Veröffentlicht: 26.01.2023
26.01.23 Khenifra – Ouzoud: Das Beste kommt immer am Schluss – so war es auch auf dieser Etappe. Dabei sah es lange Zeit nicht danach aus. Eigentlich sollte unsere Tagesstrecke heute nicht länger als 50 Kilometer sein. Wir hatten einen Stellplatz avisiert, der bei einem Hotel lag, das an einen wunderschönen großen See grenzte. Aber als wir ankamen, war der See weg und das Hotel ebenso. Also, um bei der Wahrheit zu bleiben: Der See war fast weg, aber das Hotel komplett. Und mit ihm auch unser Stellplatz …
Was also tun? Wir entschlossen uns nach Ouzoud weiter zu fahren, zu den schönsten Wasserfällen in Marokko. Dort wollten wir dann auch drei Nächte verbringen – mindestens! Doch bis dahin waren es nochmal gut 170 Kilometer. Das war ganz schön heftig, nachdem wir gestern schon den ganzen Tag auf der Straße verbracht hatten. Wir fuhren zum Glück über eine gut ausgebaute Nationalstraße. Mit 60, 70 Stundenkilometer gleiten wir dahin. Ich muss mir nicht überlegen, wo der nächste Campingplatz ist, wo ich übernachte oder entsorgen kann. Das macht Ricci für mich. So dreht sich das Gedankenkarussell immer langsamer. Ich lasse die Impressionen dieses faszinierenden Landstrichs auf mich wirken. Ich suche nichts, sauge nichts auf. Ich lasse all die Bilder und Eindrücke einfach in mich hineinfallen. Manche sickern ein und bleiben, andere fallen durch ins Vergessen ...
Auf unserem Weg am Rande des Atlas-Gebirges entlang durchqueren wir kleinere Städte wie Kasba Tadle und größere wie Beni-Mellal. Hier wie dort herrscht geschäftiges Treiben, Frauen und Männer gehen ihren Geschäften nach, Kinder spielen und toben zwischen ihnen hindurch. Es ist laut, es wird viel gelacht, diskutiert und – vor allem – intensiv gefeilscht. Nur in den vielen kleinen Cafés ist Ruhe angesagt. Da sitzen schon in den frühen Morgenstunden die älteren Herren stock und steif bei einer Zigarette oder einer Zigarre und lassen sich ihren Qahwa Kahla schmecken, ihren ganz speziellen Kaffee, der mit Kardamom und Senfsamen serviert wird. Zeit spielt für sie keine Rolle.
Aber für uns. Wir wollen rechtzeitig in Ouzoud sein, um auch noch einen Platz zu bekommen. Wir machen gut Strecke, bevor es die letzten 50 Kilometer bei Beni Ayat links ins Atlas-Gebirge geht. Die nächsten fast zwei Stunden sind besser als jeder Kinofilm. Wir schlängeln uns über Serpentinen Hunderte Höhenmeter hinauf und wieder hinunter und das gleiche immer wieder von Neuem. Enge Kurven, hinter denen wieder und wieder neue Bilder aufblitzen, eine andere Vegetation, eine steile Felswand oder eine atemberaubende Schlucht. Es ist die schönste Strecke, die ich in meinem Leben je gefahren bin. Der Gegenverkehr hält sich in Grenzen und wir können dieses Spektakel für die Sinne aus vollen Zügen genießen.
Schon nach den ersten Kilometern kann ich der Versuchung nicht mehr widerstehen, mit meinem iPhone ein paar Bilder zu schießen. Nach einer scharfen Kurve überrascht mich ein steiler Anstieg. Lenken, fotografieren, schalten – das ist zu viel. Mir stirbt der Motor ab. Udo hinter mir muss anhalten und hat Probleme sein Wohnmobil bei dieser Steigung wieder in Fahrt zu bringen. Ich werde das Fotografieren sein lassen.
Gegen 16 Uhr kommen wir schließlich an. Ich bin fast betrunken von diesem Erlebnis. Doch die Ernüchterung folgt prompt: Der Campingplatz ist überbesetzt. Eine große Gruppe Holländer hat alle Plätze ausgebucht. Doch der Betreiber vermittelt uns einen anderen Stellplatz, der nur eineinhalb Kilometer entfernt ist. Das ist eigentlich nur ein besserer Parkplatz, aber wir können entsorgen und bekommen frisches Wasser. Und als der Betreiber uns zum Abendessen eine Tajine anbietet, das marokkanische Nationalgericht, ist aller Unmut vergessen.