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LA VIDA LOCA

Veröffentlicht: 08.02.2019

4. Februar, 23 Uhr über den Dächern des Künstlerviertels San Blas in Cusco: Paul und ich machen nichts ahnend unseren Check-In für den Kolumbien-Flug am nächsten Tag, der um die Mittagszeit gehen soll. Leider mussten wir feststellen, dass er vorverlegt wurde, auf 6 Uhr in der Früh, na dann wird der Abschieds-Cocktail wohl nichts mehr. Paul will noch nicht aufgeben und öffnet den Hilfe-Chat der Airline, schildert unser Problem und will den Flug umbuchen. “Sofí” tippt… Und sagt: “An diesem Punkt können wir das Gehabe beenden” und schließt den Chat. Alles klar, dann also mal ab ins Bett.

5. Februar, 5 Uhr morgens am Check-In-Schalter. Im Glauben, dass es das digitale Zeitalter auch bis nach Peru geschafft hat zeigen wir unser Ticket auf dem Tablet vor. Das soll dann nochmal 60 Euro kosten, da es ausgedruckt vorliegen muss, keine Ausnahme möglich. Paul rennt. Zu einem Taxifahrer, der glücklicherweise einen Kumpel in einem Hotel hat. Da rasen sie dann hin, drucken den Kram aus und er kommt vier Minuten vor Schließung des Check-Ins wieder zurück, wir geben das Gepäck auf und haben es fürs erste geschafft.

Unser Zwischenstopp ist in der am Meer liegenden Hauptstadt Perus: Lima. 11 Stunden Aufenthalt, da lohnt sich doch ein kleiner Ausflug in die Stadt! Wir verlassen den Flughafen und werden um 9 Uhr morgens bereits von einer überraschenden, drückenden, smoggigen Hitze empfangen. Paul kriegt nach kurzer Zeit rote Flecken auf der Stirn, der Schweiß rinnt auf seine schwarzen langen Klamotten und mich erschlägt das Hupen und der aggressive Fahrstil des schreienden Busfahrers. Eineinhalb Stunden dauert unsere keine 20km lange Fahrt, bis wir mit leichter Übelkeit und Sehnsucht nach Janajpachas Stille aussteigen. Wir werden von einer sehr netten Frau Wendy und ihrer Mutter Juanita angesprochen, die uns ausführlich Restaurant-Empfehlungen geben, die wir im Anschluss leider trotzdem nicht finden. Dafür finden wir Hermann, ein deutsch sprechender Peruaner der wie George W. Bush Senior in lieb aussieht, oder besser gesagt er findet uns und will uns auch gar nicht mehr verlassen. Er führt uns in eine kleine Kaschemme, in der wir ein mäßiges Frühstück zu uns nehmen und uns angeregt mit ihm über Dyslexie unterhalten. Plötzlich kommt Wendy um die Ecke, sie hatte uns gesucht und möchte uns eine Dusche in der Wohnung ihrer Mutter anbieten und zum Mittag in besagtem nicht gefundenen Restaurant einladen. Kaum 20 Minuten im Zentrum Limas und wir fühlen uns so, als wären wir schon eine Woche hier. So machen wir es dann auch, betreten die unordentliche Wohnung und freuen uns über so viel Offenheit und Umkompliziertheit. Nach Gesprächen über Spiritualität und um einige exotische Früchte, eine Muschelkette und einen Macchu-Picchu-Anhänger reicher gehen wir schließlich gemeinsam sehr lecker essen. Die Beiden sind in ihrer Offenheit und Hilfsbereitschaft so inspirierend und rührend, dass wir uns schließlich völlig beseelt zum Abschied herzlich in den Arm nehmen und hoffen, uns irgendwann nochmal wiederzusehen. Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, um das erste mal auf dieser Reise das Meer zu begrüßen und schleppen uns mit unserem schweren Gepäck schweißüberströmt zum Strand. Herrlich! Surfer, der Geruch der salzigen Seeluft, das kühle Nass… Was ein spannender Ausflug in diese so mondäne, sommerliche Welt!

Nach einem kurzen Schock, als wir unser Handgepäck in die vorgegebene Messeinrichtung tun sollen, um zu gucken, ob die Größe passt und Paul den Wanderrucksack mit heftigen Stößen passgenau gezimmert und beim Rausnehmen den halben Ständer in die Höhe gerissen hat, können wir kurz entspannen und die Aircondition genießen. Bei der Handgepäckkontrolle treffen wir noch eine Bekannte aus Pauls Sprachschule in Cusco. Dann gehts in unseren Billigflieger. Auf uns wartet ein Flug, der durch starke Turbulenzen, demotivierte Stewardessen und intensiven Durst gekennzeichnet ist. Leider hatten wir nichtmal die passende Währung um uns nach diesem schweiß-reichen Tag ein Wässerchen zu gönnen und so mussten die saftigen Orangen von Wendy und Juanita herhalten, während neben uns ein armer Kerl auf Klo rennen muss um zu kotzen. Wir hören uns ein paar Sprachnachrichten von Freunden an, Biggi schreibt, sie wünsche uns einen guten Flug und habe irgendwie ein komisches Gefühl heute, ich versuche mich bei all den Luftlöchern auf irgendwas Positives zu konzentrieren. Unsere Sitznachbarin faltet verkrampft die Hände. Irgendwann lege ich mich in Pauls Schoß und döse weg, werde aber von heftigem Ruckeln aufgeweckt. Nach einem kurzen Schockmoment realisiere ich, dass es die Landung in Bogotá war und Paul teilt mir mit, dass es eine der schlechtesten, schlingerndsten Landungen war, die er je erlebt hat.

Bei der Immigración denken wir gutgläubig, die kolumbianische Lockerheit wäre allumfassend, aber nein. Wir haben keine Adresse als Aufenthaltsort angegeben und werden prompt in einen seperaten sterilen Raum geführt um irgendeine rauszufinden. Etwa eine Stunde nach der Landung stehen wir endlich in der Gepäckhalle. Und finden unseren Rucksack nicht. Panisch rennen wir von A nach B und werden nur zu immer weiteren Oficinas geschickt, aber nichts passiert. Da geht das Wiedersehen mit David, Pauls ehemaligen Mitbewohner aus Marburg, der seit einem Monat in Bogotá wohnt und uns vom Flughafen abholt, fast unter. Gemeinsam machen wir uns weiter auf die Suche nach unserem Rucksack und landen schließlich in einem Gepäcksuche-Büro. Als wir das Problem schildern schreit Paul auf einmal auf: Im Büro ist hinten ein Fenster und dort ist ein Gepäckband zu sehen, auf dem einsam und allein unser wunderschöner Rucksack seine Bahnen zieht. Wie auch immer er es in den separaten Gepäckbereich der nationalen Flüge geschafft hat. Sehr glücklich fahren wir schließlich mit einem hoch motivierten Taxifahrer zu Davids WG, trinken noch einen Limetten-Tee und quatschen bis in die Nacht.

7. Februar, jetzt sitzen wir in einem fancy Café, Paul bezwingt seinen Kater mit einem zweiten Bier und streicht versonnen meine Haare übers Ohr. Sein Gesicht ziert eine mehr interessante als schöne neue Bartfrisur und an seiner Schläfe glitzert es silbern. Ich habe einen Zuckerrohr-Tee intus, habe aber den mit servierten Käse liegen lassen, der etwas merkwürdig anmutet in dieser Kombination. Wir kommen gerade etwas von der soeben passierten Aktion runter. Wir schlenderten durch die Fußgängerzone Bogotás, die sich jeden Nachmittag und frühen Abend in eine bunte Meile aus Flohmarktständen, viel frittiertem und süßen Essen, Musikern, Schachspielern und Straßenkünstlern verwandelt. Wir gesellten uns zu einer größeren Menge, die sich um drei verrückte Typen geschart hatte, die zu verschiedener Musik Comedy machten. Plötzlich zogen sie Paul in die Mitte, einer sprang ihm auf den Arm und sie machten gemeinsam Fotos, die Menge brüllte und mein Herz schlug höher, früher hatte ich panische Angst gehabt, dass man mich derart in den Mittelpunkt zieht, Paul findet sowas eher lustig. Ich wog mich aber nur kurz in Sicherheit, obwohl ich mich unauffällig sehr weit hinter Paul schob um nicht gesehen zu werden. Da zog mich der eine Venezuelaner in die Mitte und wir tanzten ein flottes Ründchen Salsa. Ich dachte ich könnte mich schon zurückziehen, aber weit gefehlt! Plötzlich fingen die drei Künstler an, mich intensiv von allen Seiten anzutwerken (für alle Anglophobiker: Man schüttelt den Po exzentrisch und reibt ihn bei Bedarf am Gegenüber), das Publikum brüllte vor Lachen und ich wusste zwar nicht so recht, was ich mit meinen Extremitäten anstellen sollte, hatte aber auch ziemlich Spaß. Plötzlich war Paul auch mit von der Partie, das konnte er wohl nicht einfach so hinnehmen und stürmte kurzerhand dazu, plötzlich wurde ich von vier Männern angetwerkt. Die Künstler sprangen natürlich voll drauf an, priesen uns als die Gringos an und sagten wir sollten uns doch mal küssen, was wir natürlich gerne taten, sehr zur Freude der Umstehenden. Paul hielt mich in einem spektakulären Tanzmove. Kaum wieder in der Senkrechte warfen sich die Jungs inklusive Paul auf den Boden und twerkten äußerst sexualisiert vor sich hin, ich gezwungenermaßen natürlich kurzerhand auch, obwohl ich das noch nicht allzu oft gemacht habe, aber es klappte erstaunlich gut. Schließlich durften wir den Ring unter lautem Applaus verlassen und suchten das Weite. Herrliche Expositionstherapie! Nach ein paar Metern wurden wir von einem Pärchen angequatscht, die unsere Einlage feierten und mussten sogar noch ein Selfie mit ihnen machen. La vida loca!

Kolumbien erscheint uns so anders als die Welt, in der wir die letzten zwei Monate verbracht haben. Die Menschen sind sehr viel offener, das Leben scheint bunter zu sein, von mehr Kontaktfreudigkeit geprägt. Das gipfelt in einer ausgesprochen sexualisierten Atmosphäre, hier wird wild miteinander geflirtet und eben auch getanzt. David erzählte uns, dass er keinen Kolumbianer und auch keine Kolumbianerin kennt, die treu wären. Das können wir uns gut vorstellen, wir werden hier sogar offen angeflirtet, wenn wir Arm in Arm gehen.

Und die Moral von der Geschicht: Vergesse die Fesseln, doch die Treue nicht!

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