2017 VespamerikasuR 2019
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28.11.: Ocongate - 3.500 m -

Veröffentlicht: 30.11.2017

28.11.

irgendwann in dieser nacht besiegt der schlaf das hundegebell. der verkehr auf der naheliegenden straße hat überraschenderweise abgenommen. nur wenige gas-trucks donnern vorbei. der regen hat sich in einen nachhaltigen landregen verwandelt. aber so lange es nur nachts regnet - und das war bisher meistens der fall - stört es mich nicht weiter. im gegenteil: ich bin froh, dass ich ein dach über dem kopf und eine matratze unter mir liegen habe.

schon früh höre ich es im nachbarhaus rumoren. ich will hier den morgenrhytmus nicht durcheinander bringen und stehe auf. draussen ist es wolkenverhangen, die chefin steht im patio am spülstein und spült das gestrige geschirr.
ein frühstück ist nicht auf dem plan. später erscheint die tochter, die sich bestimmt eine viertelstunde mit ihrer langhaar-mähne abquält. auch der ältere bruder tritt verschlafen aus dem haus, sein jüngerer bruder aber ist nicht in sicht.
der vater hat schon seinen kleinen rucksack auf dem rücken und wartet auf den bus, der ihn zu seiner arbeit bringen wird. in der zwischenzeit versucht er, den lehmofen in gang zu bringen, das  holz ist aber zu feucht und er mehr gedanklich mit der ankunft seines busses beschäftigt, als dem entfachen des feuers.

ich bin froh, dass keine erwartungen an mich gestellt werden und beginne ebenfalls mein tagwerk. der 17jährige gesellt sich dazu, später kommen noch zwei seiner freunde und beobachten und kommentieren mein handeln. er ist mir nicht gerade sympatisch und ich weiss nicht, ob ich ihm trauen kann....

benzin ablassen, kanister auswechseln, vorsichtig mithilfe einer schraube eine öffnung für den lüftungsschlauch bohren und diesen einsetzen, starten und den misserfolg gegenüber meinen beobachtern mit schulterzucken wortlos kommentieren. 

eine heisse tasse tee wäre nicht schlecht.

es beginnt wieder zu tröpfeln. die batterie ist in ihrem letzten leistungsdrittel angekommen und zu erwarten, dass sie sehr bald ganz in die knie gehen wird.

die freunde des 17 jährigen müssen zum bus - er selbst verschwindet zu fuß...

aber alles fügt sich: gegenüber des hauses gibt es eine haltestelle für den bus, der nach ocongate fährt.
ich baue die batterie aus und mache mich auf den weg. mittlerweile haben auch die umliegenden häuser ihre feuerstellen in gang, blaue rauchschwaden arbeiten sich so langsam nach oben.

der bus lässt auf sich warten.
statt seiner kommt eine rote toyota-limosine, der ich auf verdacht winke. eigentlich glaube ich nicht, dass ich hier mitfahren kann. die rückbank ist mit zwei fülligen peruanerinnen bestückt, aber sie rücken zur seite , so dass ich gerade noch die türe schließen kann. kurze frage nach dem woher und wohin und dann geht es zügig in den berg. stoßdämpfer und profil werden bis an ihre leistungsgrenzen gefordert, die kurven an übersichtlichen stellen großzügig geschnitten und häufig scharf gebremst. der fahrer kennt die strecke, denke ich so vor mich hin und vesuche, mich in den kurven der leibesfülle meiner nachbarinnen entgegenzustemmen.

es ist noch sehr früh. ocongate macht auf den ersten blick einen traurigen eindruck, ein fluss mit starker strömung fließt an dem ort vorbei, wird aber von der bevölkerung nicht geschätzt, sondern für bauabfälle genutzt.

ca. 5.000 menschen leben hier und nutzen die fruchtbarkeit des flusstals. über 4.000 meter höhe können nur noch kartoffeln angebaut werden und das auch nur alle 6 bis 7 jahre.  die kargen böden hier oben benötigen diese zeit für ihreerholung.
die gesundheitsversorgung ist  nur mit einer krankenstation gewährleistet. die kindersterblichkeit sei hoch und die lebenserwartung gering. obwohl es hier kalt wird und viel regnet, sind die lehmhäuser nicht mit öfen ausgestattet. lungenentzündungen sollen hier oft zum tod führen. das nächste krankenhaus liegt in cusco, 100 km, ca. zwei stunden von hier, wenn die 3S befahrbar und von gerölllawinen verschont geblieben ist.

auch in meiner familie wird quechua gesprochen. diese eingeborenensprache wird aufrechterhalten und gepflegt. selbst in der schule ist sie vor spanisch die unterrichtssprache. nicht ein wort davon kann ich verstehen. es hat mit dem spanischen nichts gemein. wie denn auch...?

der rasante toyotofahrer setzt mich vor einer werkstatt ab, die batterien aufladen kann. sie schickt mich weiter zu ulisses, mit dem ich den rest des tages verbringen werde.
die batterie sei schon in einer halben stunde aufgeladen. ich nutze die zeit für ein spiegeleierfrühstück und zwei bechern heissen kaffee. wenig später bin ich wieder in der werkstatt, die batterie ist aufgeladen. ich erzähle meine vepsengeschichte. ulisses, ein um die anfang vierzig alter maestro hört aufmerksam zu. seine beiden gehilfen sind mit motos beschäftgt. es gelingt mir, seine fachliche neugierde zu wecken. er schlägt mir vor, mit mir zu meiner vepse zu fahren, um sich selbst ein bild zu machen. wir steigen in seinen funkelnagelneuen hunday - die kollegen werden noch mit instruktionen versorgt - und fahren los.

zum glück hat mein lehmhaus eine grüne farbe, sonst hätte ich bei der gleichförmigkeit der landschaft die vepse so schnell nicht gefunden.

mit dem verlassen des fahrzeugs und dem erreichen der vepse ändert sich mein status. der ton wird rauher - ab jetzt bin ich sein gehilfe und habe seinen wünschen zu folgen.
den vergaser baue ich bestimmt schon zum 500ersten mal aus. ulisses schaut sich alles an, schraubt, stellt neu ein, befindet die düse als viel zu klein, prüft den spritzulauf, wechselt die zündkerze und macht die dinge, die ich auch gemacht habe. der regen setzt wieder ein. wir schieben die vepse unter einen unterstand mit strohdach, den die familie und die gäste bei schönem, heissen wetter für ihre mahlzeiten nutzen.

vorne rechts der noch nicht entfachte lehmofen

nach langem versuchen und viel geduld springt die vepse wieder an. ihre leistung ist in den hohen umdrehungen sehr unregelmäßig. ich mache eine probefahrt, die symptome kehren wieder.
mehr aus neugierde, denn aus überzeugung schließen wir die reguläre benzinpumpe wieder an. die vepse feiert frühling. sie springt an und straft mich lügen mit der behauptung, die benzinpumpe sei defekt. ehe ich ins sinnieren komme macht ulisses druck und will los. ich solle zur werkstatt kommen, dort würden wir weiter sehen.

meine experimentier- und abenteuerlust hat ihre grenzen erreicht. ich frage ihn, ob er mich allen ernstes alleine nach ocongate fahren lassen will???
schließlich begreift er meinen wunsch, dass er mich begleiten soll. gesagt getan. verabschiedung von meinen gastgebern und ihren gästen.  es war nicht so, dass ulisses und ich unbeobachtet gewesen wären. während die meerschweinchen vor sich hin bruzzelten blieb noch genug zeit unser tun zu verfolgen.
hier ist mittlerweile volles haus. die chefin zeigt mir noch einen großen topf gefüllt mit fertig gegrillten meerschweinchen mit kopf, augenhöhlen, krallen und geöffnetem bauch. so kommen sie auf den tisch. es riecht aber gut...

wir fahren los und kommen exakt bis zu der stelle, an der ich gestern immer wieder stehen geblieben bin. 

vorher winke ich noch dem jüngeren bruder zu, der an einem stock ein kleines gefährt angebunden hat und damit die lange straße rauf und runter läuft. er ist nicht allein. ein kleines mädchen ist mit von der partie. beide befinden sich in permanenter lebensgefahr. die straße ist ihr spielplatz, die autos hupen und donnern an den zurückweichenden spielgefährten vorbei. hoffentlich geht das gut.

auch ich biete einen grund für lang andauerndes hupen.
ulisses schraubt und versucht und weiter geht es.
die vepse erkennt mal wieder den ernst der lage, bringt mich zum scheitelpunkt des berges und geht dann wenige minuten später wieder aus. ich lasse mich ins tal rollen - es sind einige kilometer mit vielen kurven - den rest der strecke entlang des flusses zur werkstatt schafft sie tatsächlich noch mit eigener kraft.

neugiere blicke in der werkstatt, als wir ankommen.
ich baue den vergaser wieder aus und stelle dabei fest, dass sich 3 bis 4 schuhpaare dazugesellt haben. jetzt bloß kein blickkontakt. dann muss ich reden und mache fehler. der vergaser wird einer gründlichen reinigung unterzogen, die benzinpumpe geprüft - wir kommen nicht weiter. ullisses ist der meinung, dass die schwerkraft nicht ausreiche und wir dauerhaft die elektrische pumpe anschließen sollten. später ist er auch nicht mehr von der zuverlässigkeit überzeugt und relativiert seine aussage. ich könne ja abwechselnd die pumpen  anschließen.
es ist mittlerweile nachmittag und die vepse zeigt sich wieder von ihrer besten seite. probefahrt? bestimmt nicht mit mir.
ein geselle hat interesse und fährt - sehr langsam beschleunigend - davon. bestimmt nach einer stunde kommt er schiebend mit schwach glimmenden scheinwerfer wieder zurück. ja - sagt auch er - es sei die benzinpumpe. ulisses hat auch keine idee mehr und will mich eigentlich vom hof haben.
ich sage ihm, dass ich keine lust mehr hätte. ich müsse einen pickup haben, der mich nach puerto maldonado brächte. allgemeine erheiterung...

ob er wirklich nicht mehr daran gedacht hat, dass sein bruder einen lkw bestitzt? hm - pickup schwierig... und bis morgen...???? pokerface oder wirkliches sinnieren? ich fange unten an. und weil ich keine idee habe nenne ich 100 soles. kein aufflackern in seinen augen zu erkennen. ich erhöhe auf 500 soles und bemerke interesse. ok - ich bin auf dem richtigen weg. er wolle mal telefonieren. ich kümmere mich um die batterie, sammele meine sachen ein, bepacke die vepse und bin geduldig.
die frage nach bett, dusche und einem abendbrot stelle ich hinten an. es muss jetzt eine lösung her.
ulisses hat eine antwort. 1.600 soles müsse ich rechnen. ich schlucke, aber es gibt keinen verhandlungsspielraum.
morgen um 05:00  uhr solle ich hier sein. 8 stunden seien es bis nach puerto maldonado. ich stimme zu.

später erscheint ein älterer mann, den er mir als sein vater vorstellt. zurückhaltend, misstrauisch.
das wird nicht besser, als ich ihm sage, ich müsse zum geldautomaten und versuchen den betrag zu bekommen. ich erinnere mich, als ich zweimal hintereinander geld ziehen wollte, dass ich höflich darauf hingewiesen wurde, dass ich diesen monat schon geld bekommen hätte.
das sage ich ihm und vertröste ggf. auf puerto maldonado.

damit er mir glaubt schlage ich ihm vor, dass wir jetzt die geldautomaten an der plaza abklappern sollten und ich ihm dann eine anzahlung geben würde. seine gesichtszüge entspannen sich.

es gibt in ocongate nur EINEN. und der ist nicht in diensten. der security-mann vertröstet uns auf anderthalb stunden. einen anderen automaten gäbe es nicht.

ulisses vater - ich nenne ihn felice -  wird vertrauenseeliger. er bringt mich noch zu einem hostel, begleitet wohlwollend und teilweise grinsend meine verhandlung mit rockzana - so heisst meine senora - ich gebe ihm noch 100 soles als anzahlung, und wir verabreden uns für morgen früh 05:00 uhr vor der werkstatt.

kein duschen mehr. ausgiebiges händeschrubben, 1/8 huhn mit pommes und etwas salat und cola. der automat funktioniert wieder. und nicht nur einmal, sondern so lange, bis ich den gewünschten betrag zusammen habe. fühle ich mich beobachtet? nein. weit und breit keine verdächtige gestalt. auch hier, wie in jeder peruanischen stadt oder in jedem ort ist die polizei sichtbar präsent! zurück ins hostel, leider kein wifi.
ich schreibe meine erlebnisse offline in den rechner.

alles fügt sich: die ursachen des vepsenproblems sind weiterhin eingeschränkt, der transport ist organisiert - auch eine lösung für die ursache wird sich finden.

ob es wirklich nur an der pumpe liegt?

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