mit-dem-dubs-zu-neuen-ufern
mit-dem-dubs-zu-neuen-ufern
vakantio.de/mit-dem-dubs-zu-neuen-ufern

Reduktionen, Reformen und Revolutionen

Veröffentlicht: 19.06.2018


So langsam nähert sich unser halbes Jahr in Südamerika dem Ende und wir müssen tatsächlich schon die Rückverschiffung organisieren, ein Hotel in Montevideo buchen und eins in Buenos Aires. Wir können es kaum fassen, wie schnell die Zeit vergangen ist, aber bevor wir jetzt so richtig wehmütig werden, raffen wir uns auf und planen noch ein paar Stationen auf dem Weg zurück nach Uruguay. Die Iguazú Wasserfälle liegen in der kleinen argentinischen Region Misiones. Hier, ebenso wie in den abgeschiedenen Regionen des Regenwaldes im heutigen Brasilien und Paraguay, errichteten die Jesuiten ab 1610 sog. Redukionen, Missionen in deren Gemeinschaften vor allem das Volk der Guaraní lebte. Die Missionen der Jesuiten boten weitestgehend Unabhängigkeit von den portugiesischen und spanischen Kolonialherren und Schutz vor paraguayischen Sklavenhändlern. Die Jesuiten lernten die Sprache der Guaranì und übernahmen in den Missionen in Teilen deren sozialen Stukturen. Wie im Urwald lebten die Guaranì in den Missionen in Langhäusern, die etwas 50 Personen Platz boten. Neu war, dass die einzelnen Familien durch Trennwände getrennt wurden, da  Polygamie, ebenso wie der gelegentlich vorkommenden Kannibalismus, von den Jesuiten nicht geduldet wurde. Die jeweiligen Chefs der Langhäuser blieben in ihrer Funktion und bildeten  den Gemeinderat, der zusammen mit den Jesuiten die Mission verwaltete. In der Regel leiteten zwei Jesuiten eine Reduktion, wobei einer nach Gesetz offiziell Vertreter des spanischen Königs war. Ein wichtiges Instrument der Missionierung war die Musik, das Erlernen von Instrumenten, das gemeinsame Singen bis hin zur Aufführung von Operetten, um christliche Themen zu transportieren. Die riesigen, Kirchen die in jeder Mission den Dorfplatz beherrschten, wurden von den bedeutendsten Architekten kunstvoll errichtet. Mehr als 30 dieser Missionen gab es, in den zu hochzeiten bis zu 150.000 Guaranì zusammen lebten. Voltaire beschreibt die Jesuitenreduktionen als "einen Triumph der Menschlichkeit, der die Grausamkeiten der ersten Eroberer zu sühnen scheint" 

Wir besuchen als erstes die Mission San Ignazio Mini, die besterhaltenste Mission in Argentinien. Aber bevor wir uns dieses Weltkulturerbe im Hellen ansehen, machen wir eine Nachtführung und erleben ein besonders eindrucksvolles Spektakel. Nur wir und ein junger Argentinier werden von einem Führer mit einer großen Taschenlampe über das riesige Geländer geleitet und regelmäßig kurz und knapp zum Anhalten aufgefordert. Auf Bäumen oder Mauern oder, ganz unheimlich, auf Wassernebel werden Gesichter und kurze Szenen projeziert, die die Anfänge, die Geschichte und das gewaltsame Ende der Mission erläutern. Auch wenn alles ausschließlich auf Spanisch erklärt wird und der Führer uns lustlos über das Gelände leitet, ist es interessant und wirklich gut gemacht, so dass wir einen guten ersten Eindruck vom Leben in den Missionen bekommen. Am nächsten Morgen besuchen wir die Mission erneut. Wieder ist das Personal eher unmotiviert, aber im Museum gibt es diesmal Infos in Englisch und auf dem weitläufigen Gelände stehen Infopunkte, an denen man gesprochene Informationen in diversen Sprachen abrufen kann - und viele  dieser Stelen funktionieren sogar! Die wenig professionelle Aufarbeitung der ganzen Anlage hat aber auch seine Vorteile, wir können uns überall frei und uneingeschränkt bewegen, uns alles in Ruhe ansehen. Nach ausgiebiger Besichtigung ist unsere Neugierde geweckt und wir werden uns zuhause auf jeden Fall den Film Mission mit Robert de Niro ansehen…..oder wahlweise mal ein Buch lesen.

Aber erst einmal werden wir noch zwei weitere Missionen in der Nähe besichtigen, Nuestra Señora de Santa Ana und Santa María la Mayor. Auch diese beiden gehören mit zum Weltkulturerbe, werden aber weder archäologisch untersucht noch restauriert, sondern verfallen malerisch im Urwald. In den beiden Missionen treffen wir auf unglaublich engagiertes Personal mit guten Englischkenntnissen und da Nachsaison ist, bekommen wir jedes mal eine ganz private Führung. Außerdem können wir auf den Parkplätzen vor den Missionen sicher und ruhig übernachten.

Wir haben noch etwas Zeit bis zum Verschiffungstermin in Montevideo und da es inzwischen sogar hier in den Subtropen Herbst und damit empfindlich kalt geworden ist, entscheiden wir uns, doch noch Richtung Cordoba zu fahren, um diese schöne Stadt zu besuchen. Wir trödeln ganz gemütlich herum und nehmen mit, was am Wegesrand so auftaucht, z. B. die größte Mateteeplantage „der Welt“. Wir besichtigen die Produktion, schauen einen Werbefilm und bekommen diverse Mateteeproben… ein wenig wie eine Butterfahrt. In Concordia lassen wir endlich mal wieder den Dubs waschen, er ist so voll rotem Lehm, dass wir beim Ein- und Aussteigen immer dreckig werden und übernachten auf dem örtlichen Asadoplatz. Hier kommt endlich unser winziges Powerpack zum Einsatz. Ein Pärchen hat beim romantischen Stelldichein wohl das Radio zu lange laufen lassen und jetzt springt das Auto nicht mehr an. Für dieses kleine Auto reicht unser Powerpack allemal und der nicht mehr ganz so jugendliche Romeo schaut erst skeptisch, dann ungläubig, schließlich begeistert aus der Wäsche, als wir mit Hilfe eines farbkastengroßen Kästchens sein Auto ans Laufen kriegen und er mit seine Julia endlich davon brausen kann. Frauen und Technik eben!

In Cordoba fahren wir auf den Camping Municipal, einen riesigen Platz, der bis auf einen Wohnwagen völlig leer ist und nur tagsüber von Schulklassen als Sportplatz benutzt wird. Der Standard ist wie immer dürftig, aber da wir ja fast allein sind, macht uns das nicht so viel. Das Wasser in den Duschen ist zumindest heiß, auch wenn der Waschraum eiskalt ist. Da der Platz weit außerhalb liegt, wollen wir mit dem Taxi in die Stadt fahren und bitten die Dame an der Rezeption, uns eins zu rufen als neben uns ein Auto hält. Die Fahrerin erklärt uns, dass es doch viel zu teuer sei, den ganzen Weg mit dem Taxi zu fahren. Sie nimmt uns zur nächsten Bushaltestelle mit und schenkt uns zur Weiterfahrt ihre Buscard mit fast 100 Peso Guthaben. Die nächsten Tage stromern wir durch Cordoba und besuchen die 1613 von den Jesuiten gegründete Universität, eine der ältesten Unis auf dem Kontinent. Bereits 1918, also genau von 100 Jahren, gab es hier die ersten Studentenproteste und im Anschluss daran eine demokratische Reformbewegung, die nach und nach alle Hochschulen des Landes erfasste. Die Studenten in Europa haben sich dafür noch 50 Jahre länger Zeit gelassen. Wir machen eine englischsprachige Führung und obwohl der engagierte Mitarbeiter ein nur schwer zu verstehendes English spricht, hören wir uns irgenwann ein und haben ein paar interessante Stunden.

Wie lebendig der katholische Geist in der Stadt ist, erleben wir, als wir in eine Demonstration von sog. Lebensschützern geraten, die lautstark und nahezu militant Abtreibung als Mord definieren und eine Reformation der konservativen Abtreibungsgesetze in Argentinien verhindern wollen. Ganze Familien und viele Jugendliche nehmen an der Demo teil. Wir hoffen, dass sich die jungen Frauen nicht eines Tages auf dem Tisch einer Engelmacherin wiederfinden müssen, und freuen uns, als wir am 16.06. hören, dass das Parlament mit knapper Mehrheit ein Gesetz zur Legalisierung von Abtreibung beschlossen hat.

Am Abend bummeln wir über einen Künstlermarkt und schauen an einer kleinen Plaza den Paaren zu, die hier, umbrandet von Feierabendverkehr, Tago tanzen. Das ist immer ein besonderes Erlebnis für uns.

Von Cordoba aus fahren wir in das nur wenige Kilometer entfernte Alto Garcia, nach so viel Jesuiten brauchen wir ein bisschen Kontrastprogramm. Zwar gibt es auch in dieser Kleinstadt ein jesuitisches Highlight, eine Jesuitenenstancia, aber unser eigentliches Ziel ist ein anderes Museum. In einer ruhigen Wohngegend liegt das Wohnhaus der Familie Guevara, in dem der kleine Ernesto seine Kindheit und Jugend verbrachte, bevor er zu seiner legendären Motoradtour durch Südamerika aufbrach und zum "Che" wurde. Eingeweiht von Fidel Castro persönlich ist die kleine Villa, liebevoll hergerichtet, irgendwas zwischen Personenkult und Geschichtsunterricht. ✊No passaran!

So jetzt wird es ernst. Unsere Zeit neigt sich dem Ende zu und wir machen uns langsam auf den Weg nach Montevideo.

Antworten (3)

Eva
Von mir aus könnt Ihr gerne noch länger bleiben. Die Berichte Eurer Erlebnisse werde ich vermissen. Ich wünsche Euch bis zu Eurer Rückreise noch eine schöne Zeit.

anna
... wie die Zeit fliegt ... immer schön eure Erlebnisse zu lesen ... macht doch einfach weiter zu Hause 😬

Barbara
Ilse: Euere Berichte in Wort und Bild werde ich sehr vermissen. Aber ich bin auch froh, Euch wieder daheim zu haben. Ein großes Dankeschön an Dich Barbara, daß Du meinen PC und mein Handy so eingerichtet hast, daß ich problemlos Euere Reise miterleben konnte.