Mit Geschichte(n) um die Welt
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West Coast Trail auf Vancouver Island - Was für ein Weg!

Veröffentlicht: 16.09.2023

Ich weiß nicht, wie ich die letzten Tage zusammenfassen soll. Oder überhaupt jemandem, der nicht dabei war und Tage und Nächte am Strand verbracht hat, verständlich machen kann, was ich erlebt habe.

Ich habe so viel zu berichten; 

und gleichzeitig auch wieder (im positiven Sinne) nichts. 

Möchte ich das überhaupt mit jemanden teilen? Einfach ins Blaue schreiben ohne zu wissen, wer oder wann es je lesen wird?

Oder ist es sowieso eher nur für mich? Und ist es zudem nicht ohnehin so, dass kaum nachvollzogen werden kann, was jemand anderes irgendwo weit weg oder auch nah dran erlebt? Distanz gibt es immer, egal, um was es geht; und morgen werde ich vielleicht – oder ganz sicher – schon anders über das Erlebte sprechen als heute; oder als ich es gestern getan hätte.

Will sagen: Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so raus war;

so draußen,

so draußen-draußen im wahrsten Sinne des Wortes;

so völlig absorbiert

mit mir,

den Wellen, Wasser, Wind;

Sand und Steinen;

Sonne, Regen, Nebel, Wolken;

Wellenrauschen;

Sternegucken;

und nur wenigen Menschen, dafür mit vielen Tieren und Bäumen; Wurzeln, Urwald, Waldweg, Klippen, Felsen, Muscheln, Seesternen; Lachs, der aus dem Wasser springt.

Gefühlen;

dem Zurück- und Vorausdenken und dabei denken, dass ich nicht denken möchte, einfach nur da sein will.

Und dann trotzdem diese Gedankenblitze: 

„Wo will ich eigentlich hin?“; „Wie will ich sein?“; „Wo will ich eigentlich leben?“; „Wie will ich leben?“; „Was brauche ich um eine so tiefe Ruhe und Entspanntheit zu spüren? Zum glücklich sein?“ Gedanken halt, die man so hat, vor allem, wenn kein Handyempfang, kein Netz und eigentlich Nichts und doch sehr viel um einen ist.

Ich kam für mich (wieder) darauf zurück: „Genau das hier, wenn ich auf’s Meer gucke.“ Einfach so, ins volle Nichts

bis an den Horizont;

Wellen anschauen;

Wale vom Strand aus beobachten, mal allein, mal mit anderen – wie Buckelwale ins Meer abtauchen, die Schwanzflosse zeigen, dann wieder irgendwo etwas weiter Luft holen, ein-, zwei-, dreimal und wieder abtauchen; Grauwale, in einer Bucht; Orcas von Weitem am Strand bestaunen.

Schon immer war ich von Walen fasziniert. An den Küsten vor Vancouver lebt etwa 30 Prozent der weltweiten Buckelwalpopulation. Es ist fast nie schwer, welche irgendwo zu sehen. Und wenn nicht diese, dann gibt es viele weitere andere Walarten. Ich finde Wale sind mit die faszinierendsten Tiere, die es gibt; und die ich je gesehen habe. Nicht nur in einem Boot zum Wale anschauen, sondern einfach am Strand sitzen, abwarten, geduldig sein, Ausschau halten. Und dann der kurze Moment; ein, zwei Augenblicke und abtauchen. So majestätisch!

Dazu: die Füße im Sand, Wind um die Ohren, den Rucksack auf dem Rücken; frische, klare Luft in der Nase,

Abgeschiedenheit.

Ich wiederhole mich: ich liebe das Meer; oder noch viel präziser: die Wellen, das Wellenrauschen, den Wind, die Gischt und wenn ich dann noch daran vorbeiwandere und meine Füße, meinen Körper, den Rucksack auf dem Rücken spüre, kann ich nicht sagen, das mich irgendetwas glücklicher machen könnte oder mich sorg- und sorgenlos, glückselig, frei fühlen lässt.

Der West Coast Trail stand für mich sehr weit oben auf der Liste für meine freie Zeit in Kanada.

Dass ich das machen wollte war klar; seit Jahren. 

Die Frage war nur wann und wie, mit wem. Vor etwas weniger als fünf Jahren hatte ich einen Kanadier auf der Zugfahrt zwischen Sydney und Perth kennengelernt. Recht schnell war er sich sicher, dass der West Coast Trail genau meins sein würde.

Wir verstanden uns gut.

Er wollte mich in Deutschland besuchen.

Das stand für mich außer Frage. 

Wenn dann komme ich dahin, wo er ist – oder woandershin – , nicht umgekehrt.

Ich habe Flüge gebucht. Nach Kanada wollte ich ohnehin schon immer;

und mich hatte die Neugier gepackt, nach allem.

Kurz vor Abflug ging die Airline pleite. Der Flug ging nicht. Ich verstand das als Zeichen: „Nicht jetzt. Nicht dorthin.“ Doch bestimmt irgendwann auf den West Coast Trail. Das blieb in meinem Kopf und von der kanadisch-australischen Bekanntschaft.

Der West Coast Trail 75 Kilometer entlang der Westküste von Vancouver Island, durch den Pacif-Rim National Park. Er gilt als ein beliebter und schwieriger Wanderweg. Einige Tage geht es durch unwegsames Gelände. Vor allem das Wetter ist nicht zu unterschätzen, es regnet viel, oft ist es neblig und das Wetter schlägt schnell um, dazu die Gezeiten; viele Leitern, Brücken, Klettereinheiten, hoch und runter entlang der Küste und durch den Wald. Der Küstenstreifen erhielt den Namen „Friedhof des Pazifiks“, denn hier strandeten vor allem im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts viele Schiffe; Seeleute, Passagiere kamen ums Leben. Für die First Nations, die indigenen Völker der Huu-ay-aht, Ditidaht und Pacheedaht, war und ist die wild-wunderschöne Küste das Zuhause. Heute arbeiten die Hiesigen mit dem kanadischen Nationalpark eng zusammen, viele Jahrzehnte war das nicht so. So kamen Kolonialisten und gingen davon aus, das Land einfach neubevölkern zu können, wollten Hotels errichten, wollten bewirtschaften, siedeln, das Land und die Küste verändern. Spuren davon sind noch heute zu spüren und zu sehen, eben auch die entlang einer alten Telegrafen-Leitung, heute Teil des West Coast Trails. Bei Schiffsunglücken war Hilfe weit weg und auf alten Wegen von indigenen Völkern wurde ein Pfad durch den Urwald angelegt; ein paar Schutzunterkünfte, Leuchttürme und versucht Vernetzung entlang der Küste herzustellen. Nach einer der schwersten Schiffsunglücke, dem Untergang der SS Valencia im Jahr 1906, versuchte die kanadische Regierung den Weg (weiter-) auszubauen. Nach nicht einmal dreißig Kilometern wurde dieses Unterfangen abgebrochen; zu schwer, zu anstrengend, zu unwegsam; und dazu verbesserten und erweiterten sich mit der Zeit die Marinenavigation, der technische Fortschritt; Schiffsunglücke wurden weniger. Das Projekt verlor an Bedeutung.

1968 habe er das erste Mal einem Wanderer geholfen übers Wasser zu kommen und den Weg weitergehen zu können, erzählte uns ein Ditidaht, der heute Fährmann, Betreiber einer kleinen Fischhütte und einiger kleinerUnterkünfte ist. Den Namen „West Coast Trail“, Westküstenpfad, erhielt der Weg etwa 1970.
Es stand also seit Jahren auf meiner „Möchte-ich-gern-einmal-machen-Liste“. Ende 2019/Anfang 2020 unternahm ich einen neuen Versuch. Da empfohlen wird diese Mehrtagestour nicht allein zu machen, buchte ich eine Tour. Dann kam etwas dazwischen, was einige Jahre anhielt. Vom damaligen Besitzer von Sea to Sky Expeditions erhielt ich die Rückmeldung, dass (natürlich) nichts gehen würde, die Anzahlung aber ein Leben lang halten würde. Ich dachte: wann soll ich da denn nochmal hinkommen? Das ist weit weg. Ich möchte mittlerweile für meine Arbeit woandershin: Polen, vielleicht Ukraine, Australien war die große und auch verrückt-geile Idee; Kanada liegt da nicht auf dem Weg, dachte ich. Es geriet etwas in Vergessenheit und trotzdem habe ich immer mal wieder darüber nachgedacht; mit wem und wann, ich das machen könnte und die eine oder andere Doku über Wale hat mein Fernweh doch immer einmal wieder angefeuert.

Als sich herausstellte, dass es funktioniert – Australien – mega! - und dann auch noch via Kanada mit all den geplanten Archivaufenthalten, dachte ich nicht nur einmal: OK, aller guten Dinge sind drei. Und gleichzeitig: Na, ob das funktioniert? Was würde diesmal „dazwischen“ kommen?

Lange Rede, kurzer Sinn: auf den West Coast Trail habe ich lange gewartet und ohne es zu wissen, hat mir die Zeit und der Weg und das Gruppenerlebnis auch geholfen, manche Erlebnisse der letzten Monate und Jahre zu reflektieren, vielleicht auch mich selbst ein Stück weit (noch) besser zu verstehen.

Trotzdem – oder besser und viel richtiger – gerade deswegen: die ersten Tage waren nicht unbedingt so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich wünschte mir Ozean, Wellen, Wind und Wale, das Gefühl von großer Freiheit.

Ich habe mich auf die Wanderung – und auch die Kleingruppe von acht Personen - gefreut; war gespannt, wer noch dabei sein würde, bei einer langen, mehrtägigen und als schwierig angesehenen Wanderung mit viel Wildnis, Tieren, Zelt, Gepäck und Hinweisen, dass man/frau dies eher nicht allein machen sollte.

Die ersten Tage ging es durch den Urwald, schwieriges Gelände, kaputte Brücken, Wege, Leitern hoch und runter; und eine Gruppe mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Erfahrungen. Dazu die Gezeiten. Wir nahmen daher den Wald anstatt des Wassers und im dunklen, zugewachsenen Urwald, alle hintereinander weg, alle nahmen die gleichen Schritte… – es dauerte bis ich begriff, dass mich das fertig macht, mich regelrecht gefangen fühlte; ich nicht zum Marschieren hier sein wollte, sondern – vielleicht ist es zu sehr in meiner Natur – nicht einfach nur hinterherlaufen wollte. Ich hatte zwischenzeitlich regelrecht das Gefühl von großer Ungerechtigkeit, dass ich nun vom Wasser „abgehalten“ werden würde und dabei zog es mich so sehr dorthin. Ich fühlte mich in manchen Momenten zurückversetzt in meine eigene Vergangenheit, völlig andere Situationen, beruflich, familiär, persönlich - und es hört sich an als sei ich 80, ich weiß. Ich kam nicht umhin, in manchen Situationen durch den Wald und "wieder atmend" am Strand einfach nur weinen zu wollen; und zu müssen. 

Es dauerte etwa einen Tag, Leitern hoch und runter, wackelige Brücken und rutschige Baumstümpfe wie Wurzeln zu überklettern bis ich begriff, dass ich Platz und Weite, Freiraum brauchte und nicht den dunklen Wald, nicht dieses Laufen in Formation. Was für eine Erfahrung. Und rückblickend auch total schön.

Ich war – und bin – mehr als beeindruckt von den beiden Guides Leah und Tim, die krasse Führungspersönlichkeiten sind, immer ein Lächeln auf den Lippen hatten, genau das machten, wofür sie brannten - draußen sein - und eine Gruppe mit absolut unterschiedlichen Vorerfahrungen, Herkunft, Alter und Lebenssituationen zusammenbrachten und bringen konnten. Ich konnte gerade von ihnen sehr viel lernen und bin dankbar für diese Erfahrung.

Was auch immer dieser Weg für andere ist. Ich fand es toll. Und möchte wieder zurück.

Mittlerweile bin ich fast schon dankbar, dass mir die Küstenstrecke zwischen Thrashers Cove und Camper Bay „fehlt“, ich für mich diesen Weg irgendwie noch nicht beendet habe. Ich möchte dahin zurück, erneut unterm Sternenhimmel, im Zelt am Wasser mit Wellenrauschen einschlafen und wieder aufwachen, die Füße spüren bis sie taub sind, auf den Schultern meinen Rucksack haben. War das eine Wandererfahrung.

Sea-to-Sky gehört mittlerweile zu Coastal Bliss Adventures. Absolut empfehlenswert!

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