Veröffentlicht: 26.12.2019
Freitag + Samstag, 20. + 21. Dezember
9 am. Heute schlafen wir lange aus und nehmen dann ein letztes großes gemeinsames Frühstück mit Ramo zu uns. Dann geht es los zur Downtown, ein paar Kleinigkeiten erledigen: Fotos ausdrucken, Hannis Hose kürzen (die Schneiderei finden wir nach einer guten halben Stunde Irrweg - wie üblich bekommen wir genau so viele unterschiedliche Richtungsangaben, wie wir Leute befragen; dafür führen die Schneider dort aber in Sekundenschnelle und für nur einen Dinar den gewünschten Auftrag aus), Gewürzbestellungen auf dem Markt besorgen, dann führe ich Hanni und Ramo noch zum Friday Market. Sehr erfolgreich: wir finden drei paar Schuhe und eine Hose zu einem sehr passablen Preis. Am Abend, dann noch ein letztes Abend-Programm für Ramo: Shisha in Weibdeh, danach die besten Falafel der Stadt am Paris Square, dann einen Drink in der Rainbow-Street, dann Packen & Abschied. Yalla, bye Ramo! Morgen geht es für Hanni und mich nach Jerusalem.
5:30 am. Hanni und ich packen noch unsere letzten 7 Sachen zusammen, dann begeben wir uns auf die noch menschenleeren Straßen und werden mit dem Taxi sicher und pünktlich zur Bushaltestelle gebracht. Nur eine Stunde dauert es, bis wir mit dem Jet Bus dann die Grenze zu Israel an der King Hussein Bridge erreichen. Dort steigen wir zunächst mit voller Montur aus, bezahlen eine jordanische Exit-Gebühr und geben unsere Pässe ab. Während wir dann auf den klapprigen Metallstühlen im Aufenthaltsbereich darauf warten, dass es weitergeht, lernen wir Radek und Ian kennen, zwei junge Tschechen, die ebenfalls nach Jerusalem reisen wollen und uns die Wartezeit ein wenig verkürzen.
Dann taucht ein Grenzbeamter mit unseren Pässen wieder auf und winkt uns, ihm zu folgen. Wir verstauen also alles wieder im Bus, der dann jetzt zur israelischen Seite fährt. Ich bin schon gespannt – von der Grenze dort habe ich schon verschiedenste Geschichten gehört. Wartezeiten, die sich über einen ganzen Tag ziehen, Gepäck, das komplett gefilzt wird, stundenlanges verhörmäßiges Ausfragen über den Israel-Aufenthalt. Mal sehen, was uns jetzt erwartet.
Wir passieren zunächst das Niemandsland-Gebiet zwischen jordanischer und israelischer Grenze. Weite Sandberge türmen sich in karger Landschaft, als hätte ein Riese im Sandkasten gespielt. An der israelischen Grenze angekommen steigen wir wieder mit Sack und Pack aus und stellen uns in eine Reihe. Nach dem Sicherheitscheck, dann der Moment der Wahrheit. Hanni und ich werden zum Grenzbeamten vorgewunken und geben dem jungen Mann unsere Pässe. Er spricht uns freundlich mit unseren Namen an und fragt uns, ob wir zum ersten Mal nach Jerusalem reisen und an welche Orte wir gehen. Dann will er von Hanni wissen, wie ihr Vater heißt. Hanni zögert kurz, ist sich unsicher, ob es um Vor- oder Nachnamen geht, aber ich traue mich nicht, einzuspringen. Er hat ganz eindeutig „Hannah“ gesagt. Der Beamte ist jedoch geduldig, will von ihr noch Namen und Geburtsort unserer Mutter wissen, dann war's das – „Enjoy your stay!“, sagt er mit einem Lächeln und gibt uns unsere Pässe samt Visum zurück.
Ich kann noch gar nicht glauben, dass wir es so einfach und schnell geschafft haben. Nachdem ich noch ein wenig Geld abhebe (wir müssen uns jetzt von den Jordanischen Dinar an Israelische Schekel umgewöhnen), treffen wir vor dem Gebäude Radek und Ian, die ihr Visum auch erfolgreich bekommen haben, und mit denen wir nun in einem Shuttle-Bus Richtung Jerusalem fahren. Mit einem arabischen Fahrer – heute am Shabbat werden wir wohl eher niemand Jüdisches arbeiten sehen. An einem Checkpoint kurz vor Jerusalem hält der Fahrer an. Eine sehr junge, schwer bewaffnete Soldatin betritt den Bus. Sie schaut von links nach rechts durch die Reihen und bleibt dann vor der letzten Reihe, in der Hanni und ich sitzen, stehen. Unsere Pässe will sie sehen. In ihrem Gesicht, ein Poker Face, das unmöglich zu deuten ist. Aber es scheint alles in Ordnung zu sein. Wir bekommen die Pässe zurück, sie steigt wieder aus, und wir fahren weiter nach Jerusalem, ohne weitere Zwischenstopps, schnurstracks zum Damascus Gate.
Unser Fahrer schmeißt uns aus seinem Shuttle-Bus, und wir stellen dann fest, dass unser Hostel direkt neben dem Apartment liegt, das Radek und Ian gebucht haben. Wir treten den 20-minütigen Fußmarsch also zusammen an. Bei wunderschönem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen erreichen wir unser Hostel, das wirklich ganz in der Nähe der Altstadt liegt, und in dem wir unser Gepäck abstellen können. Dann machen Hanni und ich uns los zur Altstadt. Um 2 Uhr startet vom Jaffa Gate eine Free Walking Tour, wie wir uns im Hostel haben sagen lassen. Wir betreten von dort also die Altstadt, und haben bis zur Tour noch etwa zwei Stunden Zeit, die Stadt alleine zu erkunden. Wir tauchen ein in die engen Gassen und sind geflasht. Der Weg ist nur etwa zwei Meter breit, zur linken und rechten Seiten reihen sich Shops an Shops, die eine riesige Fülle an Produkten verkaufen. Schals, Kleidung, Porzellan, Schmuck, Leder- und Tonwaren, Taschen, Kerzen – einfach alles. Viele der Produkte kommen mir aus den Souvenir-Läden in Amman bekannt vor.
Wir laufen die Gasse immer weiter herunter, die nicht enden will, und von der wiederum zahlreiche Seitengassen abführen, die ebenfalls mit kleinen Läden gefüllt sind. Es ist wirklich nicht möglich, die Masse an Angeboten zu erfassen, die einem hier geboten wird. Bunte und glitzernde Schönheit, so weit das Auge reicht. Nachdem wir eine Weile durch die Gassen streunen, kommen wir zufällig am Damascus Gate wieder heraus (es ist hier für uns noch unmöglich, in den verwinkelten Gassen die Orientierung zu behalten), wo wir uns mit einem Kaffee die Mittagssonne ins Gesicht scheinen lassen, und uns dann auf den Weg zum Jaffa Gate machen, wo wir pünktlich um 2 Uhr ankommen. Vier verschiedene Stadtführer*innen gehen von hier aus los und wir werden Tania zugeteilt, die uns nun mehr zur Altstadt Jerusalems erzählt.
Auf einer Karte zeigt sie uns, dass die Altstadt in vier Teile aufgeteilt ist: ein muslimischer Teil, ein jüdischer Teil, ein christlicher Teil und ein armenischer Teil. Jetzt ergibt es auch Sinn, dass mir die Shops in den Gassen, durch die wir vorher gelaufen sind, so bekannt vorkamen – wir waren im muslimischen Teil unterwegs. Sie erzählt uns, wie es zu dem armenischen Teil kam (eine weise und reiche armenische Frau, die mit einem damaligen Herrscher Jerusalems verheiratet war, hatte sich damals einen Teil Jerusalems gekauft), und warum die Häuser im jüdischen Viertel die modernsten sind: Als Jerusalem im letzten Jahrhundert teilweise von Jordanien besetzt war, wurde der jüdische Teil komplett zerstört, und erst wieder aufgebaut, als Israel ganz Jerusalem im sechstätigen Krieg 1967 wieder zurückeroberte.
Es liegt außerdem nicht nur am Shabbat, dass man hier heute viele Jüdinnen und Juden in ihrer traditionellen Kleidung sieht: Männer im schwarzen Anzug, schwarzen Hut (Zylinder oder tonnenförmiger Fellhut), Seitenlöckchen und weißen Fransen, die unter ihrem Jacket heraushängen. Frauen meist schwarz oder grau gekleidet (schwarz die Farbe der Bescheidenheit) mit Kopftuch, Turban oder Perücke. Ultra-orthodoxe und orthodoxe Jüdinnen und Juden leben hier ganz offen Tag für Tag ihre Religion aus.
Wir erreichen einen Punkt, von dem aus man die Klagemauer (die übrigens nie von Jüdinnen und Juden so genannt wird – für sie ist es die Western Wall oder einfach nur Wall) sieht, hinter der die schwarze Kuppel der Al-Aqsa-Moschee und die große goldene Kuppel des Felsendoms herausragen. Tania gibt uns einen kurzen Überblick darüber, warum dieser Ort hier so besonders und so konfliktbeladen ist. Der Tempelberg, auf dem sich die Gebäude hier befinden, ist für jüdische Menschen der heiligste Ort. Ihrem Glauben nach sei hier die Welt geründet worden, mit dem Jerusalemer Tempel als Mittelpunkt. Die Western Wall war eine der Umfassungsmauern des Tempels und gilt heute als wichtigste heilige Stätte des Judentums, da sie dem damaligen Tempel am nächsten kommt. Für Moslems wiederum hat Mohammed von diesem Ort aus seine Himmelfahrt angetreten, weshalb sich hier der Felsendom als Schrein und die Al-Aqsa-Moschee als drittwichtigste Moschee weltweit befinden. Es ist ziemlich klar, dass um diesen Brennpunkt hier niemals wirkliche Ruhe einkehren kann.
Nach der Tour schauen Hanni und ich uns noch einmal die einzigartig schöne goldene Kuppel des Felsendoms bei Sonnenuntergang an und treten ein wenig näher an die Western Wall heran, vor der viele Jüdinnen und Juden (Männer in einem größeren Bereich links, Frauen in einem kleineren Bereich rechts), stehen und beten. Viele sitzen auch mit einem Plastikstuhl und einem kleinen Holztisch, die es hier en masse gibt, vor der Mauer und studieren die Thora. Ähnlich wie in Jordanien, wo es auch zum normalen Alltagsbild gehört, dass Muslim*innen mehrmals täglich mit ihrem Gebetsteppich in der Öffentlichkeit beten, ist auch hier die öffentliche Auslebung der Religion etwas völlig normales.
Hanni und ich machen uns nun so langsam auf den Rückweg, checken im Hotel ein (wir sind heute Nacht offensichtlich noch ganz alleine in unserem 8-Bett-Zimmer), ruhen uns ein wenig aus, und versuchen, alles was wir gesehen und gehört haben, sacken zu lassen. Aber dieser Prozess wird wohl noch ein bisschen dauern. Später gehen wir dann noch mit Ian und Radek ein Bierchen trinken. Genug für heute.