querfeldein
querfeldein
vakantio.de/querfeldein

#122 Ein kommunistischer Geschichtslehrer und ein traditioneller Sänger

Veröffentlicht: 15.05.2022

06. Mai 2022: Burg Porto Palermo


J. Eigentlich wollten wir in die Burg Porto Palermo gar nicht reingehen. Eigentlich wollten wir auf der Halbinsel, auf der die Burg in einer Bucht liegt, nur einmal um die Burg herum wandern, doch das Unterholz wurde zu dicht und dann fing es an zu regnen, sodass wir doch die 300 Lek (2,40€) bezahlten und in die Burg gingen. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt.

Blick auf die Halbinsel und die Burg Porto Palermo

Ich unterhielt mich kurz mit dem Ticketverkäufer und er zeigte uns daraufhin Fotos seiner Familie, seines Hauses und seiner Gesangsgruppe. Er ist in vierter Generation Teil einer traditionellen Gesangsgruppe, die aus 7 Personen besteht und durch ganz Europa tourt; er singt die obere Stimme. Nachdem er uns bei YouTube einen seiner Auftritte und eine Aufnahme der damals vierköpfigen Gruppe seines Großvaters zeigte, gab er uns in der zentralen Kuppel der Burg ein kleines Solokonzert. Es war unbeschreiblich schön. Ich war besonders von der Leidenschaft gerührt, mit der uns der Ticketverkäufer vorsang.

(Link zum Auftritt: https://www.youtube.com/watch?v=lNq33DILHTA)

Nachdem er vorne am Schalter überprüft hatte, ob nicht noch weitere Gäste kommen, erzählte uns der Ticketverkäufer von Ali Pascha. Der Ticketverkäufer ist nämlich nicht nur traditioneller Sänger, sondern war zu kommunistischen Zeiten auch Geschichtslehrer. In einigen Reiseführern wird diese Burg auch „Ali Pascha Burg“ genannt, weil sie von Ali Pascha, dem Führer dieser Region im Osmanischen Reich gebaut und gelegentlich genutzt wurde. Aus einer kleinen Spalte im dicken Gemäuer der Burg, zog der Ticketverkäufer einen Zeigestock und begann anhand der Bilder, die in der Burg hingen und der Burg selbst uns die Geschichte der Burg zu erklären.

Blick vom Soldatenlager, rechts führt der lange Gang zum zentralen Raum mit Kuppel, links führt die Treppe zum Dach.

Ali Pascha, war von 1787 bis 1822 an der Macht. (Pascha ist die Bezeichnung für die Personen zwei Rangfolgen unterhalb des Sultans.) Er und sein Hofstaat lebten in ihrer Hauptburg in Ioannina, im Norden des heutigen Griechenlands. Da er Muslime war, hatte er vier Frauen, von der eine christlich-orthodox war, als Zeichen der Religionsverständigung. Seine erste und wichtigste Frau war Vassilika, die ihn auf Reisen begleitete. Etwa einmal im Jahr reisten die beiden für drei Wochen in die Burg Porto Palermo, in der wir uns gerade befinden. Wie die verschiedenen Räume von Ali Pascha und seinem kleinen Hofstaat, den er auf Reisen mitnahm (bestehend aus Diener, Wachen, 40 Tänzerinnen und Vassilika), genutzt wurde, präsentierte uns unser privater Geschichtslehrer ausführlich. Er beschrieb, wie reich verziert die nun kahlen, dunklen Räume einst ausgesehen haben. Immer wieder musste Florian in die Rolle von Ali und ich in die von Vassilika schlüpfen und an bestimmten Stellen stehen oder sitzen. Unser Führer spielte alle anderen Diener, Tänzerinnen etc. Ohne dieser interaktiven Erklärungen hätten wir sicherlich nur kurz in den dunklen, kalten Räumen verbracht.

(Weil die ganze Burg so dunkel und die Erklärungen unseres privaten Führers so spannend waren, habe ich kaum Fotos von der Burg gemacht.)

Selbstverständlich beherbergte die Burg auch ein Gefängnis, denn vordergründlich war die Burg nicht für die Beherbergung von Ali Pascha und seinem Hofstaat, sondern zur Steuereintreibung bestimmt. Wer nicht zahlte, kam für zwei Monate in einen unglaublich dunklen Raum. Die dicken Mauern waren so verschachtelt gebaut, dass kein bisschen Tageslicht in das Gefängnis vordrang. Nach zwei Monaten in diesem Gefängnis, bekam man die Wahl, ob man nun bezahlt, oder ob man weitere zwei Monate ins Gefängnis wollte. Wenn man am Ende immer noch nicht zahlte, wurde man umgebracht.

Auch Ali Pascha wurde am Ende seiner Karriere, mit 82 Jahren umgebracht. Er war nämlich so mächtig geworden, dass er beinahe so mächtig war, wie der Sultan. Das gefiel dem Sultan in Konstantinopel nicht, sodass Ali Pascha geköpft wurde und sein Kopf als Beweis nach Konstantinopel gebracht wurde.

Die Burg lebte aber weiter und wurde weiterhin genutzt. Als die Italiener unter Mussolini Albanien eingenommen hatten, wurde die Burg als Lager v. A. für Waffen genutzt. Später zu kommunistischen Zeiten wurde hier weiterhin gelagert, aber auch das Gefängnis wurde für regierungskritische Menschen genutzt. Diese dreifache Nutzung im Laufe der Zeit konnte man immer noch anhand der Schilder über den Türen sehen. Sehr alte Schilder aus Ali Paschas Zeit über den Türen, betitelten Räume z.B. „Küche“, Schilder in Italienischer Schrift hingen daneben. Die Kommunisten hatten sich nicht die Mühe gemacht Schilder herzustellen, sie schrieben die Beschilderung einfach in roter Farbe direkt auf die dicken Mauern. So waren klar in großen roten Buchstaben die Worte „Benzin“ (mit Pfeil auf die ehemalige Küche, zu Ali Paschas Zeiten) und „Diesel“ (mit Pfeil auf den Nachbarraum) zu lesen.

Blick vom zentralen Raum mit Kuppel entlang einer der vielen Gänge, im Hintergrund sieht man etwas der roten Schrift, die die Kommunisten genutzt haben.

Am Ende eines langen Flurs, der zum Soldatenlager in Ali Paschas Zeit führte, gab es eine lange Treppe, die aufs Dach der Burg führte. Von hier hatte man eine wunderbare Aussicht auf die Bucht und die nahen Berge. Außerdem konnten wir Vassilikas privaten Strand sehen, zu dem man nur mit einem Boot kommt und den U-Boot Bunker, aus kommunistischen Zeiten. Den Bunker hatte die Regierung erst zusammen mit der sowjetischen, dann mit der chinesischen Regierung gebaut. Als auch die chinesische Regierung absprang, kaperten die Albaner vier der 12 chinesischen U-Boote, und stemmte selbst den Bau des langen Tunnels, in dem genug Platz für die vier U-Boote ist. Diese vier U-Boote sollen noch immer im Bunker liegen, außerdem gibt es einen Wachmann, der sicherstellt, dass man das militärische Sperrgebiet nicht betritt.

auf dem Dach der Burg
Aussicht vom Dach der Burg
U-Boot Bunker, gesehen von der Straße

Unsere private Führung durch die Burg war für mich unvergesslich und gab uns nicht nur einen intensiven Einblick in die facettenreiche Geschichte Albaniens, sondern auch in ihre reiche Kultur.


Tag 203 – Gesamttour 15.568 km


---- Abonnieren ----

Falls du unseren Blog abonnieren möchtest, kannst du dich entweder bei Vakantio anmelden und auf abonnieren klicken oder uns eine Nachricht zukommen lassen und wir setzen dich in unseren eigenen Verteiler. Über Feedback freuen wir uns natürlich auch!

Mail: querfeld2@gmail.com

Antworten

Albanien
Reiseberichte Albanien