein sehr schnelles mit südamerikanischem akzent versehenes englisch und ist auch aufgrund seiner "übertragungstechnik" nur mäßig zu verstehen. wir sind einfach zu viel menschen, damit ihn jeder gut hören kann.

die wirtschaftliche lage seines landes sei desolat. sie litten unter einer inflationsrate von knapp 50 %, einer verteuerung um 30% und einer lohnanpassung von 20%. die tarife für strom und gas würden um 40% und das wasser um 17% angehoben. die beschäftigung sinkt, staatliche und private unternehmen entlassen. eine ende sei nicht absehbar.

der unternehmer macri, der noch bis oktober 2019 amtierende präsident, wird als neoliberaler eingeordnet, der mit blick auf eine ansteigende beschäftigung die unternehmen fördert. wenn es so weiter ginge, müsste mit dem nächsten staatsbankrot - der letzte war erst 2001 - zu rechnen sein.

gerüchte kursieren, dass christina fernandez de kirchner wieder zur wahl antritt. befürchtungen auf der anderen seite werden laut, dass es ihr wie dem brasilianischen präsidentschaftskandidaten lula da silva ergehen könne und sie von der straße weg verhaftet würde.

moreno sieht sich als erbe juan domingo perons...


jede fassade unterscheidet sich von der anderen

ein muss für jeden, der etwas auf sich hält. das cafe tortoni, das von den großen aus politik, wissenschaft und kultur besucht wird. im keller finden lesungen und konzerte statt.

die eingangstüren werden immer nur kurz geöffnet. sofort sammelt sich eine traube schaulustiger und zückt ihre smartphones

sie begingen 2017 das 40 jährige jubiläum. mein eindruck: es ist ruhig geworden auf der plaza de mayo. ihr markenzeichen ist das weisse kopftuch, das sie alle getragen haben.
während die regierung immer "nur" von 10 tsd verschwundenen gesprochen hat, darf nun auch offiziell von 30 tsd verschwundenen söhnen und enkeln gesprochen werden. die damalige militärregierung hat stehende versammlungen auf der plaza de mayo verboten. noch heute, so sagt unser freewalker, würden sich donnerstags die madres de plaza de mayo treffen und zur erinnerung langsam im kreis laufen.

das weisse kopftuch auf dem pflaster der plaza de mayo erinnert an die mütter der verschwundenen.

die mai-revolution 1816 gab letztlich den startschuss für ein unabhängiges und freies argentinien. es gab so gut wie keine gewalt. der begriff revolution stünde hier für erneuerung.

das idol der argentinier evita peron mit mikrophon hoch über der 16 spurigen av. 9 julio - der breitesten straße der welt! (o-ton unseres freewalkers)

hier ruhen die gebeine des capitan und general d jose de san martin und des unbekannten soldaten für die unabhängigkeit. denkt an sie
früher noch an exponierter stellte rechts von der freitreppe zur kathedrale. heute hinter einem zaun versteckt. der eingang zur kathedrale kann nur von der seite erfolgen, da platz für den zunehmenden verkehr gemacht werden musste.

das erste rathaus der stadt. noch aus der zeit, als argentinien das vizekönigreich rio de la plata war.
früher hatte es 11 bögen. sechs, auf jeder seite drei, mussten dem verkehr auf der plaza de mayo weichen. denkmalschutz gibt es seit 1997

die tour hat mich wieder in einen guten rhytmus gebracht. eine stunde vor mitternacht ist das licht aus.

um so fitter bin ich heute morgen (15.03.). und drei dinge gelingen auf anhieb: ich finde eine wäscherei, ich finde ganz in der nähe eine tienda für banderas. so erspare ich mir die suche in montevideo, werde die uruguayanische flagge aber erst auf das windschild kleben, wenn die vepse die ersten kilometer in uruguay gefahren ist.
und die western union bank macht bei der geldverschickung keine zicken. dafür muss ich später bei der abholung schlange stehen. das ist hier nichts ungewöhnliches...

ich habe zeit

ich frühstücke drei media lunas in "meinem" cafe. mich empfängt wieder ein freundiches und wieder erkennendes kopfnicken.
eigentlich hatte ich gestern genug bewegung, aber mich treibt es zu den alten hafenbecken und zum puerto madero. der blog muss bis morgen warten.

die casa rosada aus rückwärtiger ansicht mit ausreichendem landeplatz für den regierungshubschrauber

nur ein ausschnitt des puerto madero mit der immer wieder beeindruckenden skyline der stadt
ich lasse mich zur reserva ecologica costanera sur treiben und erinnere mich, dass ich hier auch schon vor 6 jahren auf entdeckungstour war.
mittlerweile entsteht hier in den ehemaligen hafenbecken ein sumpfgebiet. bewachsene und künstlich angelegte landzungen kämpfen sich in die mitte des alten hafenbeckens. flora und fauna nehmen besitz von ihm.
heute ist glücklicherweise kein sonntag. dann wäre hier die höllle los. skateboarder, fahrradfahrer und jogger. so ist es hier friedlich. ich esse ein pollo sandwich aus der hand, aber schnell ergreife ich die flucht vor den widerwärtigen tauben. sie kommen auf handbreite heran und lassen sich nicht mehr verjagen.
langsam laufe ich auf der parallelstraße zur avenida de mayo zurück und werfe noch einen blick in das kaufhaus fallabela. ich werde fündig und beschäftigte beim bezahlen mit der visakarte 2 mitarbeiterinnen des hauses. der sonderpreis war noch nicht in der kasse hinterlegt. so müssen die damen tricksen, um mir schließlich 300 pesos in bar wieder zurückgeben zu können.
kurz vor dem nachhause gehen setzte ich mich auf die av. corrientes und trinke ein großes bier. die tische stehen auf dem ausladenden  bürgersteig, und ich habe tuchfüllung mit den portenos - so nennen sich hier die einheimischen.
rechts von mir dieseln die busse vorbei und röhren defekte auspuffanlagen.
ich bin abgehärtet, habe mein bier und mein buch und lasse mich durch nichts aus der ruhe bringen.

heute (16.03.) nutze ich das bewölkte wetter und "verschleisse" zwei cafes, um den blog zu aktualisieren. mein frühstücksrestaurant schließt um 15 uhr, so dass ich zu dem cafe la paz auf der av. corrientes gehe.
das wifi ist heute perfekt. ich trinke einen cappuchino und weiss schonjetzt , dass ich wieder die nacht zum tag machen werde.

beim abendessen werde ich einmal mehr und ohne kompromisse auf das elend der kinder auf diesem kontinent aufmerksam.

es ist mir schon vorher und jetzt wieder während meines schreibens aufgefallen: immer wieder kommen kleine (!) kinder in die cafes, legen ungefragt kugelschreiber, süsigkeiten, kleine tischlampen, socken oder andere dinge des täglichen gebrauchs auf den tisch und kommen dann nach wenigen minuten zurück, fragen dich, ob du kaufen möchtest und verschwinden  - auch bei absagen - ohne diskussion.

doch jetzt bekommt diese ohnehin schon schimme kinderarbeit noch ein zusätzliches merkmal: noch am abend -  draussen ist es schon dunkel - kommt ein vielleicht 8 jähriges mädchen an meinen tisch und stellt mir einen karton erfrischungstücher hin. das gleiche procedere wie auch heute nachmittag: ich verneine später, als sie wiederkomt,  und sie geht.
ich sitze am fenster mit dem blick zur av. corrientes und beobachte sie wenig später bei einem treffen mit ihrer schwester. sie waren wohl verabredet und dürfen sich einen moment an einen der restauranttische setzen. zwischen ihnen steht ein leichter plastikbecher. beide haben einen wohl schon gebrauchten strohhalm im mund und versuchen nun den becher über die tischkante des anderen zu pusten. sie haben spaß miteinander, lachen, und es könnte immer so weiter gehen.
für den einen oder anderen mag es kitschig oder zu dramatisiert klingen, dem genauen beobachter aber fällt auf, wie da draussen an diesem tisch aus den gesichtern wieder kindergesichter werden.

doch plötzlich und ohne vorwarnung hören sie auf, ihr gesichtsausdruck verändert sich von jetzt auf gleich,  sie nehmen ihren plastikbeutel mit den dingen, die sie verkaufen sollen und steuern ein anderes restaurant an. kein gegenseitiger abschiedsgruß mehr. jedes geht seines weges und hofft auf gute "abschlüsse".

zum glück werden sie nicht von den kellnern abgewiesen, sondern bekommen ihre chance.

diese ein, zwei minuten sind ihnen gegönnt, aus der harten erwachsenenrolle herauszuschlüpfen und das zu machen, für das die kinder in westeuropa vielleicht gar nicht mehr die fantasie aufbringen...

am ende ihres arbeitstages aber - zu welcher uhrzeit das auch immer sein möge - werden sie gefragt und müssen zahlen bringen, müssen sich vielleicht sogar schon rechtfertigen...

und ein paar straßen weiter in einem der zahlreichen wolkenkratzer sitzen die vertriebs- und marketingverantwortlichen in ihren klimatisierten büros, ein eisgekühltes wasser oder einen schäumenden espresso vor sich, beugen sich über die computerausdrucke mit den verkäufen des letzten wochenendes und denken über andere einsatzgebiete der kids oder über andere strategien nach und auch darüber wie sie ihre quartalszahlen noch verbessern, wie sie ihre jüngsten "mitarbeiter" noch effizienter einsetzen können.

17.03.:
buenos aires ohne san telmo erlebt zu haben wäre für den porteno so, wie münchen im oktober, ohne das oktoberfest.

die bewohner von buenos aires nennen sich portenos.

san telmo ist für mich auch fußläufig zu erreichen.

es herrscht noch sonntagmorgenstimmung. es sind kaum menschen auf der straße. vereinzelt sind rohstoffsammler zu beobachten, die die
menschenleeren bürgersteige dazu nutzen, die müllcontainer nach brauchbarem abfall zu durchsuchen und ihn auf ihre zwei körperlängen hohen handkarren zu laden. in deutschen landen werden sie trailer genannt und von pkws gezogen. meistens handelt es sich um pappe und um kunststoffflaschen.
so kämpft sich das menschliche zugpferd heute morgen durch die noch leeren straßen. an werktagen wartet er mit den vor sich hin dieselnden bussen und lkws in engen straßen an roten ampeln oder quetscht sich auf fahrradwegen an den autoschlangen vorbei. die portenos tolerieren dieses hindernis und hupen oder drängen ihn nicht weg.
heute morgen aber hat er einigermaßen freie fahrt.
vor den schaufenstern nutzen die straßenbewohner die noch vormittägliche ruhe und werden von den ordnungskräften toleriert. nachts ist es schon so kalt, dass sie in decken und schlafsäcke eingewickelt sind.
der markt in san telmo gleicht den markthallen wie ich sie von anderen städten kenne. durch die engen gänge drücken sich vorwiegend touristen. vorbei an obst- und gemüse-, fisch-, fleisch- und gewürzständen.
es gibt sie hier auch - die fressoasen und weinstände, bei denen der chardonnay, der cabernet sauvignon oder der malbec unter den rotweinen aus mendoza verkostet werden.
es finden sich auch hier schon die ersten stände mit "altem" schmuck, 12 teiligen silberbestecken, taschenuhren und silbernen kaffekannen mit milchkännchen und zuckergefäßen. hätte ich irgendwo eine alte teekanne gefunden - ich wäre schwach geworden und hätte mein platzproblem einfach verdrängt.
dann treibt es mich wieder raus in die sonne, deren intensität es erlaubt, sich ihr auch direkt auszuliefern.

ein beliebtes motiv unter san telmo-besuchern
angezogen von tangomusik lasse ich mich zur plaza dorrego schieben, wo ein tango tanzendes pärchen für einen mittleren volksauflauf sorgt. als ich einen guten stehplatz ergattert habe, machen die beiden pause. im hintergrund gibt es einen kleinen säugling, der von der schwester der tänzerin versorgt wird, der aber mittlerweile keine geduld mehr hat und nach der brust der mutter verlangt. nach zwanzig minuten pause geht es weiter. das warten hat sich gelohnt. es ist ein hochgenuss, den beiden zuzuschauen. wieviel jahre harte körperarbeit und ausdauerndes training stecken in diesem so leicht, spielerisch und beschaulich daher kommenden tanzstil. ich kann verstehen, dass der alte und verschlissene sombrero dem begeisterten publikum hingehalten wird - aber nach nur einem tanz? ich fühle mich etwas auf den arm genommen und gehe mit einem etwas schlechten gewissen weiter.

hoch konzentiert und locker, spielerisch im tanz

mein blick fällt auf einen verschwiegenden patio mit verkaufsständen und einer galerie. zwar habe ich keinen hunger, aber lust auf einen gekühlten chardonnay. der wird hier zusammen mit einem media luna angeboten wird.

 eine bussladung touristen ergießt sich kurzzeitg im innenhof, dann ist wieder ruhe. ich habe blick in ein großes antiquitätengeschäft, das wohl von den beiden eigentümern geführt wird. ein ehepaar, das diesem geschäft bestimmt schon jahrzehnte nachgeht. sie kann nicht mehr so gut laufen und sitzt vorwiegend auf einem antiken stuhl, während er - groß gewachsen und fit - das geschehen auf der straße und im laden beobachtet.

viele straßenmusiker mit ihren bandoneons, gitarren und bässen sammeln das volk um sich, ein marionettenkünstler lässt gibt einem einzeltänzer die ehre und auch hier reiht sich ein stand an den anderen.  viele schmuckverkäufer und maler, die ansichten von san telmo verkaufen.
zufällig treffe ich auf die  fundacion mercedes sosa, die in einem alten kloster mit kreuzgang untergebracht ist. der platz ist mit scheinwerfern und technik ausgestattet. es befinden sich einige stände unter den arkaden,aber leider findet hier heute abend kein konzert statt. überall erinnern plakate an die 2009 verstorbene künstlerin, die während eines konzertes zur zeit der militärdiktatur zusammen mit ihrem zahlreichen publikum von der bühne weg verhaftet wurde. sie wollte aber das land nicht verlassen, sondern ihrem publikum und dem freiheitskampf verbunden bleiben. um einer erneuten festnahme zu entgehen, ging sie ins exil.

zusammen mit ihrem publikum ende der 70iger in haft geommen

hier fanden ihre konzerte in buenos aires statt. mit joan baez und shakira ist sie in ihren späten jahren aufgetreten

mittlerweile ist fast kein durchkommen mehr. ich trage meinen rucksack auf dem bauch, habe aber nicht den eindruck, dass ich immer aufpassen muss.

mein plan für heute: ich möchte noch einmal zur plaza de mayo, einen blick in die kathedrale werfen und danach in das cafe tortino und sehen, ob es noch eine karte für den heutigen tangoabend gibt.
auf meinem weg zur plaza höre ich schon von weitem militärische marschmusik. die plaza und auch die avenida ist mit menschenmassen gefüllt. mir erschließt sich auf den ersten blick nicht, was hier gefeiert wird. dann aber erkenne ich an den plakaten auf der bühne, dass buenos aires den st. patricks day feiert.

schon kurz vorher, als ich mich in der kühle einer kirche ausgeruht habe, wurde ich unfreiwilligerweise darauf hingewiesen. ein folkveranstalter, bei dem ich gelistet bin, hat mit aus anlass des st. patrickdays einen musikmitschnitt eines konzertes geschickt. in der absicht das smartphone auszuschalten, habe ich den falschen button geklickt und plötzlich erfüllte irische musik die hohen räume dieser kirche. ich bin fast alleine, aber die, die vor mir in den bänken sitzen, bleiben völlig ruhig und in sich gekehrt. endlich - nach gefühlten 30 sekunden - habe ich das smartie wieder unter kontrolle.
die irische community in buenos aires muss groß, gut organisiert und über eine beachtliche akzeptanz verfügen.
wird in berlin der irische feiertag in dieser form gefeiert? wohl eher nicht.
ich frage mich aber, was hat st. patrick, der im fünften jahrhundert irland missioniert hat mit marschmusik zu tun?
die portenos tragen grüne hüte und kleeblätter auf den gesichtern und über der av. de mayo sind irische papierfahnen gespannt.

und das auf der prachtstraße in berlin?
es gibt stände mit eistee, mit pilgrims-sandwiches(!), und schminkstände, wo von geübten händen das irische kleeblatt auf die wangen der besucher aufgebracht wird.

irish faces everywhere!

der irischen tradition verhaftet

dann teilt sich plötzlich die menschenmenge, und endlich höre ich den dudelsack, der von schottenrock tragenden musikanten gespielt wird.
und eines fällt auf: irish faces everywhere! erst denke ich, dass die irischen portenos in solidarität mit ihrem herkunfsland ihre haare haben karottenrot färben lassen, aber sie sind echt. auch die gesichtszüge haben irischen charakter. über so viele generationen hat sich zumindest bei diesen gesichtern das südamerikanische gen nicht durchsetzen können. aber es gibt kein guinness! ein bisschen erinnert mich diese feierei an die deutschen umzüge in blumenau und pomerode.

vor dem cafe tortino hat sich wieder eine schlange von kaffeehungrigen menschen gebildet. das lässt mich unberührt. ich sage dem türbewacher, dass ich karten für das tangokonzert kaufen möchte und schon öffnen sich die vergangenheitsbewegten türen. ich höre noch seine bitte, dann aber gleich wieder das cafe zu verlassen. es gibt noch karten. beginn 20:00 uhr. um 19:30 uhr solle ich da sein. den tisch müsse ich mir mit drei anderen personen teilen. bleibt noch genug zeit für eine nachmittagssiesta.
vorher esse ich noch gemüseravioli mit salsa blanca - einer weissen käsesauce und einem salat. 
0von unserer freewalkerin haben wir gelernt, dass sich die italienische esskultur hier durchgesetzt habe. hier gäbe es die besten pizzen, das beste eis und die besten pastas.

nur zum kaufen der tango-karten darf ich die heiligen hallen betreten
eine vierköpfige band - klavier, querflöte, bandoneon und ein bass - beginnen mit angejazzten tangostücken. dann betritt eine sängerin die bühne und zum dritten stück das tangopaar. und das ist sogar noch besser, als das in san telmo. ein echter leckerbissen. schon nach einer stunde inklusive10 minuten pause ist alles vorbei.
vielleicht auch ein bisschen touristen nepp?
ich tröste mich mit der beachtlichen tanzleistung der beiden.

18. & 19.03.:

obwohl das wetter draussen sehr verlockend ist, suche ich wieder mein cafe la paz, bestelle ein wasser und ein orangensaft - frisch gepresst - und tauche ab in den gestrigen tag. zwar unterbricht mich ein halbstündiger stromausfall - der erste in argentinien - doch dann darf ich ohne unterbrechung weiterarbeiten.

soll es doch beim neoliberalismus bleiben?

vereint und organisiert comuna 1
diejenigen, die spekulieren werden nicht in die geschichte eingehen, sondern die, die am meisten spielen
arg. präsident vom 2003 bis 2007

auch heute werden mir die unterschiedlichsten dinge auf den tisch gelegt: socken, süßigkeiten, aufkleber, taschenlampen und milkaschokolade. da hätte ich gerne das angebot angenommen, kann aber den gut portionierten jungen nicht verstehen. erst später kommt mir der gedanke nach dem haltbarkeitsdatum.

heute, am 19.03. ist herbstwetter! 17 bis 18 grad und ein recht frischer wind. die wolken hängen tief, regen kündigt sich an.

heute packe ich, finde den vergessen geglaubten anorak in einer der seitenkoffer wieder und fahre dann zum hafen. dorthin, wo morgen meine fähre nach colonia del sacramento ablegt.
von hier aus ist es nicht weit, und als ich dort ankomme suche ich vergebens die einfahrtspuren für busse, trucks und pkw. ich sehe das große abfertigungsgebäude und vermute, dass sich die einfädelspuren zur fähre unterhalb des gebäudes befinden.
hier herrscht ziemliches chaos. eine baustelle und verengte fahrbahnführung, megatrucks, die versuchen, ohne flurschaden an den baustellenbegrenzungen vorbeizukommen und ich mit der verpse irgendwo dazwischen.
aber ich befinde mich nicht in lima, sondern im gemäßigten argentinien. ich schlängele mich an den mannshohen rädern der trucks auf meine spur, mogele mich vor das abfertigungsgebäude, parke die vepse und orientiere mich erst einmal.
ein einweiser sagt mir schließlich, wie ich zu den fähren komme. gleich hinter dem gebäude führt eine nicht ganz ernstzunehmende spur zu den schiffen. auch hier suche ich vergebens die beschilderung für colonia del sacramento.

das wahrzeichen buenos aires: der obelisk bei nacht

mehr muss ich heute nicht wissen. ich werde morgen früh statt zwei stunden schon drei stunden vor abfahrt da sein und dann noch genügend zeit zum improvisieren haben.

eigentlich will ich noch nach la boca. ich verschiebe es auf einen anderen buenos aires besuch. es ist sehr windig, viel verkehr, kalt, und es fängt an zu regnen. außerdem regt sich der hunger.

mein frühstücksrestaurant bietet auch mittagessen an. ich lasse mich mit milanesa neapolitana und einer großen schüssel salat verwöhnen. zum nachtisch zwei riesenkugeln eis.

damit ist mein tagwerk vollbracht. siesta, lesen und etwas schreiben.

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