Veröffentlicht: 06.08.2018
Heute kehren wir dem Hardangerfjord den Rücken. Es gäbe noch so viel mehr zu sehen und so viele Wanderungen zu meistern, aber bei einem Trip bis in den hohen Norden in vier Wochen sollte man nicht den Anspruch haben, alles zu sehen – was ohnehin nicht möglich ist angesichts der Vielzahl der landschaftlichen und kulturellen Sehenswürdigkeiten. Der Entschluss, zu einem späteren Zeitpunkt wiederzukommen und sich auf ein bestimmtes, überschaubares Gebiet im Süden Norwegens zu konzentrieren, ist ohnehin schon gefasst.
Wir verlassen Kinsarvik und fahren zurück über die Hardangerbrücke Richtung Voss bzw. Sognefjord. Ziel der heutigen Etappe ist ein Campingplatz nahe der Nationalparks Jotunheimen und Rondane, wo wir wieder ein paar Wanderungen eingeplant haben. Zunächst geht es die E13 nach Voss. Hier stoßen wir eher zufällig auf den Skjervsfossen, ein weiterer schöner Wasserfall Norwegens, der direkt an einer Straße liegt. Nach Voss geht es auf die E16 Richtung Oslo. Diese überwiegend gut ausgebaute Hauptverkehrsader hat einige Highlights zu bieten. Kurz nach Oppheim, das an einem malerischen See liegt, führt sie durch eine Schlucht mit beeindruckenden, fast senkrechten Wänden, von denen immer wieder Wasserfälle hinabstürzen. Zeitweise zerstäubt der Wind das herabfallende Wasser, was in Kombination mit der sich endlich wieder zeigenden Sonne fast schon magisch aussieht. Nach Gudvangen fahren wir in den Flenjatunnel ein, der ein relativ starkes Gefälle aufweist und 5 km lang ist. Nach diesem Tunnel bietet sich uns der Blick auf ein äußerst pittoreskes Tal am Ende des Aurlandsfjords. Den am Ende des Fjords gelegenen Ort Flåm lassen wir links liegen und verlassen die E16 zeitweise, um dem Brekkefossen einen Besuch abzustatten. Auf dem Fußweg dorthin treffen wir ein sehr nettes amerikanisches Paar, mit dem wir auf dem gemeinsamen Weg zum Wasserfall ins Gespräch kommen. Die beiden machen mit ihrem Ersparten eine Europareise und wollen danach in Schweden Fuß fassen, wo seine Vorfahren vor zwei Generationen herkommen, die das Land wegen der Hungersnot damals verlassen haben. Wir wünschen den beiden viel Glück und verabschieden uns für die Weiterreise.
Bei Aurlandsvangen betreten wir den mit 24,51 km längsten Straßentunnel der Welt, den Lærdalstunnel. Die Passage ist aufgrund ihrer Dauer und der Monotonie der nackten Felswände eine gewisse mentale Herausforderung, obwohl die Erbauer zumindest ein paar Kavernen eingebaut haben, die durch ihre extravagante, bunte Ausleuchtung ein wenig Abwechslung bringen sollen.
Der nächste Halt ist Borgund, wo eine gut erhaltene und stattliche Stabkirche zu besichtigen ist. Diese stammt vermutlich aus der Zeit gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Die Architektur erinnert stark an den Schiffbau der Wikinger – an den Enden der Dachgiebel befinden sich nach Osten und Westen ausgerichtet hölzerne Drachenköpfe, die Dachschindeln erinnern an Fischschuppen. Ebenso spiegeln die in die Fassade geschnitzten Ornamente und die Symbolik das Nebeneinander von zur Bauzeit noch stark existentem „heidnischen“ Glauben und dem in Norwegen damals noch relativ jungen Christentum wider.
Bald nach Borgund verändert sich die Landschaft, es wird wieder alpiner – Jotunheimen kommt näher. Ich komme aus dem Schauen nicht mehr heraus, links und rechts wunderschöne Landschaft, ein wilder Gebirgsbach fließt linkerhand durch eine Klamm parallel zur Straße. Ebenso verläuft anscheinend der alte Königsweg in Etappen an dieser Route entlang.
Nachdem es eine ganze Weile bergauf ging, geht es wieder hinunter in ein Tal mit einem langgezogenen See namens Vangsmjøse, an dessen Ufer unser nächster Campingplatz liegt.
Abends kommt noch starker Wind auf, der das Wasser auf dem See zu Wellen mit weißen Kämmen aufpeitscht und einen empfindlichen Temperatursturz mit sich bringt. Um draußen gemütlich sitzen zu können, müsste man jetzt schon Winterkleidung anziehen.
Diese Nacht friere ich in meinem Schlafsack, und ich war der festen Überzeugung, er würde für Norwegen im August ausreichen.