Salam ya Amman
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Heiliger Abend

Veröffentlicht: 29.12.2019

Dienstag, 24. Dezember

5:45 am. Hanni schmeißt mich in Herrgottsfrühe aus den Federn. Aber das war so vereinbart: wir haben uns gestern überlegt, dass wir vom gleichen Spot auf der Stadtmauer, von der wir uns Jerusalem bei Nacht angeschaut haben, bestimmt auch sehr schön den Sonnenaufgang beobachten können. Der sichelförmige Mond ist noch am dunklen Morgenhimmel zu sehen, als wir uns auf den Weg machen, und weicht immer mehr der aufgehenden Sonne, je näher wir unserem Zielort kommen. Um ziemlich genau 6:30 Uhr färbt sich der Himmel am Horizont in ein immer tieferes Rot. Mit einem kraftvollen Schein taucht die Sonne hinter Häusern und Bäumen auf. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt.

Wir machen uns wieder auf den Rückweg zu unserem Hostel, wo das Frühstück schon bald bereitsteht, und verirren uns im armenischen Viertel in einen Innenhof einer Kirche. Wir haben keine Ahnung, wo genau wir uns befinden, als ein Mann, der seiner Kleidung nach zu urteilen aussieht wie ein Mönch, einen Teppich lüftet, der an der Wand hängt und uns hereinwinkt. Hinter dem Teppich verborgen befindet sich eine Öffnung nach drinnen, zur armenischen Kirche. Hanni und ich schlüpfen also herein und tauchen ein in eine andere Welt.

Der Boden ist mit dunklen, roten Teppichen ausgelegt. Von der Decke hängen unzählige Lampen und Leuchter, das Licht ist gedämmt, in der Luft hängt ein Weihrauch-Duft. Vorne an einer Art Hochaltar stehen zwei Männer mit langen Kutten und schwarzen, spitzen Kapuzen, die zu Kerzenschein armenische Verse vorlesen. Als wir uns durch den großen Raum weiter nach vorne bewegen, fällt uns auf, dass in den Ecken noch mehr Männer in gleicher Kleidung stehen oder sitzen, die wir anfangs gar nicht bemerkt haben. Es ist schon eine sehr besondere und etwas befremdliche Stimmung, die hier herrscht. Dann lüftet sich der Teppich, durch den wir eben  hineingekommen sind, und ein ganzer Schwarm Männer in schwarzen Gewändern tritt ein, schreitet gemächlich zu einem kleinen Pult, wo sich alle verbeugen und ein daraufliegendes Buch küssen, dann verschwinden sie in einen Seitenraum. Hanni und ich schauen uns noch ein wenig staunend um, dann begeben wir uns wieder durch den Sesam-öffne-dich-Teppich ans Tageslicht. Es war, als wären wir Zeugen einer mysteriösen und etwas unheimlichen Film-Szene gewesen.

Jetzt geht es wirklich zurück ins Hostel, wo wir duschen, frühstücken und auschecken, und uns dann ein letztes Mal auf den Weg in die Altstadt machen. Wir wollen vor unserer Abfahrt nach Nazareth noch das Tempelgelände besichtigen, auf denen die Al-Aqsa-Moschee und der Felsendom stehen. Wir müssen dafür einen zusätzlichen Sicherheits-Check durchlaufen, und gelangen dann über die Holzbrücke vor der Western Wall auf das Gelände des ehemaligen Tempels. Für nicht Muslime ist dies der einzige Zugang zu den heiligen Gebäuden. Beziehungsweise zu den Plätzen davor. Das Betreten der Gebäude ist nur für Menschen islamischen Glaubens gestattet.

Aber der Weg hat sich trotzdem gelohnt: besonders der Felsendom ist ein atemberaubend schönes Gebäude, dessen blaue, glitzernde Mosaik-Fassade erst jetzt aus nächster Nähe in voller Pracht erstrahlt. Zu mal wieder wundervollem Sonnenschein machen wir ein paar Bilder, als wir dann auch schon von zivilem Security Personal dazu aufgefordert werden, das Gelände wieder zu verlassen. Wir sehen dann, dass es nicht nur uns so geht – in Windeseile und von allen Ecken aus fegen die Securities jetzt den ganzen Platz leer. Es ist Zeit für das muslimische Mittagsgebet, zu dem sich hier keine Tourist*innen mehr aufhalten sollen. Aber wir haben gesehen, was wir sehen wollten. Wir verlassen das Gelände über eine kleine überdachte Passage, in der muslimische Händler Lebensmittel und Souvenirs verkaufen. Ich liebe die Stimmung auf solchen kleinen Basars einfach.

Wir treffen dann Sophia am Jaffa Gate und besuchen mit ihr noch einmal die Grabeskirche, in der wir bisher noch nicht das Hauptschiff gesehen haben. Der Überlieferung nach steht sie am Ort der Kreuzigung und des Grabes Jesu. Sie gehört zu den größten Heiligtürmern des Christentums und befindet sich in den Händen von sechs verschiedenen christlichen Konfessionen. Im Inneren der Kirche befindet sich die Grabeskapelle, darin wiederum das Heilige Grab – Jesu Grab. Um dort hineinzukommen, muss man zur Mittagszeit mindestens zwei Stunden Zeit in der Schlange einplanen, die wir jetzt nicht haben. Aber es gibt auch so genug zu sehen. 

Am Eingang der Kirche zum Beispiel befindet sich der Salbungsstein, wo der Leichnam Jesu für die Bestattung vorbereitet worden sein soll. Die Menschenmassen, die hier in diese Kirche hineinströmen, bündeln sich also zu allererst an diesem Stein, den jeder mit Händen oder allerlei Gegenständen zu berühren versucht, um einen göttlichen Segen zu erhalten. Wir schauen uns dann noch verschiedene Räume der Kirche an. Sie ist wirklich riesig, verwinkelt, und überall vollgestopft mit Menschen. Man könnte hier sicherlich einen ganzen Tag verbringen, mit ein wenig mehr Ruhe und weniger Stress.

Kurz vor unserer Abfahrt besuchen wir dann noch ein letztes Gotteshaus: die Hurva Synagoge im jüdischen Viertel. Der freundliche Mann am Eingang, der deutsch spricht, würde uns noch eine längere Einführung in die Geschichte der Synagoge geben, aber leider fehlt uns die Zeit. Wir steigen also zunächst die Treppen im Inneren der Synagoge hoch und gelangen auf die äußere Terrasse, von wo aus man einen wundervollen Blick über die Altstadt Jerusalems hat. Im Inneren der Synagoge kann man nun in den Hauptraum des Gotteshauses hinunterschauen, in dem sich Dutzende junge und alte orthodoxe Juden aufhalten, die auf Stühlen und Tischen sitzen, die Thora lesen und diskutieren. Es ist ein wirklich interessantes Bild, diese Dynamik von oben zu beobachten.

Wir gehen dann weiter nach oben zur Kuppel, wo es wieder einen Außen- und einen Innenbereich gibt. Wieder schauen wir von dort in den Innenraum der Synagoge, als wir auf einmal Kinderstimmen hören. Was an sich nichts ungewöhnliches ist, nur sind hier in unserer Nähe gerade keine Kinder zu sehen. Verwirrt schauen wir uns um und sehen dann auf einmal direkt gegenüber von uns auf der anderen Seite der Kuppel zwei Kinder miteinander spielen. Die Stimmen können doch unmöglich von ihnen kommen? Immerhin hat die Kuppel einen beträchtlichen Durchmesser und um uns herum herrscht ein nicht zu verachtender Geräuschpegel. Es kann aber nicht anders sein – es sind die einzigen Kinder weit und breit. Wir machen also den Selbsttest und Sophia läuft zum gleichen Punkt gegenüber von uns, an dem sich auch die Kinder aufhalten. Und siehe da: während sie in normaler Lautstärke redet, hören Hanni und ich sie bei uns, als würde sie in ein Megaphon hereinsprechen. Es gibt wohl also eine ganz besondere Akustik, hier oben in der Kuppel. Abgefahren.

Jetzt verabschieden wir uns aber erst einmal von Jerusalem und machen uns auf den Weg nach Nazareth, wo wir heute Heiligabend verbringen. Auf dem Weg dorthin an der West Bank vorbei fällt uns noch einmal auf, wie trist und karg die Landschaft hier ist. Im Prinzip ist es keine natürliche Landschaft – es sieht so aus, als hätte hier jemand mit einer großen Walze alles platt gemacht, was einmal vorgeherrscht hat, sodass in den nächsten Jahrzehnten erst Mal kein Grashalm mehr wächst. Das Beunruhigende daran ist, dass dies vielleicht nicht einmal so unrealistisch ist. Der 700 km lange und acht Meter hohe israelische Sperrwall, den wir auf dem Weg sehen, und der die palästinensischen Gebiete umzäunt, ebenso wie die israelischen Siedlungen, die sich auf palästinensischem Boden befinden, lässt die Ausmaße des Konflikts auf jeden Fall schon erahnen.

In Nazareth angekommen beziehen wir unsere AirBnB Zimmer (alt aber mit Charme, und mit Gardinen als Duschvorhang), machen uns kurz frisch und gehen dann auch schon los zur Verkündigungsbasilika, in der der Überlieferung nach der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria erschienen ist. Dort wollen wir heute Abend um 7 Uhr den Weihnachtsgottesdienst feiern. Und nicht nur wir: vor der Kirche, die noch abgeschlossen ist, sammeln sich immer mehr Menschen (der Sprache nach zu urteilen hauptsächlich Tourist*innen), die darauf warten, dass die Basilika-Tore sich öffnen.

Und das tun sie dann auch. Allerdings nur für Personen, die ein Ticket haben. Ein Ticket. Für einen Gottesdienst. Da es jedoch nicht irgendein Gottesdienst ist, sondern der Weihnachtsgottesdienst in Nazareth, hätte man vielleicht auch vorher darauf kommen können. Bei nieselndem Regen lassen wir also zunächst alle Personen an uns vorbei, die ein Ticket haben, in der Hoffnung, dass wir am Ende auch noch einen Platz finden. Auf einmal reichen Sophias Eltern uns Tickets durch. Offensichtlich hatte ein Mann neben dem Tor von irgendwo her ein ganzes Kuvert voller Tickets, die er jetzt nach und nach kostenlos verteilt. Auch wenn das alles ein wenig seltsam ist – Hauptsache, wir kommen rein. Und feiern dort in den nächsten zwei Stunden einen wundervollen Weihnachtsgottesdienst auf Arabisch und Italienisch. Nur ein paar Feuerwerkskracher, die hier in regelmäßigen Abständen irgendwo in Nazareth gezündet werden, unterbrechen den Gottesdienst immer mal wieder.

Nach der festlichen Feier machen wir uns dann auf die Suche nach einem Lokal und irren durch ausgestorbene Straßen. Wo auf unserem Hinweg noch Leben und Stände waren, ist jetzt nichts mehr. Absolut nichts. Als ich mich also schon fast damit abfinde, heute mal zur Abwechslung an einem Heiligabend hungrig ins Bett zu gehen, stolpern wir in ein uriges und wunderschönes Restaurant herein, das geöffnet ist und noch Plätze für uns hat. Unser Weihnachtsessen ist also gesichert. Wir kehren am Ende satt und zufrieden in unser Hostel zurück und haben dann auf der überdachten Dachterrasse bei Kerzenschein und Weihnachtsplätzchen noch eine kleine Bescherung. Also dann - frohe Weihnachten 😊
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