Mit Geschichte(n) um die Welt
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Folklorama in Winnipeg

Veröffentlicht: 23.08.2023

Das größte und am mittlerweile längsten stattfindende, multikulturelle Kulturfestival der Welt findet in Winnipeg statt. Seit 1970 gilt das Folklorama als ein jährliches Sommerhighlight der Stadt. Mittlerweile ist es so erfolgreich und groß, dass das Format auf zwei Wochen ausgedehnt wurde.

“Celebrating diversity and promoting cultural understanding.” - “Vielfalt feiern und kulturelles Verständnis fördern.” - so heißt die selbst gegebene Mission von Folklorama. In den jeweiligen Pavillons gibt es oft eine Mini-Ausstellung zur Kultur der jeweiligen ethnischen Gruppe, viel Essen und Trinken und eine Show, die zumeist zwei- bis dreimal am Abend stattfindet. Es treten vor allem - jedenfalls an den Orten, an denen ich war - Tanzgruppen von jung bis alt auf sowie Musiker:innen in traditioneller Kleidung.

Folklorama möchte die ethnisch-kulturelle Vielfalt der Provinz Manitoba, dessen Hauptstadt Winnipeg ist, durch Unterhaltung und öffentliche Feierlichkeiten zu Kultur und Bildung fördern. Zudem soll ethnisch-kulturellen Gemeinschaften die Möglichkeit gegeben werden, ihre immaterielle Kultur zu fördern, zu feiern und anderen zu zeigen. Zum großen Teil beruht dies auf der Arbeit von Freiwilligen, die das zweiwöchige Festival vorbereiten und die jeweiligen Pavillons bespielen. Ein weiteres Ziel, das offiziell von Folklorama verkündet wird, ist die Stärkung eines Zugehörigkeitsgefühls.

Traut man den Angaben des Festivals, besuchen mittlerweile über 440.000 Menschen die verschiedenen Pavillons - wovon jedoch die meisten Menschen nicht nur einen, sondern mehrere Pavillons besuchen. So auch ich: zwei Wochen, fünf kulturelle Pavillons, die über die ganze Stadt verteilt sind. Häufig werden - da Sommerferien - Schulgebäude, Aulen und Sporthallen genutzt.

Anstehen gehört beim Folklorama dazu. Viele Shows sind ausverkauft.
Die Mini-Ausstellung im polnischen Pavillon.

Was ist politisch?

Politik darf offiziell bei den Shows und in den Ausstellungen der jeweiligen Gruppen keine Rolle spielen. Der Fokus soll ausschließlich auf Kultur liegen. So kommt auch der Krieg gegen die Ukraine in den beiden ukrainischen Pavillons nicht oder besser nur im Hintergrund und für 'Eingeweihte' vor. Neben der kanadischen Nationalhymne wird auch die ukrainische gesungen - was als (hart an der Grenze, aber doch) unpolitisch gilt. Im Kyiver Pavillon wird einmal am Anfang Слава Україні! – „Slava Ukraini” (Ehre/Ruhm der Ukraine) -von der Bühne gerufen. Es ist eine mittlerweile gängige Begrüßung und gilt vor allem seit Beginn der Vollinvasion 2022 als Ausdruck des Widerstandes. Auf vielen Demos 2022 konnte man das auch in Deutschland hören. Die Antwort „Героям слава!“ – „Heroiam slava!” (Ehre/Ruhm den Helden) – darf zumindest die Moderatorin auf dem Winnipegger Folklorama nicht rufen. Das sei wiederum zu politisch, so Folklorama. Im letzten Jahr, 2022, hatten die ukrainischen/Kyiver Veranstalter:innen nicht einmal “Slava Ukraini” nutzen dürfen. Spenden dürfen nur für humanitäre Gründe gesammelt werden. Dass der Krieg 2022 beim Folklorama quasi ausgeklammert wurde, führte zu vielen Diskussionen, denn die ukrainische Diaspora in Winnipeg ist groß. Dass man in diesem Jahr nun zumindest „Slava Ukraini” auch auf der Bühne sagen dürfe, sei da schon etwas - und aus dem Publikum kommt „Heroiam slava“ natürlich trotzdem zurück. Für diejenigen ukrainischen Kanadier:innen mit denen ich spreche, ist das eine absurde Diskussion, denn politisch, gar nationalistisch sei der Ausruf für sie nicht. Läuft gerade auf der Bühne nichts, hört man im Hintergrund ukrainische Lieder, wie 'U mene nemaje domu' (Ich habe kein Zuhause) von Odyn v kanoe, Один в каное - У мене немає дому. Das Lied gab es zwar schon vor 2022, ist aber gerade im letzten Jahr noch einmal viel bekannter geworden und die Onlineabrufe im Februar und März 2022 waren enorm. Viele derjeniger, die kein Ukrainisch sprechen oder das erste Mal Kontakt zur ukrainischen Diaspora haben, essen Borscht, trinken Bier, lachen; bei anderen in ukrainischer Tracht bemerke ich Tränen.

Unweigerlich muss ich an den Eurovision Songcontest denken. Auch da soll, zumindest offiziell, Politik keine Rolle spielen. Für die, die mitmachen und wirklich hinhören, ist das jedoch oft sehr anders.

Ukrainischer Winter im Winipegger Sommer.

Im Deutschen Pavillon

Um es vorweg zu nehmen: ich fühlte mich hier sehr fehl am Platz. Als gebürtige Brandenburgerin, die einige Jahre in Thüringen, noch mehr in Hamburg und nochmal mehr in Bayern verbracht hat, war dies eine absolut absurde Erfahrung. Kenne ich Deutschland vielleicht einfach nicht gut genug oder ist da etwas an mir vorbeigegangen?

Die Tische mit Plastiktischdecken in Bierbankoptik, Weißbier aus der Flasche oder alternativ im Plastikbecher; eine „Deutsche Kombiplatte“, bestehend aus Bratwurst, Schnitzel, einen Löffel Rotkohl, einen Löffel Sauerkraut, Kartoffelbrei und ein paar Nudeln. (Das Essen war so lala.) Auf der Bühne Jodeln und Lieder aus „The Sound of Music“ - was in Salzburg spielt und in Deutschland heute kaum bekannt ist, aber eben in Nordamerika (und Asien), weshalb die ganze Halle diese Lieder mitsingt. Ich kenne diese Liedtexte nicht auswendig, was wiederum meine Tischnachbar:innen mehr als irritierte.

Danach eine Art moderne Reise durch Grimms Märchen; der Abschluss - und angekündigt als Folklorama-Highlight - Ballermannschlager.

Oje! Das war in weiten Teilen arg grotesk.

Der "Biergarten" im deutschen Pavillon.

Bei den anderen Pavillons bin ich vielleicht gnädiger, kann Folklore und kulturellen Kitsch wesentlich besser ertragen, ja finde manches sogar schön und/oder interessant. Vor allem die kubanische Show und die Tänzer:innen plus Piña Colada in der Hand haben mit meinen Zufallsbekanntschaften viel Spaß gemacht. Vielleicht konnte ich die kubanische Musik etc. aber auch deshalb mehr genießen, da ich vom Land und der Kultur keine Ahnung habe. Die Tänzer:innen hatten enorme Freude und es sprang auf alle im Saal über; die ukrainischen Tanzgruppen, egal ob im Lviver oder Kyiver Pavillon, waren ebenfalls hochprofessionell, da saß alles. Folklorama ist auch für viele Tanzschulen eine Möglichkeit, neue Interessierte zu werben und Auftritte vor sehr viel Publikum zu haben.

Die kubanischen Tänze waren für meine Handykamera zu schnell.

Die deutschen Tänzer:innen wirkten auf mich sehr gezwungen. Soweit ich das überhaupt beurteilen kann, war die Blaskapelle gut. Die Show ging 30 Minuten. Ich war froh woandershin zu kommen.

Eigentlich hatte ich nach all dieser zum Teil kitschigen und gestellten 'kulturellen' Erfahrung genug von Folklorama, aber da war noch was. Eine Einladung der polnischen Community, die hier in Winnipeg kleiner ist als die ukrainische. Auch der polnische Pavillon ist fester Bestandteil des Winnipegger Kulturfestivals. Also: auch dorthin auf Piroggi, Naleśnik und ein Tyskie. Hier war das Essen der Wahnsinn und vor allem die Zweitklässler:innen einer polnischen Schule sehr süß.


Nachtrag:

Kulturelle Festivals scheinen im Sommer der Hit in Kanada zu sein. Keinen Tag in Edmonton und ich befand mich beim Muslim Heritage Festival, dem Festival des muslimischen Kulturerbes, wieder.

Zwei Städte und über 1.000 km weiter: auch in Edmonton kulturelle Festivals.


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