kristins-abenteuer
kristins-abenteuer
vakantio.de/kristins-abenteuer

Überlebt

Veröffentlicht: 17.05.2024

Nach den vielen Nachtbussen, langen Nächten und Krankheiten kann ich mich nicht erinnern, in welcher Nacht ich mal wirklich sieben Stunden Schlaf bekommen habe. Der Wecker auf 5 Uhr tut also gar nicht so weh, wie es sich anhört. Während ich mich im Zelt fertig mache, bekomme ich auch schon eine Tasse Coca-Tee gereicht - heute geht es schließlich an den höchsten Punkt des Trails. Nachdem gestern als „Trainingstag“ zählte, wird heute einiges von uns abverlangt. Wir starten in Ayapata auf 3.300m, überqueren den Warmiwañuska auf 4.215m, steigen dann wieder ab auf 3.650m, dann laufen wir den Runccurakay-Pass auf ca. 3.950m, um dann zu unserem Camp auf 3.600m wieder abzusteigen. In Summe werden das 16km und etwa 1.300 Höhenmeter, die wir heute zurücklegen werden.

Nach dem Frühstück stellen wir unsere Trekkingstöcke auf „Aufstieg“ und dann geht es auch schon los. Bis 8 Uhr sind wir schon 500 Höhenmeter auf 3.800m aufgestiegen. Bis zum Warmiwañuska sind es jetzt noch weitere 400 Höhenmeter. Wir machen eine Pause bei einem wundervollen Aussichtspunkt und sehen hinter uns den Weg, von dem wir gekommen sind und können auch schon den höchsten Punkt des Passes sehen. Ich kann gar nicht sagen, ob ich bis heute schon vor 8 Uhr einen Schokoriegel gegessen habe, aber nach zwei Stunden wandern auf über 3.000m Höhe geht das, denke ich, in Ordnung. Den restlichen Anstieg zum Pass dürfen wir alleine in unserem Tempo machen, bis wir endlich oben ankommen bei Warmiwañuska. Der Name bedeutet „Pass der toten Frau“, das hätte ich vermutlich vorher bei meiner Familie nicht erwähnen sollen. Ich kann aber Entwarnung geben: Der Name leitet sich zum Glück nicht aus vergangenen Unfällen ab, sondern an der Formation der Spitze am Pass. Vom Aussichtspunkt, an dem wir morgens die Pause gemacht haben, sieht man, dass der Berg die Form der liegenden Brust einer Frau hat - einer toten Frau etwa. Daher entstand der Name und spätestens jetzt ist ja auch die Bestätigung da, dass ich den Pass überlebt habe. Wo wir doch in der Pause noch eine so klare Sicht auf die Anden haben, liegen alle umliegenden Berge in Wolken. Da bleibt uns nach der Pause auch nichts anderes mehr übrig, als unsere Trekkingstöcke nun auf den Abstieg einzustellen und nun wieder etwa 600 Höhenmeter herunter zu wandern ins Pacaymayo Alto Valley, wo uns das Mittagessen erwartet. Aber noch vor dem Abstieg fängt es an zu nieseln. Da das Wetter hier schnell umschlagen kann, rüste ich mich auch schonmal mit meiner Regenjacke und dem Poncho aus. Auch den Abstieg dürfen wir alle in unserem eigenen Tempo machen und ich schätze das sehr! Auf dem Inka Trail ist es eigentlich nicht erlaubt, ohne Tourguide zu laufen, aber Abelardo vertraut uns und hat so die Möglichkeit, nach den Langsameren in unserer Gruppe zu schauen ohne uns andere aufzuhalten. Während des Abstiegs fängt dann der Regen richtig an und ich bin froh, meinen Poncho und die Trekkingstöcke zu haben. Steile, hohe und nasse Treppen sind genau der Grund, wofür ich die Stöcke ausgeliehen habe und ich bin heute schon öfter mit dem Schrecken davon gekommen. Als ich gerade fünf Minuten beim Lunch-Spot angekommen bin, öffnet sich der Himmel noch ein Stück und es regnet wie aus Eimern. Gut, dass ich mittlerweile schon im Zelt sitze. Kalt und nass ist es zwar trotzdem, aber zum Glück muss ich bei dem Wetter nicht wandern - denke ich. Der Regen hält an, egal, wie lange wir unseren Aufbruch auch herauszögern wollen. Von den im Internet angekündigten zwei Regentagen im Mai haben wir wohl heute einen davon erwischt.

Dick eingepackt (Longsleeve, Fleece-Pullover, Regenjacke, Halstuch über die Ohren, Cap, Kapuze und Regenponcho) starten wir also widerwillig in den zweiten Teil des Tages. Um es zusammenzufassen: 300 Höhenmeter Aufstieg bei strömendem Regen und dann 300 Höhenmeter Abstieg bei strömendem Regen. Wie unser Tourguide das Wetter zusammenfasst: „Schlimmer hätte es uns nicht treffen können“. Damit hat er zwar recht, aber wir versuchen es mit Humor zu nehmen, sind auf das Wetter vorbereitet und hoffen darauf, dass der zweite Regentag des Monats nicht übermorgen ist, wenn wir am Machu Picchu sind. Immer wieder kommen wir an ausgeschilderten Aussichtspunkten und Terrassen vorbei und freuen uns jedes Mal über den spektakulären Blick, der uns leider nur 50m weit in die Wolkendecke führt. So ist es nunmal: Ich wollte ein Abenteuer und ich bekomme das volle Programm!

Am Nachmittag passieren wir noch drei weitere archäologische Stätten: Runccurakay, Sayacmarca und Chaquicocha. Drittere ist auch der Name unseres Camps, in dem wir heute auf 3.600 Höhenmeter schlafen. Wir bekommen wieder eine Schüssel warmes Wasser, um uns zu waschen und treffen uns zu Tee, heißer Schokolade und Käsekräcker, bevor wir schließlich zusammen zu Abend essen. Müde und gleichzeitig zufrieden sitzen wir gemeinsam am Tisch und lassen den Tag nochmal Revue passieren: Viele Höhenmeter, Treppen, Regen, Kleidungsschichten, dünne Luft, grauer Himmel. Aber uns allen geht es gut und wir haben den schon vorher als schwierig erachteten Tag mit allen Hürden gemeistert.

Nach dem Essen kommen noch die Köche und Porter zu uns ins Zelt und wir stellen uns alle gegenseitig vor. Es ist wirklich unglaublich, was diese 15 Männer für uns leisten, darum ist es schön, ein paar Minuten mit ihnen zu verbringen und Danke sagen zu können.

Bei der Besprechung des morgigen Tages sind wir ganz entspannt, was soll nach heute schon noch passieren? Es geht auf und ab, wir enden morgen aber auf nur noch knapp 2.650 Höhenmeter. Wenn es nicht weiter regnet, wird es morgen also wärmer.

Die letzte Ankündigung des Tages: Wir schlafen auf der „falschen“ Seite des Passes, darum wird es heute Nacht vermutlich ziemlich kalt werden - vielleicht bis zu 0 Grad. Also heißt es nach dem Abendessen wieder Schichten: Lange Hose, zwei paar Socken, T-Shirt, Fleecepullover, Daunenjacke, Halstuch und Mütze. Eingepackt kuschel ich mich dann noch in eine dünne Baumwolldecke und steige dann in den Schlafsack. Die Handschuhe lege ich notfalls auch mal bereit.

Die Aktivitätszusammenfassung des Tages lautet wie folgt: 16km gelaufen, dabei 1.300 Höhenmeter zurückgelegt, wir waren fast 12h unterwegs, haben mit 4.215m den höchsten Punkt des Trails überschritten und mein Handy zeigt 23,6k Schritte. 

Antworten

Peru
Reiseberichte Peru