Veröffentlicht: 05.01.2020
Samstag, 28. Dezember
Der Strom ist wieder da. Al-Hamdulillah. Gestern Abend war er zwischendurch mal für einige Stunden wegen Gewitter ausgefallen. Heute hat sich das Wetter aber wieder ein wenig beruhigt, und wir machen uns nach dem Frühstück los zu dem Bahai-Garten und -Schrein hier in Akko. Dass das Bahaitum mit etwa acht Millionen Anhängern zu den Weltreligionen gehört, muss ich dann aber erst einmal nachlesen. Die Bahai leben einen abrahamitischen Monotheismus mit einer handlungsorientierten Ethik als Mittelpunkt, in der es um Humanität, gesellschaftliche Entwicklung, Geschlechtergleichheit und sozialen Zusammenhalt geht. Ein zentraler Grundsatz der Bahai ist außerdem, dass Religion nicht der Vernunft und der Wissenschaft widersprechen darf. Die beiden Schreine in Israel, hier in Akko und in Haifa, sind die wichtigsten Pilgerstätten der Bahai.
Zu dem Bahai-Schrein hier in Akko gehört eine riesige Gartenanlage, die wir jetzt betreten. Wir laufen durch eine riesige mit Kieselsteinen ausgelegte Allee, an deren Seiten sich perfekt angelegte Gartenflächen befinden. Wir gehen den Weg entlang bis zum Ende, immer weiter auf den Schrein zu, der dann irgendwann mit einem großen schwarz-goldenen Tor vor uns erscheint. Ein Security-Mitarbeiter steht davor und wartet noch einen Moment, bis einige Leute aus dem Schrein herauskommen, dann gewährt er auch uns Zugang. Über einen jetzt roten Ziegelsteinweg, auf dem kein Steinchen an der falschen Stelle liegt, vorbei an perfekt geschnittenen Büschen und akkuraten Beeten laufen wir dann zu dem Schrein, vor dem ein junger Bahai steht, der uns freundlich und mit einer winzigen Verbeugung begrüßt. Mit einer ruhigen Stimme sagt er uns, wo wir uns hier befinden und was wir gleich im Inneren des Schreins beachten müssen: alle Geräte auf lautlos, keine Bilder, keine lauten Stimmen, um betende Bahais nicht zu stören.
Als wir das Gebäude dann betreten, wartet schon der nächste Bahai auf uns. Auch er begrüßt uns freundlich und mit sanfter Stimme und bittet uns zunächst, unsere Schuhe auszuziehen. Dann erzählt er uns ein wenig über das Bahaitum. Alles in dieser Religion soll dazu führen, zur Ruhe zu kommen und Frieden zu finden, mit sich selbst, mit der Umwelt und mit den Mitmenschen. Die riesige perfekt angelegte Gartenanlage ist ebenfalls Teil dieser Lehre. Ihr einziger Sinn ist, innere Ruhe zu finden, wie der Bahai uns sagt. Er bittet uns nun außerdem um absolute Ruhe und führt uns dann über Teppichboden in das Innere des Schreins.
Der Raum, in dem wir uns nun befinden, ist komplett mit Teppichen ausgelegt. Auch an der Wand hängen gemusterte Teppiche. Durch das von oben einfallende Licht ist der Raum mit Tageslicht durchflutet. In der Mitte stehen und hängen Pflanzen, um die man in einem Kreis herumlaufen kann. An den Außenseiten des Raumen führen verschiedene Räume ab, die zum Beten und zum Meditieren vorgesehen sind. In der ansonsten absoluten Stille ist nur von außen kommendes Vogelgezwitscher zu hören.
Auch wenn bisher niemand von uns einen Bezug zur Bahai-Religion hatte, sind wir uns danach einig, dass die Harmonie, die von überall hier in der Bahai-Anlage ausgestrahlt wird, sehr besonders ist. Und ein Kontrastprogramm zu den überfüllten und lauten Kirchen, die wir etwa in Jerusalem gesehen haben, in denen eher die Ellbogen ausgefahren werden, um ein perfektes Foto zu bekommen. Wenn man außerdem bedenkt, wie viele Konflikte von verschiedensten anderen Religionen weltweit ausgelöst werden, ist die Philosophie, die hinter dem Bahaitum steckt, wirklich fortschrittlich und vorbildlich.
Mit ein bisschen mehr Seelenfrieden fahren wir zurück nach Akko, wo wir wieder über den Markt laufen und bei einem Knafe-Stand hängen bleiben. Eine ältere Frau stellt dort in kleinen Pfännchen frisches Knafe her, das sie mit Milcheis serviert und das wirklich ein süßer Traum ist. Dann geht es weiter zum besten Falafel der Stadt, danach noch eine Runde zum Hafen, dann verlassen wir Akko auch schon wieder. Wir machen unterwegs noch einen kurzen Stopp in Haifa, wo wir die dortig angelegten Bahai-Terrassen bestaunen, und fahren dann weiter nach Jaffa, einem Teil von Tel-Aviv.
Die Tel-Aviv Skyline lässt schon erahnen, dass hier jetzt im Gegensatz zu den kleinen Gässchen Akkos Großstadt-Vibes herrschen. Wir müssen jetzt aber erst einmal unsere AirBnB-Wohnung finden, was sich als schwieriger herausstellt, als gedacht. Der Besitzer befindet sich gerade außerhalb von Jaffa und hat uns eine Beschreibung zu seiner Wohnung zukommen lassen, die nicht gerade selbsterklärend ist. Nach einigem Suchen stellt sich schließlich heraus, dass sich der Parkplatz, zu dem er uns den Weg beschrieben hat, in einer Tiefgarage befindet. Von dort sollen wir den Aufzug nehmen in den zweiten Stock, da befindet sich die Wohnung dann hinter der Tür Nummer 6. Also gut.
Hanni, Sophia und ich nehmen den ersten Aufzug und gehen voran, bis wir vor der sechsten Tür stehen. Ein wenig verwundert bin ich schon, als sie sich einfach öffnen lässt, dann stehen wir in einem Wohnzimmer. Von einer fremden Person. Die Frau, die auf dem Sofa sitzt, schaut uns mit verwirrtem Blick an, wie wir mit unseren riesigen Rucksäcken und Gepäck in ihrer Türangel stehen. Und wir sind jetzt auch verwirrt. „I think it’s a mistake“, sagt sie uns dann. Zu einer AirBnB-Wohnung wollen wir, antworten wir, woraufhin sie uns erklärt, dass wir wahrscheinlich im falschen Gebäude sind. Das hier sei Haus Nummer 4. Okay, hier liegt also der Hund begraben. Wir müssen in Haus Nummer 2. Offensichtlich sind wir versehentlich im falschen Aufzug gelandet, was wir dann auch Sophias Eltern erklären, die es jetzt auch bis hier hoch geschafft haben.
Nach etwas Suchen finden wir dann das richtige Haus und das Versteck, in dem unser Schlüssel hinterlegt ist, und landen – finally! – in der richtigen Wohnung. Auf den ersten Blick sieht alles aus wie eine top-moderne, high-class Großstadt-Wohnung. Offene Küche, gemütlicher Wohn-Bereich mit Samt-Couch und XXL-Fernseher, kleiner Balkon mit Blick auf die Tel-Aviv Skyline. Auf den zweiten Blick merken wir dann, dass hier wohl eher seltener jemand wohnt. Die schnieke Küche ist nur spartanisch ausgestattet, die „Bücher“, die dekorativ auf der kleinen Kommode neben der Tür stehen, stellen sich als leere Pappkartons heraus.
Außerdem machen wir noch eine andere Entdeckung. Das kleinere der beiden Schlafzimmer, in dem nur ein Doppelbett steht und in dem man sich ansonsten nicht bewegen kann, kommt uns von Anfang an etwas komisch vor, bis es Sophias Mama dann auffällt. Die Tür zu dieser Kammer ist schusssicher, ebenso wie die Wand, die ans nächste Zimmer angrenzt. Wir haben hier einen Bunker in unserer Wohnung.
Wir lassen es uns natürlich nicht nehmen, daraus einen Runnig Gag zu machen, aber es ist trotzdem auch ein bisschen seltsam. Die Häuser hier in dieser Gatet Community sind alle gleich aufgebaut, was vermuten lässt, dass es in jeder Wohnung so ein kleines Bunker-Zimmer gibt. Wir sind fast versucht, noch einmal in die erste Wohnung reinzuspazieren, in der wir eben versehentlich gelandet sind, um das nachzuprüfen. Auch wenn wir im Prinzip keine Ahnung haben, was es damit auf sich hat, liegt der Verdacht nahe, dass es irgendwie mit dem Israel-Palästina-Konflikt zusammenhängt. Was sich dann verstärkt, als wir nachschauen, welchen Code wir brauchen, um das Tor unten zu öffnen, durch das man in die Gatet Community gelangt. 1948. Das Jahr der israelischen Unabhängigkeitserklärung und des ersten arabisch-israelischen Krieges, der zur Folge hatte, dass 750,000 arabische Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Ich finde dafür keine Worte. Nur, dass ich hier lieber nicht sein möchte.