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Ozero Sewan

Veröffentlicht: 14.11.2018

Am Freitagmorgen hat sich die Sonne gegen acht über die östlichen Berge gekämpft und beginnt das Zelt zu wärmen. Ich döse noch ein gutes Stündchen, bevor ich mit Kaffee und warmem Haferbrei in den Tag starte. Trotz erneut eisiger Nachttemperaturen, ist meine Wäsche am Vormittag trocken und ich kann wieder in meine Wandermontur schlüpfen. Gegen Mittag sind wir dann startklar und nehmen Kurs auf die Ortschaft Semyonovka, etwa 5 km entfernt. Bis dorthin geht es ein Tal hinauf und dann ein kleines Stück in das Dorf hinunter. Kurz vorm Ortsausgang nutzt Rango einen winzigen Moment meiner Unaufmerksamkeit und legt sich mit einem Rudel aus 4 bis 5 Hofhunden an, welche uns aus einem offenen Grundstückstor anbellen. Nachdem der Dicke mit Schmackes in das Grüppchen Vierbeiner geprescht ist, weiß er nicht so recht weiter und kommt auf Zurufen zurück zu mir. Scheint alles glimpflich ausgegangen zu sein, schließlich war zumindest ein anderer Hund von ähnlicher Statur wie Rango, aber von dem offensiven Vorgehen wohl eher überrascht. Wir laufen weiter nach Süden, Etappenziel für den Tag ist der Sewan-See auf etwa 1900 m Höhe. Mit gut 5000 Quadratkilometern Wasserfläche gehört er zu den größten alpinen Frischwasserseen in Eurasien. Kurz nach dem Ortsausgang von Semyonovka fällt mir ein Hundewelpe am Straßenrand auf. Bei genauerem Hinsehen finden sich noch zwei Geschwisterchen und weit und breit ist weder Hund noch Mensch zu sehen, der sich für die drei kleinen Racker zuständig fühlt. Ich überlege ernsthaft unsere Reisegemeinschaft um ein paar neue Mitglieder zu erweitern, verwerfe die Idee aber schnell wieder. Kein schöner Gedanke, aber auch Wölfe und Kojoten müssen schließlich von irgendetwas leben. Nach einem letzten Anstieg gibt die Bergwelt dann den Blick auf den Sewan-See frei. Wir gehen bis in den Ort Tsovagyuk hinunter, wo ich unsere Futterreserven auffülle und für ein paar Kekse kurz pausiere. Dann wandern wir das letzte Stück bis an den See und ich baue unser Zelt am Ufer des klaren Gewässers auf. Bereits unterwegs fällt mir an Rango eine unschöne Verletzung auf. Anscheinend hat ihm, beim kurzen Gerangel mit den Hofhunden, einer der Kläffer in den Murmelbeutel gebissen. Grobes Foul wie ich finde! Scheint aber halb so schlimm, alles Wesentliche ist heile geblieben. Allerdings muss die Wunde demnächst wohl regelmäßig versorgt werden. Davon bin sowohl ich, als auch Rango, eher so mäßig begeistert. Für die abendliche Waschung geht es ab in das klare Nass. Um bei der Wahrheit zu bleiben: weiter als bis zu den Knöcheln bin ich dann doch nicht vorgedrungen. Trotz Nachmittagssonne am Strandabschnitt war es mir einfach zu kalt.

Über den Samstagvormittag haben wir ab und an Besuch von Einheimischen und werden kurz vorm Start zu einem Picknick eingeladen. Ich geselle mich kurz zu der Männerrunde und nasche etwas von den mir dargebotenen Speisen. Das Barbecue warte ich aber nicht mehr ab, schließlich möchte ich noch am selben Tag bis nach Sewan gelangen. So wandern wir über den späten Mittag und frühen Nachmittag entlang kleiner Straßen um den See herum. Nach knapp 10 km pausiere ich auf Höhe der Sewanavank (ein Kloster auf der Halbinsel nördlich von Sewan) in der Sonne und werde von zwei Männern aus einem Lada heraus angesprochen. Harut und sein Vater Sasun bieten an, uns ein Stück mitzunehmen und laden mich schließlich zu einem Kaffee in ihr Haus in dem Ort Tsamakaberd ein. Dort tauschen wir uns ein wenig aus und die Einladung zum Kaffee wird um ein Abendbrot und eine Übernachtung erweitert. So habe ich wiedermal die Gelegenheit einen kleinen Einblick in das Leben Einheimischer zu erlangen. Sasun erzählt er sei 50 Jahre alt, Schweißer gewesen und jetzt Herzkrank. Das untermauern seine Medikamente und die physische Verfassung des Mannes. Eine nötige OP wäre wohl in Deutschland möglich, ist aber finanziell außer Reichweite. Er bekommt eine monatliche Invalidenrente von 27.000 AMD, was etwa 54 € entspricht. Da sowohl seine Frau Greta, als auch Harut, lediglich während dreier Monate im Jahr einer Erwerbsarbeit nachgehen können, lebt der dreiköpfige Haushalt die meiste Zeit von der Invalidenrente. Das scheint nur möglich, weil der Speiseplan durch Eigenleistung aufgepeppt wird. So wird zum gemeinsamen Abendbrot selbstgemachter Käse (die Milch dafür muss gekauft werden, denn die eigene Kuh ist noch zu jung), sauer eingelegtes Gemüse und eingeleges Obst serviert. Brot, Zwiebel sowie Schaschlik aus Kartoffelscheiben und Fisch runden das Mahl ab. Die Familie lebt in dem Haus, das Sasun einst selbst gebaut hat. Harut wird sich so etwas nach jetzigem Stand wohl nicht leisten können. Der gemauerte Kamin sieht schön aus, schafft es aber über den Abend nicht wirklich den Raum zu erwärmen. Wahrscheinlich befindet sich zwischen Zimmerdecke und Blechdach auch nicht mehr als kalte Luft. In den Zimmern steht nur das Nötigste. So besteht die Wohnzimmergarnitur aus einem Sofa, zwei Hockern, einem Esstisch, einem Bett und einem kleinen Schränkchen mit TV-Gerät obendrauf. Bis auf den Fernseher alles Zeugen besserer Zeiten. Ansonsten findet sich null Schnickschnack! Für die Nacht wird mir eines von zwei Betten in Haruts Zimmer angeboten und auch der Dicke darf sich dort ein Plätzchen suchen. Außerdem findet sich in dem Raum ein Kleiderschrank und ein Schreibtisch mit PC. Haruts Bruder, in dessen Federn ich wohl nächtige, ist Arbeitsmigrant und sucht in Moskau sein Glück. Ob und wieviel finanzielle Unterstützung von dieser Seite kommt, bleibt unklar. Auf dem Gartengrundstück leben neben der Kuh noch ein Schwein und ein Schaf, welches wohl zu Neujahr geschlachtet werden soll. Von der politischen Wende, die sich gerade in Armenien anbahnt, spricht Sasun, wie die meisten seiner Landsleute, voller Hoffnung. Bleibt zu wünschen, dass selbige nicht enttäuscht wird. So geht der Tag mit gemischten Gefühlen seinem Ende entgegen.

Sonntagmorgen, den 11.11.2018, pelle ich mich gegen halb neun aus den warmen Federn. Mit dem Dicken suche ich mir im Garten meiner Gastgeber ein Plätzchen in der Sonne, genieße den Ausblick in die schneebedeckten Berge im Südwesten und grüble etwas vor mich hin. Ich habe wiedermal Gastfreundschaft von Menschen erfahren dürfen, die selbst nicht viel haben, das Wenige aber offensichtlich gerne teilen. Gleichzeitig führt mir der ein oder andere Eintrag auf facebook, aus meinem deutschen Bekanntenkreis, schmerzlich vor Augen, dass es sich in meiner Heimat hier und da andersherum verhält. Wir sind im Verhältnis so wohlhabend und doch so wenig bereit davon abzugeben. Schade eigentlich. Die Situation der Familie wird mich dann auch noch ein Weilchen beschäftigen. Nach einem Kaffee mit Greta, verabschiede ich mich und laufe mit Rango ins nahe Sewan. Dort gibt es für den Dicken Frühstück vom Fleischer und für mich Tee mit Khachapuri. Dann gehen wir zum Dream House Hostel und ich checke für eine Nacht ein. Nach einer Dusche und dem wöchentlichen Videotelefonat mit der Heimat, begebe ich mich mit Rango auf den Weg zur Klosteranlage Sewanavank. Unterwegs müssen wir uns einiger anderer aufdringlicher Vierbeiner erwähren. Wir haben darin zwar mittlerweile eine gewisse Routine, hin und wieder nervt es aber schon ziemlich. Auf der Sewan-Halbinsel angekommen, schaue ich mir die Klosteranlage an. Der erste Kirchenbau wurde hier wohl im Jahre 305 errichtet und ist noch an den Resten der Grundmauern erkennbar. Die zwei erhaltenen Bauten wurden in den 50'er Jahren des letzten Jahrhunderts restauriert und machen einen entsprechend gut erhaltenen Eindruck. Bevor wir uns an den Rückweg zum Hostel machen, pausiere ich für ein Weilchen in der Sonne bei Kaffee und Waffeln. Dann geht es entlang der Landstraße der Abendsonne entgegen. In Sewan organisiere ich Abendbrot und ziehe mich ins Hostel zurück. Da keine anderen Reisenden anwesend sind, haben wir das Appartement ganz für uns allein. Gegen zehn gehen dann die Lichter aus und ich ziehe mich ins Separet zurück.

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