Mit Geschichte(n) um die Welt
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Human Rights Museum, das Museum der Menschenrechte in Winnipeg

Veröffentlicht: 18.08.2023

Das ist keine Ausstellung. Und auch kein Museum. Das ist ein Art Piece, ein Kunstwerk, und das in vielerlei Hinsicht.

Hier hatte jemand Visionen - das wird schon in der Architektur des Hauses klar. Es ist beeindruckend. Das Museum ist riesig und hat viel Platz: lange Gänge, Wege, Licht und auf der dritten Etage einen Steingarten zum Ausruhen und Nachdenken.

Die Ausstellung bzw. Ausstellungen sind groß und vielseitig, mit enormem Input gerade in den digitalen Vertiefungen.

Der erste Ausstellungsraum zur Geschichte der Menschenrechte - eine Zeitleiste mit digitaler Vertiefung.

Der Informationsgehalt ist enorm und in vielen Teilen zwar sehr spannend - und auch überwältigend; bezieht sehr viele Gruppen und eine lange geschichtliche Zeitspanne ein. Schon allein die Größe des Hauses und der einzelnen Ausstellungsflächen imponiert - ohne, dass ich wirklich in der Lage bin einzuschätzen, was fehlt oder welcher Themen es noch bedürfe. Auffallend wenig kommt nach meinem Empfinden der Kalte Krieg vor. Nach etwa drei Stunden - Erstbesichtigung und Überblick verschaffen - bin ich ziemlich geschafft. Für den zweiten Besuch nahm ich mir wieder etwa drei Stunden - wovon ich jedoch eine Stunde im Garten verbracht habe - und telefonierte :D.

Steingarten zum Ausruhen und Nachdenken im Human Rights Museum in Winnipeg.
Lange Wege hat man hier vor sich.

Am Ende wird der Besucher, die Besucherin, mit weiteren Stufen im "Tower of Hope", dem Turm der Hoffnung, mit einem Rundumblick über Winnipeg belohnt.

Das ist mal ein Museum, wirklich ein Genuss für Museumsliebhaber:innen und nicht nur für Ausstellungsfreaks. – In den letzten Jahren sowie bereits im Entstehungsprozess gab es auch viele Konflikte, dazu weiter unten, es sei hier nur bereits kurz angemerkt. –

Schon allein die Architektur ist beeindruckend.

Mir gefallen die vielen größeren und kleineren Filmstationen und Perspektiven. Die filmisch-künstlerische Begrüßung ist toll und in Abwechslung von Englisch, Französich und Sprache der Inuits geht es darum, was Menschenrechte für unterschiedliche Kanadier:innen bedeuten.

Große - ich schätze mind. 15 Meter - Projektionswand zum Thema Menschenrechte. Die auch mit Ebenen und Perspektiven spielt, denn hinter der halbdurchsichtigen Leinwand erkennt man Figuren, die zu unterschiedlichen Filmzeiten angeleuchtet werden.
Filmstationen, in denen man sich im sehr positiven Sinne verlieren kann, gibt es in allen Ausstellungsräumen.

Die Ausstellung besteht vor allem aus Perspektiven und Menschen, Porträts, Gesichter, Menschengruppen sieht man im tatsächlichen und übertragenen Sinne überall. Es geht um Menschen, die in Kanada geboren sind, hierher gekommen, geflüchtet, ausgewandert oder lediglich zur zeitweiligen Arbeit hier sind. Und auch darum, was in Kanadas Geschichte nicht gut gelaufen ist. 

Beeindruckend fand ich - siehe meine Buchempfehlung im letzten Beitrag - die Ausstellungsteile zu den gestohlenen Kindern und “Schulmissionen” für indigene Kinder sowie erschütternd Teil zur auch heute noch anhaltenden Diskriminierung.

Eine Kunstaktion mit roten Kleidern und/oder roten Stoffbändern (hier u.a. vor dem Museum) soll auf indigene Frauen und Mädchen aufmerksam machen, die bis heute überproportional häufig in Kanada missbraucht und/oder ermordet werden oder "verschwinden".

Spannend fand ich die Videoinstallation zu Menschen, die zur Saisonarbeit nach Kanada kommen, sich hier die Finger wund arbeiten und die längste Zeit des Jahres nicht bei ihren Familien, sondern in Nordamerika auf Farmen sind. Ihre Bezahlung und auch Arbeitsbedingungen sind oft schlecht, ihre Perspektiven kaum gehört, viele sprechen kaum Englisch oder Französisch.

Wie erleben Arbeitsmigrant:innen und Saisonarbeiter:innen Kanada?

Einen größeren Teil nimmt die Holocaust Ausstellung ein, die jedoch sehr klassisch-konservativ in Schwarz-Weiß gehalten ist und ich nicht als besonders innovativ empfand. Auffallend (auch bildlich) war, dass in dem doch überschaubaren Raum auch viele weitere Gruppen der NS-Verfolgung recht präsent dargestellt wurden.

In der Mitte der Galerie - hier im Foto leider abgeschnitten... er wäre auf der rechten Seite - befindet sich ein gläserner Filmraum, der an die Reichspogromnacht 1938 erinnern soll. In etwa 14 Minuten wird über Kanada, Antisemitismus und der kanadischen Politik zu - oder besser gegen - Jüdinnen und Juden berichtet. Eine Fassung auf Englisch, die folgende auf Französisch. Diesen Film fand ich gut gemacht und brachte das Thema, das sowohl historisch wie von der Entfernung her „weit weg“ ist, gut nach Winnipeg.

Verlieren - im positiven Sinne - konnte ich mich in den vielen Video- und Interviewstationen: zum Holodmor in der Ukraine 1932/33, dem türkischen Genozid an den Armeniern, Srebrenica/Bosnien,... Rückblickend fällt mir auf, dass ich vor allem in der “Mitte des Hauses” vor allem an den “europäischen Themen” hängengeblieben bin und dort viel Zeit verbracht habe. - Lag es an meiner eigenen (zu stark ausgeprägten) “Europabrille”, meinem Forschungsinteresse oder daran, dass diese einfach wesentlich präsenter und ausführlicher dargestellt waren als andere Themen? Um das zu überprüfen, müsste ich ein drittes Mal hin.

Ein eher kleinerer Bereich, aber dafür sehr persönlicher, waren Geschichten von verschiedenen Kanadier:innen heute (bzw. Stand etwa 2014/Eröffnung des Hauses). Warum engagieren sie sich für Menschenrechte und was motiviert sie? Was war der Startschuss, wann kamen sie ins Zweifeln? Auch hier gibt es wieder große Videostationen in denen sich kurze Interviewsequenzen mit Ton- und Fotomaterial sowie Zeichnungen und Kurztexten abwechseln.

Auf den Ebenen dazwischen gibt es immer wieder auch Mitmachstationen, digital und analog.

Eines meiner Lieblibgsschmankerl war, dass man als besuchende Person direkt in die Büroeinheiten der Museumsmitarbeitenden schauen kann - Großraumbüros, alles offen. Ich glaube, dort zu arbeiten ist gewöhnungsbedürftig, doch als Besucherin fand ich das toll. Die Mitarbeitenden machen nicht irgendwas Unbekanntes hinter Mauern oder verschlossenen Türen, sondern man hat im übertragenen Sinne einen unmittelbaren Kontakt. Auch im Museum - in allen Räumen, sprechen die Aufsichten die Besuchenden an, stehen für Fragen bereit. Ich mag sowas ja sehr und finde, es macht ein Museum, eine Ausstellung wesentlich menschlicher, nahbarer.

Einmal einen Blick in die Büros der Mitarbeitenden.

Dann war es schon wieder 17 Uhr und das Museum schloss. Ich habe das Gefühl, auch nach zwei etwa dreistündigen Besuchen könnte ich gut noch einmal dorthin. Doch welcher Besucher, welche Besuchende, würde innerhalb von zwei Wochen drei Mal ins gleiche Museum gehen…? Eher nicht so viele und daher wäre wohl an vielen Stellen weniger auch mehr gewesen.

Kritik

Das Human Rights Museum ist in Winnipeg auf jeden Fall ein Highlight, doch auch an mir ist die mal lautere, mal leisere Kritik am Haus nicht vorbeigegangen. Bereits in Toronto habe ich von den Diskussionen bereits vor der Eröffnung des Hauses gehört. Es ging vor allem 2010, also etwa vier Jahre vor Eröffnung, darum, wie die Gewichtung und Darstellung der kanadischen Verbrechen an indigenen Völkern, der sowjetischen Verbrechen an Menschen aus dem östlichen Europa, die dann nach Kanada auswanderten - hier ging es insbesondere um den Holodomor (menschengemachte Hungersnot vor allem in der Ukraine 1932/33) und der Ausstellungsteil zum Holocaust aussehen sollen. Die ganz urspüngliche Idee war es ein Holocaust-Museum zu bauen, dann wurde das Projekt thematisch wesentlich ausgebaut. Wer zum Entstehungsprozess mehr wissen möchte, empfehle ich z.B.: https://uofmpress.ca/books/detail/the-idea-of-a-human-rights-museum

2014 öffnete das riesige Museum seine Türen, doch noch nicht alles war fertig, viele Galerien blieben noch geschlossen. Das ganze Projekt war wesentlich teurer als ursprünglich gedacht. Proteste begleiteten die Eröffnungsfeier: Einige Gruppen zeigten sich empört, dass ihre Geschichten nicht richtig und akkurat dargestellt und sie selbst im Erarbeitungsprozess nicht einbezogen worden seien. Im Folgenden gab es (wohl) einige Überarbeitungen. Eine wesentliche Kritik von „Museums- und Ausstellungsmenschen“ aus der Wissenschaft war, dass das Museum in vielen Punkten Konflikte aus dem Weg gegangen sei. Für manche ist es zu sehr auf die Darstellung (tatsächlich und vermeintlicher) Vorbilder – wie solle sich der Besuchende Verhalten – ausgerichtet.

2020 war das Museum erneut international in der Presse. Ehemalige Mitarbeitende haben Rassismus und Sexismus im eigenen Haus öffentlich gemacht und angeprangert, dass das, wofür das Museum eigentlich stehen sollte - nämlich Menschenrechte - nur eine Phrase sei. Zudem wurde bekannt, dass die damalige Leitung ihrem Personal längere Zeit vorgegeben habe, bestimmte Themen mit ausgewählten Gruppen gänzlich auszusparen. So sollten zum Beispiel dieDebatte um das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche oder um Geschlechtsidentitätenund sexuelle Orientierung in Rundgängen mit konservativen oder religiösenGruppen keine Erwähnung finden.

Aufhalten kann man sich im Museum sehr lang und es ist ein Besuch wert. Zu den Skandalen sagt man mir hier in Winnipeg, habe man seit Jahren nichts mehr gehört.

Gleich gegenüber ist Forks Market, ein ursprünglich sehr alter Treffpunkt indigener Völker und heute eine neue hippe Gegend in Winnipeg um etwas zu Essen und Trinken. Ich konnte im Pancake House ungelogen und ohne Übertreibung den besten Apfelpfannkuchen meines Lebens essen. Und überlege nun, ob ich mir tatsächlich noch diesen "Deutschen Pavillon" beim Folklorama, dem Winnipeg Kulturfestival, gebe. Nachdem ich die beiden (fast schon konkurrierenden) ukrainischen Pavilllone ausgetestet habe und die Einladung für den Polnischen noch aussteht (morgen), wurde ich von ukrainischer Seite gebeten meine Einschätzung zu der deutschen Darstellung auf dem Kulturfestival abzugeben…

Ich bin unentschlossen und rechne eher mit einem seltsamen Oktoberfest im kanadischen August, dass als gesamtdeutsche Kultur durchgehen möchte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dort Matjes-Fischbrötchen gibt...

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