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Tag 3: Nicht nur die Leichen brennen

Veröffentlicht: 13.07.2016

3.7.2016


Die Nacht vergeht für mich wie im Schlaf ..äh Flug… nein wirklich… obwohl es keine Klimaanlage gibt und ich mit meinen zwei Damen in einem Doppelbett verweile schlafe ich wie ein indischer Mönch beim meditieren. Die beiden Grazien neben mir leider gar nicht. Offensichtlich ist es ihnen zu heiß. Naja, ich bin wohl heiß.

Obwohl die Mädels nicht zur Ruhe kommen schaffen wir es doch unseren Wecker zu überhören –Was unlogisch ist wenn man nicht schläft. Naja egal! Um 5:30… die Sonne ist schon längst aufgegangen… stellen wir 2 Dinge fest. 1. Das wars für heute mit der Bootstour. 2. Montezumas Rache hat bei mir zugeschlagen. Und zwar heftig. Das Positive daran. Man legt mit der Zeit jeglichen Ekel vor indischen Klos ab. Das schlechte: naja.. eh wissen! In diesem Moment brenne ich eher weniger auf neuerliche Klobesuche oder scharfes Essen. (Doppeldeutigkeit!)

Währenddessen genießt Hetti die Ruhe und den Wind auf der Terrasse, unsere Finanzministerin (gegendert nach Wunsch derselben) Gudi ist zwar müde, sucht aber statt zu schlafen nach Möglichkeiten der Selbstgeißelung, um die verlorenen 200 rp – wegen verpasster Bootstour - zu sühnen.

Nach einem Good – morning Chai spazieren Gudi und ich am Ganges Ufer entlang. Hetti bleibt liegen. Was wir hier sehen ist…und ich bin einiges gewöhnt und eigentlich schon durchaus Indien affin… heftig. Sich im Ganges waschende Menschen bzw. Badende und Wäsche waschende Leute sind ja eine Sache. Dass sie dies aber tun, während 3 m neben ihnen eine aufgedunsene Leiche schwimmt (die Inder gehen hier her zum sterben – dazu später mehr) ist weit weg von jeglicher, westlicher Logik- oder irgendeinem Hygienebewusstsein, aber so etwas liegt den Indern wohl weniger in den Genen. Dafür aber ein Immunsystem in dem Antibiotika offensichtlich schon integriert sind.

Ansonsten sehen wir unglaublich viele Inder verschiedenster Art. „Heilige“ (weißer Bart, Oranges Gewand, Sonnengegerbt, nichtstuend), Yoga – Treibende, Alte Männer mit unglaublich langen Bärten beim Zeitung lesen, Schlangen (Kobra) Beschwörer. Ich spiele mit kleinen Kindern ein bisschen Fußball, da ich aber aus Österreich komme gewinnen sie sehr bald. Zur Belohnung kommt ein Mann her und massiert mir die Hände.. oh Gott das ist angenehm. Kurz überlege ich Gudi in seine Lehre zu schicken.

Prinzipiell stellt sich das Ufer mit seinen berühmten Stufen als sehr interessant und durchaus angenehmer als Delhi dar. Zwar wird man viel angesprochen, das Wort „Nein danke“ ist allerdings – im Vergleich zur Hauptstadt – im Wortschatz und Verständnisbereich der Varanasier vorhanden- meist. Einzig die Sache mit der Leiche lässt uns etwas schlucken und ich mache mir ernsthaft Gedanken über die Herkunft des Wassers, dass in meinem Chai landet. (Habe nachgelesen, es kommt zu 70% aus dem Ganges – ich bin nun auf Radikaldiät).

Indien ist spontan – so auch Babu (der Verkäufer vom Vortag). Auf einmal steht er vor uns und will uns unbedingt die Burning Ceremony zeigen. Wir gehen mit. Eine Leiche pro Tag ist uns anscheinend zu diesem Zeitpunkt nicht genug. Die Ceremony ist eine echt heiße Sache – doppeldeutig gesehen.

Kurz was wir hier gesehen haben, danach einige Infos zu Kultur und spirituellen Aspekten.

Unser Guide übergibt uns einem alten Mann, der sich als Leichenbestatter vorstellt, aber gutes Englisch spricht. Der Mann erklärt mir unglaublich genau, was mit den Toten gemacht wird. Während dem Gespräch stehen wir keine 5m neben einem Feuerplatz, ich kann noch 2 Füße erkennen, wobei einer sich (ich nehme an durch die Hitze) zu bewegen scheint, was innere Unruhe in mir auslöst. Nachdem ich die 15- minütige Infoveranstaltung genossen habe und mehr schwitze als nach einem Besuch einer Sauna (die Kombo Temperatur – Totenhitze – Gefühlschaos ist wohl schweißtreibend) führt mich der Alte quer über Asche und undefinierbares Verkohltes zu einer Feuerstelle. Dort segnet er uns mit dem seit 3500 Jahre brennenden Feuer des Shiva (gerade regnet es wie verrückt, ich muss nachher nachsehen ob das Feuer noch brennt) Er knöpft uns 500rp ab, um Feuerholz zu kaufen… na meinetwegen - alles für die Toten. Gudi sitzt während dem Vortrag des Leichenbestatters übrigens am Rand, muss sich aber fast übergeben, als sie sieht, wie ein Hund auf einem Knochen kaut – woher der Knochen kommt ist leider ausrechenbar. Bald flüchten wir uns in unser Hotel, müssen alles setzen lassen und kurz durchschnaufen.

Zu den interessanten kulturellen Fakten:

- 1kg Holz kostet 480 – 1200 rp (für die Reichen: Sandlewood um 17000).

- Um ein Feuer zu machen braucht man 150-200 kg à eine Verbrennung koset ca. 200.000 rp – was so 3000€ sind – eine unvorstellbare Summe hier.

- Viele können sich das nicht leisten und schmeißen ihre Leichen so in den heiligen Fluss.

- Die Totenzeremonie erfolgt so: der älteste Sohn (Vater), jüngste Sohn (Mutter) bzw. Ehemann (Ehefrau) ist der Zeremonienmeister. Er geht zum Ganges, rasiert sich alle Haare ab (inkl. Bart und Augenbrauen) und bekommt spezielle Gewänder. Nachdem der Angehörige mit 7 Mitteln befüllt wurde (der tote Angehörige natürlich) beginnt eine 2 -3 stündige Verbrennung. Die Angehörigen gehen 5 Mal ums Feuer herum (5 Elemente). Am Schluss werfen spezielle Leichenbestatter die Hüftknochen der Frauen bzw. die Brustbeine der Männer in den Fluss, da diese nicht so schnell verbrennen.

- Nach 10 Tagen Feierlichkeiten (bei denen sich der Zeremonienmeister nicht umziehen darf und auch niemanden berührt) kommen alle Personen wieder, rasieren sich Alle die Haare ab und gehen, ohne noch einmal zurückzusehen. So wird die Verbindung des Toten zu den Lebenden gekappt. Ja nicht zurücksehen!

- Frauen sind im Allgemeinen nicht zugelassen, ihre Tränen lassen das Feuer versiegen.

- Die Leichenbestatter durchsuchen die Asche nach Gold und anderen Habseligkeiten.

- Normale Menschen werden an anderen Plätzen als Reiche oder Politiker verbrannt.

- Heilige, Unter – 12 Jährige und Schwangere werden nicht verbrannt. Sie gelten als unschuldig bzw. heilig.

- Tote durch Kobrabisse werden ebenfalls nicht verbrannt.

- Die Körper die von der Verbrennung ausgeschlossen sind werden einfach nur an einen Stein gebunden und versenkt.

Nach der Zeremonie holt uns Babu ab und ich habe die Ehre, eine Hose und einen Schal in seinem Geschäft zu kaufen. Nun sehe ich wie ein echter Backpacker (Gudi sagt wie ein echter Saudi) aus. Ich bin glücklich, Babu ist glücklich, der Finanzminister ist skeptisch.

Im Allgemeinen sei erwähnt, dass sich Varanasi, obwohl es wesentlich aufregendere und verstörendere Bilder zeigt, angenehmer als New Delhi ist. Dies kann am Wegfallen des permanenten Straßenlärms oder der Hektik liegen, die Möglichkeit, in die Oase unseres Hotels zu flüchten trägt aber sicher einiges dazu bei. True India is good and pure fascination – but better in small doses.

Zu meiner anfänglichen Skepsis bezüglich der Abzocke und der Touristenmaschinerie: Ich habe mittlerweile verstanden, dass die Menschen hier definitive spirituell sind und uns nichts vorspielen. Um kein Geld der Welt würde irgendjemand diesen Fluss betreten wenn er es nicht tief in sich als heilig betrachten würde. Ich denke mittlerweile, dass die Hindus hier uns Europäer als Geldquelle sehen. Definitiv fehlt ihnen der Bezug zu unserem Geld. Teilweise werden Summen gefordert, die absolut abstrus sind (Bootsfahrt um 100€/Std.). Zu Frauen haben sie kaum Bezug. Höchsten ein 20tel der Menschen auf der Straße sind Frauen, meine Damen werden permanent sehr ungläubig angestarrt und fotografiert, was wir mit zurück fotografieren quittieren. Der gestrige Tempelbesuch ärgert mich immer noch. Zwar war es, wie heute, eine reine Touristenabzocke, doch hatte ich heute wirklich ein Erlebnis, viele Blicke und Eindrücke. Gestern kam es mir vor wie eine Zwangssituation von der ich auch nichts hatte –fast wie ein Raub. Das ist auch der Grund dass ich nicht einfach ging, es war schlicht fast unmöglich.

Nun regnet es. Ich sitze hier, schreibe diese Zeilen und denke über die Ungerechtigkeit des Lebens nach. Wie kann es sein, dass wir so viel haben, die Menschen hier aber nichts. Und wie kann es sein, dass ich einem Mann mit etlichen Tumoren im Gesicht kein Geld gebe, aber 500 rp. für verdammtes Feuerholz. Indien ist nicht leicht zu verstehen, auch die eigenen Reaktionen auf es sind es nicht.

Den weiteren Nachmittag lasse ich mich dazu hinreißen, mit meiner Entourage Karten zu spielen. Das Spiel Wizard ist offensichtlich etwas für Hochbegabte, da ich beim zweiten Versuch schon gegen meine beiden Mädels gewinne (obwohl sie das Spiel seit Ewigkeiten kennen…hussa!) Ansonsten vertreiben wir uns den Tag mit essen, lesen, diesen Bericht schreiben und schlafen. Bis auf das Lesen und Schreiben eigentlich genau wie die Affen und Kühe hier. Unglaublich viel schlafen. Ich könnte ständig schlafen. Die ganzen Eindrücke lassen sich im Schlaf am besten verarbeiten. Irgendwie fühle ich mich in den letzten zwei Tagen (dank unseres Rückzugsorts) wie ein Lichtschalter. Nachdem ich 100% gebe und alles in mir aufnehmen will, bin ich nur noch müde und schlafe fester als das Kalb der Kuh vor unserer Haustüre, das ich Berta getauft habe. Nur anbei bemerkt, die Kuh hat Ohren wie ein Dackel, was mich täglich mehrere Male durchaus erheitert. Und in ihrem Gesicht sind keine Sommersprossen (was man fast annähmen könnte), es sind unglaublich viele Fliegen. Außerdem gibt es eine Ziege, der offensichtlich die Stadt gehört, da sie den ganzen Tag auf ihrem Aussichtspunkt steht und dabei sehr royal wirkt wenn sie auf das gemeine, indische Volk herabblickt.

Am Abend gehen wir zur täglichen Feier des Gottes ??? am Hauptghat (ein Ghat ist ein Stiegenabgang zum Ganges mit einem Platz, viele Götter haben solch einen, ich will sowas auch). Hier sind Unmengen von Menschen und es kommt gewisse Jahrmarktstimmung auf. Ein Mann verkauft leuchtende Kuhhörner, ein anderer Zuckerwatte. Daneben hört man aus Lautsprechern Gebete und Zeremonien. Das ganze wäre natürlich nicht Indien, wenn dazwischen nicht Kühe liegen würden. Unmengen an Kühen. Riesige Bullen. Bei Nachfrage, ob diese denn nicht auch aggressiv werden würden, wird von allen Seiten bejaht. Na fein. Dachte ich bin in Varanasi, nicht in Pamplona. Auch sonst muss ich sagen, dass es recht witzig ist, wenn eine Kuh eine enge Gasse besetzt und im Mistkübel nach Futter sucht. Das vorbeipressen an derselben (verschiebe in Indien nie eine Kuh, sie steht in der Nahrungskette definitiv über dir) ist allerdings nicht ganz so lustig.

Permanent kommen Männer vorbei, die an meinen Händen herummassieren und mir um 20rp (ca. 30 Cent) eine 6 minütige Massage anbieten. Ich muss gestehen, wenn das nicht so ekelig wäre, ich würde sofort zustimmen. Diese unfreiwilligen Handmassagen sind der Wahnsinn, trotzdem schlage ich die Angebote lange aus. Irgendwann werde ich dann allerdings doch weich, was zur Folge hat, dass ich ziemlich hart werde. Muskeltechnisch gesehen. Die Massage, die direkt auf den Stufen erfolgt, ist nicht nur ein gegenseitiger Austausch von Schweiß, auch versucht sich der vermeintliche Masseur im osteopathischen Gebiet zu profilieren. Wo es eigentlich nichts zu profilieren gab. Dies schlägt daher eher in die gegenteilige Richtung aus. Nackenschmerzen. Und ich darf nicht jammern, da Gudi mir genau dies prophezeit hat. Doppelt schlimm. Ein Drama. Seufz.[1]

Am späteren Abend versuchen wir uns durch die Altstadt unseren Weg zum berühmten Blue Lassi Shop zu bahnen. Gar nicht so leicht. Der Weg entpuppt sich als Spießrutenlauf. Wäre dies ein Computerspiel wären wir schon einige Male „Game Over“. So aber schaffen wir es immer wieder verschiedene Gegner wie Motorräder, Fahrräder, Menschengruppen, Kühe, Ziegen, Hunde und diverse Exkremente (welche bei Supermario mit Sicherheit die Bananen wären) zu bezwingen. Der Endgegner ist allerdings eine Gruppe von ca. 30 Menschen, die genau als wir vor dem Ziel – dem Blue Lassi Shop – stehen, laut schreiend und singend durch die Straße marschieren, fast laufen. Vier von ihnen schleppen eine geschmückte Bahre auf ihren Schultern. Meine Fresse, wurde da gerade ein Toter an uns vorbeigetragen. Und sollte der nicht am Ufer vor sich hin brutzeln…wahrscheinlich danach (ja diese Formulierung ist pietätslos – man legt hier so manches ab). Indien überrascht immer wieder. Den Endgegner können wir jedenfalls nicht mehr überwinden. Genervt, und gar nicht mehr so fasziniert vom 80 Lassis umfassenden Shopangebot kehren wir um. Kleine Anmerkung an dieser Stelle. Dieser Shop bietet auch Bangh Lassis an. Diese bestehen aus Unmengen an Haschisch und ähnlichen Wunderblättern. Sollen ziemlich heftig sein. Wir trauen uns da nicht drüber. Erstens ist Varanasi so schon recht viel und ich bin sowieso der Meinung, dass demnächst die Cholera bei mir ausbricht. Zweitens raten sogar einige Inder davon ab. Drittens würde ich einen Konsum hier ganz sicher nicht aufschreiben – liebe Grüße an die Großeltern und Mamas in meinem Verteiler.

So geht es nach Hause, wo ich wieder wie ein junger Gott wegnicke und kein einziges Mal aufwache. Schön langsam gewöhne ich mich an die horrenden Temperaturen in meinem Zimmer. Die Inder schlafen eigentlich meist auf Matratzen im Freien. Wir wollen das aber nicht so gern – die Mädels jedenfalls nicht. Hetti kann nicht einschlafen. Schade – das macht sie morgen Früh sicher ganz schön grantig.


[1] NEIN!!! Die Rede ist hier von einer Rückenmassage, auch wenn die Formulierung dieser Geschichte im Nachhinein betrachtet etwas anders klingt. An dieser Stelle ein Danke an meine Lektoren Gudi und Hetti – ich schreibs trotzdem.

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