Veröffentlicht: 19.05.2023
Unser Guide, ab jetzt sind das die gelben Engel, nahm uns Punkt 9:00 Uhr wieder in Empfang. Fast unsichtbar begleiten die gelben Engel einem auf der Reise. Bis zum Tunnel hatten wir noch 7 Schleusen und er war davon überzeugt, dass wir noch 6 oder 7 Schleusen weiterfahren könnten. War doch unser Ziel Ligny-en-Barrois, weit außerhalb dessen, was er uns zutraute. Vor dem Tunnel wurden wir dann ein zwei weitere gelben Engel übergeben. Die bereiteten dann den Tunnel für uns vor.
Ca 500 m vor dem Tunnel kam dann die obligatorische Ampel. Bereits vor der Ampel hingen dann so 1-2 m über Gustav zwei Leitungen. Bei näherer Betrachtung konnte ich lesen, „Lebensgefahr, 600 V“. Jetzt hätte gerade noch gefehlt, dass da von hinten die Straßenbahn angefahren kommt.
Zum Glück war ich nicht so verwegen, mit unserem Haken an der Leitungen den Kontakt für die Durchfahrt auszulösen.
Nach kurzer Wartezeit schalteten die Lampen auf Grün, wir fuhren ehrfürchtig weiter, der Kanal war schmal und machte vor dem Tunnelportal eine Kurve. Dann auf einmal öffnet sich die Sicht und das Portal des Tunnels lag direkt vor uns,
Wow, ein schwarzes Loch und diesmal konnte man das Ende des Tunnels nicht sehen. Auf der Beschreibung ist die Strecke mit 4870 m ausgewiesen. Es fing sofort an zu rattern in meinem Gebälk, bei ca. 5 km/h ist das eine Stunde unter der Erde. Dann wechselte mein erster Offizier noch ein paar Worte mit den gelben Engeln, sie übergaben uns noch die Fernbedienung, die fortan bis Schleuse 18 zu verwenden war und Tschüss.
Wir tasteten uns an die Öffnung heran, und siehe da, vor uns lag eine gut beleuchtete Röhre, rechts ein paralleler Steg, links der blanke Beton der Röhre, Tiefgang so um die 2 Meter. Dann ein wenig Hektik unter den gelben Engeln und schließlich erkannten wir, dass der eine von den beiden mit uns zusammen die Strecke fahren wird.
Engel auf Fahrrad also, erst hielt er sich etwas zurück, da aber unser Gustav etwas qualmt, dachte ich, lange wird das der Engel nicht aushalten, es ließ nicht lange auf sich warten, dann fuhr er mit sicherem Abstand voraus.
Wenn mich einer nach der Geschwindigkeit fragt, ich war zu sehr darauf fokussiert, nicht gegen die Bande zu fahren. Mein erster Offizier saß als Gallionsfigur mit der Taschenlampe an der Bugspitze und leuchtete. Nach geschätzten 500 m hatten wir über die gesamte Röhrenbreite einen Wassereinbruch. Der ließ sich aus besagten Gründen auch nicht umfahren, also bekamen wir an dem Tag bereits die zweite Dusche.
Ich schätze mal, dass die Durchfahrt ca. eine halbe Stunde gedauert hat, also 4870 m Schleusenkammer mit ca. 9 km/h.
Am Ende des Tunnels verabschiedete sich unser gelber Engel und entließ uns in die Freiheit.
Natürlich hatten wir zu dem Zeitpunkt weiter unser Ziel vor Augen. Das sollte auch entspannt erreicht werden können, weit gefehlt, was wir nicht einkalkuliert hatten war die Technik der automatisierten Schleusen. Die wollten nicht mit unserer Fernbedienung kommunizieren. An der drittletzten Schleuse mussten wir dann auch wieder die gelben Engel anfordern, das Tor wollte sich nicht öffnen.
Auf die Frage, wie weit wir fahren wollten, haben wir dann auch ehrlich geantwortet. Als Ergebnis kam heraus, dass unser gelber Engel vor uns herflog und die Schleusen bereitstellte. Ich wollte natürlich auch meinen Beitrag leisten und war stinksauer, weil unser Gustav selbst mit 1800 U/min nicht über die 11 km/h hinauswollte. Also habe ich die Hebel weiter nach vorne gedrückt und bei 2200 entspannte sich Gustav und fing an zu gleiten. Davon war ich derart überrascht, macht er das doch normalerweise erst bei deutlich über 2600. Ich nahm dann das Gas wieder leicht zurück um Gustav einzufangen, die Welle, die ich aber hinter uns gelegt hatte, kam eilig hinterher und schob uns Richtung Schleuse.
Kurz und Gut, wir haben es geschafft und sind 2 Minuten vor 18:00 aus der letzten Schleuse rausgefahren.
Direkt danach der Hafen, in der Mitte ein leerer Steg, aber wie kommen wir dahin? Die Algen waren bis 10 cm unter Wasseroberfläche deckend in dem Becken gewachsen, es sah aus als wären wir das erste Schiff in diesem Jahr, welches in den Hafen einfährt. Wir haben es gewagt und wurden sofort von der Hafenmeisterin in Beschlag genommen. Ich hörte auf einmal Heike sagen, “was 40 €, hier bleiben wir nicht“, ich fügte hinzu, „nicht in diesem Dreckloch“. Es hat sich dann aber geklärt, der Betrag war 10 €, 40 Cent, all inklusive. Wir wollten noch ein paar Besorgungen machen, das war uns das die Sache wert.