Veröffentlicht: 28.10.2025












































2.Kapitel
Nach einem gesunden Nachtschlaf, als ihr vermutlich gerade Mittag gegessen habt, bin ich am japanischen Morgen erfrischt aufgewacht (da seid ihr wohl langsam ins Bett gegangen) und hatte keinerlei Jetlag, das ist praktisch!
Also gleich nach dem Frühstück mit einem mit Thunfisch gefüllten Onigiri (das ist eine Art dreieckiger Reisball, der mit einem Nori-Algenblatt umwickelt und als Snack gegessen wird) und einer riesigen weichen Bämme, die Melonpan heißt, habe ich mich aufgemacht zum Philosophenpfad, einem der schönsten und märchenhaftesten Orte, die ich in meinem Leben gesehen habe. Ein Kanal mit flachem schnell fließenden glasklaren Wasser mit großen Fischen drin und Enten oben drauf schlängelt sich dahin zwischen alten Ufern voller Kirschbäume, japanischem Ahorn und Rhododendron, Steinbänke, auf denen ich ganze Tage verbringen könnte (und vermutlich werde), alte Maler sitzen zeichnend auf einer der zahlreichen Brücken, jemand spielt leise Musik auf einer Klangtrommel, mit dickem Moos bewachsene Metallrohre liegen zwischen den Ufermauern, mit großen Stachelkronen geschützt, damit keiner auf die Idee kommt, da rüberzubalancieren, Vögel singen trotz fortgeschrittenem Oktober, bunte Schmetterlinge fliegen zwischen den Kamelienblüten umher und riesige Wespen, vielleicht sogar Hornissen, versuchen noch etwas Blütenstaub aus den Rosen zu saugen. Hinter dem Fußweg stehen traumhafte alte dunkelbraune Holzhäuser mit dicken Keramikdächern und unzähligen Winkeln und Ecken. An einer Stelle sammeln sich die streunenden Katzen, denen alle eine Zacke im Ohr fehlt (manchen fehlt auch der halbe Schwanz), was ein Zeichen dafür ist, das Tierfreunde sie eingefangen und sterilisiert haben. Die Katzen sind alle gut genährt und ganz zahm, weil jeden Tag Menschen dort vorbeikommen und ihnen etwas zu fressen mitbringen. Auch ein sauberer Napf Wasser steht dort immer. Eine Dame mit großer Kamera, die dort anscheinend eine regelmäßige Besucherin ist, und ich haben ausgiebig gestreichelt.
Alles atmet eine derartig wunderbar altmodische Ruhe an diesem Ort, dass man immerzu nur „ommmmm“ summen möchte. Glücklicherweise waren nicht sehr viele Touristen unterwegs, die haben sich wohl eher am nahegelegenen Ginkaku-Tempel gedrängelt, einem meiner Lieblingstempel, den ich gleich morgen früh, wenn sie um halb neun aufmachen, besuchen will.
Dafür habe ich endlich zufällig einen anderen verwunschenen Tempel wiederentdeckt, den ich bei meinem letzten Besuch partout nicht wiederfinden konnte, weil ich den Namen vergessen hatte: den Honen In, umgeben von einem dunklen Park am Berg, schwarze Wasser mit riesigen rot-orangen Goldfischen (Koi?), Steinlaternen, Zen-Sandskulpturen, verschiedenen Moosen und Gebäuden aus uraltem Holz.
Nach diesem herrlichen langen Spaziergang brauchte ich eine Stärkung und speiste ein riesiges grünes Matcha-Eis in einem Teigbecher, der auch noch mit Matcha-Creme dick gefüllt war!
Auf dem Weg zurück machte ich mir in Gedanken eine Liste aller Dinge, die mich heute auf meinen Wegen erfreut haben, wie auch schon bei meinen früheren Besuchen. Einige hatte ich vergessen, andere sind eingebrannt in meiner Erinnerung: die stumpfnasigen Kleinbusse, noch viel schöner als die alten Vw-Busse, die uralten braunen Mini-Häuser, die fast alle einen klitzekleinen Garten vor dem Haus haben, nicht größer als zwei oder drei Quadratmeter, und trotzdem wächst da immer ein Baum! Und dieser Baum sieht immer unglaublich japanisch aus, ich weiß nicht, wie sie das machen! Heute habe ich Persimon-, Apfel- und sogar einen Bananenbaum in solchen Mini-Gärtchen gesehen! Dass vor fast jedem Haus ein roter Eimer steht, falls ein Feuer ausbricht, dass aber die meisten vergessen, ihn auch immer mit Wasser zu füllen. Die großen 1 1/2Literflaschen mit Wasser vor allen Häusern, die verhindern sollen, dass die Straßenkatzen an die Hauswände pinkeln. Daneben liegt meist noch ein blaues oder grünes Plastiknetz zusammengelegt, aber wofür das gut sein sollte, habe ich vergessen. Und dass man sich immer links halten muss: auf den Gehwegen, auf den Rolltreppen und überhaupt immer, wenn einem jemand entgegen kommt. Ich bin schon öfter fast zusammengestoßen, muss richtig aufpassen!
Später am Nachmittag bin ich dann noch an den Fluss gegangen und habe da ein kleines Picknick bei Sonnenuntergang gemacht, aus Nostalgie mit einem kleinen Tetrapack Sake mit Strohhalm, obgleich ich Sake überhaupt nicht mag! Aber das fanden Johnny und ich vor 6 Jahren so komisch, dass wir das ausprobieren wollten. Hat mir immernoch nicht geschmeckt, aber musste sein!
Danach noch einen Abstecher zu unserem alten Curry-Restaurant, wo auch noch der betagte Besitzer in der Küche steht und kocht und seine Frau alles andere erledigt.
Und dann zur guten Nacht ins Sento um die Ecke. Ein Sento ist so ein japanisches heißes öffentliches Bad, wo aber kein Thermalwasser in den Becken ist, sonst wäre es ein Onsen.
Und da sind mir nun wirklich ein paar schreckliche Faux pas passiert heute! Es gibt ja ganz genaue Verhaltensregeln für diese Etablissements: Zuerst muss man die Schuhe ausziehen und in ein Schließfach stellen, dann bezahlen. Da saß auch tatsächlich wieder dieser uralte Mann an der Kasse, der nie gelächelt hat. Wir fanden immer, er sah deprimiert aus. Inzwischen hat er allerdings drei Worte englisch gelernt und konnte mir erklären, dass der Besuch nun 200yen mehr kostet als früher. Ich wunderte mich, dass er mir keine Handtücher gab, weil die früher dazugehört hatten, hatte aber glücklicherweise mein eigenes großes eingepackt und musste nur ein kleines leihen. Als ich allerdings schon drin war und mich splitterfasernackt ausgezogen hatte, bemerkte ich zu meinem bodenlosen Schrecken, dass es auch kein Shampoo und keine Seife mehr gab, die früher da für jeden an den Waschplätzen standen. Man muss sich vor dem heißen Bad eigentlich von Kopf bis Fuß minutenlang abseifen mit viel Schaum, bevor man dann ins Becken steigen darf. Ich musste nun improvisieren und schüttete mir eimerweise heißes Wasser über Kopf, Brust und Rücken und hoffte, dass keiner sieht, dass kein Schaum kommt! Ich glaube, es hat geklappt, weil da eine flache Wand zwischen den Pools und der Waschabteilung ist, aber ich hatte ein entsetzlich schlechtes Gewissen. Dass ich auch noch einen Waschhocker, der da rumstand, einfach an mich nahm, statt einen der am Eingang gestapelten, die ich nicht gesehen hatte, und eine Dame aus der kleinen Sauna, in der ein Fernseher läuft, gestürzt kam, um ihn mir wieder wegzunehmen, trug auch nicht dazu bei, dass ich mich sicherer fühlte. Also saß ich etwas beklommen im warmen Wasser und war nicht richtig entspannt. Ein Bad ist lauwarm, eines heiß, in einem bekommt man kleine elektrische Schläge von der Seite und eines hat buckelige Steine am Boden, die die Füße massieren. Das letzte sprudelt und duftet nach Kräutern. Nachdem ich alle einmal durchgesessen hatte, zog ich mich schnell wieder an (eigentlich soll man sich jetzt die Haare waschen wieder mit Schaum!) und suchte das Weite! Nächstes Mal weiß ich besser, wie es geht. Hoffentlich lassen sie mich wieder rein!