Uji (Alb. Wasser)
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Albanien: Zwischen Kirchen und Moscheen

Veröffentlicht: 02.06.2023

Wenn man durch Albanien fährt, sieht man Minarette, sieht man Kirchtürme, hört man Muezzins rufen, hört man Kirchenglocken leuten. 

Ein zuerst seltsames Bild, das man aus Deutschland nicht kennt, wo es neben der christlichen Mehrheit einen nicht unbedeutenden Anteil Muslime mit mehr als 6% gibt. In Albanien sind es rund 60% Muslime und 16% Christen, wie eine Volkszählung 2011 ergab. Diese religiösen Obergruppen zerfallen allerdings in kleinere Glaubensgemeinschaften.

In Albanien leben Menschen verschiedenster Religionen nicht nur nebeneinander, sondern miteinander. Das erzählen uns auch andere Radfahrer*innen, bei denen die Mischung aus Kirchen und Moscheen in Albaniens Städten und Dörfern ebenfalls Interesse geweckt hatte.

Dieses multikonfessionelle Zusammenleben und die interreligiöse Toleranz sind dabei sowohl Teil eines albanischen Volksmythos und damit Teil des sogenannten Albanertums („Das Albanertum ist die Religion egion der Albaner“) als auch Ergebnis einer langen Geschichte verschiedenster Einflüsse und Fremdherrschaften.

So ist der bedeutende Einfluss des Christentums, das sich heute in einem eher orthodoxen Süden und katholischem Norden des Landes zeigt, auf das Römische Reich zurückzuführen. Durch die Zugehörigkeit zum osmanischem Reich ab dem 15. Jahrhundert entstand eine bis heute existierende Mehrheit an Zugehörigen des muslimischen Glaubens. Eine Besonderheit stellt hier der Bektashi-Orden dar, der in vielen Ländern bereits vor Jahrhunderten verboten wurde und Elemente des muslimischen und christlichen Glaubens vereint.

Unter dem kommunistischen Regime Enver Hodschas wurden Religionen nahezu eliminiert, das Praktizieren unter Strafe verboten und Gotteshäuser flächendeckend zerstört. Er rief 1967 Albanien als den ersten atheistischen Staat der Welt aus - im Irrglaube. Nach Ende Hodschas Herrschaft 1990 tauchten viele religiöse Elemente wieder auf. Gotteshäuser wurden gemeinsam wieder aufgebaut und Gottesdienste mit Angehörigen verschiedener Glaubensgemeinschaften gefeiert. Zwei monotheistische Weltreligionen, die sich normalerweise eher feindlich gegenüberstehen, sind so in Albanien Teil eines nationalen Mythos und Element der Stabilisation unter Jahren der Fremdherrschaft. Daneben unzählige kleine Gruppen, des das postkommunistische Albanien zog Rekordverdächtige viele Missionar*innen an.

Dennoch: Lediglich 1/3 der Bevölkerung praktizieren ihren Glauben allerdings aktiv. Und auch nicht überall ist die Toleranz so groß, wie sie gerne betont wird. In vielen Regionen des Landes spielt Religion durchaus keine (große) Rolle. Familie und Heirat geht über ihre Grenzen hinweg. Andernorts ist sie Ursache von Konflikten und Spannungen.

Heute ist, auch auf Grund der Regierung, der Islam im Vordergrund. Dabei gibt es in Albanien kaum große Moscheen, wo sich viele Menschen versammeln können. Sie fielen der kommunistischen Diktatur zum Opfer und heute fehlt dem Land das Geld, um eigene Moscheen zu bauen. Sie sind deshalb auf ausländische Geldgeber angewiesen und damit auch auf religiöse Einflüsse aus dem Ausland. Die größte Moschee in Tirana beispielsweise ist die Erdogan-Moschee, deren Name deutlich zeig, woher der Einfluss in diesem Fall momentan kommt.

Denn das bleibt als spannender Punkt festzuhalten. Wo sich religiöse Einheit oft zum Teil eines nationalen Mythos erhebt, und das sehen wir im „christlichen Europa“ [sic!] oder im „muslimischen Abendland“ [sic!], ist eben genau das das Gegenteil - das multireligiöse Zusammenleben mit Respekt und Toleranz gegenüber der anderen Religion als Narrativ der albanischen Nation. 

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