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Tag 2

Veröffentlicht: 19.01.2022

18.01.2022

Gestern Abend wollte ich mir noch eine Dusche, beziehungsweise einen Kessel kaltes Wasser genehmigen, doch beim Aufdrehen des Wasserhahns erklang ein Gurgeln, das klang als würden mir gleich die Leitungen um den Kopf fliegen. Immerhin konnte ich einen halben Kessel füllen, jedoch als ich dann da stand nass, eingeseift auf kalten Fliessen, kam gar kein Wasser mehr. Auch am nächsten Morgen war kein Wasser zu finden, auch war in der Nacht der Strom ausgegangen. Es ist spannend zu beobachten, wie hilflos man sich fühlt ohne diese beiden, in der Schweiz gesicherten und allgegenwärtigen Elemente. Dazu kommt, dass man das Wasser nicht einmal trinkt, aber wenn Toilettenspülung, Dusche und Abwasch gleichermassen davon abhängen, fühlt man sich dann doch etwas verloren. Trotzdem ist mein Gefühl an diesem Morgen nicht zu vergleichen mit gestern. Da fühlte ich mich verloren in dem ganzen Neuen, vor allem weil ausnahmslos alles anders ist und man sich kaum an etwas Bekanntem festhalten kann. Nach und nach ergibt sich ein Gefühl des Akzeptierens und des Sich-Einlassens und mit dem kommt auch eine Ruhe, die ich schon länger nicht mehr gekannt habe. Nach dem wir beim Frühstück den Toast in den Toaster gesteckt und uns gefragt haben, wieso dieser nicht warm wird, werden wir um 10 Uhr von Regina abgeholt, um uns die Schule anzuschauen. Ausserdem sollen wir gelegentlich dann auch erfahren, welche Klassen und welche Fächer wir unterrichten sollen. Der Weg zur Schule ist lang, wir fahren durch rurales Gebiet, auf Boden, der mehr Loch als Strasse ist. Das hindert Regina aber nicht daran, mit durchschnittlich 60 km/h an Lehmhütten, Kühen und Menschen vorbeizurasen in einem Slalom um wütend hupende Motorräder. Die Fahrt dauert 35 Minuten, wir rechnen damit, dass wenn wir selber fahren, es schon so 45 Minuten in Anspruch nehmen wird. Überall schauen Menschen unglaublich fasziniert ins Auto, ungläubig nicht nur einen, nicht zwei, sondern gleich drei «Muzungus» vorbeifahren zu sehen. Spannend ist die Doppeldeutung dieses Wortes, heisst es zum einen weisser Mensch, so kann aber auch eine lokale Person als solcher bezeichnet werden. Ist dies der Fall, so ist es ein Kompliment für jemanden, der pünktlich, schlau, ehrgeizig und ehrlich ist. Auf dem Weg sieht man viele Menschen, die Ziegelsteine aus dem sandigen, lehmigen, roten Boden machen. Die Männer sind von oben bis unten bedeckt mit Erde und schaben den Boden in Holzformen, aus denen sie dann die Ziegel herausklopfen, um sie dann in grossen Öfen zu brennen. Häuser, die einfach gehalten sind, bestehen nur aus einer Wand von Ziegeln, haben ein Wellblechdach oder Strohdächer. Häuser gehobener Klasse sind verputzt und häufig mit Zeichnungen versehen. Wir passieren ein Dorf, hier wurde Regina geboren. Sie sagt, dass die Leute dieses Dorfes eher belächelt wurden, weil sie in ihrem Glauben noch sehr stark in alten Traditionen verwurzelt sind, die an Geister glauben und eine Vielzahl afrikanischer Götter huldigen. Auch sehen wir viele Kirchen, Moscheen und einige verfallene Schulgebäude. Extreme Gegensätze ergeben sich, wenn man Frauen mit geflochtenen Körben auf dem Kopf neben neuen Zapfsäulen und Schildern, die «German solarpower» anpreisen stehen sieht.

Wir erreichen die Schule, wo wir direkt von einer Horde kleiner Kinder umschwärmt werden, die uns die ganze Zeit nicht mehr von der Seite weichen wollen. Sogar auf die Toilette wollen sie uns folgen. Naja, das Wort Toilette sollte hier wahrlich als lose Definition gesehen werden, sind es doch drei A5 grosse Löcher im Steinboden, die es zu treffen gilt. Das Schulgelände verfügt über einen grossen Rasenplatz, auf dem die Kinder Fussball spielen. Zwei Schlafsäle, einen für Jungen, einen für Mädchen. An der Wand des ersteren sieht man ein Fresko eines Jungen, der sagt: «I always say no to sex.» Auf meine Frage hin, ob das ein akutes Problem sei, antwortet Regina nur, dass vor allem «cross-generational copulation» ein häufiges Problem sei. Auf dem Gelände sieht man eine Baustelle, wo gerade fünf neue Klassenzimmer, ein grösseres Büro für die Schulleitung und ein Ladenraum entstehen. Letzterer soll sachliche Güter lagern, die Eltern der Schule abgeben, wenn sie kein Geld haben, um die Schulgebühren zu bezahlen. Von hier aus könnten diese dann weiterverkauft werden, wenn sie nicht von der Schule selber in Nutzung genommen werden. Daneben gibt es noch zwei weitere Gebäude mit Klassenzimmern, eine auf den Seiten offene Struktur, die auch für Unterricht genutzt wird und eine Küche, wo über einem grossen, offenen Feuer Essen für die Schüler*innen gekocht wird. Wir werden an einen Willkommenstisch komplimentiert, von wo aus wir eine Begrüssungszeremonie mitverfolgen. Zwei Schüler halten kurze Reden, der Schulleiter heisst uns Willkommen mit den Worten, das grosse Dinge von uns erwartet werden würden. Dann singt der Schulchor uns etwas vor, worauf entschuldigende Worte des Lehrers folgen, vor COVID sei dies der beste Schulchor Ugandas gewesen und es sei doch traurig, was davon übriggeblieben sei. Es werden uns drei Tänze von zwei verschiedenen Stämmen vorgeführt. In ganz Uganda lassen sich insgesamt 52 verschiedene Stämme finden, alle mit eigenen Traditionen und Gebräuchen. Ausser Schülern und Lehrern finden sich in den Zuschauern noch Eltern und Mitglieder des Gemeinderats, alle in festlicher Sonntagskleidung. Nun wollen alle noch unsere Stimmen hören und wir improvisieren eine kurze Rede, wobei wir uns bedanken und unsere Freude über das Hiersein ausdrücken. Wir machen Fotos mit allen Klassen, den Eltern, den Tänzern und das gibt es Mittagessen. Grundsätzlich gibt es jeden Tag das gleiche in leichten Variationen. Heute war es aber besonders, weil die Eltern, im Wissen, dass wir kommen würden, Gemüse aus ihren eigenen Gärten geerntet hatten, um uns zu bekochen. Vor allem die Süsskartoffeln waren unglaublich schmackhaft. Anders als jene die wir kennen sind sie von heller Farbe und haben einen Geschmack, der leicht an Kastanien erinnert. Nach diesem Festmahl sollte es darum gehen, wer was unterrichten sollte. In der Primarschule findet man sieben Klassen also von Primary 1 bis 7. Klassen 1 und zwei fangen um 8:00 an und sind um 13:00 fertig. Klassen 3 bis 5 sind um 16:00 sich selbst überlassen und Klassen 6 und 7 haben Unterricht bis 17:00. Dies Montag bis und mit Samstag. Auf die Frage, weshalb hier alle so viel Schule haben, gibt uns Regina drei Gründe. Zum einen verlangen die Eltern, dass wenn sie Geld bezahlen, dass sich dies dann auch lohnt. Zum zweiten haben sie hier einen so ausführlichen Lehrplan, den sie durchbringen müssen, weil die Schule sonst in Verruf gerät. Auch eine Sekundarschule, die nicht um 5:00 morgens beginnt hat keine Chance genügend Schüler*innen zu erhalten, um die Kosten zu decken. Zum dritten können die Kinder, sind sie den ganzen Tag in der Schule weniger Unfug anstellen. Denn, wie Regina sagt, wenn eine Schülerin schwanger werden würde, dann würden die Eltern einen Aufstand machen und das wäre mühsam…

Regina meinte, wir sollen wählen, was und wen wir unterrichten wollen. Philipp meinte er würde sich in P1, 2 oder 3 wohlfühlen. P1 könnte schwierig werden wegen der Sprache, also soll er Mathematik und Wissenschaften geben in P2 und 3. Wissenschaften hat das Thema Körper und wie man diesen sauber hält. Mathematik weiss keiner so wirklich, was man da momentan so unterrichtet. Das Problem ist jenes, dass die Schüler*innen zwei Jahre nicht mehr in der Schule waren. Das bedeutet zum einen, dass sie zwei Jahre älter sind, als sie eigentlich in der Stufe wären, zum anderen, dass sie alles wieder vergessen haben, was sie vorab gelernt hatten. Nach meinem Lieblingsfach zum Unterrichten gefragt, erwidere ich, dass ich Englisch am liebsten mag. Also werde ich Englisch in P4, 5, 6 und 7 unterrichten. Céline soll Mathe in den gleichen vier Stufen geben. Es stellt sich nun aber heraus, dass die Schulbücher, die eigentlich zum Vorbereiten doch noch nötig wären vor zwei Jahren zusammen mit dem alten Schulleiter verschwunden und nie mehr wiedergekehrt sind. Es stellt sich mir die Frage, was in der Schule seit eineinhalb Wochen passiert, aber ich lerne langsam Dinge einfach hinzunehmen. Auch habe ich in den letzten zwei Jahren kaum so lange auf jemanden gewartet, wie in den letzten zwei Tagen. Denn Regina kann schwatzen! Mit allen! Was wir leider auch noch nicht wissen, ist wie viele Lektionen die Kinder in unseren jeweiligen Fächern haben, wie lange Lektionen dauern und so weiter. Morgen wäre der Tag dem Vorbereiten zugedacht, nur weiss leider keiner von uns, was wir vorbereiten sollten. Auch die Ankunft der versprochenen Schulbücher ist noch ungewiss.

Während wir auf Regina warten, kommt ein kleines Mädchen von etwa vier Jahren in das Zimmer. Legt eine Hand auf Philipps Knie und schaut uns zehn Minuten nur an. Bevor sie mit ihrem Bruder, der etwa sechs Jahre alt ist und sein Geschwisterchen auf dem Rücken trägt davonspaziert. Mit sechs Jahren ins Internat, riesige Schlafsäle, nie allein sein. Das ganze Leben hier scheint geprägt vom Nicht-Alleine-Sein. Auf den Strassen ist immer etwas los. Gruppen die reden und lachen. Gearbeitet wird nicht wirklich nach geregelten Zeiten. Vielleicht hat ein Geschäft offen, vielleicht nicht. Nach dem Besuch der Schule machen wir uns auf den Heimweg, beziehungsweise schauen wir erst nach «unserem» Auto. Ein Mitsubishi, der einen Riss über die gesamte Frontscheibe aufweist. Als der Mechaniker noch sagt, dass der Stossdämpfer nicht mehr funktioniert, machen wir uns ein bisschen Sorgen, dass uns beim dritten Schlagloch die Frontscheibe um die Ohren fliegt. Regina meint darauf, dass wir ihr Auto haben können für die Zeit. Dann gehen wir noch nach Kiboga, um Schulbücher, Bier und Eier zu kaufen. Eier holen wir bei einem Bauern, der seine Hühner in einem riesigen, schönen Haus mit Ziegeldach hält, wobei er in einer Wellblechdachbaracke daneben schläft. Dann gibt es noch 25 Flaschen Bier und frische Mangos, bevor wir uns auf den Weg zur BSSK machen. Nicht bevor sich Regina noch mit einigen Leuten ausgetauscht hat. Inzwischen ist es schon wieder 20:00 und wir haben noch kein Abendessen gehabt. Als wir auf das Gelände der Sekundarschule fahren, kommt uns die Lehrerin für Englisch und Literatur, Liliane, entgegen, die verspricht, uns noch Kaffee zu bringen. Echten Uganda-Kaffee von den Bäumen des Schulgeländes. Sie kommt vorbei und erzählt noch von der Beschneidungstradition in ihrem Dorf, wobei während eines fünftägigen Festes alle 15-jährigen und darüber gefeiert werden. Auch frage ich sie noch nach der Literatur, welche sie unterrichtet. Sie nennt einige ugandische Autor*innen aber auch Shakespeare und Sophokles. Grundsätzlich lässt sich Literaturunterricht in Prosa, Poesie und Theater unterteilen.

Was auffällt, ist, dass sich Leute oft entschuldigen für was sie haben, beziehungsweise nicht haben. Stolz sind sie auf ihre Kultur schämen tun sie sich, wenn etwas in ihren Augen nicht unseren Ansprüchen entsprechen könnte. 

Antworten (1)

Urs
Sehr spannend, danke für die Zeit, die Du in den Blog investierst. Diese Wochen nützen wohl mehr, als mein Männchen mit der schiefen 5...

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