Veröffentlicht: 06.10.2019
Am
darauffolgenden Tag wagte ich mich ins Zentrum der 2 Millionen Stadt, und
allein für die Fahrt im Tuktuk zur Rushhour Montag morgens verlieh ich mir
selbst die Tapferkeitsmedaille. Ich wollte nur ein paar Wege erledigen, mir
einige Sehenswürdigkeiten und architektonisch interessante Gebäude aus der
Kolonialzeit anschauen… bereits um 12 Uhr saß ich völligst erledigt in einer
Weinbar und spielte ernsthaft mit dem Gedanken, mich wieder ins Bett zu
verkriechen oder direkt wieder heim zu fliegen. Dass es trubelig und chaotisch sein würde, hatte ich erwartet… was
mir aber zusetzte, war der enorme Lautstärkepegel durch das ununterbrochene,
aggressive Hupen eines jeden Verkehrsteilnehmers und das ständige, offensive
Bedrängtwerden. Alle 5 Meter hielt ein Tuktuk und wollte mich überreden,
mitzufahren. Sobald man den Schritt minimal verlangsamte oder die
Straßenschilder zu verstehen versuchte, drängte sich jemand auf, der doch eh
einen viel besseren Weg kannte. Wenn man nur mit dem Augenwinkel auf Google
Maps schielte, erhielt man sofort ungefragte Hinweise und wurde in ein Gespräch
verwickelt, aus dem man sich nur schwer (und unhöflich) befreien konnte. Fotos
schießen? Die Umgebung beobachten? Entspannt durch die Straßen bummeln? Fehlanzeige!
Ich weiß nicht, ob es an meinem auffällig europäischen Aussehen lag, oder
daran, dass ich offensichtlich allein durch die Straßen tigerte - damit hatte
ich nicht gerechnet. Auf die häufige, unverfrorene Frage, wo denn mein Ehemann
sei, wackelte ich zwar immer mit meinem dicken Fake-Ehering und zeigte auf das
nächstbeste Hotel, Distanz konnte ich damit meist dennoch nicht herstellen. Am
Ende des Tages fühlte ich mich komplett gehetzt und überfordert, und die Frage
„Worauf hast du dich da nur eingelassen“ nagte ununterbrochen an meinem
sonstigen Optimismus. Der andauernde, strömende Regen tat sein Übriges. Da
Colombo als solches auch wenig bis nichts zu bieten hat, verbrachte ich den
nächsten Tag tatsächlich komplett in meinem schnuckeligen AirBnB, arbeitete ein
wenig und probierte mich an diversen unbekannten Früchten des nächstgelegenen
Supermarktes. Der Abend sollte allerdings unverhofft sozial enden, denn mein
Gastgeber Placi überredete mich, ihn ins Hilton Hotel zum Bingo spielen mit
seinem Rotary Club zu begleiten. Rotary ist eine internationale Organisation,
welche sich in weltweit organisierten Clubs um verschiedenste soziale,
ökologische oder kulturelle Projekte bemüht. Da mein Vater seit vielen vielen
Jahren Rotarier ist, bin ich quasi mit deren Werten und gemeinsamen
Unternehmungen aufgewachsen und freute mich unheimlich über die Gelegenheit,
einen Club in Sri Lanka besuchen zu können. Überraschenderweise ist die
Präsidentin des Colombo Fort District eine Holländerin, die in Hamburg aufwuchs
und seit einigen Jahren in Sri Lanka als Juristin und Yogalehrerin arbeitet.
Nach dem Vortrag eines Mitglieds, in dem es um die Gewinnung von Spendengeldern
für die Wiederaufforstung eines vom Tsunami zerstörten Gebietes im Süden des
Landes ging, wurde fleißig getrunken, gegessen, gespielt und gelacht. Ca. ein
Drittel der Anwesenden waren Frauen, und das Miteinander war sehr gelöst und
humorvoll. Die offensichtlich verschiedenen Religionen und Abstammungen
erschienen vollkommen belanglos, und auch mir gegenüber waren alle unheimlich
nett, aufgeschlossen und kommunikativ. Mit einem Bündel an Visitenkarten und
zahlreichen neuen Kontakten verließen wir beschwipst das Hotel und meine Laune
war wieder etwas besänftigt. Auch wenn zwischen der Realität auf der Straße und
diesem kleinen Ausflug in das Clubleben Welten zu liegen schienen, nahm ich das
Gefühl des Abends mit und bemühte mich fortan, nicht zu sehr im Defensivmodus und
mit einem *Stay the hell away from me*-Gesichtsausdruck durch den Tag zu gehen.
Gedankt wurde mir das am nächsten Tag direkt mit einer Abzocke am Bahnhof, als
mich ein vermeintlich Taubstummer nett zu meinem Sitz im Zug führte und mein
Gepäck verstaute, um mir danach eine „Spendenliste“ unter die Augen, und die
Hände auf zu halten. Ich musste fast ein wenig über die Situation lachen, weil
ich davon bereits häufig gelesen hatte und mir immer dachte „Das passiert mir
garantiert nicht!“. Haha. Um eine Erfahrung reicher und 500 Rs ärmer tuckerte
ich dann gemächlich im Zug von Colombo nach Kandy und genoss es, ausnahmsweise
weder belästigt noch angehupt zu werden. Die ständig durch die Reihen gehenden
Händler mit ihren Früchten, Getränken und Backwaren schienen meine Ablehnung zu
spüren und ließen mich tatsächlich in Ruhe. Die Aussicht war herrlich, und ich
ergatterte zwischenzeitlich auch einen begehrten Platz an der Tür, um endlich
ein paar schöne Fotos schießen zu können. Gar nicht so einfach, wenn der Zug in
Serpentinen am Abhang entlang rumpelt und man nur eine klapprige Haltestange
hat!