Veröffentlicht: 24.03.2023
Nach einer ereignisreichen Woche in Johannesburg erschien es mir als eine gute Idee meinen Blog mal wiederzubeleben. Auch wenn der Titel ‚Max in the Jungle’ auf den ersten Blick nicht mehr so passend erscheint, kommt es mir auch in Südafrika so vor als würde ich einen neuen Dschungel erkunden. Einen Dschungel aus verschiedenen Menschen und Ansichten, aus unterschiedlichen Landschaften und Städten, aus diversen Sprachen und Geschichten. Als mein Kumpel Vusi mich fragte, ob ich Lust hätte, ihn in seine Heimat Südafrika zu begleiten, habe ich nicht lange gezögert, sondern alles dran gesetzt, vorher noch schnell alle meine Klausuren und Hausarbeiten abzugeben. Danach war ich auch schon bald auf dem Weg nach Johannesburg oder auch Joburg, wie die Locals es nennen.
Vusi hat dort bis er zwölf war gelebt und sein Vater ist dort während des Apartheidregimes aufgewachsen. Zunächst sind wir zu Vusis Oma gefahren, die mit 90 Jahren noch immer in Johannesburg wohnt. Sofort sind mir die hohen Mauern und strengen Sicherheitsmaßnahmen des Seniorenheims aufgefallen, nicht etwa aus Angst, die Rentnerinnen könnten abhauen, sondern vielmehr weil die Menschen in allen noch immer fast vollständig ‚weißen‘, wohlhabendenden Vierteln permanente Angst davor haben, ausgeraubt zu werden. Sich zu Fuß aus dem eigenen Viertel oder selbst innerhalb des Viertels zu bewegen, ist in Johannesburg vor allem als Tourist wegen der hohen Kriminalität noch immer sehr gefährlich und nachts undenkbar. Ich fühlte mich dort sehr eingeengt, weil ich es gewöhnt bin, alles mit dem Fahrrad erreichen zu können und auch mal spazieren zu gehen.
Übernachtet haben wir die Woche über bei Birgit, einer Freundin von Vusis Familie, die für Human Rights Watch in Johannesburg arbeitet. Dort hatten wir einen kleinen Anbau für uns, der an das schöne Landhaus mit Pool grenzte. In dem Haus hat früher George Bizos gewohnt, der Anwalt von Nelson Mandela, dem unter anderem nachgesagt wird, er habe Mandela geraten in seiner weltbekannten Rede die Worte ‚if needs be‘ zu ergänzen. So sagte Mandela:
„I have cherished the ideal of a democratic and free society in which all persons live together in harmony and with equal opportunities. It is an ideal which I hope to live for and to achieve. But if needs be, it is an ideal for which I am prepared to die.“
Viele sind davon überzeugt, dass diese Worte Mandela vor der Todesstrafe bewahrt haben, da er damit signalisiert hat, nicht in jedem Fall den Märtyrertod zu sterben.
In Johannesburg haben wir uns mit vielen Freunden der Familie getroffen, vor allem mit Musikern, die früher mit Kai in verschiedenen Bands gespielt haben. Zu meinen Highlights gehörte auch eine geführte Tour durch den Ponte Tower, dem wohl ikonischsten Gebäude Südafrikas. Der Ponte Tower steht in Hillbrow, einem der einst angesagtesten Viertel Johannesburgs, das heute mit als das gefährlichste Viertel Südafrikas gilt. Der Tower ist Kreisrund, hat 52 Stockwerke und darüber eine große Werbefläche. Von innen ist er hohl, weil es zum Zeitpunkt des Baus ein Gesetz gab, wonach alle Küchen ein Fenster haben mussten. Ponte City wie der Tower auch genannt wird ist das größte bewohnbare Gebäude der südlichen Hemisphäre.
Anfangs war Ponte City eine sehr wohlhabende Adresse, da man aus den Loftwohnungen im 52. Stock eine perfekte Aussicht über Johannesburg hat. Als jedoch das Apartheidsregime in den 90er Jahren abgesetzt wurde, besetzten mehrere Gangs das Gebäude. Vorübergehend wohnten mehr als 10.000 Menschen in dem auf 3500 Menschen ausgerichteten Tower. Da es in dem Gebäude keine geregelte Müllentsorgung gab, entsorgten die Menschen den Müll, indem sie ihn in die hohle Mitte des Gebäudes warfen, wo sich der Müll daher bis zum fünften Stockwerk stapelte. Zu dieser Zeit bezeichneten die Bewohner*innen den Tower als ‚Hell on earth‘, denn es war das Zentrum von Drogen und sexueller Gewalt. Deswegen stapelte sich in der hohlen Mitte des Turms nicht nur Müll, sondern auch etliche tote Körper, es war das Suizidzentrum Johannesburgs.
Mit der WM 2010 in Südafrika begann ein neues Kapitel für Ponte City. Gerüchten zufolge schafften es Investoren mithilfe von bezahlten Gangs, alle Menschen aus Ponte City herauszuholen. Es dauerte zwei Jahre jeglichen Müll aus dem Turm zu entfernen. Doch dann wurde das Gebäude vollständig renoviert. Jetzt leben dort Menschen aus verschiedenen Gesellschaftlichen Schichten, jedoch fast noch immer ausschließlich People of Colour. Im Erdgeschoss hat sich eine NGO namens Djala Ne angesiedelt, die Aktivitäten und Unterstützung für Jugendliche aus dem Viertel anbietet. Der junge Mann, der uns die Führung gegeben hat, ist dort früher selbst häufig hingegangen.
An einem anderem Abend sind Vusi und ich mit ein paar anderen Leuten in unserem Alter in Newtown, einem coolen Streetartviertel feiern gegangen. Vorher haben wir uns in einem Garten über unser Studium ausgetauscht. Es war erschreckend wie wenig Freiheit die Jugendlichen hier hatten und noch viel mehr wie es in Südafrika vom Geldbeutel der Eltern abhängt, ob man studieren kann oder nicht. Dennoch war der Technoclub, in dem wir waren, ziemlich so wie wir es aus Münster und Göttingen gewohnt waren. Es gab sogar eine Surroundanlage mit perfektem Sound, die der Function One im Berghain sehr ähnelte. Die Leute waren ähnlich gekleidet wie bei uns in den Techno-Clubs, mit Netzhemden, schnellen Brillen und Mullets. Auch die LGBTQIA+ Community war offen und zahlreich vertreten. All das kam mir inmitten dieser kriminellen und extrem ungleichen Stadt ziemlich unwirklich vor, insbesondere weil wir am gleichen Tag noch im Apartheidmuseum waren.
Das Museum hatte zwei Eingänge, einen für ‚whites‘ und einen für ‚non-whites‘‘, jedoch führte sich dieses Erfahren am eigenen Leib leider nicht im Museum fort. Dennoch fand ich besonders die Filme sehr eindrucksvoll, in denen man die Energie des Widerstands mitbekam und die enorme Erleichterung der protestierenden Menschenmassen als das Apartheidsregime abgesetzt wurde. Vusis Tante hat danach noch erzählt, dass sie früher in der Uni eine schwarze Freundin hatte, die nicht mit ins Kino durfte und sie deswegen mit ihr ins ‚non-white‘- Kino ging, wo sie eigentlich auch nicht hineindurfte. Kaum vorstellbar, dass dieser Zustand bis in die 1990er Jahre zur Normalität gehörte.
Weil in Südafrika schließlich eine Safari nicht fehlen durfte, fuhren wir auch in einen kleines Naturreservat. Der Kruger- Park und der Pilanesberg-Nationalpark sprengten leider den zeitlichen und finanziellen Rahmen, deswegen fiel die Wahl auf einen nahegelegenen Park namens Dinokeng. Dort fuhren wir auf schmalen Wegen durch extrem dichte Buschvegetation, sodass wir nur selten Tiere zu Gesicht bekamen. Hin und wieder ein paar Zebras, Impalas und Kudus. Von den Big Five, die der Park versprach, war keine Spur. Trotzdem war es ein schöner Ausflug, weil wir abends noch lange in der Lodge am Feuer saßen und den Grillen lauschten und morgens die aufwachende Savanne erlebten. Außerdem hatten wir unerwartete Begegnungen mit Giraffen und Schakalen und unser Häuschen hatte einen Pool, von dem wir den Sonnenuntergang sehen konnten.
Jetzt sitze ich im Auto und wir fahren 1600 km durch die Steppen- und Halbwüsten-Landschaften bis nach Kapstadt. Letzte Nacht haben wir einen Zwischenstopp in Nieu-Bethesda eingelegt. Das ist ein kleines Dorf inmitten der Karoo, in ewigen Weiten von Halbwüsten etwa 100 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. Man konnte es nur über einen Schotterweg erreichen auf dem mehrere Löffelhunde, ein Waran und ein Kudu unseren Weg kreuzten. In Nieu-Bethesda haben sich einige Künstler und andere Aussteiger angesiedelt. Dort habe ich mich gefühlt als würde die Zeit stehen bleiben. Hier und da sah man einen Landwirt, der seine Ziegenherde durchs Dorf trieb. Abends saßen wir noch im lokalen Pub, in dem uns die braungebrannten bierbäuchigen Stammgäste versicherten, der Pub sei 19 mal in Folge zum besten Pub in Südafrika gewählt worden. Heute morgen haben wir das Owl House besichtigt. Dort hat Helen Martens gewohnt, eine verrückte Künstlerin, die ihr gesamtes Haus mit winzigen, bunten Glasscherben ausgeschmückt hat. Diese machte sie, indem sie Glasflaschen durch den Fleischwolf trieb. Ihr gesamter Garten ist bestückt mit Fantasiefiguren, die sie aus Zement geformt hat. In erster Linie sind es Eulen, aber auch Kamele, Giraffen und menschliche Figuren oder eine Mischung aus diesen Lebewesen, die sie allesamt gen Mekka ausgerichtet hat. Zu Lebzeiten wurde die Künstlerin jedoch immer gesellschaftlich ausgegrenzt, weil sie als vom Teufel besessen galt. Umso größer ist jetzt ihre Bedeutung für die kulturelle Identität des Wüstendorfs. Für mich ist ihre Geschichte bezeichnend für die Leute in Nieu-Bethesda, denn um dort dauerhaft zu leben, muss man entweder verrückt oder ein wenig besessen sein.
Jetzt freue ich mich auf zwei schöne Wochen an der Küste, wo Vusi und ich auf eigene Faust die Gegend erkunden wollen. Ich bin gespannt auf den Tafelberg, die weltbekannten Wellen, Pinguine und Seelöwen. Mehr davon gibt es hoffentlich in einer Woche zu lesen.