Veröffentlicht: 02.02.2023
02.02.23 Marrakech – Aït Ben Haddou Ich habe schlecht geschlafen. Immer wieder stand plötzlich dieser Mützenverkäufer von gestern Abend vor mir. „300 Dirham. Sir! Best price! Only 300 Dirham!“ Dazu dieses honigsüße Lächeln. „Only 300 Dirham.“ Wohin mein Traum mich auch führte, auf einmal stand dieser Kerl wieder vor mir, blickte mir tief in die Augen und verneigte sich, flüsterte in seinem melodischen Englisch-Kauderwelsch: „300 Dirham, Sir! Best price. Really!“ In dieser Nacht habe ich bitter bereut, dass ich mir die verdammte Mütze nicht gekauft und dann verschenkt habe.
Denn ich wusste, dass ich heute ausgeschlafen sein musste. Es ging von Marrakech aus in den Hohen Atlas hinein bis auf weit über 2.000 Höhenmeter. Das war ein Unterschied von mehr als 1.600 Höhenmetern. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie viele Kringel wir da drehen mussten, Serpentinen ohne Ende mit Nadelkurven, Gegenverkehr und gleichzeitig mehreren Taxifahrern, die beim Überholen ein Hupkonzert veranstalten. Das konnte heiter werden …
Es wurde zum Glück nicht so schlimm. Seit der Zeit vor drei Jahren, als Ricci zum letzten Mal diese Strecke fuhr, ist scheinbar viel gebaut worden, die Arbeiten waren heute stellenweise noch im Gange. Dort, wo die Straße noch nicht erneuert worden war, ratterte es gewaltig. Ich hatte alle Hände voll zu tun, mein Wohnmobil auf der Spur zu halten. Da durfte ich mich auch nicht von den zum Teil bezaubernden Ausblicken ablenken lassen.
Wir passierten schließlich die Schneegrenze, und bei einer Pause an einem kleinen Restaurant hätten wir uns ohne Probleme zu einer Schneeballschlacht verabreden können – und das in Afrika, in Marokko! Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen!
Nach sechs Stunden erreichten wir schließlich Aït Ben Haddou, die Filmstadt. Die Fahrt steckte mir ganz schön in den Knochen. Aber als ich dann sah, wie Maria aus ihrem Wohnmobil sprang, die Hände in den strahlend blauen Himmel reckte und ein Freudentänzchen zum Besten gab, musste ich mich am Riemen reißen. Mann o Mann, diese Frau! Die Hamburgerin und ehemalige Versicherungskauffrau ist ein Energiebündel. Mit 79 Jahren. Die Mutter von vier Kindern hat ihr Leben stets selbst in die Hand genommen. „Du musst was machen, Junge“, sagt sie, „sonst ist das Leben vorbei und du hast es verpasst.“
Als vor zehn Jahren ihr geliebter Ehemann Dieter starb, fiel sie in ein tiefes Loch, aus dem sie auf dem Jacobsweg wieder herausfand. Danach hat sie Willi über eine Internetseite für Wohnmobil-Alleinfahrer kennengelernt – „meine Altersliebe“, wie sie sagt. Seitdem fahren sie zu zweit – auch durchs Leben. Willi zog zu ihr nach Hamburg und heißt seitdem Wilhelm – „aus Prestigegründen“, so der gebürtige Bayer mit einem Augenzwinkern. Die beiden ließen sich von dieser Marokkoreise nicht abbringen, weder durch Marias Corona-Infektion, noch durch Wilhelms Parkinsonerkrankung, die ihn seit zwei Jahren zu immer mehr Kompromissen zwingt. Aber vom Sog von Wirbelwind Maria lässt sich Wilhelm gerne mitreißen. „Es ist nicht immer leicht“, sagt die Hamburgerin, „aber wir wollten Marokko ein drittes und wahrscheinlich letztes Mal sehen.“ Auch wenn es künftig vielleicht nicht mehr ganz bis Afrika reicht, das Wohnmobil-Leben wollen die weiterführen. „Wir sind neun Monate im Jahr unterwegs“, sagt Maria. „Und das soll auch so bleiben solange es irgendwie geht.“
Logisch, dass Maria heute auch noch den Ausflug in die Filmstadt mitnahm. Über 20 Streifen wurden im kleinen Aït Ben Haddou mit seinen mächtigen Lehmbauten gedreht, darunter Klassiker wie Lawrence von Arabien (1962), James Bond 007 – Der Hauch des Todes (1987) oder Gladiator (2000) und Game of Thrones (2012).
Nach dem Rundgang durch die berühmte Filmkulisse sah ich in einem der unvermeidlichen Souvenirshops einen wunderschönen, fast tellergroßen Rosenquarz-Kristall. Ich fragte den Verkäufer, wie viel der kosten solle. Als er diesen Blick aufsetzte und das zuckersüße Lächeln dazu, schwante mir Böses. „300 Dirham, Mister!“, sagte er. Ich drehte mich um und ging.