Veröffentlicht: 22.02.2023
22.02.23 Agdz Fußball ist in Marokko ganz groß und das nicht erst seit den sensationellen Auftritten der „Löwen vom Atlas“ bei der WM in Katar, bei der sie bis ins Halbfinale stürmten. Immer wieder sehen wir auf unseren Fahrten Fußballplätze am Straßenrand. Nach unseren Maßstäben sind es eigentlich nur Plätze, auf denen Fußball gespielt wird – ein Fußballplatz in Deutschland sieht anders aus. Das beginnt beim Belag: Hier gibt es keinen Rasen – klar, in den Sommermonaten müsste der hier viele Stunden am Tag bewässert werden. Das Wasser dazu gibt es nicht. Hier wird auf Steinfeldern, bestenfalls grobem Sand gespielt. Die Tore sind aus einfachen Latten zusammen gezimmert, ohne Netze. Die Tor- und Seitenlinien werden meist mit größeren Steinen markiert. Kalk dafür zu verwenden, das wäre Verschwendung. Der Begeisterung für den Fußball tut das keinen Abbruch. Die Kinder und Jugendlichen rennen, spielen, köpfen und grätschen als gäbe es nichts Schöneres auf dieser Welt – für sie gibt es das wahrscheinlich auch nicht. Was ist das für eine Freude!
Beim Besuch des schönen Fußballplatzes in Agdz – es gibt sogar weiße Linien! – fällt mir auf, wie natürlich und zugewandt die Buben miteinander umgehen. Bei Unterhaltungen gibt es immer auch Körperkontakt. Da liegt die Hand auf der Schulter des anderen, wird der Kopf getätschelt oder einfach nur die Hand genommen. Und da ist immer dieses Lachen … Herzlich, offen, ungezwungen. Ich male mir aus, wie das bei uns in Deutschland aussehen würde: die Bilder, die auftauchen, erscheinen mir kalt, abwartend, reserviert.
Bei den Erwachsenen ist das nicht viel anders. Auch hier gibt es ein großes Maß an Herzlichkeit, Respekt und Zusammenhalt. Als meine Solaranlage in Tafraout montiert wurde, brauchte der Mann, der mein Gas auffüllen wollte, eine Leiter. Er hatte keine dabei, der Solar-Mann schon. Die beiden kannten sich nicht, sie kamen aus unterschiedlichen Orten, aber natürlich konnte der Gas-Mann sich die Leiter ausleihen. Er brauchte für seine Arbeit viel länger als der Solar-Mann. Kein Problem, der holte seine Leiter einfach später ab. Das war schnell mit einem freundschaftlichen Schulterklopfen abgemacht. Wie würde das in Deutschland ablaufen?
Mir kommen die marokkanischen Friedhöfe in den Sinn. Die Toten werden hier oft nur in einem Leinentuch begraben. Danach wird ein Stein, vielleicht so groß wie eine Boule-Kugel, auf das weite Feld gelegt. Hier gibt es keine separaten – das heißt abgetrennten – Gräber für jeden Einzelnen. So wie im Leben sind sie auch im Tod vereint. In Deutschland bekommt jeder ein Grab, zumindest jede Familie, am besten noch fein säuberlich mit eine Umrandung eingefasst, abgegrenzt. Je wohlhabender der Verstorbene, umso größer und prächtiger muss das Grab sein – schließlich gibt es unter den Toten wichtige und weniger wichtige. Oder unwichtige und weniger unwichtige. Man muss unterscheiden können …
Ich freue mich heute noch über die beherzten, erfrischenden Auftritte Marokkos in Katar. Da stand e i n e Mannschaft auf dem Feld, in der jeder für den anderen alles gab. Das haben die Spieler nicht lernen müssen, so sind sie groß geworden, das hat das Leben sie gelehrt.
Bei der nächsten WM schlägt mein Herz für Marokko.