Reisefischer Kanada
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#17 Wildnis

Veröffentlicht: 07.12.2022

Hinweis: Das ist mein längster Beitrag bisher...nur so. :D

Erst kommt der letzte Beitrag einen Tag früher, jetzt kommt dieser Beitrag mitten in der Woche, aber ich erlebe hier so viel und gefühlt brauche ich diese Zeilen hier selbst, um mir die Situation, in der ich mich hier gerade befinde, selbst noch mal vor Augen zu führen. Aber der Reihe nach. Ich wollte dir ja erst mal noch ein wenig von dem Job erzählen.

Wie bin ich an diesen Job gekommen?

Es ist kein Geheimnis, das Kanada sehr hohe Unterhaltungskosten hast. Ich bin jetzt damals nicht mit 15.000 € oder so hier angereist, sondern mit einem Betrag, der wirklich das Jahr abdecken wird, wenn ich hier überwiegend nur „kostenlos“ arbeite und dafür Kost und Logi bekomme. Ich habe aber auch noch andere Pläne hier in Kanada und benötige das Geld, daher habe ich mir überlegt, für die Wintermonate einen bezahlten Job zu suchen. Noch dazu habe ich gemerkt, dass ich manchmal genervt war, wenn ich länger als vereinbart arbeiten musste, da ich dafür auf den Farmen kein Geld verdient habe. Dann musste ich immer an eine Wwooferin denken, die drei Jobs hatte! Ich möchte damit nicht sagen, dass das der Weg sein soll – auf keinen Fall! Ich bin viel zu jung, um meine dynamische Energie (höhö) in drei Jobs untergehen zu lassen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich wirklich mal wieder einen „normalen“ acht Stunden Arbeitstag gebrauchen könnte, der am Ende auch (ein wenig) bezahlt wird. Anders als sonst sollte es sich dabei um keine Farm handeln und somit habe ich mich, ähnlich wie fürs Wwoofing, auf einer Website mit verschiedenen Jobangeboten angemeldet (muss man natürlich alles bezahlen, so nervig) und dann ging die Suche los. Immer schön in der Suchanzeige eingegeben, dass ich einen bezahlten Job haben möchte und dann fand ich einen. Er klang zu gut, um wahr zu sein.....es handelte sich dabei um einen Job im Norden von B.C. Ein Ehepaar, wo der Mann einerseits Naturfotograf ist und andererseits beide eine Art Erholungsort haben. Sie suchten nach jemanden, der ihnen beim Weiterbau der Gebäude helfen könne und auch mit den Kunden in Kontakt treten kann. Ich habe sie damals (meine Jobsuche begann Ende Oktober) angeschrieben und ihnen auch geschrieben, dass mein Englisch noch nicht gut genug ist, um einen zufriedenen "Kundenservice" anzubieten. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt und so habe ich gewartet.........gewartet.......gewartet.......und dann habe ich die Hoffnung auf diesen Job aufgegeben und habe angefangen, andere Jobs anzuschreiben und überall erhielt ich entweder Absagen oder gar keine Rückmeldung. Das Problem war mittlerweile, dass meine Zeit auf der Farm langsam zu Ende ging und ich eigentlich wirklich gerne Geld verdienen würde UND DANN erhielt ich endlich eine Antwort und mir wurde mitgeteilt, dass ich diesen Job haben könne. Da bin ich vor Erleichterung auch fast gestorben, da dieser Job wirklich traumhaft klingt und ja, den Rest kennt ihr ja. Meine Zeit auf der Farm wurde stressvoll beendet, hier her geflogen und nun bin ich hier.

Wer sind die Gastgeber?

Dave und Jenny sind zwei herzensgute Menschen. Dave guckt ein wenig grimmig und ich dachte mir am Anfang nur so: Oh nein, lass es bitte keinen verbitterten Mann sein, und nein - Er ist super und hat einen genialen Humor. Was ich bereits durch die Jobanzeige wusste, war, dass Dave ein Naturfotograf ist, der auch z.B. an National Geographic Bilder verkauft (zahlen übrigens gar nicht gut – habe ich gehört). Ich dachte mir, da das ja doch ein relativ großes Magazin ist, dass er schon kein schlechter Fotograf ist. Was ich dann aber vorgestern herausgefunden habe, lässt mich jetzt hier am gemeinsamen Essen (kommt wahrscheinlich nicht so oft vor, warum? kommt gleich) ein wenig ehrfurchtsvoller neben ihn sitzen, denn Dave ist nicht nur irgendein Fotograf, er ist einer der weltbesten Fotografen in der Sparte Wildtiere und speziell Vögel (da ist er wahrscheinlich der Beste) und ein international sehr angesehener Fotograf. Kurz bevor ich hier ankam, kam Dave selbst erst aus Kolumbien wieder, um Albatrosse zu fotografieren. Er sagte, die Insel, auf der er saß, war grauenhaft und hässlich, aber das Vogelleben war atemberaubend. Man merkt in seinen Erzählungen richtig, wie er die Wildtiere und vor allem die Vögel liebt. Aktuell ist er gerade mit Fathie unterwegs- Bisons fotografieren und dann wird er hier für eine Woche oder so sein, bevor er einen Workshop zu Polarbären (HALLO?! Wie geil!) führt. Er reist wirklich sehr viel herum (er muss schon so unglaublich viele Tiere gesehen haben!), zu viel für seine Frau Jenny. Sie hat daher extra mit ihm zusammen dieses Grundstück gekauft, damit sie sich eher auf „regionale“ Wildtiere fokussieren und die Workshops hier durchführen können, sodass er dafür nicht extra reisen muss. Jenny ist für die Suiten und den ganzen Gebäudebau zuständig. Aktuell bauen wir hier z.B. neue Hauswände, die dann zum neuen Schlafzimmer führen. Das witzige dabei ist, dass Jenny absolut gar keine Erfahrung in dieser Sparte hatte und alles mit YouTube gelernt hat. Sie ist echt eine herzensgute Seele und eine echt gute Köchin! Es ist der Wahnsinn, was hier aufgetischt wird....also Vegetarier darf man hier nicht sein.

Was ist meine Arbeit hier?

Also erst mal sei gesagt, dass ich hier keine acht Stunden bezahlt werde, sondern vier Stunden für Kost und Logi arbeite und die restlichen vier Stunden bezahlt werden. Somit spare ich mir eine (sau) teure Miete und teure Nahrungsmittel, von daher bin ich damit super zufrieden. Meine tägliche Aufgabe besteht in dem zweimaligen Füttern der Pferde. Sonst ist es recht unterschiedlich. Aktuell muss ich aber sehr viel Holz aus dem Holzlager holen und im Keller stapeln, da wir jetzt dazu Zeit haben, denn wenn hier der nächste Workshop durchführen, sind wir alle (Dave, Jenny, Fathi und Ich) fünf Wochen lang 24/7 eingespannt und werden eine sehr stressige Zeit als Gastgeber haben.

Was passiert in solch einen Workshop?

So ein Workshop, den Dave jetzt bald für die Polarbären anbieten oder im Februar auch hier, sieht wie folgt aus:

Der nächste Workshop (hier) ist ein Luchsworkshop. Kurz bevor dieser losgeht, gehen Jenny und ich in die Wälder und suchen Luchsspuren. Diese Sichtungen merken wir uns und platzieren an geeigneter Stelle Unterschlüpfe. Dann gehen wir mit den Fotografen, die sich für diese Workshops angemeldet haben, zu den Unterschlüpfen und zeigen Ihnen, wie sie gute Luchsfotos machen können (Heißt stundenlanges Warten im Schnee) Ja, auch wenn du jetzt denkst – Hä, voll easy.....nein! Nein! Es ist definitiv nicht einfach. Dave hatte jemanden hier, der sich ausgebildet lassen hat, damit er selbst Workshops leiten kann...dies hat vier Jahre gedauert! Es kostet eine Menge Zeit und Leidenschaft, um zu den Besten zugehören. Ich gehöre ja gerade zu denjenigen, die damit genau 0 Erfahrungen haben. Daher werde auch ich jetzt noch im Dezember und Januar geschult. Jedoch nicht nur in den Umgang mit der Kamera und wie man gute Wildtierfotos macht, sondern auch in die verschiedenen Tierarten. Vor allem die verschiedene Vögel muss ich hier lernen (Aussehen und Gesang), da Kunden oft fragen, was das für welche sind und dann muss man das natürlich wissen. Und dann reicht es nicht zu wissen, dass das ein Specht (Woodpecker) ist, sondern man sollte die genaue Art wissen, falls ein Kunde genauer nachfragt. Du siehst, ich muss jetzt wieder aktiv Sachen lernen.

Und warum jetzt Wildnis?

Genau so aktiv wie ich jetzt die diversen Vogelarten lernen muss, lerne ich auch Tierspuren zu erkennen. Dazu hat mir dankenswerterweise eine Freundin von der ersten Farm, bevor sie wieder nach Frankreich geflogen ist, zwei Heftchen mit Tierinformationen gegeben, da sie sie nicht mehr brauchte. Am Sonntag hatte ich dann meinen ersten freien Tag und den nutze ich, um einen (laut Jenny) wunderschönen Wanderweg zu erkunden, an deren Ende ein Adlernest ist. Ich also los, da abgebogen, da abgebogen, bis zum Ende der Straße und dann nach links rein. Das Problem ist ja Folgendes: Hier liegt so viel Schnee, dass man hier keinen Weg erkennt. Ich bin also den „Weg“ entlang gelaufen, den ich als Wanderweg deutete und irgendwann wurden die Bäume dichter und dichter und ich wusste, dass ich nicht mehr auf dem Wanderweg bin und das hier auch nicht mehr nur Hasenspuren zu sehen sind, sondern auch ein paar andere Spuren. Als ich dann eine Spur mit vermutlichen Krallen gesehen habe, dachte ich mir auch nur so: Und Tschüss. Ich wollte zurück und einerseits hätte ich einfach meinen Fußspuren (Vorteil am Schnee!) zurückverfolgen können, aber ich entschied mich, mich durch die Büsche runter zum See zu kämpfen und dann am See entlang zu laufen. Zu Hause angekommen, zeigte ich Jenny die Tierspuren.....ein Elch (hätte ich gerne gesehen) und ein Wolf (hätte ich nicht so gerne gesehen) und da dachte ich mir auch nur so....scheiße. Die Spuren sind ja nicht weit weg (vlt. 30 – 40 Minuten war ich bis dahin unterwegs) aber die Wahrscheinlichkeit, dass solche größeren Tiere zu uns kommen, läuft gegen null. Andere Tiere kommen dahingehend schon näher. Gestern (Montag) hatte ich meinen zweiten freien Tag und den habe ich richtig genossen, bis zu einem gewissen Punkt. Nur einmal musste ich Jenny kurz auf dem Dach helfen und die Hunde hat sie in der Zeit zum Pinkeln heraus gehen gelassen. Dazu musst du eins wissen, seit einigen Wochen haben die Hunde eins am Rad, denn sie hauen ab. Sie sind bisher immer wieder gekommen, aber manchmal kommen sie erst nachts um zwei oder so nach Hause. Einerseits besteht dabei die Gefahr, dass sie zu weit weglaufen, den Weg nicht mehr zurückfinden und erfrieren (vor allem die Hündin mit ihren erst 6 Monaten) oder sie werden von den Kojoten gefressen, denn diese sind genau auf der anderen Seite des Sees aktiv.

Kojoten-Wissen mit Samuel

Anders als in den meisten Filmen (z.B. König der Löwen), sind Kojoten nicht dumm, sondern sehr schlaue Tiere, die immer im Rudel agieren. Wie ist ihre Taktik? Das Rudel schickt ein einzelnes Weibchen los. Der Hund (Mann wie er ist), denkt jetzt nun: Ulalala, ein einzelnes Weibchen.

Dann kann Folgendes passieren:

Der Hund geht zum Weibchen. Sobald er ankommt, kommt das Rudel und der Hund hat keine Chance. 

Oder:

Das Weibchen spielt einige Zeit mit dem Hund, bevor sie ihn zum Rudel mitnimmt, wo er dann vom Rudelanführer getötet wird.

Wir sahen also, wie die Hunde unten am See etwas herumspielten und dann nach rechts liefen......und nicht mehr zurückkamen. Gut, wir dachten uns, gestern sind sie zum Abendbrot zurückgekommen, dann sind sie bald wieder da, aber nein, sie kamen nicht. Was dafür an unsere Ohren herankam, war das Heulen der Kojoten. Direkt gegenüber des Sees. Nach dem Abendbrot konnte ich nicht anders und zog meine Klamotten an, holte meine Taschenlampe und dann ging es für mich in die Dunkelheit. Ein hoch auf meine Stimme (Jenny war richtig überrascht, da sie hier so extrem laut hallt), denn nun hieß es schreien, schreien und nochmals schreien (Die Namen der Hunde).....allerdings hörte man als Antwort nicht die Hunde, sondern die Kojoten. Mittlerweile war ihr Geheule weiter rechts und somit etwas näher bei uns. Ich dachte mir dann, dass ich noch einmal zum Holzlager (rechts auf dem Grundstück) gehen möchte und dort die Hundenamen rufen wollte, bevor ich mich drinnen wieder aufgewärmt hätte. Doch kurz vor dem Holzlager hörte ich links von mir etwas knistern. Das Schlimme ist, dass es ganz leicht geschneit hat und durch die Eiskristalle auf dem Gras und in den Büschen, wirkte es so, als würden dich 1000 Augen angucken. Ich blieb also stehen und rief zum letzten Mal die Namen der Hunde und dann hörte ich es. Das Heulen der Kojoten, jetzt aber nicht mehr an der rechten Seite des Sees, sondern vielleicht nur noch wenige Hundert Meter rechts von mir. Weg rennen ist das dümmste, was du machen kannst, aber ich sag mal so....ich bin mit einer erhöhten Schrittgeschwindigkeit wieder zurück nach Hause gelaufen. Dort auf der Terrasse habe ich noch mal kurz gewartet und die Namen der Hunde gerufen und plötzlich raschelte rechts von mir was im Busch und ich hörte ein Schnaufen und egal wie cool du dich womöglich selbst einschätzt, in solch einer Situation wird dir ganz anders. Ich bin dann sofort rein und habe an der Tür gewartet. UND DANN ENDLICH kamen die Hunde zurück. Ich war so erleichtert, da das mit den Kojoten auch für Jenny neu war und wie gesagt, die Hündin ist gerade einmal sechs Monate alt.

Die Spuren der größeren Tiere im Wald und die Kojoten auf dem Grundstück und der möglichen Nähe zu mir, sowie die Gefahr, dass die Hunde hier durch das gezielten Lenken der Kojoten getötet werden können, zeigt mir eins....das hier ist halt die Natur und Wildnis. Entweder du lernst mit ihr zu leben oder du bist hier falsch.

Du siehst, ich bin noch nicht einmal eine ganze Woche hier und ich erlebe so viel. Ich könnte noch so viel mehr schreiben, aber das ist hier tatsächlich mein längster Beitrag bisher. Ich möchte aber trotzdem eines sagen:

Mir geht es gut. :)

Samuel

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